Einladungswettbewerb | 07/2024
Neugestaltung Leuchtwerkareal in Augsburg
© Machleidt GmbH
Perspektive Urbaner Platz
Anerkennung
Preisgeld: 10.000 EUR
Stadtplanung / Städtebau
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Verfasser:
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Mitarbeitende:
Maria Feil, Robert Ritzel, Lennart Kempter, Lasse Schmalfuß, Maximilian Risse, Clara Zimmermann
Erläuterungstext
Die neuen Freiräume auf dem Standort des ehemaligen Leuchtwerks entlang der Berliner Allee stehen sinnbildlich für die Dinge, die unserer Gesellschaft am Herzen liegen: für Zeitlichkeit, für (Stoff-) Kreisläufe und für das generationenübergreifende Miteinander. Diese Aspekte werden integrativ in einem zukunftshaften Quartier zusammengeführt. Das neue Stadtquartier knüpft dabei an die lebhafte Dynamik des angrenzenden Textilviertels an und verwebt das ehemals hermetisch abgeriegelte Areal mit seinen angrenzenden Stadt- und Landschafts- und Flussräumen an der Lech. Ökologie, Ökonomie, Soziales und Baukultur werden somit zu einer Einheit gebracht bzw. als ein zusammenhängender Organismus begriffen.
Städtebauliches Konzept
Räumliche Ordnung:
Die klare Quartiersfigur wird durch zwei übergreifende Freiraumverbindungen, der landschaftlich geprägten Fuge in Verlängerung des Proviantbach sowie der urbanen Fuge in Verlängerung der Reichenbacher Straße, teilräumlich gegliedert und an den Uferwanderweg und den Lech angebunden. Der Entwurf nimmt gezielt historische Spuren des alten Osram Werks als identitären Ansatz und die prozessorientierte Entwicklung auf.
Die Bestandsbauten, Gleiskörper und Vegetationen helfen darüber hinaus durch ihre unterschiedliche atmosphärische Prägung bei der Herausarbeitung möglichst differenzierter Teilräume, wie z.B. dem postindustriellen Charme des südlichen Übergangsraums, den durch die Bestandsbäume geprägten Quartiersplätze der beiden sich im Norden anschließenden Nachbarschaften sowie dem Bestand des Gewebebereichs am nördlichen Quartiersabschluss.
Typologische Mischung:
Die gewählten Baufeldzuschnitte ermöglichen ein breites Spektrum baulicher Typologien und Nutzungen und lassen sich perspektiv zukunftsoffen bespielen. Darüber hinaus erlauben die entstehenden Nachbarschaften die Integration vielfältiger Begegnungsräume wie privater Freibereiche, Dachgärten für die Hausgemeinschaft sowie gemeinschaftlich genutzter und von außen zugänglicher Binnenräume innerhalb der vorgeschlagenen Blöcke.
Die kompakten Baukörper entlang der Berliner Allee schirmen das Quartier gegenüber dem Straßenlärm ab und ermöglichen die Integration gewerblicher Nutzungen sowie besonderer Wohnformen wie z.B. dem Clusterwohnen.
Im Übergang zum bewaldeten Ufer Raum öffnet sich der Entwurf durch seine solitären Gebäude und sucht die maximale Durchdringung von Quartier und Landschaft entlang dieser Lage.
Höhe:
Die vorgeschlagenen Typologien folgen einem lagernden Siedlungsbild, dessen Geschossigkeit sich an der Umgebung orientiert. Der alte Schornstein dient als Landmarke, die Zufahrtsbereiche werden durch leichte Überhöhungen ablesbar.
Freiraumplanerisches Konzept und ökologischer Ansatz
Die Freianlagen weisen ein Höchstmaß an ökologischer Wertigkeit auf und kombinieren diese in intelligenter Weise mit ästhetisch-funktionalen Belangen. Dabei werden sowohl gestalterisch die regionalen Gegebenheiten mit ihren mäandernden Strukturen und waldartigen Vegetationstypologien mit den Neubauten sowie den Mikroreliefs (Topografie und Kiesbänke des Lech) reflektiert, als auch neue Ansätze zukunftsweisender Landschaftsarchitektur auf die Fläche hineingetragen.
Vegetation:
Das Waldband stellt in seiner Gesamtheit eine ökologisch wertige Fläche mit einer sensiblen Durchwegung dar und wird mit Anbindungen zum Lech und attraktiven Kiesbänken am Ufer ausgestattet (Kanalisierung des Nutzungsdrucks). Das Waldband aus Ahorn-, Buchen- und Birkenbesatz wird in einer weichen Modellierung ins Quartiersinnere mit den Neubauten verlängert (Wohnen im Wald). Bäume aus Quercus palustris, Fraxinus angustifolia ´Raywood´ und Gleditsia triacanthos ´inmernis´ werden als Akzentbildner eingestreut.
Die Gehölzstrukturen werden flächenhaft von Weidelgras, Schafgarbe, Rotes Straußgras, Rohrschwingel, Rohrkolben, Schwarzweide unterlagert. Diese Pflanzen bündeln die Schadstoffe des Bodens und sind langfristig in der Lage, den Boden zu dekontaminieren. Neben die vitalen Pflanzungen treten Todholzstrukturen, um einen mannigfaltigen Lebensraum auch für Tiere bereitzustellen.
Wege und Plätze:
Die öffentlichen Erschließungen und Räume fügen sich selbstbewusst in das Bild ein und dienen den notwendigen (Rettungs-) Erschließungen. Sämtliche Wege und Plätze sind auf den Bestand auch im Sinne der ökologisch-wirtschaftlichen Belange „aufgelegt“, um Eingriffe in den Erdbau zu minimieren.
Die Plätze sind mit sozial wirksamen Infrastrukturen (Sitzmobiliar, Spielplätzen, Fitnessangeboten) ausgestattet. Zwischen urbanen Platzsituationen mit entsprechenden Verweil- und Nutzungsangeboten und den landschaftlichen Sphären wird in Geometrien, Proportionen und Ausstattungen sorgfältig differenziert. So finden sich entlang des Stadtplatzes mit der überführenden Tramlinie ein urbaner Anger mit Wasserplatz, Kiezpavillon und gastronomischen Angeboten.
Gesamtidee Mobilitäts- und Erschließungskonzept
Autoarmes Quartier:
Der Entwurf schlägt ein autoarmes Quartier auf freiwilliger Basis vor, Rückgrat hierbei ist der perspektivisch ausgebaute ÖPNV und zunehmende Wege im Umweltverbund. Die Vorhaltetrassen wurden entsprechend in den Entwurf integriert.
Die drei vorgeschlagenen Quartiersgaragen fangen den MIV frühzeitig an den Quartiersrändern ab und verfügen durch Ihre Nähe zum ÖPNV über einfache Umsteigemöglichkeiten. Darüber hinaus bieten die integrierten Mobilitätsstationen notwendige Ladesäulen, diverse Reparaturmöglichkeiten und attraktive multimodale Sharing- Angebote wie E-Lastenräder und unterschiedliche E-Fahrzeuge an. Die Quartiersgaragen werden in modularer Bauweise vorgeschlagen, welche eine Anpassung an die Verkehrsmengen der Zukunft sowie einer andersartigen Folgenutzung (z.B. Gewerbe) ermöglichen.
Kurze Wege:
Die als Mischverkehrsflächen ausgelegten Straßenräume ermöglichen das Laden und Liefern sowie die quartiersnotwendigen Dienstbarkeiten und Rettungsverkehre. Logistiksendungen werden zentral gesammelt und innerhalb des Quartiers (letzte Meile) per Lastenrad weiterverteilt. Ein feinmaschiges Wegenetz nimmt sämtliche Vernetzungen der Umgebung auf und ermöglicht ein Quartier der kurzen Wege. Radfahrer im Quartier sind im Sinne des Arrangements erwünscht, schnelle Radwegeverbindungen werden allerdings entlang der Berliner Allee geführt, um Konflikte zu vermeiden.
Gesamtidee Klimaschutz- und Energiekonzept
Adiabate Kühlung:
Aufgrund der geringen Versickerungsmöglichkeiten orientiert sich das Quartier am natürlichen Wasserkreislauf mit einen hohen Verdunstungsanteil von ca. 70%. Dachbegrünung, Polderdächer, Grüne Fassaden und differenzierte Freiräume bilden dabei ein übergreifendes System von Kaskaden aus, welche bei Starkregen entlasten und bei starker Hitze für adiabate Verdunstungskälte sorgt.
Kreislaufsysteme und Nokera:
Die Nutzung von geschreddertem Bauschutt vor Ort bilden einen ersten Schritt zur Etablierung nachhaltiger Stoffkreisläufe. Die vorgesehenen kompakten, seriell vorgefertigten Holzhybridbauten ermöglichen ein nachhaltiges und kostengünstiges sowie rezyklierbares Bauen.
Der Entwurf ermöglicht eine zügige Umsetzung im Nokera-System und schlägt darüber hinaus Sondertypen vor, welche das Thema Lärmschutz und Sonderwohnen auf modellhafte und damit übertragbare Weise entlang der Berliner Allee thematisieren.
Sollte die Entwicklung doch ins Stocken geraten, so lässt sich das Quartier abschnittsweise aufsiedeln und vermeidet dabei die Entstehung von unattraktiven Torso-Situationen. Die Baufelder sind so robust bemessen, dass auch ein Systemwechsel im weiteren Prozess möglich ist.
Regenerative Energie:
Die Installation von PV-Anlagen auf den Dächern und ggf. an den Fassaden (z.B. an den Quartiersgaragen) ermöglichen eine in Teilen eigenständigen Energieversorgung. Die Nutzbarkeit von Erdwärme am Standort wäre denkbar und sollte im Weiteren untersucht werden.
Smart Grids zur effizienten Steuerung von Stromflüssen und die Zwischenspeicherung durch Batterien oder andere Systeme sorgen für den notwendigen Lastspitzenausgleich. Ein Blockheizkraftwerk sichert die effiziente Kombination von Strom- und Wärmeerzeugung vor Ort.
Umgang mit dem Zielkonflikt Altlasten
Topografie: Der Aushub des Bodens, der im Rahmen des Hochbaus anfällt, wird auf dem Areal aufgeschüttet und führt zu einem organischen Gestaltbild und kleinen Stoffkreisläufen. Belasteter Boden wird durch die Phytoreinigung der Pflanzen entlastet. Die Topgrafien werden als subtile Klärung der Öffentlichkeiten und Privatheiten begriffen und definieren in sensibler Weise unterschiedliche Räume und besagte Öffentlichkeitsgrade.
Aspekte der Klimaanpassung
Wasser: Um technisch und energetisch aufwendige Anlagen zu minimieren, wird auf Regenwasserspeicherungen außerhalb der Dachebenen verzichtet. Stattdessen wird das Regenwasser eingestaut und der Verdunstung zugeführt. Um bei Starkregenereignissen das überschüssige Wasser schadlos abzuschlagen, wird es durch Überläufe in den Lech geführt. Weiterhin wird es dort, wo es die Bodenverhältnisse erlauben, punktuell der Versickerung zugeführt.
Soziale Zusammenhänge
Die optionale Vorhaltefläche für die Schule, sowie eine Kita liegt bewusst zentral an der urbanen Schnittstelle zum Nachbarquartier. Die zweite Kita liegt im Gegensatz zurückgezogen am Pocket-Park im nördlichen Teilquartier.
Der Entwurf thematisiert darüber hinaus das Thema der Reduzierung von Wohnfläche pro Einwohner und des sozialen Miteinanders mit einer Kombination aus Cluster- und Generationenwohnen bei dem ein möglichst großer Teil der Nutzungen geteilt, d.h. als Gemeinschaftsbereich zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus dienen die vorgeschlagenen laubengangartigen Pufferzonen nicht nur wie oben beschrieben dem Lärmschutz, sondern als Orte der Begegnung und Kommunikation innerhalb der Hausgemeinschaft.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die städtebauliche Struktur des Quartiers besteht aus versetzt angeordneten, wohltuend dimensionierten Blöcken, die in den Randbereichen durch Punkthäuser und mäanderförmige Gebäude ergänzt werden. Die Anordnung der Baukörper erzeugt ein Netz öffentlicher, halböffentlicher und privater Freiräume, die jeweils eine eigene Qualität aufweisen.
Die beiden Platzsituationen auf Höhe der Reichenberger- und der Proviantbachstraße bilden jeweils einen gelungenen urbanen Auftakt und verzahnen das neue Quartier gut mit dem Textilviertel. Die anschließenden Freiraumkorridore sind willkommene Frischluftschneisen. Diese Qualitäten werden beim nördlichsten Freiraumkorridor auf Höhe des Osram-Stegs vermisst.
Der Erhalt identitätsstiftender Bestandsgebäude wird positiv bewertet. Im Falle des Gemengehauses muss jedoch hinterfragt werden, ob dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist und ob die vorgeschlagene kulturelle Nutzung für die große Halle dauerhaft tragfähig ist.
Auch die Anordnung zahlreicher kleinteiliger Gewerbenutzungen in den Erdgeschossen entlang der Berliner Alle und im Quartier erscheint wenig realistisch.
Für die lärmbelasteten Standorte an der Berliner Alle werden mäanderförmige Baukörper für besondere Wohnformen vorgeschlagen. Diese sind jedoch nicht mit den vorhandenen Nokera-Modulen herstellbar und die genaue Funktionsweise des Schallschutzes bleibt unklar. Die Vorbehaltsfläche für die Schule ist am südlichen Ende des Quartiers sinnvoll angeordnet wo sie auch für Schulkinder aus dem weiteren Umfeld gut erreichbar ist.
Um ein möglichst autoarmes Quartier zu schaffen wird der KFZ-Verkehr unmittelbar an der Berliner Allee in drei Quartiersgaragen abgefangen. Die Lage der Garagen ist geschickt gewählt, die Zufahrt der südlichen Garage mindert die Freiraumqualität der vorgelagerten Platzfläche mit ihren sozialen und kulturellen Einrichtungen jedoch erheblich. Die Zahl der angebotenen KFZ-Stellplätze erscheint im Vergleich zu anderen Arbeiten gering.
Anstelle einer mittigen Erschließungsachse bietet der Entwurf ein ausdifferenziertes Netzwerk an Fußund Radwegen, die im Ausnahmefall auch von KfZ befahren werden können. Dies verspricht eine hohe Alltagstauglichkeit.
Die Verlegung der Bushaltestelle an der Berliner Alle auf die Höhe des mittleren Freiraumkorridors trägt zur guten Erreichbarkeit des ÖPNV bei. Die Straßenbahntrassen entlang der Berliner Allee und durch den südlichen Freiraumkorridor über den Lech sind schlüssig nachgewiesen Die große Anzahl schattenspendender Bäume wird neben den sehr differenzierten Maßnahmen zum Regenwassermanagement als wichtiger Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel gewertet.
Die Vielfalt an Freiräumen, Gebäudetypen und Wohnungsgrößen sowie die Verzahnung von Bestandsgebäuden und Neubauten stellen die großen Qualitäten des Entwurfs dar.
© Machleidt GmbH
Perspektive Wasserspielplatz
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Lageplan Gesamtkonzept
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Vertiefung Wasserspielplatz
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Vertiefung Urbaner Platz
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Räumliches Leitbild
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Nutzungskonzept
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Mobilitätskonzept
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Freiraumkonzept
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Retentionskonzept
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Schwarzplan
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Längsschnitt
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Querschnitt