Nichtoffener Wettbewerb | 04/2024
Freiraumgestaltung Innenstadt Bleckede
©pikka pekkane mit Planorama Landschaftsarchitektur
Marktplatz Bleckede
2. Preis
Preisgeld: 21.660 EUR
pikka pekkane - Claudia Köllner
Visualisierung
Erläuterungstext
Planungswettbewerb
UM- UND NEUGESTALTUNG INNENSTADT BLECKEDE
Im Zuge der Revitalisierung des Stadtraums, der Umgestaltung der Verkehrssysteme im Einklang mit Umweltstandards und der Förderung von Barrierefreiheit, sowie der Anpassung an die Folgen des Klimawandels bietet sich die Möglichkeit, die zentralen öffentlichen Flächen in der Altstadt zeitgemäß und ansprechend zu konzipieren. Durch eine gesteigerte Aufenthaltsqualität werden nicht nur städtebauliche Defizite behoben, sondern auch das tägliche Leben in der Stadt attraktiver gestaltet. Hierbei wird angemessen auf die räumlichen Besonderheiten und insbesondere den Denkmalschutz reagiert, wobei starke Identitäten herausgearbeitet werden, die gleichermaßen für Bewohner*innen, Beschäftigte, Konsument*innen und Tourist*innen von Wert sind. Dies trägt dazu bei, die Attraktivität als Wohn-, Tourismus- und Wirtschaftsstandort weiter zu steigern und zu sichern. Alle Angebote werden barrierefrei, inklusiv und integrativ für alle Generationen entwickelt, und der Beitrag findet eine gelungene Balance zwischen teilweise widersprüchlichen Wünschen und Anforderungen.
Raumkonzeption | Städtebau
Die Gestaltung und Atmosphäre der in weiten Teilen denkmalgeschützten Altstadt werden wesentlich von der mittelalterlichen Anordnung geprägt, die durch vor- und zurückspringende, kleinteilige Bebauung sowie ein Netz aus verwinkelten Gassen und sich öffnenden Plätzen charakterisiert ist. Diese architektonische Struktur und Aussicht bleiben erhalten, während die zukünftige Entwicklung darauf abzielt, die verschiedenen Teilbereiche miteinander zu verbinden. Dadurch entsteht ein harmonischer und großzügiger Gesamtraum mit einer einheitlichen Gestaltungssprache. Diese Neugestaltung trägt nicht nur zur Steigerung der Wiedererkennbarkeit und Einzigartigkeit im Stadtraum bei, sondern wirkt sich auch darüber hinaus, zum Beispiel in der Attraktivität für Radtouristen, positiv aus.
Freiraumplanerischer Entwurf
Ein zentrales Gestaltungselement für die Fußgängerbereiche in der Altstadt sind einheitliche Beläge, die optisch alle Bereiche miteinander verknüpfen und dadurch eine großzügige Atmosphäre schaffen. Hierbei werden die funktionalen Anforderungen bewusst in den Hintergrund gerückt. Die Gebäudevorbereiche fügen sich harmonisch in den Gesamtraum ein und werden integraler Bestandteil desselben. Die Fahrbahnbereiche integrieren sich nahtlos in die Gesamtgestaltung, sowohl hinsichtlich des Materials als auch der Höhenebene. Besonderes Augenmerk liegt bei den Anschlussbereichen zu weiterführenden Flächen auf fließenden Übergängen.
Entlang der durchgehenden Belagsstruktur entsteht eine grüne Ebene mit kleinkronigen Bäumen und Pflanzflächen. Diese folgt größtenteils den Fahrkorridoren und sorgt für einen ansprechend begrünten öffentlichen Raum, wobei gleichzeitig darauf geachtet wird, dass die historischen Perspektiven und denkmalgeschützten Fassaden weiterhin sichtbar bleiben. Im Bereich des Marktplatzes werden die Bäume in freierer Anordnung platziert, um diesen zentralen Gemeinschaftsraum besonders zu betonen und eine stärkere Verbindung zum Kirchplatz herzustellen. Dadurch kann die Strahlkraft der St. Jakobi Kirche stärker für die Atmosphäre auf dem Marktplatz genutzt werden.
Verkehre und Infrastrukturen
Das Gesamtverkehrskonzept priorisiert zukünftig den sicheren Fuß- und Radverkehr in der Altstadt. Dies wird vor allem durch die Verlagerung von Verkehrsströmen auf die Ortsumgehung, die Einrichtung von Einbahnverkehr in der Zollstraße, die Umwandlung in einen verkehrsberuhigten Bereich mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und die Beschränkung des zulässigen Gesamtgewichts erreicht. Zusätzlich ermöglicht diese Maßnahme eine niveaugleiche Gestaltung von Haupt- und Nebenflächen, wodurch Hindernisse minimiert und die Flächen multifunktional nutzbar werden. Dies führt zu einer Entlastung der Altstadt von Konflikten und Lärm bei gleichzeitiger Steigerung der Aufenthaltsqualität.
Die Verkehrsführung auf dem Marktplatz orientiert sich an der aktuellen Route, um die historische Konzeption des Gesamtraums zu bewahren, wobei das Apotheken-Gebäude als zentraler Blickbezug betont wird. Die zu überquerende Fahrbahnbreite wird auf ein Minimum reduziert. Das Angebot an KFZ-Stellplätzen in den zentralen Bereichen ist auf das notwendige Maß für Kurzzeitparker begrenzt. Radverkehr wird auf der Fahrbahn integriert und in der Schlossstraße als bevorrechtigte Fahrradstraße fortgeführt. Fahrradstellplätze werden ausreichend in den Randbereichen angeboten. Die Bushaltebereiche werden ohne gesonderte Haltebuchten auf der Fahrbahn platziert und mit einem Hochbord versehen, um einen barrierefreien Einstieg zu gewährleisten.
Oberflächengestaltung | Materialien
Ein einheitliches, regionales und ortstypisches Natursteinpflaster, beispielsweise aus Granit, wird im gesamten Bereich verlegt, wobei ein ungerichteter Verband bevorzugt wird. In Verkehrsflächen kann alternativ ein Reihenverband angewendet werden. Um Barrierefreiheit zu gewährleisten und Lärm zu mindern, werden die Oberflächen sorgfältig gesägt und geschliffen. Die Fugen werden klein gehalten und, wo erforderlich, in gebundener Bauweise ausgeführt. Vorhandenes geeignetes Pflaster wird aufgenommen und wiederverwendet, und wo möglich, erfolgen Ergänzungen mit regionalem Gebrauchtpflaster gleicher Art. Randeinfassungen und Sitzaufkantungen werden analog aus dem gleichen Natursteinmaterial gefertigt.
Außerhalb der Kernzone werden die Fahrbahnflächen und in der Schlossstraße die Fahrradroute in farblich angepasstem Asphalt ausgeführt. Teilgebundene oder gebundene Tragschichten sowie gebundene Fugen erhöhen die Tragfähigkeit und Langlebigkeit der befestigten Flächen, wenn erforderlich. Die Versickerungsfähigkeit wird, wo sinnvoll, insbesondere bei Parkplätzen, erhöht.
Unter den Bäumen wird der Boden außerhalb der Haupt- und Fahrwege teilweise mit einer wassergebundenen Decke in angepasster Farbe versehen, um die Versiegelung weiter zu reduzieren.
Die gewählten Beläge müssen leicht zu reinigen und ganzjährig, sowohl im Sommer als auch im Winter bei Veranstaltungen und Märkten, dauerhaft sein. Die Materialwahl strebt im Sinne der Nachhaltigkeit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Optik, Kosten, Langlebigkeit und Gesamtemissionsbilanz an.
Vegetation | Grünstrukturen
Im Kontext des Klimawandels und der zunehmenden Hitzeperioden im Sommer werden gesunde Bäume bewahrt und in die Planung integriert, um Schatten an heißen Tagen zu spenden. Falls erforderlich, werden Baumsanierungsmaßnahmen durchgeführt, und der bestehende Baumbestand wird durch eine Vielzahl von Neupflanzungen ergänzt. Diese Neupflanzungen bestehen aus einheimischen und fremdländischen Arten, die an sommerliche Hitze und Trockenheit angepasst sind. Das Ziel ist ein vielfältiges und artenreiches Spektrum, das verschiedene Jahreszeitenaspekte wie Blüte und Laubfärbung sowie Nahrungsangebot und Lebensraum für Insekten und Tiere bietet. Neben Baumpflanzungen werden auch Flächenbegrünungen mit niedrigen Stauden oder Gehölzen durchgeführt. Der Pflegeaufwand wird dabei möglichst extensiv gestaltet und auf das Klima sowie die Biodiversität abgestimmt.
Unter den Belagsaufbauten werden nach dem Prinzip der Schwammstadt Speicher- und Pufferräume für Niederschlagswasser angestrebt. Diese hohlraumreichen Speicherschichten, Rigolen und Zisternen werden in Abstimmung mit der Leitungsinfrastruktur und den unterirdischen Bauwerken geplant. Sie dienen dazu, den Regenabfluss bei Extremereignissen zu verlangsamen und das gespeicherte Wasser während längeren Hitzeperioden zur mikroklimatischen Kühlung und für die Bewässerung der Pflanzen verfügbar zu machen.
Ausstattung
Zentral auf dem Marktplatz entsteht ein neues, zauberhaftes Wasserspiel, das nicht nur für eine angenehme Atmosphäre sorgt, sondern auch an heißen Sommertagen für erfrischende Abkühlung. Bei Bedarf stehen Trinkbrunnen zur Verfügung, und Sport- sowie Spielmöglichkeiten werden dezentral im erforderlichen Umfang angeboten.
Sitzgelegenheiten sind geschickt in die Ränder der Pflanzbeete integriert und werden zusätzlich als hochwertige, komfortable Holzmöbel mit Arm- und Rückenlehnen angeboten. Bei der Möblierung des öffentlichen Raums wird insgesamt eine zurückhaltende Herangehensweise im Hinblick auf Pflege, Vandalismus und Kriminalprävention verfolgt. Zudem steht die Bestuhlung der umliegenden Restaurants zur Verfügung. Hülsen für Sonnenschirme sowie für den Mai- und Weihnachtsbaum werden bündig in den Boden eingelassen.
Im Kirchenumfeld werden zeitgemäße und generationenübergreifende Angebote behutsam integriert, um dem Ort gerecht zu werden.
Alle erforderlichen Ausstattungselemente wie Abfallbehälter, Fahrradständer, Informationstafeln, Leuchten, Fahnenmasten und Bänke werden linear entlang der Ränder konfliktfrei und bedarfsgerecht platziert. Eine abgestimmte, hochwertige Möblierungsfamilie kann die Wiedererkennbarkeit im Stadtgebiet stärken und ist durch ihre Einfachheit und Robustheit zudem wartungsarm.
Barrierefreiheit
Alle Bereiche werden barrierefrei und möglichst stufenlos oder über Rampen zugänglich für Mobilitätseingeschränkte (Rollstühle, Kinderwägen, Rollatoren) gestaltet. Borde werden wo möglich niedrig, z.B. mit 3 cm Höhe ausgeführt, so dass an jeder beliebigen Stelle gequert werden kann. Notwendige Stufen werden an den Vorderkanten ausreichend kontrastreich hergestellt. Sinnvolle Leitlinien aus taktilen Elementen werden z.B. an Übergängen eingebaut. Als Leitlinien werden sonstige andere Gestaltungselemente auf dem Platz wie z.B. Entwässerungsrinnen oder Belagswechsel wo möglich mit genutzt. Bushaltestellen werden mit barrierefreiem Busbord ausgestaltet.
Technische Infrastruktur
Alle notwendigen Versorgungen für Veranstaltungen wie Strom, Wasser und Abwasser werden als überfahrbare Unterflurverteiler in der Fläche verteilt angeboten bzw. der Bestand ergänzt. Die Anordnung erfolgt so, dass eine möglichst hohe Nutzungsflexibilität für alle Veranstaltungen gegeben ist. Eine Ergänzung durch mobile Verteiler ist praxisnah und sinnvoll.
Beleuchtung
Alle Hauptwegebeziehungen entlang der Fassaden sind normgerecht und sicher beleuchtet. Punktuell wird eine inszenierende Beleuchtung durch frei stehende Mastleuchten in den Rändern eingesetzt. Ansonsten folgt die Lichtintensität und Farbgebung dem übergeordneten Lichtkonzept. Die Themen Lichtverschmutzung, Insektenfreundlichkeit und Nachhaltigkeit werden ebenfalls berücksichtigt.
Nachhaltigkeit
Dem Schutz und der Bewahrung bestehender Ökosysteme, von Tieren und Pflanzen schon während der Planung und in der baulichen Umsetzung kommt höchste Bedeutung zu. Die Vermeidung von Eingriffen in hoch sensiblen Bereichen, der schonende Geräteeinsatz, die Reduktion von Emissionen und die Einhaltung von Schonzeiten tragen dazu bei. Zum Einsatz kommen nur nachhaltige Baustoffe aus ressourcenschonender Herstellung und nicht ausbeuterischer Arbeit. Wo möglich werden auch Materialien wieder verwendet oder Gebrauchtmaterial aus anderen Regionen verbaut. Ein aktives Bodenmanagement und eine Bodenaufbereitung vor Ort soll zu möglichst wenig Ab- und Anfuhr von Material führen. Wo zulässig und möglich sollen Recyclingbaustoffe zum Einsatz kommen oder vor Ort aufbereitet werden. Auch eine aktive Niederschlagswasserbewirtschaftung sowie die Speicherung von Wasser im Untergrund kann Folgekosten reduzieren und sollte in Zeiten des Klimawandels oberstes Gebot sein. Die Leuchtentechnik wird auf den aktuellen energiereduzierten Standard (LED) modernisiert. Ziel ist die Reduktion eingesetzter Energie bei der Herstellung, ein möglichst geringer Materialverbrauch sowie niedrige Folgekosten im Sinne des Unterhalts und der Pflege im angesetzten Lebenszyklus.
Beurteilung durch das Preisgericht
Um den Ortskern von Bleckede zeitgemäß umzugestalten und an heutige Nutzungserfordernisse anzupassen, lösen die Verfasser:innen die bestehenden klassischen Straßenprofile auf und sehen statt dessen einen einheitlich – durchgängigen Stadtboden aus gesägtem Natursteinpflaster vor, der jeweils von Fassade zu Fassade reicht.
Der Mut und die Konsequenz dieser konzeptionellen Haltung, mit der die bislang allzu autozentrierten Ortsstraßen umgewandelt werden und ihre Geschichte wieder erlebbar werden kann, werden von der Jury ausdrücklich gewürdigt: Hier wird ein barrierefreier, für alle Gruppen nutzbarer, deutlich grünerer Stadtraum entwickelt, der die wichtigen Baulichkeiten freistellt und das vorgegebene Verkehrskonzept grundsätzlich berücksichtigt. Bisherige Nutzungen wie das Marktgeschehen um einen zentralen Brunnenplatz sind stimmig neu geordnet, zusätzliche Funktionen wie z.B. das öffentliche WC richtig verortet. In diesem Zusammenhang ist es schlüssig, den neu gewonnenen Marktplatz auch stärker an den Kirchplatz der Jacobikirche anzubinden; allerdings wird dafür allzu massiv in den markanten doppelreihigen Baumring um die Kirche eingegriffen. Vor allem aus stadtklimatischer Sicht werden die vorgeschlagenen Neupflanzungen – auch großkroniger Bäume – befürwortet. Allerdings wirkt die gewählte Formensprache für die grünen Baumbeete im ursprünglich mittelalterlichen Ortsbild ein wenig beliebig und die Aussagen zu den hierfür konkret angedachten Baumarten bleiben leider recht unkonkret. Dennoch macht der Entwurf nachvollziehbare, realistische Vorschläge, um Nachhaltigkeit und Klimaresilienz angemessen zu gewährleisten.
Vor dem Hintergrund des hohen Denkmalwertes von Bleckede wird kritisch angemerkt, dass im Verlauf der Friedrich - Kücken - Straße das Motiv der ortsbildprägenden und ursprünglich ausdrücklich auf die Hausfassaden bezogenen Kastenlinden nunmehr als „Stellplatzbegleitgrün“ missverstanden wird. Im selben Wettbewerbsbereich wird auch ein Bezug und eine gestalterische Auseinandersetzung mit den ebenfalls landschaftstypischen Belagspartien aus Feldstein/Katzenkopfpflaster vermisst.
Eine deutliche Schwäche des vorliegenden Konzeptes sieht die Jury in dem gegenüber den Vorgaben der Auslobung geringeren Stellplatzangebot und in der alternativlosen Festlegung auf ein durchgängiges Belagsmaterial, das nach aller Wahrscheinlichkeit den gesetzten Kostenrahmen deutlich übersteigen dürfte.
Insgesamt stellt der Entwurf einen wertvollen und sehr klaren Lösungsvorschlag dar, der leider wegen der letztgenannten Aspekte nicht vollends überzeugen kann.
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Übersichtsplan
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Innenstadt 250
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