Nichtoffener Wettbewerb | 05/2023
Neuordnung Areal Lehnstaffel in Kusel
©DGJ Architektur GmbH
Perspektive
ein 2. Preis
Preisgeld: 10.000 EUR
Stadtplanung / Städtebau, Architektur
Erläuterungstext
AUSGANGSLAGE UND NACHFRAGE
Bevölkerung und Perspektive
Kusel ist eine kleine Stadt, deren Bevölkerung eher schrumpft als wächst. Dem allgemeinen Trend folgend führt auch in Kusel der demographische Wandel zu einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung. Für diese Gruppe der Gesellschaft gibt es in Kusel nicht genug altersgerechte und barrierefreie Wohnungen. Eine Abstimmung mit dem Koordinator für Seniorenangelegenheiten der Kreisverwaltung Kusel ergab einen Bedarf an Betreuungsangeboten für Senior*Innen, weil in den vergangenen Jahren zwei Seniorentreffs geschlossen wurden. Es wurde bestätigt, dass ein neues Tagespflegeangebot gut angenommen werden könnte.
Nutzungskonzept
In Hinblick auf die insgesamt rückläufigen Bevölkerungszahlen sind vor allem ergänzende und spezifische neue Wohnangebote für ältere Menschen sinnvoll. Diese Angebote eröffnen dann an anderen Stellen in der Stadt freiwerdenden Wohnraum, der von Familien und anderen Bürger*innen genutzt werden kann. Barrierefreie und rollstuhlgerechte Wohnungen sind ein wichtiges Angebot für ältere Menschen, die schon lange in Kusel wohnen, dortbleiben wollen und jetzt oder später eine seniorengerechte Wohnung benötigen. Deswegen werden im entworfenen Neubau altersgerechter Wohnraum und ein Betreuungsangebot geschaffen.
Tagespflege
Im EG des Neubaus findet sich eine Tagespflege für ältere Menschen. Solche Einrichtungen werden vorzugsweise von den Sozialträgern betrieben. Als Träger wäre unter anderem die Diakonie denkbar, die bereits in anderen Projekten in Kusel Kooperationspartner der Stadt ist. Tagespflegeeinrichtungen bilden einen wichtigen Baustein der sozialen Infrastruktur in einer kleinen Stadt. Das Betreuungsangebot ist durch die zentrale Lage im Herzen der Stadt Kusel und die Nutzbarkeit des neugeschaffenen Außenraums und Parks besonders attraktiv. Es gibt einen nutzungsoffenen Mehrzweckraum für gemeinschaftliche Veranstaltungen (Musik- und Bewegungsangebote, Kaffee-Kränzchen, etc.).
Wohngemeinschaft mit Pflegeangebot
In den Obergeschossen sind Wohngemeinschaften für Senior*innen mit einem optionalen Pflegeangebot geplant. Eine aktuelle Nachfrage bei einem lokalen Pflegedienstleister in Kusel bestätigte die hohe Nachfrage nach altersgerechtem Wohnraum und Pflegeangeboten. In den WGs finden vor allem alleinstehende Senior*innen eine neue Perspektive für einen umsorgten Lebensabend. Durch die Tagespflege im EG haben die Senior*innen einfachen Zugang zu ergänzenden Angeboten und dem gemeinschaftlichen Außenbereich.
FREIRAUM UND STADTRÄUME
Stadtbühne und Kiosk
Die Schnittstelle zwischen dem Neubau und dem Freiraum bildet eine Stadtbühne, die dem Gebäude als teilweise überdeckter Außenraum vorgelagert und leicht erhöht ist. Dieser Außenraum ist vielfältig nutzbar: Im Alltag als Aufenthaltsraum, der vor Regen und Sonne schützt. Als Außenbereich für den Kiosk, der als eine Art Mini-Café Eis und Getränke anbietet. Die Stadtbühne kann aber auch als Veranstaltungsfläche für Konzerte, Theaterstücke oder andere Ereignisse genutzt werden, indem der angrenzenden Platz als Raum für Zuschauer*innen dient.
Freiraumkonzept
Vier Freiraumcharaktere verweben den Neubau an der Bahnhofstraße mit den bestehenden baulichen Strukturen des Lehnstaffelareals und dessen Umgebung in Kusel. Den Auftakt bildet der Lehnstaffelplatz, der als Vorplatz zum Neubau die Bahnhofstraße mit der Lehnstaffel verbindet. Die Platzgestaltung unterlegt das neue Gebäude und bindet so das bestehende Torgebäude und dessen Umgebung in das neugestaltete Ensemble ein.
Der Platzbelag bildet zugleich den Rahmen des Lehnstaffelparks, der sich in Verlängerung des Neubaus, vor der Stadtbühne als „grünem Wohnzimmer“ der Lehnstaffel, ausbildet. Diese multifunktionalen, innerstädtischen Grünflächen bilden das „grüne Herz“ des Lehnstaffelareals. Im südöstlichen Teil befindet sich die Stadtterrasse, bei der die bestehende Topografie genutzt wird, um den Freiraum bewusst in Szene zu setzen. Kleine Plateaus bieten eine hohe Aufenthaltsqualität mit Ruhebereichen. Die Stadtterrasse bindet die Oberstadt an den Altstadtkern an. Als Bindeglied zwischen den Freiräumen verläuft die Lehnstaffelachse barrierefrei von der Stadtterrasse im Osten, vorbei an Park und Neubau, zum westlichen Quartiersausgang Richtung Innenstadt Kusel. Die Achse liegt südlich des Parks und dient als grüner Filter zu den südlichen Nebengebäuden.
Freiraumgestaltung
Für den Belagsteppich des Lehnstaffelplatzes ist ein drainfähiger Pflasterbelag vorgesehen. Ein Wasserfeld bespielt den Platz zwischen Stadtbühne und Lehnstaffelpark. Der multifunktionale Park ist mit Spielmöglichkeiten, Ruhebereichen sowie einem Sinnesgarten ausgestaltet und bietet damit mehreren Generationen Raum zum Verweilen. Südlich benachbart durchzieht die Lehnstaffelachse mit einem Wechsel aus Belagsband und abgesenkten Verdunstungsbeeten das Areal, deren Endpunkt ein Wasserstein auf der Stadtterrasse ist. Gleichzeitig dient der Wasserstein als Gelenkpunkt zur Sitzstufenanlage der Stadtterrasse, die von Aufenthaltsplateaus und Sitznischen modelliert ist.
Die Plateaus der Stadtterrasse gestalten Blühfelder und Flächen für „urban gardening“. Der Baumbestand wird durch weitere schattenspendende Bäume ergänzt. Vereinzelte Blühfelder finden sich in der Lehnstaffelachse und im Park. Auch dort wird der Baumbestand durch Neupflanzungen ergänzt. Begrünte Bestandsmauern vervollständigen das Gesamtbild und wirken sich positiv auf das Mikroklima aus. Entlang der Bahnhofstraße befindet sich ein Kiss&Ride-Stellplatz für die Tagespflege. Weitere PKW-Stellplätze sind dezentral organisiert, einmal nördlich und einmal südlich des Parks, mit je einem rollstuhlgerechten Stellplatz. Die Fahrradstellplätze sind zentral neben dem Torgebäude angeordnet.
MOBILITÄTSKONZEPT
Autos und ruhender Verkehr
In der neuen Mitte können sich alle Menschen, vor allem Kinder, frei bewegen. Die Erschließungsbereiche zwischen den Gebäuden sind als autofreie Spielstraßen geplant und können als wertvolle Außenräume zum Aufenthalt genutzt werden. Autos dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Das Quartier bildet einen geschützten Raum, in dem sich Kinder und Erwachsene gerne aufhalten und ungestört bewegen können. Die PKWs werden zentral auf einer Quartiersparkierung abgestellt, in der alle Fahrzeuge effizient untergebracht werden können. Auf dem Grundstück sind nur Zubringer, Lieferverkehr, Ein- und Ausladen und die Müllabfuhr zugelassen.
Stellplätze Neubau
Im Hinblick auf das besondere Nutzungskonzept erfolgt eine detaillierte Berechnung des Stellplatzbedarfs. Für Altenwohnungen kann mit einem Beiwert von 0,2 gerechnet werden (LBauO Rheinland-Pfalz). Daraus ergibt sich ein Bedarf von 1 Stellplatz bei 3 WGs. Für den Besucherbedarf muss ein weiterer Stellplatz zugerechnet werden. Der Richtwert des Stellplatzbedarfs für die Tagespflege kann mithilfe des Stellplatzbedarfs für Kindertagesstätten geschätzt werden. Danach ist ein Stellplatz je 20-30 Personen angemessen. Bei 30 Besucher*innen der Tagespflege kann daher von 2 Stellplätzen ausgegangen werden. Der Stellplatzbedarf für die Büro- und Verwaltungsräume wird mit einem Stellplatz je 30-40qm Nutzfläche festgesetzt, sodass 1 Stellplatz benötigt wird. Für den Besucherbedarf müssen 20% zugefügt werden, entspricht insgesamt 2 Stellplätzen. Es werden maximal 6 Stellplätze. Insgesamt können auf dem Areal 10 neue Stellplätze nachgewiesen werden.
KONSTRUKTION, NACHHALTIGKEIT UND BAUKOSTEN
Der Neubau ist als Holzskelettbau konzipiert, was den Vorteil hat, dass das Gebäude später leicht umgenutzt werden kann, wenn der Bedarf für die geplante Nutzung nicht mehr gegeben sein sollte. Holz leistet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz und hat als regionales Baumaterial eine lange Tradition in Rheinland-Pfalz. Das Tragwerk ist ein effizientes Holz-Skelett mit Stützen und Unterzügen. Die Gefache werden mit Holz-Rahmen-Elementen ausgefacht, die Dämmung und Leitungen enthalten. Innen- und Außenwände können als Elemente vorgefertigt werden, in die Stützen und gegebenenfalls auch Unterzüge eingebaut sind. Auch die Oberflächen und Fassaden können schon im Werk aufgebracht werden.
Beurteilung durch das Preisgericht
Der Entwurf schlägt eine Aktivierung des Lehnstaffel-Areals mit einem einzigen Neubau vor, der zudem eine sehr spezifische Nutzung enthält. Diese Nutzung - seniorengerechtes und betreutes innerstädtisches Wohnen - wird plausibel aus Bedarfsanalysen hergeleitet und auf dem Wettbewerbsgebiet überzeugend platziert und entwickelt. Der neue Baukörper besetzt den ehemaligen Parkplatz an der Bahnhofstraße und bildet dort durch einen Rücksprung gegenüber der Bauflucht einen kleinen Vorplatz aus. Rückseitig orientiert sich der Bau mit einer aus dem Erdgeschoss herausgedrehten überdachten Terrasse auf den als grüner Stadtplatz gestalteter Blockinnenraum. Mit Ausnahme des kleinen Kiosks auf der als Stadtbühne bezeichneten Terrasse verzichtet der Entwurf völlig auf öffentlichkeitswirksame Nutzungen. Im Erdgeschoss des Neubaus sind die kollektiven Bereiche des betreuten Wohnens angeordnet, die den Lebensalltag der Bewohner auf sympathische Weise mit dem öffentlichen Raum verbindet. Die halböffentliche Terrasse, die, leicht erhöht, den Bewohnern einen Überblick über das Geschehen auf dem Platz bietet und zugleich vom Platz aus als Bühne erscheint, fungiert hier in besonderer Weise als Schnittstelle zwischen dem Gebäude und dem Stadtraum. Die Obergeschosse enthalten einzelne Senioren-Apartments, die von gemeinschaftlichen Aufenthaltsflächen aus erschlossen werden. Das Dachgeschoss bietet eine großzügige Freiterrasse. Neben der wenig effizient genutzten Flächen des relativ großen Baukörpers wurde durch die Jury die Umsetzung der gewählten Konstruktionsart der Holzbauweise kontrovers diskutiert, die vor allem im Erdgeschoss wenig überzeugend an den umgebenden Stadtraum anschließt.
Der neue Stadtpark verknüpft in idealer Weise die verschiedenen vorhandenen Wegeverbindungen durch das Stadtquartier. Dies sorgt für eine gute Annahme dieses Freiraumes durch die Bevölkerung, die hier zukünftig neue ergänzende Angebote nutzen können. Diese Geste der sog. Stadtbühne lenkt den Blick auf weitere Angebote über den neuen Stadtplatz auf den Stadtpark, der sich von hier bis hin zur östlich aufsteigenden Stadtterrasse aufspannt.
Im Stadtpark sind Spielangebote, Ruhebereiche und urbane Gärten angeboten, die auch von den umliegenden Wohngebäuden genutzt werden können. Um dieses Ziel auch umfänglich zu erfüllen, fehlt es jedoch an einer deutlichen räumlichen Gliederung die Besucher und Anlieger durch eine spannende Raumfolge führt. Dies hätte durch eine geschickte Baumanordnung deutlicher herausgearbeitet werden können.
Die Arbeit wird jedoch insbesondere bezogen auf ihre Antwort auf den Klimawandel sehr positiv gewertet. Die Stadtterrasse soll in diesem Entwurf nicht nur Treppenanlage zur Lehnstrasse mit den dort vorhandenen Stellplätzen sein, sondern auch hier soll Urban Gardening, Blühwiesen und insbesondere eine Bühne für größere Veranstaltung stattfinden. Dies wird kritisch gesehen, da nicht zu erwarten ist, dass dieser Aufwand in dieser Topografie zum gewünschten Ergebnis führt und ob eine entsprechende Nachfrage dazu besteht. Insgesamt betrachtet ist die Arbeit eine gelungene Antwort auf die gestellte Aufgabe und die aktuellen Fragestellungen der zukünftigen Entwicklungen.
©DGJ Architektur GmbH
Lageplan
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Schwarzplan
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Grundriss Regelgeschoss
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Grundriss EG
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Schnitt
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Ansicht Ost