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Nichtoffener Wettbewerb | 06/2021

Neubau Stadtbahnbetriebshof Weilimdorf

1. Preis

Auer Weber

Architektur

Bollinger+Grohmann

Tragwerksplanung

grabner huber lipp landschaftsarchitekten und stadtplaner partnerschaft mbb

Landschaftsarchitektur

SCHREIBER Ingenieure Systemplanung GmbH

TGA-Fachplanung

Erläuterungstext

Leitidee
Ein großes Landschaftsdach fasst alle notwendigen Gebäude und Bereiche des neuen Stadtbahnbetriebshofes in Stuttgart Weilimdorf zusammen. Seine prägnante Form ist aus den funktionalen Rahmenbedingungen und seiner Situierung im Landschaftsraum heraus entwickelt.

Städtebau
Der Betriebshof markiert einen wichtigen Stadteingang an der Bundesstraße 295 am östlichen Rand des Gewerbegebietes Ditzingen-Ost und liegt zugleich in den Feldern nördlich des Stadtteiles Hausen. Um eine angemessene Antwort auf die unterschiedlichen Nachbarschaften zu geben, weist der Entwurf zwei unterschiedliche Seiten auf. Zur Bundesstraße bildet das Dienst- und Sozialgebäude einen markanten Kopf aus, der das Gleisvorfeld fasst. Hier zeigt sich der Betriebshof offen, transparent und vermittelt „Mobilität durch Stadtbahn“. Nach Süden, zum Wohngebiet bettet sich die Anlage in die weiche, hügelige Landschaft ein.

Freiraum
Auf den ersten Blick scheint das neue Straßenbahndepot mit den großen Bauvolumen im starken Gegensatz zu der umgebenden, agrarisch genutzten Landschaft zu stehen.
Auf den zweiten gibt es doch interessante Bezüge zueinander. Denn beides folgt einer klaren Logik, die sich aus der jeweiligen Nutzung ergibt: Das Depot entspricht den Anforderungen des Tragwerks, der Züge und der Betriebsabläufe; die Felder der Bewirtschaftung, der Topographie und der historisch gewachsenen Flurgrenzen.
Das Landschaftsdach wird nun zum Vermittler zwischen beiden Welten: Es greift in seiner Form die Orientierung der angrenzenden Felder auf und fasst zugleich die strenge Ordnung der einzelnen Baukörper mit ihren Oberlichtern zu einer Figur zusammen. Aus den drei Baukörpern wird so einer, der in Dialog mit der Landschaft tritt.

Angelehnt an Paul Klees Bild „Monument am Rande der Kulturlandschaft“ werden auf dem Landschaftsdach und dem Gleisvorfeld kleinräumige, strukturreiche Flächen geschaffen. Diese „Biotopfenster“ werden in der Photovoltaik freigehalten. Damit wird auf dem Dach nicht nur Energie für den Betrieb des Straßenbahndepots erzeugt, sondern es entsteht zugleich ein geschützter Lebensraum für Pflanzen und Tiere.
Unterschiedlichen Substratstärken (10-40 cm) sind die Grundlage für mit niedrige Staudenfluren, blühenden Wiesen und Kleinsträuchern (z.B. Färberginster) und damit vielfältige Habitate für Insekten und Vögel. Diese werden um offene Bodenbereiche, Steinhaufen und Totholz ergänzt, die als Brut- bzw. Nistplätze dienen. Das Landschaftsdach schafft so geschützte Lebensbereiche in der dort ansonsten weitgehend ausgeräumten Felderflur. Das bestehende Feldgehölz im Süden wird als einer der einzigen bestehenden, ökologisch wertvollen Lebensräume erhalten.

Für das Straßenbahndepot muss in die bestehende Landschaftskuppe eingegriffen und knapp 50.000 m³ Erdmassen bewegt werden. Der Eingriff wird durch die erhöhte Lage des östlichen Gleises und die Integration der PKW-Stellplätze in das Gelände soweit wie möglich reduziert. Um die Ressource Boden zu schonen, wird mit den verbleibenden Erdmassen im Süden ein landschaftlicher Übergang geschaffen. Dieser, sich sanft aus der Landschaft hebende Hügel dient als Aussichtspunkt, von wo der Betrieb und die Züge im Werkhof beobachtet werden können. Mit einem großen Spielplatz, der am Hang spannende Möglichkeiten zum Klettern, Rutschen und Hangeln bietet, wird der Ort für Familien aus Hausen zu einer schönen Ergänzung. Sportangebote, z.B. Beachvolleyball, Tischtennis oder Fitness für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene runden das vielfältige neue Angebot ab. Der Landschaftshügel dient zugleich als Lärmschutz für die Bewohner von Hausen.

Architektur und Erscheinungsbild
Das weit über die Fassaden auskragende, schwebende Dach prägt das Erscheinungsbild des neuen Betriebshofes. Die darunterliegenden Gebäudeteile werden durch das Dach zusammengefasst. Sie erhalten eine einheitliche, entmaterialisiert wirkende Fassade aus Profilglas. In den beheizten Gebäuden wird das Profilglas als hinterlüftete Bekleidung vor opaken Wänden eingesetzt. In der nicht beheizten Abstellhalle wird das Profilglas zur transluzenten Hülle. Aufenthaltsräume erhalten raumhohe Verglasungen. In beiden Hallen ist eine transparente Verglasung der Tore vorgesehen, um Blickbeziehungen nach außen und innen zu ermöglichen.
Die strenge Struktur und die Materialität des Tragwerkes aus Brettschicht-Bindern, -Stützen und Verbunddecken-Elementen verleihen den Hallen ihre Atmosphäre. Das Dienst- und Sozialgebäude schafft durch seine sorgfältige Materialwahl mit natürlichen Oberflächen und seine zentrale Mitte einen idealen Rahmen für Arbeit, Kommunikation und Erholung.

Erschließung
Unter dem großen Vordach vor dem Dienstgebäude entsteht ein Vorplatz als Auftakt zum Betriebsgelände. Hier haben auch die Pausenräume ihre wettergeschützten Freibereiche. Einige Besucher- und barrierefreie Stellplätze befinden sich hier unmittelbar in Eingangsnähe. Die restlichen Stellplätze werden auf der Ebene der Zeissstraße (ca. 40) - beziehungsweise wettergeschützt und in die Topographie integriert - auf Ebene des Betriebshofes angeordnet. Hier befinden sich auch die restlichen Radstellplätze. Die Zufahrt, die Straßen- und Wegeführung sowie die Anlieferung auf dem Gelände werden nach den Vorgaben der Auslobung umgesetzt.

Konstruktion und Materialien
In Anlehnung an den der Auslobung beigefügten Tragwerksvorentwurf mit Fertigteilen aus Stahlbeton wurde ein geometrisch ähnliches, ebenso einfaches und effizientes Tragsystem für das Landschaftsdach entwickelt, das jedoch wesentlich leichter und in der Ökobilanzierung günstiger ausfällt. Die Elementierung mit Pi-förmigen Fertigteilen wurde beibehalten, für die Rippen soll jedoch Brettschichtholz zum Einsatz kommen – im Verbund mit der Stahlbetonplatte. Die Schubübertragung in der Verbundfuge erfolgt in erster Linie durch Verzahnung (Kerben oder Nocken) und einem geringen Anteil von Schrauben. Die BHS-Rippen mit eingefrästen Aussparungen für Auflager und Verbindungen werden mit hoher Passgenauigkeit hergestellt. Die Platten werden im Werk aufbetoniert.
Die Aussteifung des Tragwerks in Querrichtung beruht auf Rahmenwirkung mit Kopfeinspannung. Die Verbindung von Rippen und Trägern über die nachträglich ausbetonierten Elementfugen sorgt für eine hohe Steifigkeit der Dachscheibe. Die Stützen sind durch eingelassene Passfedern und Vertikalschrauben mit den Hauptträgern biegesteif verbunden. Mit diesem Prinzip der Kopfeinspannung können die Stützenfüße gelenkig bzw. nur mit einer konstruktiven Einspannung für die Montage ausgeführt werden – entsprechend einfach und materialsparend sind dann auch die Fundamente.
Der Einsatz von Holz für alle primären linienförmigen Tragglieder reduziert unmittelbar den Anteil an Grauenergie und führt indirekt zu einer signifikanten Reduktion der Eigenlasten und damit zu weiteren Einsparungen an Baumaterial in allen Traggliedern bis hinunter zu den Fundamenten. Insgesamt beträgt die Baumasse der vorgeschlagenen Holz- und HBV-Konstruktion nur etwa 20% der reinen Stahlbetonvariante.
Bei der Vorbemessung wurde darauf geachtet, dass die Querschnitte ausreichend gedrungen sind, um auch im Brandfall genügend Restquerschnitt zu bewahren. Mit den 24cm starken Rippen ist dies gegeben, die Querschnitte sind sowohl im Grenzzustand der Tragfähigkeit als auch im Brandfall optimal ausgenutzt. Für die massiven Hauptträger und Stützen ist der Brandfall nicht mehr maßgebend.
Die Herstellung der langen Brandwände aus Stampflehm sorgt ebenfalls für eine relevante Verbesserung der Grauenergiebilanz. Eine 24cm starke Stampflehmwand ist selbsttragend und feuerbeständig und kann mit aussteifenden Querriegeln auch in diesen beeindruckenden Dimensionen (8m breit, 6m hoch) hergestellt werden. Der anstehende Lößlehm ist für diese Verwendung grundsätzlich sehr gut geeignet – eine örtliche Aufbereitung mit geringem Anteil an Zuschlägen ist möglich.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser*Innen fassen mit dem großen Landschaftsdach alle Gebäude und Bereiche des neuen SSB Stadtbahnbetriebhofes zusammen und erzeugen gekonnt eine klare und ruhige Raumfigur. Die Baukörperform wird durch die funktionalen Rahmenbedingungen und die Platzierung im umliegenden Landschaftsraum generiert. Das gut proportionierte und skulpturale Dach mit intensiver und lebhafter Begrünung wird zur neuen Schnittstelle zur Natur, soll an die Felderwirtschaft erinnern und übernimmt eine Mittlerfunktion zwischen Technik und Agrarlandschaft. Zur Bundestraße wird mit dem Sozial- und Dienstleistungsgebäude ein sehr überzeugender und markanter Kopfbereich ausgebildet, der das Gleisvorfeld angenehm fasst und mit seiner Fassade Offenheit und Transparenz vermittelt. Nach Süden zum Wohngebiet bettet sich der Baukörper souverän in die weiche hügelige Landschaft ein. Somit entsteht einerseits eine klare und signifikante Gebäudeskulptur, die mit ihrer schrägen Kantenbildung Dynamik erfährt, dem Thema Mobilität Rechnung trägt und andererseits sensibel auf das Umfeld reagiert.
Herauszuheben ist der Umgang mit der Topographie, die das dynamische Dach aufnimmt und mit sicherer Gestaltung den weichen und hügeligen Landschaftsraum fortführt. An dieser Stelle muss auf die Ausbildung der 2-fachen Böschungskante für die Gleisanlagen im Osten hingewiesen werden, die hinsichtlich ihres Platzbedarfs und der Nutzbarkeit für die Züge hinterfragt und überprüft werden muss. Der Landschaftshügel im Süden als Übergang zum Freiraum ist nachvollziehbar, allerdings werden die angebotenen Nutzungen kritisch diskutiert und finden auch auf privatem Baugrund statt. Die Parkierungssituation in den Parktaschen und entlang der Zeisstraße ist angemessen und überzeugt. Die Ausbildung des Haupteingangs zwischen dem Dienstleistungsbereich und der Werkstatt ist am richtigen Platz, von dem Dach wettergeschützt und bildet eine gute und angenehme Raumkammer als Entree. Die Inneren sehr wichtigen Belange und Abläufe des neuen Stadtbahnbetriebshofes werden in Gänze erfüllt und lassen einen reibungslosen Betrieb erwarten. Die Fassadengestaltung im neuen Erscheinungsbild ist gelungen und führt die konsequente Grundhaltung fort.

Tragwerk
Bei der Entwicklung des Tragwerks wird auf vorteilhafte ökologische Eigenschaften geachtet.
Aus diesem Grund wird für das Tragwerk eine Holz/Beton Verbundkonstruktion vorgeschlagen. Hierfür wird der Stützenabstand in der Werkstatthalle halbiert. Dies führt zu einer Einschränkung der betrieblichen Abläufe und muß überprüft werden. Die vorgeschlagene Konstruktion ist durchdacht, sinnvoll und machbar. Das Gebäude könnte in sehr ähnlicher Form als Stahlbetonkonstruktion entsprechend der Strukturvorgabe realisiert werden. Die Brandwände werden aus dem gleichen Grund aus Stampflehm realisiert. Auch hier wäre ein Wechsel auf eine Stahlbetonkonstruktion problemlos möglich.

Energie
Der kompakte Entwurf zeichnet sich durch einen moderaten Glasanteil aus, der teilweise noch reduziert werden kann. Die Energieerzeugung (Solaranlagen, Geothermie-Wärmepumpe), die Regenwassernutzung und die Begrünung runden den Entwurf positiv ab.

Der neue SSB Stadtbahnbetriebshof in Weilimdorf überzeugt mit einem ruhigen und nachvollziehbaren Städtebau, schafft mit raffinierter Strategie eine Technikskulptur, die sich elegant in den Landschaftsraum einfügt, eine angemessene Landmarke zur Stadteinfahrt bietet und funktional mit präziser und qualitativ hochwertiger Grundrissgestaltung überzeugt.
Lageplan

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