Nichtoffener Wettbewerb | 10/2022
Klimaquartier Schweinfurt - Modellvorhaben Klimaanpassung im Wohnungsbau
©Carla Lo Landschaftsarchitektur & GERNER GERNER PLUS
Lageplan
ein 2. Preis
Preisgeld: 16.000 EUR
Energieplanung
Erläuterungstext
ARCHITEKTUR
Der Kaffee ist fertig – das Gefühl von Zusammenkommen, sich untereinander austauschen und einer guten Nachbarschaft – das Leben in der Gemeinschaft als zukunftsweisende Vision.
Die beidseitig belichteten Wohnungen werden über eine offene Begegnungszone entlang der Fassade zum Innenhof erschlossen. Jede Wohnung verfügt über eine private Freifläche und eine halböffentliche Freifläche, die immer zum Innenhof orientiert ist. Dadurch entstehen Blickbeziehungen zwischen den Balkonen, sowie dem begrünten Innenhof und es fördert die Kommunikation zwischen den BewohnerInnen.
Lufträume und Einlagerungsboxen entlang der Erschließung wirken als Pufferzone zwischen öffentlichen und privaten Raum.
Im Erdgeschoss befinden sich im südlichen Baukörper zwei Wohngemeinschaften, eine Clusterwohnung, sowie eine rollstuhlgerechte Wohnung. Im östlichen Baukörper, zum Mobility Hub orientiert, befinden sich die Fahrradstellplätze und Müllräume – am Kopf des Gebäudes Richtung Dorfplatz ist eine Upcycling Station für Fahrräder.
Zum Dorfplatz orientiert sind der Quartiersmarkt sowie der Salon. Zusätzlich dazu befindet sich darin „der rote Kern“ – ein
4-geschossiger Gemeinschaftsturm mit Gemeinschaftsküche, Waschküche und 3 multifunktionale Räumen, die je nach Bedarf bespielt werden können. Beispielsweise könnte sich darin ein Kinderspielraum oder ein Musikzimmer befinden. Durch seine Ausformulierung gibt er dem Gebäude einen klaren Wiedererkennungswert und ist ein Bindeglied zwischen Hausgemeinschaft und Dorfplatz.
Die Fassadengestaltung ist ein Wechselspiel aus Holz und recycelten Beton bzw. wird an den konstruktiv notwendigen Stellen Stahlbeton verwendet.
Auf den Dächern gibt es PV-Anlagen, die für die hausinterne Produktion von Ökostrom herangezogen werden - als Antwort auf die Energiewende. Die PV-Anlagen, auf den 3-geschossigen Bauteilen, werden auf einer Pergola montiert, um somit den BewohnerInnen großzügige Dachterrassen für gemeinschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen. Durch die außenliegende Erschließung ist auch kein Dachdurchbruch für die Nutzung der Dächer nötig.
LANDSCHAFTSPLANUNG
Naturnähe, Gemeinschaft und Klimaresilienz prägen die Freiraumgestaltung. Sowie Vielfalt im Sinne vielfältiger Nutzungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für die zukünftigen Bewohnerinnen und einer biodiversitätsfördernden Gestaltung für Flora und Fauna.
Der gemeinschaftliche Hof erhält eine stark durchgrünte Atmosphäre. Ein kommunikativer Rahmen im Bereich des Laubengangs bildet die weitgehend witterungsgeschützte Erschließung und schafft es, die Versiegelung des Hofes annähernd zur Gänze zu minimieren. Ein lockerer Hain aus klimafitten Baumarten (Franz. Ahorn, Hopfenbuchen, Blumeneschen, Traubenkirschen und Silberlinden) erzeugt ein Spiel von beschatteten Aufenthaltsbereichen und offenen Lichtungen. Die Anordnung der Baumstandorte an den Rändern ermöglicht eine Durchlüftung des Hofes, sowie eine nächtliche Abkühlung über die offenen Rasenflächen.
Die Topographie des Hofes erfährt eine leichte Absenkung sowie die Ausbildung von Mulden und Erhöhungen, womit die Themen Regenwassermanagement und naturnahe Spiellandschaft in eine Symbiose treten.
Im Inneren entsteht eine Vielzahl an Nutzungsangeboten, die durch eine naturnahe Gestaltung aus Holzelementen gemeinsam mit den zukünftigen Bewohnerinnen in einem partizipativen Prozess in Form von besiedlungsbegleitenden Workshops weiterentwickelt werden können. Im Norden befindet sich eine Terrasse mit integriertem Kleinkinderspiel in direkter Verbindung zum Gemeinschaftsraum. Daneben die topographische Spiellandschaft mit weiteren Spielangeboten, wie z.B. Weidenhäuschen, Kletterstrukturen und Hängematten. In der Hofmitte befindet sich eine lange Tafel im Schatten einer solitären Silberlinde. Ergänzt wird das Angebot durch ruhigere Aufenthaltsbereiche unter den Bäumen.
Zur Erhöhung der Biodiversität und der ökologischen Qualitäten werden ein vielfältiges Bepflanzungskonzept und zusätzliche Maßnahmen im Sinne des ‚Animal-Aided-Designs‘ vorgeschlagen. Gräser-Stauden-Mischpflanzungen rund um die Baukörper dienen Insekten als Nektarquelle und bilden einen farbenfrohen Puffer zum nördlichen Dorfplatz sowie im Vorfeld der privaten Freiräume im Süden und Westen. Die beiden Durchlüftungsschneisen sind als trockene, magere Wiesenflächen konzipiert, die mit Totholzstrukturen als Nahrung für Wildbienen sowie vereinzelten vegetationsfreie Kiesbereiche für Reptilien angereichert werden. In der südlichen Kulturlandschaft bilden lockere Gehölzgruppen aus Feldahörnern, Mehlbeeren, Felsenbirnen und Zieräpfel sowie heimischen Naschsträuchern den Übergang zum südlichen Klimaboulevard.
Die Dächer der niedrigeren Baukörper sind als nutzbare Gemeinschaftsgärten konzipiert und erweitern das Freiraumangebot für die zukünftigen Bewohnerinnen. Hier entstehen Aufenthaltsbereiche im Schatten der PV-Pergolen sowie produktive Flächen zum gemeinsamen Gärtnern in Hochbeeten. Die Dächer der Hochpunkte sind als Retentionsdächer mit einer pflegeextensiven, insektenfreundlichen Dachbegrünung angedacht.
Das Regenwassermanagement hat zum Ziel mittels Low-Tech-Lösungen einerseits die mikroklimatischen Qualitäten des Hofes zu maximieren und andererseits das Risiko für Schäden aufgrund von Starkregenereignissen zu minimieren. Die Dachwässer werden in einen ringförmigen Schwammstadtkörper im Hof geführt, wo sie den Baumpflanzungen als Wasserversorgung zur Verfügung stehen und in Folge als kühlende Verdunstungskälte das Mikroklima verbessern. Notüberläufe in das Muldensystem des Hofes sorgen für die notwendige Redundanz und bewahren die Bäume vor möglicher Staunässe. Die Oberflächenwässer hingegen werden oberflächlich im Hof zur Verdunstung bzw. Versickerung gebracht. Durch die topographische Modellierung unter Berücksichtigung des vorhandenen Geländeverlaufs wird eine Ableitung Richtung Süden ermöglicht und somit die Retentionsvolumen des Hofes mit der südlichen Mulde verbunden, womit im Starkregenfall die Gefahr einer Überflutung und in Folge Schäden am Gebäude verhindert werden können.
KLIMAANPASSUNGSMASSNAHMEN
Um auf die veränderten klimatischen Bedingungen zu reagieren, müssen zukünftige Gebäude klimaresilient konzipiert werden. Neben passiven Maßnahmen wie hocheffiziente Gebäudehüllen, Sonnenschutz, Wasser- und Regenwassermanagement, schadstofffreie und ressourcenschonende Materialien, sind durchdachte TGA-Konzepte ein wesentlicher Baustein. Die Gebäude des Realisierungswettbewerbs sollen dafür mit sogenannten „Low-Exergie-Systemen“ versorgt werden. Dabei wird besonderes Augenmerk auf niedrige Systemtemperaturen und die Nutzung von Abwärme gelegt. Das bedeutet: Nutzung von Synergien mit wirkungsvollen Effizienzmaßnahmen und Energie-gewinnung vor Ort.
Das Ziel dieses Konzepts ist ein Net-Zero-Emission Kreislauf. Dazu wird direkt vor Ort ausreichend Energie gewonnen um in der Jahresbilanz eine Kohlenstoffneutral-Wärmeversorgung sicherzustellen.
Damit folgen wir dem Ziel einer maßgebenden Reduktion der Treibhausgasemissionen im Gebäude und Infrastruktursektor.
Die Versorgung der Wohngebäude mit Heiz- und Kühlenergie erfolgt über hocheffiziente Sole/Wasser-Wärmepumpen. Als Primärenergiequelle dienen Tiefensonden, sowie die den Gebäuden, während der Temperierung, entzogene Energie. So wird Abwärme (Waste Energy) aus der Temperierung zu einer Energiequelle für die Warmwasserbereitung und zur Regeneration der Tiefensonden.
Da die abgeführte Wärme aus der Raumkühlung nicht an die Umgebung abgegeben, sondern in den Wärmekreislauf rückgeführt wird, wirkt das System aktiv dem Urban Heat Islands (UHI) – Effekt entgegen. Es werden weder Rückkühler noch luftgekühlte Kältemaschinen benötigt. Abwärme wird somit zu Nutzwärme.
Der Großteil der Primärwärme für die Warmwasserbereitung (> 85%) kommt während der Sommer-monate damit aus der Raumabwärme. So werden örtlich verfügbare Ressourcen direkt genutzt und es wird hinsichtlich Ökologie und laufender Kosten ein konsistenter Kreislauf geschaffen.
Um einen Net-Zero-Emission Kreislauf zu erreichen, ist es notwendig Ökostrom zu erzeugen. Dafür wird direkt am Standort, in Korrelation mit dem Strombedarf der Wärmepumpen, PV-Strom erzeugt. Als kosteneffizientes System werden Aufdach-Photovoltaik-Paneele verwendet. Diese sind nach der Nutzungsdauer einfach zu ersetzten und bieten die Möglichkeit einer semi-intensiven Begrünung wodurch folgende Vorteile und Synergieeffekte nutzbar werden:
- Retentionswirkung bei Regen
- Bauphysikalische Verbesserung der obersten Geschoßdecke
- Verbesserung des Mikroklimas (reduzierte Umgebungstemperatur)
- Steigerung des Stromertrages durch ebendieses verbesserte Mikroklima
- Nutzung der Substratschicht als Auflast für die PV-Anlage
- Positiver Beitrag zur Biodiversität.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die Arbeit zielt darauf ab, das ‚Gemeinsame Leben in einem bunten Wohnquartier‘ zu stärken.
Dafür wird die gesamte Oberfläche der Gebäude bespielt. Laubengänge, Dächer und Freiräume bieten vielfältige gemeinschaftliche Angebote.
Die Grundrisse der Wohnungen sind in sich schlüssig aufgebaut und versprechen eine hohe Wohnqualität.
Durch den Abstand der Laubengangerschließung (Vorzonen) zu den privaten Wohnungen ist die Privatheit gewährleistet. Der wohnungsbezogene Zweitbalkon am Laubengang stellt ein begrüßenswertes Angebot dar und eröffnet Optionen der gemeinschaftlichen Belebung.
Kritisch wird die Massierung der Fahrradabstellflächen/Müllräume im gesamten Erdgeschossbereich im westlich gelegenen Gebäude gesehen. Gemeinschaftliche Wohncluster sind in die Gebäude gut eingestreut.
Der Innenhof mit großzügiger Grünfläche wird durch einen umlaufenden Weg erschlossen, der im Erdgeschoss durch kleinteilige, vorgelagerte Nutzungen eine angenehme Distanz zu den Wohnungen erzeugt. Die ebenerdigen Wohnungen erhalten Terrassen und somit eine gute Verbindung zwischen Innen- und Außenhaus.
Der gestalterische Ausdruck ist unruhig, bleibt vage und wirft Fragen zur gestalterischen Haltung der Entwurfsverfasser auf. Die Vielfalt der Fassadengestaltungselemente wird kontrovers diskutiert. Gleichzeitig werden mit dem Konzeptansatz soziale Aspekte für eine differenzierte Bewohnerschaft adressiert.
Die Anforderungen der Feuerwehr (2. Rettungsweg) sind berücksichtigt.
Das Regenwasserkonzept setzt auf das Schwammstadt-Prinzip und geht damit auf die besondere Situation an diesem Standort ein. Mit dem ‚ring of water‘ wird das Regenwasser als Ressource für die Bewässerung und Hitzevorsorge (Kühlung) eingesetzt und gleichzeitig als Gestaltungselement in den Freiraum integriert. Mit dem Konzept des Animal Aided Designs wird ein Mehrwert für die biologische Vielfalt erzielt.
Kritisch wird gesehen, dass durch die Hüllfläche mit Vor- und Rücksprüngen die energetische Effizienz gemindert wird. Eine Umsetzung in Bauabschnitten ist machbar.
Insgesamt stellt die Arbeit einen gelungenen Beitrag dar, der die Anforderungen an ein vielfältiges Wohnquartier mit den Erwartungen an Klimaanpassung sehr gut verknüpft.
©Carla Lo Landschaftsarchitektur & GERNER GERNER PLUS
EG & Freiraum
©GERNER GERNER PLUS.
Regelgeschoss
©GERNER GERNER PLUS.
Schaubild
©GERNER GERNER PLUS.
Schaubild
©GERNER GERNER PLUS.
Axonometrie
©GERNER GERNER PLUS.
Nachhaltigkeit
©GERNER GERNER PLUS.
Ansichten
©GERNER GERNER PLUS.
Schnitte