Nichtoffener Wettbewerb | 10/2022
Neugestaltung Rue de l'Alzette und angrenzende Innenstadtbereiche in Esch-sur-Alzette (LU)
©Rendercircle Christian Marrero Jerez
3. Rang
Preisgeld: 12.000 EUR
Innenarchitektur
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Mitarbeitende:
Prof. Martin Klein-Wiele, Jochen Usinger, Elena Janzen, Lydia Reichhart
ErlÀuterungstext
Esch-sur-Alzette, eine Stadt im sĂŒdlichen Luxembourg schaut auf eine bewegte Vergangenheit und Einzigartigkeit in ihrer stĂ€dtischen Entwicklung zurĂŒck. GeprĂ€gt von Industrie, welche aus vorhandenen BodenschĂ€tzen der âterre rougeâ entspringt, hat sich die Region im Escher Becken einen Namen gemacht. Die Stahlherstellung war nicht nur maĂgeblicher Motor des stĂ€dtischen Wachstums und der daraus am heutigen Tage ersichtlichen QualitĂ€ten der Innenstadt. Auch die Stadtfigur wurde durch die Stahlwerke âBelvalâ und âEsch-sur-Alzetteâ sowie der daraus resultierenden Infrastruktur geformt.
Die teils historischen, teils historisierenden Fassaden im urbanen Teil von Esch schaffen einen besonderen, qualitÀtvollen Charakter der Innenstadt. Warme, sandige Farben dominieren und erzeugen ein einzigartiges Flair.
Die besonderen QualitĂ€ten des Bestandes, die starke industrielle Vergangenheit, sowie der rĂ€umliche Bezug zur Terre Rouge bilden die Grundlage fĂŒr eine zukunftsfĂ€hige und identitĂ€tsprĂ€gende Gestaltung. Diese QualitĂ€ten werden aufgegriffen, gestĂ€rkt und diversifiziert.
DIE ALZETTE UND IHRE DYNAMIK
Die Alzette hat mit ihrem Quellgebiet in Frankreich und ihrer MĂŒndung in die Sauer im Norden von Luxembourg eine bewegte Reise hinter sich und vielerorts fĂŒr Lieblingsorte am Wasser gesorgt. In der Luxembourger Nationalhymne besungen und neben der geologischen Beschaffenheit unter anderem fĂŒr die Einzigartigkeit von Luxembourg Stadt verantwortlich, ist die Alzette nicht zuletzt Namensgeber fĂŒr die Stadt Esch-sur-Alzette.
Ist eine Offenlegung der Alzette in der Innenstadt von Esch nicht umsetzbar, wird dennoch die von der Alzette ausgehende unterschwellige Dynamik und die nicht sichtbare Kraft eines Flusses erzĂ€hlerisch aufgegriffen und so Gegenstand einer neuen, dynamischen FuĂgĂ€ngerzone im Herzen von Esch.
DIE BEDEUTUNG DER RUE DE LâALZETTE FĂR ESCH
Die Rue de lâAlzette bildet mit dem Rathausplatz und dem Place de Liberation den urbanen Nukleus von Esch aus. Neben der essenziellen Bedeutung als urbaner Mittelpunkt ist die Funktion der Rue de lâAlzette als Verteiler und Verbinder zu nennen. Sie nimmt eine SchlĂŒsselrolle im Prozess der Revitalisierung der Escher Innenstadt ein. Als verbindendes, lineares Element der beiden PlĂ€tze strahlt die FuĂgĂ€ngerzone in die umliegenden Quartiere aus. Die nach Nord und SĂŒd ausgehenden NebenstraĂen leiten in den urbanen Raum ein, welcher wie ein Verteiler in Richtung der beiden PlatzrĂ€ume funktioniert. Die Rue de lâAlzette â das urbane Herz von Esch!
DIE UMGEBUNG UND BESONDERHEITEN DES STADTGEFĂGES
Neben den vielen NebenstraĂen und atmosphĂ€rischen Gassen um die Rue de lâAlzette herum spielen die beiden StadtplĂ€tze eine wichtige Rolle. Der Rathausplatz ist ein Ort der Gemeinschaft, Veranstaltung und Versammlung. Er prĂ€gt den Raum vor dem Hotel de Ville und ist damit ein sehr wichtiger Platz im StadtgefĂŒge und im alltĂ€glichen Leben von Esch. Der Charakter des Place de la Resistance definiert sich durch offene DurchgĂ€nge und intimere ZwischenrĂ€ume. Die Gestaltung des Platzes schafft differenzierte rĂ€umliche QualitĂ€ten und unterscheidet sich somit im Charakter vom Rathausvorplatz. Es gilt die Rue de lâAlzette als zwischen den PlĂ€tzen schwebendes Bindeglied in ihrem Charakter so zu definieren und zu gestalten, dass ein zusammenhĂ€ngendes RaumgefĂŒge entsteht.
ESCH IM RAUSCH DER ALZETTE
Esch im Rausch der Alzette â das bedeutet Verbindung, Dynamik, neue QualitĂ€ten zu erzeugen und alte QualitĂ€ten freizuspĂŒlen. Die Rue de lâAlzette wird um Charaktereigenschaften erweitert, die polarisieren und die urbane Mitte von Esch stĂ€rken. Nutzungsangebote werden diversifiziert und rĂ€umliche QualitĂ€ten erlebbar gemacht. Das Gesamtensemble Escher Innenstadt wĂ€chst zu einem RaumgefĂŒge zusammen und die Rue de lâAlzette wird zum RĂŒckgrat des urbanen RaumgefĂŒges.
Um dieses zusammenhĂ€ngende, starke RaumgefĂŒge herzustellen, werden fĂŒnf MaĂnahmen vorgenommen, die den Charakter der neuen Rue de lâAlzette definieren.
Die Rue de lâAlzette ist verbindend!
Die Rue delâAlzette vermittelt als Bindeglied zwischen den beiden StadtplĂ€tzen und erzeugt einen urbanen Nukleus. Eine durchgehende Pflasterlinie, welche als wasserfĂŒhrendes Element und Leitsystem fungiert, erschafft eine klare und eindeutige Verbindung von Platz zu Platz und wird so zum neuen RĂŒckgrat der Rue de lâAlzette. In ihrer ParallelitĂ€t zu den Elementen von Peter Rice entsteht in der Gesamtheit eine stringente RĂ€umlichkeit, die sich gegen NebenstraĂen und Gassen behauptet.
Die Rue de lâAlzette ist dynamisch und kommunikativ!
Ausgehend von der Leitlinie wird mit einem changierenden Pflaster sinnbildlich die Dynamik der Alzette aufgegriffen. Diese Dynamik umspĂŒlt die Ausstattungselemente. So entstehen Setzungen innerhalb der FuĂgĂ€ngerzone, die eine Grundlage fĂŒr kommunikative Aufenthaltsangebote und platzartige Aufweitungen bilden.
Es entsteht ein dynamisches Gesamtbild in Anlehnung an den nicht zu erreichenden Fluss unter den eigenen FĂŒĂen â die Rue de lâAlzette als kommunikative und dynamische FuĂgĂ€ngerzone.
Die Rue de lâAlzette ist so grĂŒn wie möglich!
Im Bestand vorwiegend mineralisch ausgeprĂ€gt, wird die zukĂŒnftige FuĂgĂ€ngerzone grĂŒn. Im Kontext der gestalterischen Anforderungen und der technischen Umsetzbarkeit wurden nach genauer Recherche Baumstandorte definiert. Durch erhöhte Baumbeete in den beengten Bereichen wird zusĂ€tzlicher durchwurzelbarer Raum geschaffen. Standortangepasste Pflanzenauswahl der mehrstĂ€mmigen BĂ€ume und der Unterpflanzung schaffen ein grĂŒnes Gesamtbild der neuen Rue de lâAlzette.
Die Rue de lâAlzette ist diversifiziert!
Einkaufsmöglichkeiten, konsumfreie Zonen mit mehrdimensionalen Aufenthaltsangeboten, neue Lieblingsorte unter BĂ€umen und zwei Wasserbecken mit Trinkwasserangebot schaffen ein diverses Angebot und erzeugen eine FuĂgĂ€ngerzone mit vielschichtigen, erlebbaren QualitĂ€ten. Das RaumgefĂŒge, die StraĂenbreite und die Nutzungsangebote wie Einzelhandel, Gastronomie sowie nutzungsoffene Bereiche schaffen verschiedene Raumsequenzen. Diese werden identifiziert und durch sensible Transformation diversifiziert.
Die Rue de lâAlzette ist ökologisch wertvoll!
23 neue Baumpflanzungen auf der Rue ergĂ€nzen die 24 BestandsbĂ€ume. 550 qm Unterpflanzung bringen eine neue QualitĂ€t in die FuĂgĂ€ngerzone. Die BiodiversitĂ€t wird im Vergleich zum Bestand maĂgeblich erhöht. Neben der ökologischen Auswirkung nehmen diese MaĂnahmen Einfluss auf den thermischen AuĂenraumkomfort. Die Baumpflanzungen spenden Schatten und die Vegetation im Allgemeinen kĂŒhlt die Umgebung durch Evapotranspiration ab. Durch groĂzĂŒgige Baumgruben wird der Retentionsraum erhöht. Das Bild der Rue de lâAlzette wird grĂŒn und nachhaltig, die QualitĂ€t und der Charakter um eine wichtige, zukunftsweisende Facette erweitert.
AUSSTATTUNG
Es wird eine Ausstattungs-Familie entwickelt, die das Bild der Rue de lâAlzette als eine aufgerĂ€umte, qualitĂ€tvolle und zusammenhĂ€ngende FuĂgĂ€ngerzone komplettiert. Die MaterialitĂ€t der Ausstattung wird durch zwei Ziele beeinflusst. Zu besitzende Elemente werden aus Holz hergestellt. Der Komfort des Materials steht hier eindeutig im Vordergrund. Die Konstruktion der Sitzelemente und weiterer Ausstattungselemente, wie AbfallbehĂ€lter, FahrradbĂŒgel, Informationsstelen und Beleuchtungselemente der NebenstraĂen werden in rot-grauem Stahl hergestellt und verweisen auf die industrielle Vergangenheit von Esch. Durch eindeutige gestalterische Regeln, wie die von den Elementen von Peter Rice ĂŒbernommene Neigung, entsteht eine gesamtheitliche Produktfamilie. Durchdachte konstruktive Details und hochwertige Materialwahl zielen auf langfristige Haltbarkeit ab. Die Absicht des Designs der Ausstattungselement ist ein aufgerĂ€umter, zusammenhĂ€ngender Freiraum.
MATERIALIEN
Die Wahl des Bodenmaterials fĂ€llt aus verschiedenen GrĂŒnden auf einen changierenden Naturstein. Vorgeschlagen wird eine Steinbreite von 18 cm mit variierender SteinlĂ€nge in gebundener Bauweise. Gegen die Laufrichtung in Reihe verlegt kann so ĂŒber die wechselnde Farbigkeit eine Reminiszenz an die Dynamik der Alzette eindrĂŒcklich umgesetzt werden. Der Bodenbelag vermittelt mit Farbgebung und Körnung zwischen Rathausvorplatz und Place de la Resistance. Um Problemen der VerfĂŒgbarkeit und damit Verzögerung im Bauablauf vorzubeugen und aus GrĂŒnden der Nachhaltigkeit wird die Herkunft der Steine vorzugsweise auf Europa beschrĂ€nkt. Durch eine leicht rötliche FĂ€rbung, abgeleitet aus der terre rouge, wird auf einen hochwertigen Gesamteindruck abgezielt. Die Wahl der Farbigkeit erfolgt in genauer Abstimmung mit den vorherrschenden Farben der Fassaden, der Stahlbeschichtung und dem verwendeten Holz. In den NebenstraĂen wird die MaterialitĂ€t in anderer Ausrichtung und weniger stark changierend fortgefĂŒhrt. Um ein ruhiges Gesamtbild zu schaffen, werden die Hochbeete und die Beeteinfassungen der BestandsbĂ€ume ebenfalls in Anlehnung an den ausgewĂ€hlten Naturstein ausgefĂŒhrt. Als Stein wird ein rötlicher Granit vorgeschlagen. Die finale Entscheidung gilt es im Kontext der VerfĂŒgbarkeit und nach den hier anzuwendenden Regeln der Technik zu treffen. Langlebigkeit und ein einheitlicher, hochwertiger Eindruck prĂ€gen die nachhaltige FuĂgĂ€ngerzone.
BELEUCHTUNG
Die Beleuchtung der Rue de lâAlzette wird baulich mit den Designelementen von Peter Rice kombiniert. Durch den Einsatz von modernster LED-Technik und Reflektionslinsen ist der Leuchtkörper in den Flansch der von Rice verwendeten Doppel-T-TrĂ€ger möglich. So entsteht ein schlankes Gesamtbild und die technische Infrastruktur der Beleuchtung ist nur zu erahnen. Die gezielte Ausleuchtung des Bodens erhöht die Sicherheit und schafft durch sensible Abstimmung mit der GeschĂ€ftsbeleuchtung ein angenehmes Gesamtbild. Die Beleuchtung sieht den Einsatz von insektenfreundlicher und in den Nachtstunden dimmbarer Technik vor. Es entsteht ein abgestimmtes, energiebewusstes und intelligentes Gesamtkonzept.
In Anlehnung an die nicht sichtbare Dynamik der Alzette wird an dieser Stelle ein Eventkonzept mit dem Titel âSehnsucht nach dem Flussâ aufgefĂŒhrt. Eine bodengebundene Projektion gepaart mit einer Audio-Erfahrung könnte den möglichen, renaturierten Verlauf der Alzette temporĂ€r audio-visuell erfahrbar machen.
Die Rue de lâAlzette wird in ihrer Bedeutung als urbanes RĂŒckgrat gerecht. Eine verbindende FuĂgĂ€ngerzone mit starken und vielschichtigen QualitĂ€ten, die in ihrer einfachen und klaren Gestaltung von der Dynamik der Alzette geprĂ€gt wird, stĂ€rkt nachhaltig die Innenstadt von Esch-sur-Alzette.
Beurteilung durch das Preisgericht
- Entwurf bietet viel GrĂŒn an, durch neue Baumpflanzungen und groĂe Pflanzbecken auch im weiteren Querschnittsbereich der Rue de lâAlzette
- Interessanter Ansatz der Zonierung im LĂ€ngschnitt durch die teilweise Anordnung der GrĂŒnelemente gegenĂŒber der Stelen im engen Bereich der Rue de lâAlzette
- Das Konzept rĂ€umt die Rue de lâAlzette auf und bietet somit viel Platz â u.a. durch nur wenige fest positionierte groĂzĂŒgig dimensionierte Stadtmöbelelemente, die Ruhe in den Raum bringen und ihn nicht quantitativ ĂŒberfrachten
- Lange und groĂzĂŒgig dimensionierte BĂ€nke bieten hohe VerweilqualitĂ€t
- Harmonisches Zusammenspiel von Stadtmöbelelementen und OberflÀchenmaterial
- Guter Umgang mit den Designelementen von Peter Rice, EinfĂŒgen der Beleuchtung in das Profil der Stele ist eine diskrete Beleuchtungsmethode
- In der AusfĂŒhrungsphase einfache Verlegung des vorgeschlagenen OberflĂ€chenbelags durch eine freie Einstreuung der dunkleren Pflastersteine ohne striktes Verlegemuster
- Die durch die dunklere Farbgebung dargestellte abstrakte Alzette funktioniert in der StraĂe selbst gut, in den Ăbergangsbereichen könnte die Wirkung aber leiden.
- Materialwahl fĂŒr den OberflĂ€chenbelag ist zu hinterfragen, da im Unterhalt zwar robust und gut zu reinigen aber sehr kostspielig und Beschaffung ggf. aufwĂ€ndig
- Stadtmobiliar und Pflanzbecken sind nicht flexibel verschiebbar und zudem teilweise ĂŒberdimensioniert, da sie auch eine Barrierewirkung fĂŒr die dahinterliegenden GeschĂ€fte haben könnten
- Ggf. Einnahme der groĂen Stadtmöbelelemente durch marginalisierte Personengruppen, da z.B. LiegeflĂ€chen vorhanden sind
- Sehr starke LinearitÀt des Entwurfs, die auch an den Kreuzungsbereichen nicht gebrochen wird.
- Keine ausreichend starke gestalterische Abgrenzung der Rue de lâAlzette von den NebenstraĂen
- Zu ĂŒberprĂŒfen wĂ€ren eventuelle Konflikte der vorgesehenen Wasserschalen mit den Schleppkurven des Lieferverkehrs
©Förder Landschaftsarchitekten
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Freiraumplanerischer Gesamtplan der Rue de lâAlzette 1/500
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Vertiefung Rue de la Libération M1/100
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Mobiliarfamilie der Rue de IâAlzette
©Rendercircle Christian Marrero Jerez
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Gestaltungsansicht A-Aâ Rue de IâAlzette 1/100
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Beleuchtung
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Beleuchtungskonzept 1/750
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Event - Lichtinstalltion âSehnsucht nach dem FluĂâ 1/750
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