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Nichtoffener Wettbewerb | 12/2022

Denkmalgerechte Instandsetzung und museale Neukonzeption Goethes Wohnhaus in Weimar

Wandabwicklung BrĂĽckenzimmer

Wandabwicklung BrĂĽckenzimmer

ein 2. Preis

Bruno Fioretti Marquez

Architektur

Uwe Mönnikes

Brandschutzplanung

blieske architects lighting designers

Lichtplanung

Transsolar Energietechnik GmbH

Energieplanung

Dr. Ulrike Wendland

Sonstige

Erläuterungstext

Ein Manifest in vier Punkten

1. A gift to the street
„A gift to the street“ ist der Titel einer Buchpublikation von 1976, in der Carol Olwell viktorianische Häuser in den USA porträtiert. Neben den ornamentierten Details im Fokus der Fotografin, zeigen die Abbildungen die straßenständigen Fassaden mit ihrem viel- oder mehrschichtigem Verhältnis zum Stadtraum – Treppen, Veranden oder raumhaltige Hauseingänge bilden Zwischenräume, die sowohl der Stadt als auch den Bewohnern „gehören“. Orte, die ein dialogisches Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit schaffen.
Der dialogische Charakter des Ortes, der zu Goethes Lebzeiten durch die Veranstaltung von Soirées, politischen und wissenschaftlichen Diskussionen oder künstlerischen Darbietungen seinen Ausdruck fand und so Stadtleben und Privatheit miteinander verwob, soll durch räumliche und programmatische Interventionen wiederbelebt werden.
Eine dieser Interventionen betrifft das am östlichen Rand des Grundstücks befindliche Torhaus. Das Torhaus, das ursprünglich als Teil der Akzisemauer den Einnahmen von Zöllen diente und von dem Stabsreferat für kulturelle Bildung genutzt wird, soll als Museumscafé umgestaltet werden. Während der Öffnungszeiten des Museums gelangen die Besucher über den internen Hofgarten in die Gasträume. Am Abend und in der Nacht verändert sich das Verhältnis von Innenraum zu Stadtraum. Während sich die Türen zum Hofgarten schließen, öffnen sich an der Frauenplan die Türen zur Stadt und das Museumscafé wird zum Literaturcafé, das den Bewohnern und Touristen offen steht und die Kraft hat, den Straßenraum zu beleben.
Als weiteres „gift to the street“ sollen die ehemaligen Ställe zu temporär genutzten Ausstellungsräumen umgestaltet werden, die auch nach den Museumsöffnungszeiten zugänglich sind. Der dienende Charakter und die Rauheit der ehemaligen Ställe sollen sowohl räumlich als auch programmatisch spürbar werden. Sound- und Medieninstallationen von zeitgenössischen Künstler*innen, die sich mit Goethes Werk auseinandersetzen, sind hier ebenso denkbar wie Kuriositäten aus Goethes Sammlungen. So, wie Goethes Werk und seine Sammlungen eher das Spiegelbild einer Suchbewegung gleichen, können diese Räume als experimentelle Räume gesehen werden, die metaphorisch von dem Wirken Goethes erzählen und intuitiv von den Besuchern erfasst werden können.
Die Räume werden inhaltlich zu Zwischenräumen – nicht mehr Stadt und noch nicht Museum- oder anders ausgedrückt: als Teil des Museums und sogleich als Teil der Stadt bilden Sie den Übergang von dem Einen zu dem Anderen.
Durch ihre Lage in zweiter Reihe, hinter dem Hauptgebäude, sind sie gleichzeitig ein „hidden place“, ein geheimnisvoller Ort, der sich erst beim Flanieren und Entdecken der Stadt offenbart.
„A gift to the street“ thematisiert die Leere und damit auch das Potential der Fülle von Zwischenräumen und Übergängen. Es erzählt vom Vagen, von Relationen und vom Suchen und Finden. Themen, die auch in Goethes kreativem Schaffen eine Rolle spielen.


2. Sollbruchstellen
Das denkmalpflegerische Konzept der Vermittlung des Kulturerbes durch klare Abgrenzungen und Trennungen, folgt auf der architektonischen Ebene dem Prinzip der „Sollbruchstelle“, anhand dessen die übergeordnete Verteilung der Funktionen in dem Gebäudeensemble stattfindet. Bei der Ausformung einer Sollbruchstelle werden fragile oder belastete Gefüge so organisiert, dass sie problemlos auseinanderbrechen können, ohne dem Gesamtsystem zu schaden. Funktionskonzepte in der Architektur sind per se fragile Gefüge, die entlang der Zeitachse einem kontinuierlichen Wandel unterliegen, wollen sie lebendig und Spiegelbild der jeweiligen Zeitepoche sein und nicht Repräsentationen eingefrorener Zeitgeschichte.
Auf der konkreten Ebene der Umsetzung sollen die ursprünglich getrennten Häuser – Goethes Wohnhaus, die Vulpiushäuser und der Gartenpavillon – funktional wieder getrennt werden und als eigenständige Häuser erlebbar sein. Jenseits der Sinnfälligkeit, die sich aus den denkmalpflegerischen und musealen Prämissen ergeben, erlaubt die Separierung der Gebäude die Umsetzung unabhängiger denkmalpflegerischer Strategien für jedes einzelne Haus und erleichtert zukünftige Umnutzungen. Außerdem können durch die getrennten Erschließungen differenzierte Öffnungszeiten und Zugangskontrollen problemlos umgesetzt werden.
Das ehemalige Wohnhaus Goethes soll dem goethezeitlichen Zustand entsprechend her- und eingerichtet werden und in seiner vielfältigen und lebendigen Ganzheit der musealen Nutzung dienen. In den Vulpiushäusern werden die, der musealen Nutzung dienenden Funktionen, wie die Verwaltung und die Hausmeisterräume untergebracht. Die frühesten Zeugnisse und Belege zu den Gebäuden als Hintergrund, bezieht sich die denkmalpflegerische Strategie hier hauptsächlich auf die bauliche Situation von 1913. Diese Schicht gilt es herauszuarbeiten und den heutigen Anforderungen anzupassen.
Der Gartenpavillon wird wie zu Goethes Zeiten wieder komplett von dem Gebäudeensemble separiert und für die Präsentation der wissenschaftlichen mineralischen und botanischen Sammlungen Goethes umgebaut und ertüchtigt. Die Erschließung erfolgt dann wieder über die gartenseitige Außentreppe, die durch eine zeitgenössische Interpretation der historischen Treppe ersetzt wird.
Als einzige Ausnahme dieser konsequenten baulichen Umsetzung des Konzepts markiert der neue Fahrstuhl einen sensiblen Ort im Gesamtensemble und verbindet an der Sollbruchstelle zwischen Vulpiushaus, Wohnhaus und Hinterhaus die räumlichen sowie die inhaltlichen Ebenen miteinander.


3. Society of rooms
Das Konzept der „Society of rooms“ begreift die Räume des ehemaligen Wohnhauses als Teile/ Elemente von „Raumfamilien“. Die Raumfamilien ergeben sich aus dem alltäglichen Leben und Wirken Wolfgang Johann Goethes und können in drei Familien/ Gruppen gegliedert werden: die repräsentative Raumgruppe, die private, introvertierte Raumgruppe und die soziale, interaktive Raumgruppe.
Die repräsentative Raumgruppe zeichnet sein Wirken als Politiker und „Netzwerker“ nach. Sie umfasst das Vestibül, den großen Saal, das Musikzimmer (Junozimmer), den Speisesaal (Urbinozimmer) sowie das Brückenzimmer mit dem angrenzenden Gartenzimmer und dessen Zugang zu dem Hofgarten – Räume, die dem Empfang von Gästen dienten. Hier fanden kulturelle Veranstaltungen statt, hier wurden Kontakte gepflegt und debattiert.
Die private, introvertierte Raumgruppe im ersten Obergeschoss des Wohnhauses sowie der Stein- und der Gartenpavillon waren die Orte des Rückzugs, die ausschließlich Goethe selbst vorbehalten waren. Hier befinden sich seine Forschungsräume, sein Schlafgemach, seine private Bibliothek und sein Schreibzimmer – Räume, in denen er ungestört seinen Studien und seiner Arbeit als Dichter und Wissenschaftler nachgehen konnte.
Die soziale, interaktive Raumgruppe diente seinem Familienleben. Sie umfasst die privaten Aufenthaltsräume der Familie wie das Wohnzimmer, den Speiseraum (privates Zimmer der Familie), das das Schlafzimmer (Majoikazimmer), das Gästezimmer (Sammlungszimmer und Bilderkabinett) sowie die Räume der Bediensteten und die Wirtschaftsräume.
Um diese „Society of rooms“ als Untereinheiten und eigenständige „Organismen“ des Wohnhauses zu definieren und damit das Leben Goethes in seinen unterschiedlichen Facetten für die Besucher zu transportieren, sollen die Räume der jeweiligen Raumgruppen wieder sichtbar und eindeutig miteinander verbunden, raumgruppenübergreifende Öffnungen geschlossen und die Erschließungen zu den einzelnen „Society of rooms“ wieder hergestellt werden.

4.Techne und Poiesis

Eng verwoben mit dem denkmalpflegerischen Ansatz und dem musealen Konzept ist die Ausgestaltung der einzelnen Räume und damit einhergehend die Raumatmosphären. Diese werden zu einem wesentlichen Aspekt der Wissensvermittlung.
Um das Alltagsleben in den ehemaligen Wohnräumen Goethes physisch spürbar und damit wieder lebendig werden zu lassen, sollen die goethezeitlichen Atmosphären der Räume nachempfunden werden. Damit rücken nicht nur die Platzierung sowie die Anzahl und Dichte der Exponate, die Farbgebung der Wände und Gegenstände und die Wahl der Materialien und Oberflächen, aber auch die Lichtführung bei Tag und bei Nacht und nicht zuletzt die Raumtemperatur und die Luftfeuchtigkeit in den Räumen in den Fokus der Betrachtungen.
Die technischen Maßnahmen liefern nicht nur technische Lösungen, sondern sie bekommen eine architektonische Bedeutung in dem sie spezifische räumliche Atmosphäre erzeugen.
Schriftliche und bildliche Überlieferungen erzählen teilweise sehr präzise, teilweise sehr vage von den sensitiv erfahrbaren Faktoren, wie visuelle, akustische, olfaktorische oder thermische Aspekte, die die Atmosphäre der Räume bestimmten.
Die klimatechnischen und die lichttechnischen Installationen tragen diesen Zeugnissen Rechnung: die Räume sollen ihrer Lage und Nutzung im Haus entsprechend ausgestattet werden. Diffuses oder das sich mit der Tageszeit verändernde Licht sind ebenso erwünscht wie differenzierte Raumtemperaturen oder gezielte Undichtigkeiten der Konstruktionen, um die vermutete oder wissenschaftlich belegte, atmosphärische Situation in den Räumen zu Goethes Lebzeiten nachzuzeichnen.

Erdgeschoss

Erdgeschoss

1. Obergeschoss

1. Obergeschoss

2. Obergeschoss

2. Obergeschoss

BrĂĽckenzimmer

BrĂĽckenzimmer

Schnitt BrĂĽckenzimmer und Remise

Schnitt BrĂĽckenzimmer und Remise

Gartenpavillon Erdgeschoss

Gartenpavillon Erdgeschoss

Gartenpavillon 1. OG

Gartenpavillon 1. OG

Gartenpavillon Schnitte

Gartenpavillon Schnitte

Gartenpavillon Wandabwicklung

Gartenpavillon Wandabwicklung

Gartenpavillon Ansicht

Gartenpavillon Ansicht

Gartenpavillon Innenraum

Gartenpavillon Innenraum

Grundriss Remise

Grundriss Remise

Funktionsdiagramm

Funktionsdiagramm

A gift to the street

A gift to the street

Sollbruchstelle

Sollbruchstelle

Society of rooms

Society of rooms