Nichtoffener Wettbewerb | 02/2022
Neubau Haus für Film und Medien in Stuttgart
©ArtefactoryLab
Eine neue Adresse an Stuttgarts Kulturmeile – lebendige Räume zur Stadt
Anerkennung
Architektur
TGA-Fachplanung, Tragwerksplanung
Akustikplanung, Szenographie
koeber Landschaftsarchitektur GmbH
Landschaftsarchitektur
Brandschutzplanung
Visualisierung
Erläuterungstext
Stadtgeschichtlich liegt der Leonhardsplatz als Adresse für den HFM Neubau im Spannungsfeld und Kreuzungspunkt von vier Stadt-Plätzen (Norden: Charlottenplatz, Süden: Wilhelmsplatz, Osten: Marktplatz, Westen: Katharinenplatz), die historisch eine klare Definition und stadträumliche Verbindung untereinander aufwiesen, beides teilweise jedoch über die Entwicklungen der ‚autogerechten Stadt‘ und die stufenweise Verbreiterung der nord-südlich verlaufenden Bundestraße 14 seit den 60-er Jahren verloren haben. In Verbindung mit dem B14 Masterplan und der Entwicklung des Züblin-Areals kommt der Konversion des Breuninger-Parkhauses mit dem Film- und Medienhaus als Kopfgebäude am Leonhardsplatz die wichtige Aufgabe einer Stadtreparatur zu.
Die einfache Grundform des Richtung Leonhardsplatz angeschrägten Baukörpers generiert ein Ensemble dreier eigenständiger städtebaulicher Figuren bestehend aus HFM, Leonhardskirche und Gustav-Siegle-Haus. Das HFM komplettiert dadurch zum einen die Komposition der inselartigen Masterplanung entlang der B14 und orientiert zum anderen einen eleganten und zeichenhaften Kopfbau mit kraftvoller Platzkante und öffentlichem Haupteingang zum neuen Leonhardsplatz. Das markante Giebelende bildet ein zeichenhaftes Pendant und steht im Dialog mit der Silhouette der Leonhardskirche. So wird ein neues ‚Stadttor‘ und selbstverständlicher Übergang zur Leonhardsvorstadt geschaffen.
Der selbstbewusste Solitär des HFM ist damit gleichermaßen sensibel in seiner volumetrischen, kontextuellen Einfügung wie auch markant in seiner figürlichen Ausprägung: Ein Neubau, der die bestehende Stadt respektiert und zugleich von einem öffentlichen Charakter und einer städtischen Präsenz geprägt ist.
Die architektonische Idee ist bestimmt von vier Füßen/Infrastrukturkernen aus Beton in den Gebäudeecken, wodurch auf jeder Etage ein flexibel nutzbarer, großmaßstäblicher Raum im Zentrum des Plans sowie aktivierte Bereiche am Perimeter entstehen, die in Richtung Marktplatz, Leonhardsplatz und Bohnenviertel ‚Fenster zur Stadt‘ bilden und öffentliche Fassaden erzeugen.
Die Tragwerksidee eines Abfanggeschosses aus Stahlträgern über dem Erdgeschoss erlaubt einen stützenfreien Raum auf Stadtniveau, einen schwellenlosen Übergang von außen nach innen und damit eine Erweiterung des öffentlichen Raumes vom Leonhardsplatz in das neue ‚Leonhards-Wohnzimmer‘ – einem flexiblen Eventspace und Begegnungsraum.
In Verbindung mit den obersten Geschossen, in einer leichten Holz-Hybrid-Bauweise ausgeführt und mit einem Dachpatio als weiterem ‚Zimmer für die Stadt‘ gekrönt, wird die klare Komposition von Basis, Mittelteil und oberem Abschluss komplettiert.
Architektonisch vermittelt die Dreiteilung der Komposition bewusst zwischen dem Maßstab der Traufhöhen der Kirche sowie den großmaßstäblicheren, neuen Gebäuden des Masterplans entlang der B14.
Die organisatorische Idee für das HFM ist konsequent aus der architektonischen Struktur und Ordnung des Gebäudes entwickelt. Die dunklen, lichtfesten Komponenten des Raumprogramms werden im Zentrum eines jeweiligen Geschosses platziert, was für die entsprechenden Funktionen wie Kinos, Ausstellungsräume oder Studios die angemessene Umgebung in Sachen optischer und akustischer Separierung darstellt. Die Räume mit Tageslichtanforderung, die sozialen Begegnungsflächen und die öffentlichen Bewegungsflächen umhüllen wiederum diese großen technisch kontrollierten Bereiche im Zentrum des Plans, sind im Kontrast dazu hell, luftdurchströmt und voller Aktivität. Dadurch werden die Fassaden zur Stadt animiert und erzeugen ein städtisches Erscheinungsbild. Die öffentlichen Aktivitäten am Perimeter des Gebäudes werden durch eine thermisch und akustisch wirksame Doppelfassade aus transparentem und transluzentem Glas im Stadtraum zur Geltung gebracht, verstärken das optische Spektakel aus natürlichem und künstlichem Tageslicht sowie die Sichtbarkeit der Energie und Bewegtbilder innerhalb des HFM Gebäudes.
Um einen Anschluss des HFM an die bestehende Unterführung zu gewährleisten, positioniert der Entwurf einen Seiteneingang mit dahinterliegendem Foyer und Zugang zum kleinen Kino-Saal auf Höhe der bestehenden Breuninger-Passage. Dies stärkt die Präsenz und Anbindung des HFM in Richtung neuem Mobility-Hub und zur U-Bahn-Station ‚Rathaus‘.
Über drei öffentliche, aus der gefasten Grundfigur abgeleitete Erdgeschossfassaden werden Besucher und Passanten aus allen Richtungen in das neue HFM eingeladen. Über den Haupteingang am Kopfende des Gebäudes verbindet sich der Leonhardsplatz schwellenlos mit einem großen, öffentlichen Stadtfoyer. Das Eingangsniveau beinhaltet einen Multifunktionsraum und ein öffentliches Café/Restaurant, welche bei Bedarf von den Hauptaktivitäten im Foyer separiert und auch autonom von außen genutzt werden können. Die stützenfreie, flexible Raumstruktur des Erdgeschosses bietet die Freiheit, bei Filmpremieren, Filmfestivals, Kongressen, Konferenzen den ‚Einraum‘ dem jeweiligen Anlass anzupassen und zu bespielen. Sichtbar und intuitiv leitet die öffentliche Erschließung als klare Raumskulptur die Besucher in die Vertikale des Gebäudes.
Über ein Seitenfoyer in Richtung Marktplatz orientiert beginnt der Ausstellungsrundgang und führt die Besucher über eine großzügige einläufige Treppenanlage in das zweite Obergeschoss, welches im Zentrum den großen, dunklen Ausstellungsraum und zur Esslinger Straße den abdunkelbaren kleinen Ausstellungsraum verortet. Ein doppelhoher Raum am Kopfende ermöglicht eine Pause im Ausstellungsrundgang und gibt Blicke auf die Kirchturmspitze der Leonhardskirche frei. Drei Studio-/Aufnahmeräume - von der Ausstellung unabhängig erschlossen - bilden den Übergang zum Ausbildungsbereich auf dem dritten Geschoss. Dunkelräume wie auch tagesbelichte Räume für Jung und Alt, Professionelle wie Einsteiger, analoge und digitale Medien können innerhalb der flexiblen Grundstruktur abgebildet und auch über Zeit angepasst werden. Der dichte Raumcluster unterschiedlichster Nutzungsangebote soll den Austausch und Wissenstransfer erleichtern und spielerisch fördern.
Das oberste Geschoss bildet eine aktivierte ‚Stadtkrone‘, in dem sich die Dachgastronomie und der große Multifunktionsraum um einen eingeschnittenen Dachpatio gruppieren. Das Gastronomieangebot einer Lounge, eines Restaurants und einer Bar orientiert sich an den drei öffentlichen Gebäudekanten nach außen, erlaubt mit großen Stadtfenstern Bezüge zum Marktplatz, Leonhardsplatz und Bohnenviertel und animiert den oberen Gebäudeabschluss von innen. Vom Außenlärm geschützt bildet der eingeschnittene Dachgarten im Herzen der Figur bei gutem Wetter die Möglichkeit, Open-Air-Kino-Veranstaltungen ohne Beeinträchtigung des naheliegenden Bohnenviertels stattfinden zu lassen. Der Multifunktionsraum kann mit dem Gartenhof visuell und physisch verbunden werden, wodurch sich das Obergeschoss mit Blicken über den Mobility-Hub in Richtung Kulturmeile und über den Leonhardsplatz in Richtung Kirche und Gustav-Siegle-Haus ‚front-to-back‘ mit der Stadt übergeordnet verbindet.
Die kompakte und dadurch energiegeladene Organisation des in Richtung Leonhardsplatz ausgerichteten Gebäudes schafft gleichzeitig eine unabhängige rückwärtige Versorgung und interne Erschließung des Gebäudes. Die Andienung erfolgt auf Erdgeschossniveau von der Wagnerstraße aus mit Anbindung an einen Lastenlift, der alle Etagen verbindet. Aufgrund der gewünschten Offenheit und Nutzungsflexibilität des Erdgeschosses wird der Küchenbereich im Untergeschoss vorgeschlagen. Ein Luftraum schafft eine Verbindung nach außen und versorgt den Bereich mit Tageslicht. Ein Essensaufzug dient die Gastrobereiche im Foyer und auf der obersten Etage an.
Konstruktion und Fassade/Materialität
Sämtliche Gebäudelasten werden ausschließlich über die vier aussteifenden Erschließungskerne abgetragen. Das Erdgeschoss bleibt somit komplett Stützenfrei. Das erste und zweite Obergeschoss wird zum Lasttransfer zwischen den Obergeschossen und dem stützenfreien Erdgeschoss genutzt. Große Fachwerke erstrecken sich über beide Geschosse entlang der Außenfassade sowie um den großen Kinosaal herum. Verbunddecken aus Stahlträgern mit tragendem Aufbeton minimieren die notwendigen Deckenstärken und garantieren hohe Spannweiten. Die Decke über dem großen Kinosaal wird als Transferdecke für die oberen Geschosse ausgebildet. Die Decken der oberen Geschosse sind als Holz-Beton-Verbundecken geplant, die mit ca. 300kg/m² Eigengewicht rund 50% weniger Lasten auf die Transferebene leiten. Deckengleiche Stahlträger auf schlanken Stützen erzeugen eine angenehme Raumhöhe unter gleichzeitig minimalem Materialeinsatz und Gewicht.
Brandschutz
Beurteilung durch das Preisgericht
Anerkannt wird die ruhige Wirkung der architektonischen Gesamterscheinung, die ein geordnetes Fassadenbild, dass das Ablesen der dahinterliegenden Nutzungen selbstverständlich zulässt, bietet. Als Herausforderung wird allerdings die überstarke Markierung des Eingangsgeschosses durch die den Haupteingang flankierenden Betonelemente im Zusammenspiel mit den horizontal darüber liegenden Fassadenbändern empfunden, wirken sie doch sehr massiv und geben dem Haupteingang einen schluchtartigen Charakter. Die sich anschließende Eingangshalle, deren Deckenmodulation durch das darüber liegende große Kino bestimmt wird, erweckt durch seine innenarchitektonische Anmutung einen nicht zeitgemäßen Eindruck.
Die Grundrisse sind achsensymmetrisch organisiert und übersichtlich geordnet. Das kleine Kino in das Untergeschoss zu verlegen, ist ein attraktiver Gedanke. Alle weiteren dort angesiedelten Raumbereiche erfahren dadurch eine wesentliche Aufwertung. Dadurch, dass die großen Versammlungsräume jeweils im Zentrum liegen, stehen die flankierenden Raumbereiche für frei bespielbare Nutzungen zur Verfügung. Die Orientierung im Gebäude ist insgesamt gut, dennoch wird die notwendige räumliche Großzügigkeit in vertikalen Geschossverbindungen vermisst.
Das Projekt wird insgesamt als wirtschaftlich beurteilt. Aspekte der Nachhaltigkeit sind berücksichtig.
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Ein Blick über den Leonhardsplatz – Haus für Film und Medien als raumschaffendes Bauwerk
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Ein vielfältiges und offenes Foyer zur Stadt – Erweiterung des Leonhardsplatz
©Riehle+Assoziierte Architekten und Generalplaner / Carmody Groarke Ltd.
Lageplan
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Verweben des öffentlichen Raums – eine Wiedervereinigung von Innenstadt und Leonhardsvorstadt
©Béla Berec
Modell
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Modell
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Modell
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Grundriss EG
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Grundriss 1. und 2. OG
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Grundriss 3. und 4. OG
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Grundriss 1. und 2. UG
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Schnitt
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Schnitt
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Drei starke Solitäre – vereint am Platz
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Wohnzimmer und Werkstatt für Stuttgart
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Fassadengestaltung – die universelle Hülle
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Tragwerkstruktur
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Tragwerk - Erschliessung und Brandschutz - Nutzung
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Detail Fassade Ansicht und Schnitt