Nichtoffener Wettbewerb | 03/2024
Neugestaltung zentraler Ankunftsbereich Rheinhallenareal in Rüdesheim am Rhein
©club L94
2. Preis
Preisgeld: 20.450 EUR
Landschaftsarchitektur
Architektur
Tragwerksplanung
Erläuterungstext
ANKUNFTSBEREICH Stadt Rüdesheim am Rhein
SITUATION & LEITIDEE
Die Siedlungs- und Kulturgeschichte der Stadt Rüdesheim ist eng mit dem Weinbau, der mittelalterlichen Klosterwelt und der Rheinromantik verbunden. Von der Lagegunst an der Lebensader Europas hat das regionale Mittelzentrum seit jeher profitiert und ist zu dem pittoresken Städtchen mit dem Narrativ des „Rüdesheim am Rhein“ herangewachsen.
Die Verfügbarkeit des Rheinhallenareals, des Opel-Geländes sowie des ehemaligen Busparkplatzes in unmittelbarer Nähe zum neuen Bahnhaltepunkt, der das zukünftige BUGA-Gelände am Hafenpark und die nördlichen Wohngebiete an den regionalen Schienenverkehr anbindet, bietet die Möglichkeit alle Mobilitätsfunktionen an dieser Stelle zu bündeln. Gleichzeitig soll der neue öffentliche Freiraum ein Trittstein im Grünflächensystem für die Stadt Rüdesheim in Richtung Rhein dienen. Das Ziel ist es, einen attraktiven, funktionalen und barrierefreien Ankunftsbereich mit Aufenthaltsqualität zu entwickeln, der die Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel für die Rüdesheimer*Innen fördert und während der Bundesgartenschau, aber auch darüber hinaus, Tourist*Innen in der Stadt begrüßt.
Der neue Ankunftsbereich der Stadt Rüdesheim soll sowohl für die Bewohner*Innen der Stadt als auch für die reisenden Tourist*Innen als attraktiver Stadtraum zur Verfügung stehen. Es gilt die Wunde in der Stadtstruktur zu nutzen und als nutzbaren Freiraum- und Umschlagsplatz zu entwickeln. In der Abfolge der Freiräume soll das ehemalige Rheinhallenareal einen wichtigen Trittstein auf dem Weg zum Rhein und Uferpark darstellen und zusätzlich zu den funktionalen und verkehrsplanerischen Themen als wohnungsnaher Freiraum mit kleinteiligen Nutzungsangeboten für das Wohnungsumfeld zur Verfügung gestellt werden.
KONZEPT
Nutzungsbereiche & Räumliche Bezüge
Den zentralen Nutzungsbaustein des zukünftigen Ankunftsbereichs stellt der Busterminal mit seinem Wartebereich, den Bushaltestellen, Kiss & Ride-Zonen sowie Taxiständen dar. Dieser wird wie eine Spange zwischen die nördlich liegende Geisenheimer Straße und die Bleichstraße im Süden gespannt. Durch die Nord-Süd-Ausrichtung wird eine unkomplizierte Verkehrsführung und Durchquerung für alle Verkehrsteilnehmenden (Busse, Taxis, Anlieferung, Reisende, Anwohner*Innen) etabliert. Angebunden an den südlichen neuen Bahnhaltepunkt sowie die Parkanlagen am Rhein liegt die Mobilitätsstation im Bereich des ehemaligen Opel-Geländes an der Bleichstraße. Fahrradfahrende, die von den übergeordneten Fahrradrouten entlang des Rheins kommen, können hier das Fahrrad abstellen, reparieren oder eine kurze Pause einlegen. Der neue Stadtgarten orientiert sich im nord-östlichen Bereich in Richtung der angrenzenden Wohnquartiere und bietet diesen einen wohnungsnahen, grünen Freiraum mit Angeboten zum Treffen und Spielen.
Baumkonzept
Der Dreiklang des Nutzungskonzeptes wird durch das Baumkonzept zusätzlich unterstützt und manifestiert. Die Unterstände bzw. Überdachungen der Mobilstation werden als artifizielle Baumdächer entwickelt und bieten so sowohl einen Witterungsschutz, aber auch eine offene und flexible Raumstruktur.
Im Bereich des Busterminals werden die großen, raumprägenden Baumreihen aus Platanen und Linden genutzt und ergänzt. Durch ihre Stellung in Reihen bestärken sie den Gedanken der Nord-Süd-Querung an dieser Stelle zusätzlich. In den Wartebereichen werden hier vereinzelt auch die artifiziellen Baumdächer eingestreut und als Unterstände genutzt.
Der Stadtgarten wird mit einem lockeren Baumrahmen aus Neupflanzungen gebildet. Hier werden verschiedene, klimaresistente Baumarten gepflanzt, um so einen zukunftsfähigen und klimaangepassten Freiraum zu entwickeln. Die neuen Gehölze sorgen für Schatten und ein angenehmes Klima an heißen Sommertagen.
Mobilitätskonzept
Alle Mobilitätsthemen werden im Bereich des Busterminals und der Mobilitätsstation konzentriert, in unmittelbarer Nähe zum neuen Bahnhaltepunkt.
Der Busterminal funktioniert im Einrichtungsverkehr mit entsprechenden Umfahrungsmöglichkeiten um die Mittelinsel. Die zentrale Mittelinsel dient als Haltestelle mit Buskaps für zwei Gelenkbusse sowie zwei Stadtbusse. Entlang der südlichen und nördlichen Insel kann jeweils eine Warteposition für Busse zur Verfügung gestellt werden. Die Fahrbahnbreite von min. 7m ermöglicht ein Überholen der haltenden Busse. Entlang der äußeren Fahrbahnränder werden die Haltestellen für Reisebusse, zwei Taxistände, vier Kiss & Ride Bereiche sowie ein Stellplatz für die Anlieferung der Quartiersboxen verortet.
Die Mobilitätsstation bietet unter den modularen `Baumdächern‘ die Radabstellanlage für 72 Fahrräder, incl. Sammelschließanlagen (20%), ergänzende Fahrradreparaturmodule, Stellplätze für Lasten- u. Leihräder mit Ladestationen für E- Bikes, sowie Raum für Quartiersboxen mit Wasserspender für das Auffüllen von Trinkflaschen. Im Übergang zum Busterminal werden ergänzend ein Infopoint und regengeschützte Wartemöglichkeiten angeordnet. Das modulare und koppelbare Prinzip der einzelnen Schirme ermöglicht eine flexible Erweiterung des Systems, um auch zukünftige Anforderungen bzw. Ergänzungen zu ermöglichen. Der Kiosk wird in zentraler Lage in der Laufbeziehung zwischen Busterminal und Bahnhaltepunkt verortet, sodass es für die Passant*Innen auf direktem Wege liegt.
ENTWURF
Der neue Ankunftsbereich der Stadt Rüdesheim entwickelt durch das Baumkonzept mit drei unterschiedlichen Bereichen und Charakteren einen identitätsstiftenden, zukunftsfähigen Stadtraum mit einem hohen Wiedererkennungswert und Aufenthaltsqualität.
Eine offene Struktur zu den angrenzenden Straßenräumen sorgt für eine gute Durchquerbarkeit und Einsehbarkeit der öffentlichen Räume. Um die umliegenden Hinterhöfe sowie das Wohnhaus „Bleichstraße 10“ räumlich abzugrenzen und zu schützen werden üppige Stauden- und Gräserpflanzungen vorgesehen, die gleichzeitig für eine hohe Artenvielfalt sorgen und als Versickerungsflächen für das anfallende Regenwasser zur Verfügung stehen.
Die Mobilitätsstation entwickelt sich über das Motiv des `künstlichen Baumdachs´, die sich im westlichen Wettbewerbsgebiet (Opelgelände) `waldartig´ verdichten. Die Grundmodule sind in ihrer Krone koppelbar und ermöglichen einen großzügigen Witterungsschutz für die unterschiedlichen Anforderungen der Mobilitätsstation. Nach Osten strahlen die Module als Einzelschirme in den Bereich des Busterminals aus und bieten ergänzt mit kreisförmigen ringförmigen Sitzgelegenheiten geschützte Wartebereiche für die Haltepositionen des Busterminals. Den süd- östlichen Abschluss der baulichen Maßnahmen bildet der Kiosk der als pavillonartige Holzkonstruktion die Familie der `Baumdächer´ abrundet. Er wird an der Öffnung zwischen Busterminal und neuem Bahnhaltepunkt verortet und erhält eine großzügige Vorzone, die nach Bedarf als Außengastronomiefläche genutzt werden kann.
Der Stadtgarten, der als neuer Freiraum für die Nachbarschaften angeboten wird, wird als grüner Aufenthaltsort und wohnungsnaher Treffpunkt entwickelt. Eine offene Wiesenfläche dient als Retentionsraum und Spielwiese. Das Wasserspiel im nördlichen und das Ringspiel im südlichen Bereich des Stadtgartens bieten Attraktionen für Klein und Groß. Rundbänke laden zum Verweilen oder Warten ein.
Materialität & Ausstattung
Der Dreiklang des neuen Ankunftsbereichs wird mit Hilfe eines einheitlichen Material- und Ausstattungskonzeptes zu einem Gesamtraum zusammengefügt. Ein einheitlicher, heller grau-beiger Plattenbelag dient als Stadtboden und kann mit seiner hohen Albedo die Sonnenstrahlen reflektieren und so der Entstehung von Hitzeinseln entgegenwirken.
Die Fahrspuren und Stellplätze werden mit Ortbeton in gleicher Farbgebung ausgebildet. Dieser ist besonders robust und für die hohe Belastung durch den täglichen Busverkehr gut geeignet. Als wiederkehrendes Material wird der Beton ebenfalls für die Einfassung des Stadtgartens und der Mobilitätsstation verwendet. Die Wiesenfläche des Stadtgartens wird um 45 cm abgesenkt, sodass eine Sitzkante aber auch Retentionsvolumen entsteht. Durch die Modellierung der Wiesenfläche bleibt sie barrierefrei zugänglich. Die Mobilitätsstation erhält eine Fläche aus Wassergebundener Wegedecke.
Im gesamten Planungsraum werden Rundbänke aus Holz verortet, die um die Schirme bzw. die Bäume gestellt werden. Durch eine Öffnung ist die beidseitige Nutzung der Bänke möglich und auch das Befahren des Inneren mit dem Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen ist gewährleistet.
Die Baumdächer sind als vorgefertigte, modulare Holz- Stahlkonstruktion konzipiert und mit einer extensiven Dachbegrünung ausgestattet. Es sind Module mit 2,5m und 3m Radius vorgesehen, die mittels der abschließenden Deckplatte bis zu 3 Elementen koppelbar sind. Eine im Betonfundament eingespannte Stahlstützen mit angeschweißten Stahlschwertern trägt die ringförmig abgestuften, hölzernen Scheiben aus Brettsperrholz, die die Jahresringe symbolisieren. Die Kanten sind aus Radiusholz (Brettsperrholz) ausgeführt und erhalten im Wechsel eine Nut für integrierte Led- Lichtlinien, die in den Abendstunden bewegungsabhängig angesteuert werden. Die Energie wird über Solarzellen mit ergänzenden langlebigen Lithium- Eisenphospat- Akkus bereitgestellt. Die Entwässerung der Dachflächen erfolgt über ein innenliegendes Entwässerungsrohr zu unterirdischen Rigolen für eine gezielte Regenwasserversickerung. Das Baumdach für den Kiosk wird synergetisch mit einer Wandkonstruktion aus Brettsperrholz konstruiert und erhält so einen innenliegenden Nebenraumbereich. Eine gläserne Fassade mit öffenbaren Schiebefenstern und umlaufendem Thekenring ermöglicht die Bedienung u. Andienung einer ergänzenden Außengastronomie.
Beleuchtung
Die Hauptverbindungsachsen und Fahrspuren werden mit Hilfe von Mastleuchten ausgeleuchtet, wodurch allen Verkehrsteilnehmenden das Gefühl von Sicherheit gegeben wird. Der zentrale Bereich um das Busterminal wird hierbei heller ausgeleuchtet als die außenliegenden Nebenwege. Das Wasserspiel im Stadtgarten erhält zusätzlich eine besondere Lichtinszenierung durch punktuelle Lichtspots.
Sämtliche Lichtelemente werden mit insektenfreundlichen Lichtintensitäten kleiner/gleich 2.800 K ausgestattet. Die Lichtsysteme erhalten eine hochwertige Entblendung. Generell wird die Farbwiedergabestufe 1/ sehr gut eingesetzt. Eine hohe Lichtausbeute gepaart mit hohen Leuchtenwirkungsgraden ermöglicht einen wirtschaftlichen Betrieb. Zeitabhängige Milieuschaltungen führen dazu, dass in den Abend- und Nachtstunden die Beleuchtung in Stufen reduziert wird (Erscheinungsbild, Wirtschaftlichkeit), dabei aber die objektiven und subjektiven Sicherheitsanforderungen erhalten bleiben.
Wirtschaftlichkeit
Die Kombination des nahezu CO2-neutralen Baustoffs Holz mit einer optimierten Stahlkonstruktion ermöglicht eine ausgewogene Balance zwischen Energieaufwand in der Herstellung und Robustheit. Alle Tragwerksteile der Schirme und des Kiosks sind durch gängige, bewährte und genormte Holzbauweisen herstellbar und verfügbar. Der bewusste Verzicht auf Sonderkonstruktionen und des damit einhergehenden zu erwartenden breiten Bieterfeldes lässt einen sinnvollen Preiswettbewerb und eine kurzfristige Umsetzbarkeit erwarten. Alle Tragwerksteile sind zugänglich und können mit wirtschaftlichem Aufwand besichtigt und während der Nutzungszeit immer kontrolliert werden. Die Anmutung der ` Baumschirme´ u. des Kiosks erzählen von der Schönheit des Holzes, dessen Textur die Geschichte des natürlichen Wachstums symbolisiert und dessen Patina eine besondere Identität für den zentralen Ankunftsbereich der Stadt Rüdesheim generiert.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die Leitidee der Arbeit besteht in der Ausbildung eines Stadtraums, der sowohl als vielfältig nutzbarer Freiraum, als auch als Umschlagplatz in Form eines Busterminals und einer Mobilitätsstation dient.
Auf dieser Grundidee aufbauend, wird das Areal zu einem Trittstein auf dem Weg zum Rhein / bzw. Uferpark ausgebildet. Weiterhin wurde von den Verfassern erkannt, dass der Ort Potenzial für weiteren, grünen Freiraum in räumlicher Nähe zum bestehenden Wohnumfeld aufweist.
Die stadträumliche Disposition folgt dieser Prämisse zunächst sehr klar. Der Ankunftsbereich (Busterminal) wird als Nord-Süd-verlaufende Spange zwischen der Geisenheimer Straße und der Bleichstraße geplant. Somit ist eine gute Durchquerbarkeit und Einsehbarkeit aus den umgebenden öffentlichen Räumen gegeben. Sie teilt das Areal in drei voneinander funktional und räumlich getrennte Bereiche. Die Mobilitätsstation befindet sich im Bereich des ehemaligen Opel-Geländes an der Bleichstraße. Angrenzend an die Geisenheimer Straße und den östlich gelegeneren Wohnungsbestand wird ein kleiner Stadtpark platziert, der an dieser Stelle in Ausformung und Größe sehr positiv beurteilt wird. In der Mitte zwischen diesen Bereichen wird das Busterminal organisiert.
Die Ausbildung des zentralen Busbahnhofs mit einer großen Mittelinsel als Wartefläche und außenliegenden Haltestellen bietet eine größtmögliche Flexibilität im Busbetrieb. Hierdurch ist eine Anbindung in alle Richtungen (Geisenheimer Straße / Bleichstraße) möglich. Die Reisbusse sind klar getrennt vom Linienbusverkehr (Ostseite). Die für die Mobilitätsstation (Fahrradstellplätze) vorgesehene Fläche erscheint überdimensioniert.
Die Wegeführungen für Fußgänger, Radfahrer und Busse sind funktional schlüssig angeordnet und kommen mit wenigen Kreuzungspunkten aus. Die Wegebeziehung zwischen den Verkehrsumsteigepunkten und dem prospektiven BUGA-Gelände ist nicht klar herausgearbeitet, es stellen sich Fragen bezüglich der Verortung der Übergänge, deren Dimensionierung und Ausbildung. Für die angedachte, großzügige Querung der Bleichstraße wird die Zustimmung des Straßenbaulastträgers erforderlich, was kritisch gesehen wird. Infopoint und Kiosk sind getrennt voneinander angeordnet. Insbesondere der Infopoint liegt abseits und schwer auffindbar im Bereich der Mobilitätsstation im Westen des Areals und wird von den Reisebuspassagieren schwer aufzufinden sein, das Kiosk liegt relativ weit entfernt von den Bushaltestellen der Reisebusse.
Die angedachten Überdachungslösungen in Form pilzartiger Schirme werden kontrovers diskutiert. Einerseits würdigt das Preisgericht den Wunsch der Verfasser, eine gewisse ikonografische Qualität der Überdachungsform zu schaffen, andererseits wird deren Anzahl, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit in Zweifel gezogen. Das Angebot an Überdachungen in unmittelbarer Nähe zu den Bussteigen ist sehr gering.
Die Flächenversiegelung der Arbeit liegt im mittleren Bereich. Durch die gewählte Ausrichtung der Wartebereiche und Fahrgassen gelingt es den Verfassern darüber hinaus, einen Großteil des Bestandsbäume zu erhalten, was begrüßt wird und die Platzatmosphäre positiv prägt.
Insgesamt stellt die Arbeit unter Würdigung aller Aspekte und unter Hervorhebung der gelungenen Makrodisposition der Funktionsverteilungen einen gelungenen Beitrag zur Lösung der Wettbewerbsaufgabe dar.
©club L94
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