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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2021

Erinnerungsort Zwangsarbeiter*innenlager in Neuaubing

Perspektive Hauptweg

Perspektive Hauptweg

1. Preis

Preisgeld: 21.000 EUR

SPP STURM PETER + PARTNER Architekten+Berat. Ingenieur PartG mbB

Architektur

TRR Landschaftsarchitekten Ritz und Ließmann PartG mbB

Landschaftsarchitektur

Büro Müller-Rieger

Szenographie

Erläuterungstext

Ort der Erinnerung und Kultur

Im Mittelpunkt dieses Entwurfs steht, den ehemaligen Innenhof sowohl räumlich als auch in seiner geschichtlichen Komplexität für eine vielseitige Nutzung zu erschließen.
Durch zwei parallele ‚Strahlen‘, die senkrecht zur Rad- und Fußverkehrsachse verlaufen, wird neues Licht in die dunkle Vergangenheit und belebte Gegenwart der Anlage gebracht. Die beiden Strahlen symbolisieren dabei die Parallelität von zwei verschiedenen Zeitabschnitten, die die Anlage maßgeblich prägen. Der westliche Strahl, in den das NS Dokuzentrum eingefügt ist, steht unter dem Zeichen der Erinnerung und Gedenken an das geschichtliche Erbe des ehemaligen Zwangsarbeiter*innenlager. Der östliche Strahl hingegen wertet die kontemporären und belebenden Elemente kreativer Nutzung auf.

1. Strahl - NS-Doku Band
Das westliche Band, bei dem der Schwerpunkt auf die Erinnerung der verdeckten Zeitschichten des ehemaligen Zwangsarbeiter*innenlagers liegt, verbindet Baracke 02 und 05 durch einen teilweise überdachten Vorplatz als Auftakt zum NS Dokumentationszentrum.
Der geschützte Platz bietet Besichtigungs-Gruppen einen Sammelpunkt und bereitet durch erste Informations- und Ausstellungselemente einen fließenden Übergang in den musealen Teil des Erinnerungsortes in Bracke 02 und 05.
Der Belag des Platzes - geschalte Betonplatten - erinnert an historische Bahnschwellen und übernimmt deren längliches Format und die Holzstruktur in der Oberfläche. Der anschließende Holzsteg übernimmt das Thema der Bahnschwellen gleichermaßen.
Auf dem Weg in den Hof der Anlage setzt zwischen Baracke 05 und 04 ein sachte ansteigender Steg an, der fast die gesamte Breite des Hofes überspannt. Als ‚Erinnerungsstrahl‘ schafft dieser Steg Zugang zum Innenhof der Anlage und ist von beiden Seiten barrierefrei erschlossen. Der Innenhof östlich des Stegs wird durch Rodung des bestehenden Unterholzes und Aufastung der Bäume erlebbar gemacht. Dadurch entstehen Sichtachsen und Durchblicke zwischen den Baracken. Die Überquerung des Stegs kulminiert in einer skulpturalen Intervention auf Mitte des Hofes. In östlicher Richtung wird durch ein schräg in den Boden eingelassenes ‚Luftbild‘ eine tiefere historische Schicht der Anlage in ihrer originalen Funktion als NS-Arbeiter*innenlager freigelegt.
Diese Installation soll Eindrücke hervorrufen, die durch den starken Baum- und Vegetationswuchs weitestgehend überschrieben sind. Dabei liegt die Betonung bewusst nicht auf einer objektiven Miniatur-Nachbildung eines bestimmten Zeitpunktes, sondern auf einer affektiven Inszenierung, die eine Erfahrung der nackten Funktionalität des Arbeiter*innenlagers erzeugt.
Das ‚Luftbild‘ ist dabei reduziert auf die bauliche Materialität der Baracken (schlichte Beton Replika) und die un/menschliche Materialität der Zwangsarbeiter*innen (dunkle Stahlstifte angeordnet in Marschformation). Durch diese Inszenierung wird nicht nur die baulichen Großstruktur sichtbar, sondern die Kahlheit der Anlage in ihrer originalen Totalität erfahrbar gemacht.
Im Besucher wird durch diesen Eingriff eine ‚Doppelsicht‘ ausgelöst, in der sich zwei (Zeit-)Schichten der Anlage simultan aufdrängen. Der wechselnde Blick zwischen ‚hinunter‘ in den kahlen historischen (Ab-)Grund und ‚hinauf/geradeaus‘ in die lebendige Vegetation und kreative (Wieder-)Belebung fängt die vertiginöse Mehrdeutigkeit der Anlage ein.
Somit lädt diese Skulpturale Intervention zu kontemplativen Momenten des Stehenbleibens und Erfahrens der übereinander gelagerten Zeit- und Nutzungsebenen der Anlage ein.
Der Blick in Richtung Osten verdeutlicht die Strenge der ursprünglichen Anlage. Im Kontrast dazu öffnet sich westlich des Stegs ein ungezwungener, lockerer Freiraum. Hier ergibt sich durch die Unvollendetheit des ursprünglichen Bauplans und den ‚grünen Rücken‘ der regen Vegetation, eine ideale Situation für den als ‚Forum‘ angelegten Treffpunkt und Aufenthaltsort. Hier wird durch das Einfügen zweier überdachter Sitzinseln eine geschwungene multifunktionale Begegnungs- und Aufenthaltszone geschaffen. Die regen- und sonnengeschützten Sitzgelegenheiten laden Besucher, Anwohner und Betreiber zu einem informellen Aufenthalt und Austausch ein und bieten vielseitige Nutzbarkeiten auch für Schulklassen oder anderweitige pädagogische und kollaborative Initiativen unter Einbezug der umliegenden Gemeinden.
Darüber hinaus eröffnet das Forum Raum für Präsentationen, Filmvorführungen und Konzerte sowohl durch die anliegenden Künstler, als auch für das NS-Dokuzentrum. Durch eine Kombination von mobilen Hockern und einer durchgehende Sitz-Stufe wird für vielfältige Sitz- und Interaktions-möglichkeiten gesorgt. Durch mobile Zusatzeinrichtungen werden Open-Air-Events mit bis zu 250 Besuchern möglich.
Den atmosphärischen Hintergrund hierzu bilden sowohl die starke Durchgrünung im westlichen Abschluss des Gebiets, als auch die skulpturale Sichtbarmachung des ‚Fossils‘ der Baracke 09, die nie über die Grundmauern hinaus gebaut wurde. Durch das Aufstellen von Stahlgiebeln verbunden mit einer Auslichtung der Vegetation wird die Baracke in ihrer fossilen Räumlichkeit erlebbar gemacht.

2. Strahl - Kultur Band
Parallel zum NS-Doku Band verläuft ein zweiter Erschließungs-Strahl am östlichen Ende des Innenhofes entlang Baracke 06. Im Gegensatz zum ersten, bei dem Erinnerung und Erfahrbarkeit der historischen Schichten im Vordergrund stehen, hebt dieser zweite Strahl als ‚Kulturband‘ die aktuellen kreativ-belebenden Nutzungsformen hervor. Durch die großzügige Aufwertung dieses Zugangs sollen Besucher zu einer Erkundung der Künstler Areale eingeladen werden. Hier entstehen spontane Begegnungen, die die beiden Aspekte der Anlage überbrücken.
Das Kulturband wird durch semi-mobile Unterstände für künstlerische Arbeiten und Ausstellungen belebt. Dieses lockere Wechselspiel steht im starken Kontrast zum wehrhaften Charakter der beiden Einmannbunker, die durch das Befreien von Vegetation in ihrer ehemaligen Überwachungsfunktion wahrnehmbar werden.
So ist auch hier die Spannung zwischen dem vormaligen Zwang des Appellplatzes und der kreativen Freiheit aktueller Nutzungsbezüge akzentuiert.
Um den Innenhof von festen Einbauten zu befreien, haben die neuen Überdachungs Elemente einen temporären und unverbindlichen Charakter als ‚Arbeitsdecks‘. Für permanente, ortsgebundene Elemente wird Platz außerhalb der Anlage geschaffen. Am Nordöstlichen Eck des Gebiets ergibt sich ein Werkhof für Künstler, der in direktem Anschluss an das Gast-Atelier Ersatzflächen für die momentan im Innenhof platzierten Bauwagen bietet.
Der historische Holz-Staketenzaun kann an drei Seiten des Geländes rekonstruiert werden. Im Westen entsteht ein neuer Zaun aus profilierten Staketen, als Adaption der historischen Einfriedung.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit offeriert eine sehr eigenständige Antwort auf die komplexe Aufgabenstellung. Alle Entwurfsgedanken werden überzeugend entwickelt und nachvollziehbar begründet. Dabei wird die sorgfältige Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Zukunft dieses besonderen Ortes erkennbar.
Als Leitidee wird die Idee vorgetragen, senkrecht zur Ost-West-gerichteten Hauptwegeerschließung zwei senkrecht dazu verlaufende Strahlen als weitere Bewegungsachsen hinzuzufügen. Der westliche Strahl „unter dem Zeichen der Erinnerung und Gedenken an das geschichtliche Erbe der Zwangsarbeiter*innensiedlung“ fasst dabei sehr überzeugend durch den gemeinsamen Vorplatz vor Baracke 2 und 5 den Gedächtnisort der NS-Vergangenheit zusammen.
Die großzügige Überdachung als geschützter Sammlungsbereich für Besuchergruppen wird positiv bewertet. Der nach Norden ausgreifende Strahl – gedacht als geschwungener Holzdielensteg – ist in seiner Lage nachvollziehbar.
Die herausgehobene Gestaltung und die skulpturale Intervention auf Mitte des Hofes durch ein in den Boden eingelassenes Modell der Barackenlager wird im Preisgereicht kontrovers diskutiert. Durch den Weststrahl entsteht eine starke Gliederung des ehemaligen Hofes. Die Ausarbeitung und Begründung der beiden Bereiche:
Im Osten die Strenge der ursprünglichen Anlage mit der Erlebbarkeit des durch Aufastung überschaubaren Hofraumes sowie dem naturnahen Erhalt der Vegetationsentwicklung im Westen (Dschungel), ist gut nachvollziehbar. Das Forum im Westen mit dem Angebot zweier überdachter Sitzinseln bietet eine wertvolle geschützte Begegnungszone und wird ausdrücklich positiv bewertet. Die Materialität und Gestaltung der Freiflächen wirkt ebenfalls überzeugend.
Der zweite Nord-Süd-Strahl am östlichen Rand des Hofes, als „Kulturband“ bezeichnet, wird als überzeugendes Angebot für die kreativen Nutzungsformen, die dem Strahl direkt angelagert sind, bewertet.
Kleinere Überdachungselemente locker verstreut als Arbeitsdecks sind Ausdruck der kreativen Freiheit der kulturellen Nutzung im Gegensatz zum Eindruck des Appellplatzes, und bilden eine sinnvolle Ergänzung ohne den Durchblick des Platzes einzuschränken.
Viele sorgfältig durchdachte Details für die Gestaltung der überdachten Inseln bis hin zur Materialität der Beläge vermögen zu überzeugen.
Grundsätzlich positiv bewertet wird der rücksichtsvolle Umgang mit der Bausubstanz durch lediglich moderate nachvollziehbare Eingriffe.
Die Neuinterpretation der Baracke 8 durch eine im Norden hinzugefügte Erschließungsachse ist ein interessanter Vorschlag, der positiv zur Flexibilität der Nutzungen für die Kinder- und Jugendfarm beiträgt.
Wie selbstverständlich erscheint in diesem Vorschlag der Außenspielbereich im westlich angrenzenden Abenteuerspielplatz (Dschungel).
Als interessanter, aber noch zu diskutierender Vorschlag zur Orientierung werden die „offenen Türen“ gewertet, die als Infostelen dienen und auf markante Besonderheiten hinweisen. (Einraumbunker)
Das komplette Informationssystem offeriert differenzierte Überlegungen sowohl outdoor als auch indoor. Die vorgeschlagene Ausstellungsgestaltung und -möblierung bedürfen noch weiterer Planungen, da sie nur in Teilen überzeugen. Alle weiteren gezeigten und beschriebenen Elemente hinsichtlich Beleuchtungs- und Ausstellungkonzept, Mediaguide, Rauminszenierung und Raumton sind gut durchdacht und eine wertvolle Ergänzung zum Gesamtentwurf.
Insgesamt eine Arbeit, die als erster Eindruck durch ihre Zurückhaltung überrascht, bei intensiver Befassung immer mehr die sorgfältige Durchdringung der Aufgabenstellung erkennen lässt und darauf aufbauend, folgerichtige, gut durchdachte Realisierungsvorschläge für viele Situationen bis hin zum Detail anbietet.
Ausstellungskonzept

Ausstellungskonzept

Lageplan

Lageplan

Informationssystem im Freien

Informationssystem im Freien

Gestaltung Mittelgang Baracke 5

Gestaltung Mittelgang Baracke 5

Inszenierung Raum Tagebuch Jan Bazuin

Inszenierung Raum Tagebuch Jan Bazuin

Lageplan Ausschnitt mit Baracken 02, 05, 08

Lageplan Ausschnitt mit Baracken 02, 05, 08

Überdachte Holzdecks (Sitzinsel / Arbeitsplattform)

Überdachte Holzdecks (Sitzinsel / Arbeitsplattform)

Perspektive Vorplatz / NS-Doku Band

Perspektive Vorplatz / NS-Doku Band