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Nichtoffener Wettbewerb | 06/2022

Quartiersentwicklung Mühlbachäcker in Tübingen

Vogelperspektive

Vogelperspektive

1. Preis

Preisgeld: 37.400 EUR

rheinflügel severin

Stadtplanung / Städtebau

NUWELA Büro für Städtebau und Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur, Stadtplanung / Städtebau

Erläuterungstext

Identität + Verbindung
Mit der Entwicklung der Mühlbachäcker zwischen der Zollern-Alb-Bahn und der Derendinger Straße schließt sich in Tübingen erstmals der städtebauliche Zusammenhang vom Schlossberg bis nach Derendingen. Damit kommt der Derendinger Straße als einziger direkter Straßenverbindung eine neue Bedeutung zu, obwohl nur wenige Neubauflächen an der Straße liegen. Umso wichtiger sind die Schnittstellen und Eingangsbereiche ins Innere des Quartiers, wo entlang der Konrad-Adenauer-Straße und der Wilhelm-Keil-Straße neue Adressen mit Bezug zur Mühlbachaue ausgebildet werden. Der zentrale Landschaftsraum bildet das identitätsstiftende Herz des neuen Quartiers und fungiert als städtebauliches Rückgrat. Die Mühlbachaue übernimmt in ihrer Linearität zudem eine verknüpfende Funktion für Fußgänger und Radfahrer von der Altstadt und dem Bahnhof im Norden nach Derendingen und dem neuen Siedlungsgebiet Saiben im Süden. Der Entwurf greift darüber hinaus jede weitere Möglichkeit der Vernetzung auf, jedoch sind die Anbindungen in Ost-Westrichtung aufgrund der Barrierewirkung der Bahntrasse im Westen und der Gewerbeflächen im Osten beschränkt. So ergeben sich vor allem im Norden und im Süden Knotenpunkte zur Quervernetzung, auf die der Entwurf mit Plätzen einschl. urbaner Erdgeschossnutzungen reagiert. Im Norden handelt es sich um einen Platz zwischen der Schellingstraße und der Mühlbachäckerstraße, welcher dem Mobilityhub mit Repaircafe zugeordnet wurde. Im Süden ist der Platz an der Einmündung der Himmelwerkstrasse in die Bachaue dem Nahversorgungszentrum auf dem S&K-Grundstück vorgelagert. Beide Plätze vermitteln in ihrer Geometrie und Gestaltung zwischen den vielfältigen Richtungen, welche hier zusammenkommen.

Struktur + Urbanität
Der städtebauliche Entwurf befreit den Ort von seiner Monofunktionalität und schenkt ihm eine seinem Potential entsprechende urbane Struktur. Hierzu wurde der geschwungene Verlauf der Konrad-Adenauer-Straße und der Wilhelm-Keil-Straße aufgegriffen und zu einer mehr oder weniger offenen Blockstruktur mit verschiedenen Sonderformen und einem hohen Grad Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Situation fortgeschrieben. Es handelt sich damit gleichwohl um eine robuste wie undogmatisch flexible Struktur. Der hohe Grad an Anpassungsfähigkeit besteht hinsichtlich der Belegung der Baufelder mit unterschiedlichen Typologien. Hier soll nachhaltig funktionale Flexibilität sichergestellt werden. Die Robustheit geht vom urbanen Gerüst aus, welches die grundsätzliche Morphologie, die Widmung der öffentlichen Räume und die „Aktivierung“ verschiedener Erdgeschosszonen festlegt.

Maßstab + Nutzung
Hinsichtlich der Nutzung gliedert sich das Quartier in einen von Behörden und Verwaltungseinheiten geprägten nördlichen und einen durch Wohn- und Mischnutzung geprägten südlichen Teil. Dabei stellt der südlichen Teil den Übergang zum Stadtteil Derendingen her, welcher mit diesem verschmilzt. Folglich wird in diesem Bereich das neue Nahversorgungszentrum sowie eine Kita vorgesehen. Die neuen baulichen Strukturen vermitteln in Höhe und Dichte zwischen den großmaßstäblichen Behördenbauten im Norden und den kleinteiligen Wohnstrukturen Derendingens. Dabei orientieren sich die neuen Behörden und Verwaltungsbauten an ihren nördlichen Nachbarn und stellen einen fließenden Übergang zur neuen Wohnbebauung her, welche im Zentralbereich ebenfalls bis zu 7 Geschosse erreicht. Von dort aus staffelt sich die Bebauung im Übergang zu den bestehenden Wohngebäuden auf 3 Geschosse herunter, sodass eine zusammenhängende Einheit als größeres Ganzes entsteht.

Freiraum + Wasser
Herzstück des neuen Quartiers ist die zu einem Auenpark gestaltete Landschaft des Mühlbachs. Das Wasser spielt auch bei der Gestaltung der beiden Plätze eine entscheidende Rolle. Mit langen Bänken entlang der Wasserlinien entstehen Orte von hoher Aufenthaltsqualität. Hierdurch kann die atmosphärische Qualität des Gewässerlaufs unmittelbar in das Leben und den Alltag des Quartiers verankert werden. Den Plätzen sind zudem Spielbereiche in den angrenzenden Grünflächen des naturnah gestalteten Auenparks zugeordnet. Die topografische Gestaltung führt das anfallende Regenwasser über offene Rinnen in die Freiflächen des Auenparks, wo es dezentral zurückgehalten und versickert werden kann. Bei Starkregenereignissen dienen weitere Flächen in den Grünräumen als Versickerungsvolumen, sodass  eine vollständige Versickerung des anfallenden Regenwassers im Bereich des Wohnquartier sichergestellt ist. Ziel ist es, das gesamte Regenwassersystem in seinem nachhaltigen Ansatz sicht-, nutz- und erlebbar zu machen. Auch das Abwasser des Quartiers wird lokal aufbereitet und in den Energiekreislauf eingebunden.

Innere + äußere Erschließung
Ein attraktives Nahmobilitätsnetz verknüpft den Mobilityhub als multimodalen Knotenpunkt im Norden mit allen Teilbereichen des Quartiers einschl. weiterer Haltepunkte des ÖV. Insofern wird hier zwischen der inneren und äußeren Erschließung unterschieden. Mobilityhub und ÖV-Haltepunkte bilden die wesentlichen Schnittstellen zwischen der inneren und äußeren Erschließung, welche im Sinne eines autoarmen Quartiers klar voneinander getrennt werden. Die primäre Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz erfolgt über die Regionalbahnhaltepunkte. Ergänzend verkehren Buslinien und sorgen für eine lückenlose Abdeckung. Die Busse stellen zudem eine Verknüpfung zu den benachbarten Stadtteilen her, welche nicht über den Schienenverkehr erreichbar sind. Um eine möglichst autoarme Mobilität sicherzustellen, wird der MIV an den äußeren Schnittstellen über den Mobilityhub im Norden und Tiefgaragen im Süden abgefangen. Umso mehr Bedeutung erhält das Radwegenetz. Die Hauptachsen bilden die Wilhelm-Keil-Straße als Fahrradstraße und die Himmelwerkstrasse. Hierüber wird auch eine Anbindung an das Zentrum sowie das regionale Radwegenetz mit Verbindungen ins Umland sichergestellt. Um die Nahmobilität bestmöglich zu fördern sind ausreichend dimensionierte und optimal platzierte Rad- und Lastenradabstellanlagen sowie dezentrale Mobilpunkte vorgesehen. Die Radstellplätze am neuen Bahnhaltepunkt sind als Bike&Train Anlage optimal integriert, um einen attraktiven Übergang vom Rad in die Bahn sicherzustellen. Für eine zeitgemäße Mobilität mit geringem MIV-Anteil sollten Tickets und Sharing-Zugänge allen neuen Bewohnern und Beschäftigten automatisch zur Verfügung gestellt werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser ergänzen die vorgefundenen heterogenen Strukturen mit offenen Blockstrukturen und akzentuierenden Sonderformen. Diese gruppieren sich spannungsvoll um einen kraftvoll herausgearbeiteten Mühlbachpark. Sie entwickeln so ein erstaunlich ruhiges wie robustes Grundgerüst für die zukünftige Entwicklung des Areals.

Mit den halboffenen Blöcken und dem eloquenten Spiel mit polygonalen Flügeln werden räumliche Fluchten zu den angrenzenden Strukturen sinnfällig aufgenommen und in den durch das Terrain vorgegebenen Drehungen geschickt weitergereicht. Konsequent ist der Umgang mit der Höhe im Ganzen – der mittige Bestandsbau als solitäre Dominante, das Quartier mit einer mehr oder weniger einheitlichen Höhe, einer bewussten Setzung am Parkrand und einer subtilen Betonung von Querungen und Ecken. Im Detail jedoch bewegen sich die Baufeldgrößen am unteren Limit, die polygonalen Formen schränken die spätere architektonische Bespielung ein und insbesondere im Westen erscheinen die dargestellten Höfe doch recht beengt. In einer möglichen weiteren Bearbeitung wären die Blöcke mit mehr Nutzungsoffenheit weiter zu entwickeln.

Gut eingebunden ist der Nahversorger im Süden, ist er doch als gelungenes städtebauliches Gelenk am Ende der Konrad-Adenauer-Straße und der Parkengstelle inszeniert und verkehrlich mit der neuen Querspange nach Osten gut eingebunden.

Entlang der Konrad-Adenauer-Straße verstärken die neuen Blöcke spanungsvoll das besondere Raumgefühl der geschwungenen Straßenführung. Kleinere eingespannte Pocket-Squares bilden willkommene öffentliche Trittsteine und atmosphärisch ansprechende kleinere Aufenthaltsbereiche entlang des linearen Verkehrsraumes. Die bis zu den Einfahrten an der Derendinger Straße herangeführten Bauten verweisen adressbildend gut auf das rückwärtig liegende neue Quartier. Der rückwärtige Übergang zur Bestandsbebauung erfolgt gut in Körnung und Höhenabstufung. Ob sich die Idee des gebundenen Straßenraums auch noch über einen ergänzenden Baustein nördlich des Regierungspräsidiums vervollständigen lässt, sollte bei einer möglichen weiteren Bearbeitung untersucht werden. Interessant wäre auch eine Überprüfung des Ergänzungsbausteins der KSK. Hier bieten sich noch Entwicklungsmöglichkeiten für den Entwurf.

Der Park ist die neue gemeinschaftliche Adresse des Quartiers. Er entwickelt sich bandförmig in Nord-Süd-Richtung und integriert geschickt im lichten Hain die eingeschränkt zugänglichen Freiflächen im Bestand. Er öffnet hauptwegebegleitend und mit ausreichender Weite den Orientierung gebenden Blick in Richtung Innenstadt. Das dabei der Weg bachbegleitend im Tunnel unter der B28 zum Steg und weiter nach Norden geführt wird, mag aus dem Konzept nachvollziehbar sein, wird jedoch im Blick auf Aufwand und Sicherheitsaspekten kritisch diskutiert. Städtebaulich richtig binden die Querwege in Ost-West Richtung an und werden mit einladend offenen Räumen auch lesbar im Freiraum geführt.

Überzeugend ist der südliche Abschluss mit einer deutlich zurückspringender Raumkante. Es entsteht ausreichend Raum für die Querung des Baches und die freiräumliche Umlenkung in Richtung Himmelwerkstrasse. Der räumlich angemessene städtebauliche Übergang nach Osten ist nur durch eine unterdurchschnittliche Geschossfläche in diesem Bereich möglich. Über das Gesamtgebiet bewegt sich die Arbeit im Durchschnitt der eingereichten Arbeiten.

Mit ihrem konsequenten Grundkonzept, dem stringenten Katalog der ergänzenden Elemente, der gekonnten Verflechtung der Strukturen und dem kraftvollen Bekenntnis zu einem lesbar adressbildenden inneren Mühlbachpark bietet die Arbeit einen guten Beitrag für die zukünftige und auch langfristige Entwicklung dieses Areals.
Lageplan

Lageplan

Nutzungsverteilung

Nutzungsverteilung

Schwarzplan

Schwarzplan