Nichtoffener Wettbewerb | 09/2022
Neubau Gesamtschule Nord+ in Kassel
©ISA Stadtbauatelier
ein 3. Preis / Ideenteil
Preisgeld: 13.500 EUR
Architektur
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Verfasser:
Prof. Jan Kliebe, Josef Hämmerl, Jochen Schmelz, Prof. Armin Günster, Ines Wiedemann, Valerie Sporer
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Mitarbeitende:
Lukas Essig, Lisanne Triebold, Elias Evirgen, Ina Weiler, Linda Obermeyer
ISA Internationales Stadtbauatelier
Stadtplanung / Städtebau
Landschaftsarchitektur
Erläuterungstext
Leitidee Städtebau „Zwei Schollen am Bach Ahne“
Der Lebens- und Bildungscampus besteht aus zwei „Schollen“, welche in die Landschaft fließen.Die eine zum Wohnen und Arbeiten kommt von der Straße „Eisenschmiede“, die andere zum Lernen von der Liebigstraße und treffen sich am Bach Ahne. Die Scholle „Wohnen und Arbeiten“ gliedert sich in drei Blöcke: Einkaufen, Wohnen und Arbeiten als Bindeglied zwischen dem nördlich gelegenen Wohnviertel, der Bildungsscholle, und Wohnen am Wäldchen. Sie schafft eine klare Kante zur Straße Eisenschmiede mit einem Platz, welcher den nördlichen Wohnbereich in dem neuen Campus empfängt und zum Quartiersplatz zum Bach hin einlädt.„Die Bildungsscholle“ nimmt die große städtebauliche Körnigkeit aus der Umgebung auf und wird somit als Sonderbaustein zwischen Park, Wäldchen und Bach.Die Höhenentwicklung innerhalb des Quartiers orientiert sich überwiegend an den Höhen der Umgebung, betont aber durch einen Hochpunkt mit sieben Geschossen am Quartiersplatz die neue Mitte.
Freiraum
Mit dem neuen Lebens- und Bildungscampus werden zwei Landschaftsrückgrate und zwei neue Plätze geschaffen: Ein Landschaftsrückgrat zwischen zwei „Schollen“, ein Landschaftsrückgrat am Bach, ein städtischer Platz an der Straße „Eisenschmiede“ und der zentrale Quartiersplatz am Bach. In dem Quartier münden zwei Freiraumachsen ineinander. Von dem Stadtpark aus kommend führt die Grünachse entlang des Baches südlich an dem Quartier vorbei. An dem südlichen Kopf des Bildungscampus spaltet sich die Grünachse und fließt von dem westlich liegenden „Wäldchen“ zwischen Bildungscampus und Wohnblöcke in das Zentrum. Hier münden beide Achsen in dem zentralen Quartiersplatz ineinader. Der Quartiersplatz am Bach bietet grüne Ruhezonen, ein belebendes Wasserspiel, viel Aufenthaltsfläche für Gastronomie, kleine Feste und die Erlebbarkeit durch Sitzstufen an das Wasser.
Nutzungen
Der Lebens- und Bildungscampus stellt einen zentralen Ort für den gesamten Stadtteil Kassel Nord- Holland dar. Die unterschiedlichen Bildungseinrichtungen, die alle in einem Standort integriert sind, stellen wichtige und besonders bedeutende Orte für Kinder und Jugendliche dar. Hier verbringen sie viel Zeit und absolvieren unterschiedliche Lebensabschnitte und –phasen. Es werden Erinnerungen gesammelt und weichen für die Zukunft gestellt. Der Quartiersplatz stellt den Dreh- und Angelpunkt des neuen Quartiers aber auch des Stadtteils dar. Er ist Auftakt und Eingang in die Schule, vernetzt die Bibliothek nach außen und gibt dem Campus ein Gesicht. Der Platz ist Aufenthaltsfläche, Ankunftsort und Treffpunkt für Alle, denn Menschen auf den unterschiedlichsten Wegen, in ihren Pausen oder nach dem Feierabend treffen hier aufeinander. Sie flanieren, genießen, plaudern, spielen und entspannen. Denn der Platz vernetzt die Nutzungen des Quartiers und gibt Raum für Begegnung. Entlang des Platzes im Zentrum des Quartiers werden somit in den Erdgeschosszonen unterschiedliche, lebendige Nutzungen verankert. In einem Repaircafé kann das Rad bei einer Tasse Café repariert werden, man tauscht sich aus und hilft einander. Nebenan trifft man sich in der Begegnungsstätte zum Beispiel bei dem wöchentlichen Kochabend. Oder kommt für ein Gläschen Wein am Freitagabend in der Vinothek vorbei und genießt den Sommerabend und kann im Anschluss noch ein Blick in die Galerie werfen.
Erschließung und Mobilität
Die Parkierung des gesamten ruhenden Verkehrs erfolgt in einer gemeinsamen Quartiersgarage im Norden der Blöcke. Die Garage fängt die Topografie auf und fügt sich hierbei in den Höhenversatz entlang der Straße „Eisenschmiede“ ein und erstreckt sich teilweise über zwei Geschosse. Die zentrale Garage bietet Platz für ca. 600 Stellplätze und integriert Ladesäulen sowie ein Car-Sharing- Pool mit Mietautos, welche über eine quartierseigene App reserviert und gebucht werden können. Die zentralen Aufgänge aus der Garage in die Innenhöfe sorgt bei den Bewohner*innen und Besucher*innen für Begegnung.Die Abstellflächen für Fahrräder sind zum einen im öffentlichen Raum innerhalb des Quartiers und in den Wohnhöfen verteilt. Zum anderen sind in den Erdgeschosszonen Flächen für Fahrräder und Kinderwägen etc. verankert, welche einen abgeschlossenen und sicheren Raum hierfür bieten. Des Weiteren sind große Flächen in der Quartiersgarage verankert, welche ebenerdig in die Innenhöfe münden.Durch das differenzierte Angebot an Mobilitätsformen, die Nähe zur Bahnhaltestelle und die Integration der Bushaltestelle auf dem Eingangsplatz entlang der Straße Eisenschmiede wird der Stellplatzschlüssel reduziert. Die Erschließung des Quartiers erfolgt über zwei Stichstraßen, um so keinen Durchgangsverkehr in dem Quartier zu ermöglichen. Der Zugang zu der Quartiersgarage und der neuen Garage für den EDEKA erfolgt über die bestehende Fiedlerstraße. Ein weiterer Stich führt von der Henkelstraße über die Brücke und zur Bring- und Holzone des Bildungscampus. Das Quartier fördert somit bewusst die fußläufige Vernetzung und die Erreichbarkeit mit dem Fahrrad und vernetzt das Quartier in die Umgebung. Es stellt für den Stadtteil ein neuer Dreh- und Angelpunkt dar. Die Flächen innerhalb des Quartiers sollen als Aufenthalts- und Begegnungsflächen dienen, dennoch sind die Wege so dimensioniert, dass sie von Rettungswägen, Müllwägen oder auch bei Umzügen oder der Belieferung befahren werden können.
Ökologie und Energie
Das Quartier wird, im Verhältnis zum ehemaligen Gewerbestandort, entsiegelt. Alle Flächen, die nicht zwingend notwendig versiegelt sein müssen, werden als wasserdurchlässige Beläge errichtet. Zur Nutzung der Sonnenenergie werden die Dächer der Gebäude teilweise mit Photovoltaik-Modulen (PV) bestückt. Der Jahresertrag aus der PV-Anlage wird vorwiegend zur Eigennutzung in den allgemeinen Anlagen zur Verfügung stehen. Zur besseren Nutzung des erzeugten Stromes der PVAnlage kann auch die Installation und Nutzung von PV-Speichern in der weiteren Planung untersucht werden. Alle Neubauten erhalten Dachbegrünungen, über welche ein Teil des anfallenden Regenwassers verdunstet werden soll. Das überschüssige Regenwasser wird entweder in Zisternen für die Bewässerung der Pflanzen und Bäume im Quartier oder in Mulden-Rigolen über welche das Regenwasser direkt versickert und verdunstet wird, abgeleitet.
Die neue Gesamtschule Nord+ ist eine offene und einladende Schule, die sich durch ihre lichte Architektur in die Flussaue der Ahna einbettet und sich mit dem identitätsstiftenden Grünzug zum Nordpark verknüpft. Die Lage der Gesamtschule bietet vielfältige Anknüpfungspunkte zum Bestand und zum neuen Quartier an der Eisenschmiede. Sie ist zugleich Baustein als auch Tor zur nördlichen Nordstadt. Sie versteht sich als Lerngerüst und Bildungsort mit konzentrierten Räumen des Lernens in den Clustern, als auch als lebendiger kommunikativer Lebensort in und um das Schulforum.
Städtebau
Die dreigeschossige Ausbildung des Schulgebäudes bietet durch das großzügige Forum eine einfache Orientierung im Inneren und durch die Clusterhäuser einen angemessenen Maßstab nach außen. Mit angemessenem Abstand sind die Neubauten des Wohnquartier als im Mittel fünfgeschossigen Häuser angelegt, um einen sparsamen Umgang mit der Resource Boden zu generieren. Der Grünzug nördlich der Schule vermittelt zwischen Schule, Pausenfläche und dem neuen Wohnquartier.
Vernetzung
Übergeordnet bildet der städtebauliche Ideenteil ein kompaktes, gemischtes Wohnquartier mit offenen Höfen und Gebäudeschwerpunkte an den Blockecken. Wie ein grüner Fluss begrenzt der neue nördliche Grünzug die Pausenflächen der neuen Gesamtschule. Durch die Lage des Haupteingangs der Sekundarstufe am Quartiersplatz entsteht ein belebter Freiraum, der durch die NutzerInnen der Stadtteilbibliothek bereichert wird. Der Fuß- und Radverkehr belebt diesen Platz, wobei dieser von motorisiertem Individualverkehr freigehalten wird.
Erschließung
Die Kita Dr. Hermann-Haarmann-Huas begrenzt das neue Bildungsquartier nach Osten Richtung Kernstadt und bildet mit dem Eingang der Grundschule den gemeinsamen Vorplatz für die Altersgruppe der 3- bis 10 jährigen Kinder. Dem gegenüber, direkt an der Ahna definieren die Bestandsgebäude Fiedlerstr 2 und 4 den Zugang zur Sekundarstufe der Gesamtschule Nord+. Durch die Freistellung der Bestandgebäude wird ein angemessener Vorplatz für die Schule und die Stadtteilbibliothek geschaffen. Der großzügige überdachte Pausen- und Vordachfläche leitet die SchülerInnen und LehrerInnen zum Foyer der Schule.
Raumprogramm und Organisation
Die neue Schule soll ein Lerngerüst für die Entwicklung der SchülerInnen und LehrerInnen bilden. Um das gemeinsame Foyer, das Herz der Schule, knüpfen Hausartig die jeweiligen Lerncluster an. Grüne Höfe in den Clustern bilden im ersten und zweiten Obergeschoß schöne Möglichkeiten zur natürlichen Belichtung und Belüftung der Cluster. Sämtliche Lerncluster sind auf dem ersten und zweiten Obergeschoss vorgesehen. Daher sind alle öffentlichen und allgemeinen Funktionen im Erdgeschoß vorgesehen. Die Pausenflächen der Schule orientieren sich nach Norden auf das neue grüne Band zur Wohnbebauung.
Innerräumliche Qualität
Prägend für die Gesamtschule Nord+ ist das gemeinsame Forum, welches die Sekundarstufe und auch die Grundschule unter einem Dach vereint. Im Eingangsgeschoß verbindet das Forum die Funktionen der Bibliothek, die Mensa, den Makerspace und die Kreativwerkstatt miteinander. Die gegenüberliegenden Eingänge der Sekundarstufe und der Grundschule beleben diese multifunktionale Fläche und öffnen die Forumsfläche nach Norden ins Grüne zu den Pausenflächen der Schule. Die großzugige Schultreppe, die alle Geschoß miteinander verknüpft, ist sowohl Raum zum Beobachten und Ruhen, als auch Ort für Konzerte und Aufführungen an besonderen Tagen im Jahr. Die Lerncluster zeichnen sich als quasi selbstständige Häuser in der äußeren Erscheinung der Schule ab. Die Verwaltung ist über das Atrium mit dem Haupteingang verbunden. Die Lage zentral im ersten Obergeschoß schafft gewünschte die Distanz aber auch die Nähe zum Eingang. Der Entwurf vermittelt in seiner architektonischen Haltung Selbstbewusstsein und Neugierde nach außen.
Baurechtliche Rahmenbedingungen
Die dreigeschossige Konstruktion der Schule ermöglicht eine einfache und überschaubare Struktur des Tragwerks. Durch die hybride Mischkonstruktion kann ein gutes Gleichgewicht als Skelettbau aus Beton und den raumbildenden Ausbau als Holzkonstruktion erreicht werden. Der Fluchtbalkon dient als baulicher erster Rettungsweg und öffnet die Schule in die Umgebung. In den Innenecken sind je Cluster eigenständige Treppenhäuser vorgesehen, die als funktionale Erschließung und als zweiter Fluchtweg dienen. Im Außenraum sind an den Eingängen und Pausenbereich Sammelzonen vorgesehen. Schallabsorbierende Flächen in den Holzhybriddecken dienen der Raumakustik. Eine mechanische Grundlüftung der Räume sichert die hygienische Qualität der Raumluft und dient durch Wärmerückgewinnung einem minimierten Energieverbrauch. Die Innenhöfe der jeweiligen Cluster ermöglichen im Sommer eine natürliche Nacht-Querlüftung der Klassencluster. Diese Maßnahmen fördern den geforderten Low-Tech Ansatz und minimieren die technischen Anlagen in einem nachhaltigen Gebäude.
Nachhaltigkeit und Baukonstruktion
In der Balance zwischen wirtschaftlicher Grundkonstruktion und dem Wunsch und Ziel nachwachsende Baustoffe einzusetzen, schlagen wir vor die konstruktive Grundstruktur als Betonskelett auszuführen. Dieser Skelettbau fördert eine mögliche Anpassbarkeit der Räume durch eine variable Ausbaustruktur. Die Geschoßdecken werden als Beton-Holzhybriddecken vorgeschlagen. Die Ausbaustrukturen der Außenwände sind als Holzständerwände mit einer hinterlüfteten Holzfassade und Holzfaserdämmung vorgesehen. Um die gewünschte lichtdurchflutete Atmosphäre der Schulräume zu realisieren, sind die transparenten Fassaden mit niedriger geschlossener Brüstung als Holzelementfassade mit Öffnungsflügen geplant. Auch dienen die Balkone dem konstruktiven Sonnen- und Wetterschutz der Holzfassaden, um die baulichen Unterhaltsmaßnahmen gering zu halten. Der textile Sonnenschutz in der äußeren Ebene bildet im Sommer einen schönen, luftigen Raum zwischen Innen und Außen. Die Dachverglasung des gemeinsamen Atriums dient der passiven Wärmegewinnung im Winter und ist mit einer Verschattung für den sommerlichen Wärmeschutz ausgerüstet.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die Arbeit schlägt im Nordwesten an der Ahna einen öffentlichen Freiraum sowie einen breiten Quartiersplatz in Verlängerung des Haupteingangs der Schule vor. Dieser grenzt mittig an eine dichte, autofreie Wohnbaustruktur, die sich von Norden an der Eisenschmiede den Hang hinunter entwickelt. Sie besteht aus einer 3-5-geschossigen Blockrandbebauung und freistehenden Baukörpern sowie einem Generationenhaus, das am Quartiersplatz mit sieben Geschossen einen Hochpunkt-Akzent setzt.
Der Höhenversprung entlang der Eisenschmiede wird für eine große Quartiersgarage genutzt, wodurch auch die Innenhöfe der Wohnbebauungen den Hang hinunter Terrassen bilden. Es wird ebenfalls eine Überbauung des angrenzenden Parkplatzes des Nahversorgers, mit Garage und darüberliegendem Wohnen vorgeschlagen. Entlang der Erschließungsstraße sowie zum Quartiersplatz werden die EG-Zonen durch öffentliche und halböffentliche Funktionen wie Gastronomie, Läden und Co-Working etc. belebt.
Die städtebauliche Körnung und Ausrichtung wirken angemessen, obwohl insgesamt eine hohe Dichte vorgesehen ist. Durch die kompakte Anordnung der Bebauung stehen großzügige öffentliche Freiflächen im nordwestlichen Teil zur Verfügung, die allerdings in der Darstellung recht monoton und unbelebt wirken. Hier wären ein höherer Grünanteil und weniger formale Strukturen und Flächenversiegelung sinnvoll, wodurch auch das Verhältnis zur Ahna viel besser herausgearbeitet werden könnte.
In der Zusammenschau ist die Landschaftsgestaltung eher unterentwickelt, sowohl was den Umgang mit der Hanglage als auch die Übergänge in die Umgebung angeht. Die Innenhöfe der Wohnbebauung sind knapp, aber nicht unrealistisch. Das Zurücksetzen eines Bebauungsteils von der Eisenschmiede schafft eine kleine Platzfläche als Eingangs-Geste, die sehr positiv bewertet wird. Auch die vorgeschlagenen öffentlichkeitswirksamen EG-Nutzungen sind für das Quartier realistisch und richtig platziert.
Die Setzung eines Hochpunkts wird begrüßt, das konkrete Bauvolumen ließe sich jedoch noch besser proportionieren. Insgesamt überzeugt der Entwurf vor allem mit seiner gut eingepassten und pragmatischen Gebäudestruktur, mit der ein beträchtlicher Anteil an unterschiedlichen und dem Quartier an-gemessenen Wohnformen realisierbar wäre, ohne die gesamte Grundstückfläche zu überbauen.
©ISA Stadtbauatelier+MGF Architekten GmbH
©ISA Internationales Stadtbauatelier, MGF Architekten GmbH
©MGF Architekten GmbH
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