Mehrfachbeauftragung | 09/2022
Gewerbecampus in Ludwigsburg
©ATP architekten ingenieure
2. Rang
Architektur
Erläuterungstext
Am ehemaligen Produktionsareals in der Weststadt Ludwigsburg soll ein nachhaltiger, moderner Campus für Forschung, Entwicklung sowie für die Light-Industrial-Nutzung entstehen. Bei der Entwicklung des Areals wird insbesondere auf Aspekte der Nachhaltigkeit Wert gelegt und Flächen für die Industrie 4.0 unter Beachtung von ESG-Kriterien bereitgestellt.
Ein Campus – zwei Welten
Der Entwurf von ATP kombiniert eine maximal funktionale Light-Industrial-Bebauung mit einer qualitativ hochwertigen Bürowelt und bringt diese scheinbar widersprüchlichen Typologien in Einklang. Der Campus überzeugt mit maximaler Flexibilität, reibungslosen Abläufen und höchster Aufenthaltsqualität. Eine vielfältige Begrünung schafft mit attraktiven Außenräume die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Funktionen und wertet das Quartier auf. Dank geschickter Trennung der Verkehrsströme greifen die Light-Industrial und Büro-Welten ineinander und schaffen Synergieeffekte. Die Hallen legen sich als „Sockel“ in die EG-Zonen der Cluster 1, 2 und 3. Ein verbindendes Dach bietet eine zusammenhängende Ebene, frei von motorisiertem Verkehr für die Nutzer:innen des Campus.
Städtebauliches Konzept
Da das Areal zwischen der Innenstadt und den neuen Quartieren im Westen der Stadt liegt, kommt der Ost-West Verbindung durch den Campus eine besondere Rolle zu. Am nordwestlichen Eck entsteht ein Stadtplatz mit Gastronomie und kleinen Shops.
Eine Freitreppe führt auf ein gemeinschaftliches Dach (1. OG), das als Durchwegung und Begegnungsort fungiert. An der Wilhelm-Fein-Straße mündet die Achse in eine weitere Freitreppe, die Fußgänger:innen nach Osten führt. Insgesamt entsteht ein durchlässiges Quartier, das mit seinen Außenanlagen und öffentlichen Funktionen Rückzugsmöglichkeiten, Grünräume und Erholungsorte inmitten der Stadt bietet.
Nutzungskonzept
Der Entwurf sieht einen nachhaltigen Campus vor, der multifunktional und flexibel nutzbar und damit zukunftssicher ist. Um hohe Synergie zwischen den unterschiedlichen Nutzungseinheiten zu erreichen, werden die Funktionen kompakt auf dem Baufeld angeordnet. Die vertikale Stapelung von Light Industrial und Büro erhöht weiterhin die Flexibilität und Zusammenarbeit. Zusätzliche Funktionen wie Kantine, Café, Kita, Showrooms und Fitnessstudio verleihen dem Quartier ein hohes Maß an Service- und Arbeitsqualität und tragen durch die Positionierung zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit bei.
GrĂĽne Landschaft
Sorgfältig gestaltete Außenräume sorgen für eine hohe Aufenthaltsqualität am Areal: Extensive Begrünung mit Sitzmöglichkeiten bieten Orte der Entspannung und Begegnung. Terrassenflächen schmiegen sich an die Baukörper. Eine Überdachung aus Holz ermöglicht es, trockenen Fußes zwischen den Bürogebäuden zu wechseln. Sportflächen im Norden bieten zusätzliche Aktivitätszonen.
Nachhaltigkeit
Als grundlegende Maßnahme zur Steigerung der Energieeffizienz wird der Energiebedarf auf ein Minimum reduziert. Eine kompakte Baukörperform, eine hohe Luftdichtheit, eine hochwärmegedämmte Gebäudehülle sowie wärmebrückenarme Anschlüsse zählen zu den passiven Maßnahmen. Das Gründach steigert die Biodiversität am Standort, kühlt und sorgt für thermischen und akustischen Komfort im Gebäudeinneren.
Das TGA-Konzept verfolgt ebenso einen ressourcenschonenden Ansatz: PV-Anlagen auf den Dächern liefern regenerativen Strom. Dieser betreibt Wärmepumpen, die über untiefe Erdsonden im Winter Wärmeenergie und im Sommer Kühlenergie für die Gebäude bereitstellen. Diese werden über Deckensegel im Bürobereich und Deckenstrahlplatten im Hallenbereich verteilt.
Eine frühe Implementierung der Rückbau- und Recyclingfähigkeit gewährleistet die Flexibilität in der Raumaufteilung und damit eine nachhaltige Gebäudenutzung sowie die umweltschonende Verwertung des Gebäudes an dessen Lebensende.
Beurteilung durch das Preisgericht
Positive Bewertungen
• BGF Neubau mit 44.897 m2 auf Rang 3 (bei leichter Überschreitung der vorgegebenen Traufhöhen)
• Verhältnis BGF Büroflächen zu BGF Hallenflächen: 48% zu 52%
• Die konsequente Trennung und Kollisionsfreiheit von Personen- und LKW / PKW Verkehr durch die Schaffung einer Fußgängerebene auf der Dachfläche der Hallen.
• Die Flächenflexibilität der Hallen ist gut gelöst. Es können verschieden große Hallenbereiche geschaffen werden. Das Zusammenlegen von Hallen ist über die gesamte Hallenfläche des Cluster 2 und 3 möglich. Ein Höhenversatz in der Bodenplatte von ca. 2,0 m schränkt die Flexibilität jedoch ein.
• Die Nutzungsflexibilität ist durch zwei lichte Hallenhöhen gegeben.
• Die LKW-Andienung im Inneren des Campus schafft gute Voraussetzungen für die Reduzierung von Schallemissionen.
• Konstruktion der Bürogebäude als Holz-Hybridkonstruktion.
• Die Gebäudeteile über den Hallen haben im untersten Geschoss unterschiedliche Raumtiefen und sind somit in Ihrer Nutzung flexibel. Eine Flächenflexibilität ist durch die Ringstruktur und durch das Zusammenfassen von 2 Ringgebäuden gut möglich.
• Schlüssiges und zukunftsweisendes TGA-Konzept.
• Die Aufwertung des städtischen Platzes an der Ecke Schlieffenstraße / Grönerstraße durch eine Bäckerei / Café und ein Kiosk, sowie durch den Zugang zur begrünten und begehbaren Dachterrasse wird von der Jury positiv bewertet.
Negative Bewertungen
• Die vorgegebenen Traufhöhen wurden nicht durchgängig eingehalten. Überschreitungen in Cluster 1 und 2 von 1,2 bis 2,77 m für Haustechnikgeschosse, in Cluster 3 von 2,18m für das Bürogeschoss und von 1,9m bis 3,5 m für das Haustechnikgeschoss.
• Die LKW Andienungen (Schrägaufstellung) reichen weit in die Werkstraße. Aufstellflächen für wartende LKW sind aufgrund der beengten Verhältnisse nur eingeschränkt möglich.
• Cluster 1 ist nur mit Sprintern andienbar.
• Schallemissionen zur Wohnbebung durch den Ladevorgang an Halle H2.1 und H2.2
• Der barrierefreie Zugang zur Dachfläche ist nur eingeschränkt möglich, da nur über die Aufzüge in den Treppenhäusern möglich.
• Das Treppenhaus am Bestandsgebäude 2.1.1 wurde im Entwurf entfernt, um die notwendige Durchfahrt für LKW zu ermöglichen
• Es sind nur Überladebrücken vorgesehen, keine ebenerdigen Tore an der internen Werkstrasse, die für die Nutzung und Vermietbarkeit wichtig sind. Die ebenerdigen Tore an der W. Fein Straße haben nur ca. 3 m Rangierraum bis zur Grundstücksgrenze.
• Die Adressbildung der Büroflächen wird von der Jury als problematisch gesehen, da je Büroring ein Treppenhauszugang von der W.Fein Straße und ein Treppenhauszugang von der Dachfläche aus erreichbar ist.
• Die Größe der Treppenanlagen, die den Straßenraum und die begrünte Dachfläche verbinden werden von den Jurymitgliedern als zu groß erachtet. Die Nutzbarkeit der Hallenfläche unter der Treppe an der W.Fein Straße wird dadurch eingeschränkt.
• Die dargestellte Dachbegrünung wird von der Jury als problematisch angesehen. Einerseits ist die Menge an großkronigen Bäumen wirtschaftlich nicht umsetzbar, andererseits wird die begehbare und intensiv begrünte Dachfläche als zu groß angesehen.
©ATP architekten ingenieure
©ATP architekten ingenieure