kooperatives Werkstattverfahren in 2 Stufen | 05/2023
Umbau Karstadt an der Müllerstraße in Berlin-Wedding
©Baumschlager Eberle Architekten
1. Preis
Preisgeld: 30.000 EUR
TGA-Fachplanung, Tragwerksplanung
Erläuterungstext
Leitidee zum städtebaulich-architektonischen Konzept
Das heutige Gebäude der Galeria Kaufhof schöpft seine städtebaulich kontextuellen Möglichkeiten nicht aus. Der Bestandsbau schließt den Berliner Blockrand ab, ohne mit diesem zu interagieren. Der vorliegende Entwurf sieht vor den Bestand so zu ergänzen, dass die gewünschten neuen Nutzungen eine städtebauliche Synthese mit seiner Umgebung eingehen und zu einer Bereicherung aller zukünftigen Nutzer wird. Um dieses Ziel zu erreichen, werden folgende Maßnahmen getroffen: Der Sockel wird hofseitig bis an die Baugrenze erweitert. Auf dem dann neu entstandenen Sockel wird das Volumen nach oben hin nachverdichtet. In Form, Dimension und Maßstab sind diese Aufbauten an die angrenzenden ortstypischen Bauvolumina der Blockrandbebauungen angelehnt. Die neuen Häuser orientieren sich zum einen zum Innenhof der angrenzenden Blockrandbebauung, zum anderen zu dem umliegenden Straßennetz. Höfe rhythmisieren die neu geschaffene Struktur in gut belichtete Volumina neuen Maßstabs. Die beiden hinteren Häuser werden in der Hauptsache zum Gefäß für die neu zu schaffenden Wohneinheiten. Mehrheitlich kleine Wohnungen profitieren von der innerstädtischen Lage bei gleichzeitiger Intimität, die das Wohnen zum Hof Berlin-typisch ermöglicht. Die Wohnhäuser werden so in die vorgefundene Blockrandbebauung miteinbezogen und verbinden sich mit der städtebaulichen Großfigur des Blockrandes. Zur Müllerstraße hin zeichnen sich 3 Häuser heraus die auf dem tragenden Sockel des Warenhauses zum Stehen kommen. Oberhalb des Warenhauses (UG1, EG und OG1) entsteht einer Art Piano nobile für diverseste Nutzungen. Eingeschnittene und reich begrünte Höfe verbinden den Innen- und den Außenraum. In den Bürogeschossen ermöglichen Loggien in den Außenraum zu treten. Auf den obersten Ebenen werden für Bewohner, Mitarbeitende und Besucher weitere Grün- und Terrassenflächen zur Verfügung gestellt. Zwischen den aufgehenden Häusern gelegen sind diese als Plätze und Erweiterung des öffentlichen Raumes zu verstehen. Der Himmel über Berlin wird den Nutzern ein Stück nähergebracht.
Nutzungskonzeption (Tag/Woche)
Das Haus an der Müllerstrasse 25 wird von seiner heute monofunktionalen Nutzung in ein mit unterschiedlichsten Nutzungen bespieltes Gebäude mit gleich mehreren Adressen umgewandelt. Ein Haus für alle muss flexibel auf die Anforderungen seiner Nutzer reagieren: Nutzungen des Gemeinwohls, Büroflächen, Wohnungen, Kaufhaus, Einzelhandel und Gastronomie finden unter einem Dach platz. Logistisch ermöglicht eine breite neue Infrastruktur an Treppen, Personenaufzügen und Warenlifte, dass ein gleichzeitiger Betrieb der unterschiedlichen Nutzungen zu jeder Tages- und Nachtzeit gewährleistet werden kann. Von den Kernen aus können in den Obergeschossen Mieteinheiten mit einer Zielgröße von 400 m² angesteuert und erschlossen werden. Ähnlich einer Wirbelsäule können die Kerne intern optional verbunden werden und somit größere bis maximal geschossgroße Flächen zusammengeschaltet werden. Die neue Struktur bietet nicht weniger als die maximale Flexibilität. Das Warenhaus kann aus der Ebene Erdgeschoss und optional auch aus der Ebene -01 (U-Bahn) direkt erschlossen werden.
Nachhaltigkeit
Durch die im Folgenden aufgeführten Punkte wird im besonderen Umfang der Reduktion der grauen Energie Rechnung getragen:
- Weitestgehender Erhalt der Tragstruktur.
- Aufstockungen in Holz-Hybrid Bauweise
- Wiederverwendung des Abbruchmaterials z.B. für Recyclingbeton
- Dichte hochgedämmte Gebäudehülle -> Senkung des Gebäudeenergiebedarfs
- Verwendung von regenerativen Energien, um das Ziel von Zero Betriebsstoffemissionen zu erreichen
- Maximierung der für PV zur Verfügung stehenden Dachflächen
- Solarthermie für die Wohnungen
- Wärmerzeugung durch Niedertemperatursysteme wie z.b.: Fußbodenheizung, Deckenheiz- und kühlsegel
- Nutzung von Niedertemperaturkreisen, um Abwärme- und Wärmebedarfe auszugleichen.
- Mögliche Energieträger als Kombination aus Abwärme, Geothermie, Fernwärme, Ökostrom
- Kälteerzeugung durch: Geothermie und Luftwärmepumpen
- Reduktion der RLT Anlagen durch möglichst viel Fensterlüftung und dezentrale fassadenintegrierte
Lüftungsgeräte/Wärmetauscher
- Optimierte Tageslicht Beleuchtung
Nutzungsneutralität
Einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit erzeugt die Konstruktion. Das bestehende und neue Stützenraster mit der neuen Stellung der Kerne ist so gewählt, dass sinnvolle Raumschichten und separierte, wie große zusammenhängende Flächen erstellt werden können. Das Konstruktionsprinzip eröffnet hochflexible nutzungsneutrale Innenräume, die heute und morgen flexibel auf die Themen der Gesellschaft und deren Anforderungen reagieren kann.
Beurteilung durch das Preisgericht
Durch den Aufbruch der monolithischen Blockstruktur gelingt es, Massivität zu reduzieren und eine verträgliche Höhenentwicklung zu generieren. Der Entwurf baut auf seinen Potentialen auf und optimiert Defizite aus der ersten Bearbeitungsrunde auf geschickte und durchdachte Art und Weise.
Entlang der Müllerstraße wird die geschlossene Fassade durch die „Kammstruktur“ aufgebrochen. Die extrahierten Höfe sichern in ihrer Dimensionierung nicht nur eine natürliche Belichtung der verschiedenen Nutzungen bis in die Erdgeschossebene, sondern fungieren gleichermaßen dank der hohen Aufenthaltsqualität als ergänzende Außenräume. Städtebaulich bringt der Entwurf eine Architekturhaltung hervor, die von innen nach außen funktioniert und sich aufgrund der geringen Gebäudetiefen positiv auf die Grundrissgestaltungen auswirkt.
Die Subtraktion an Volumen verleiht dem neu konzipierten Gebäudekörper eine Art aufgelockerte Bauweise entlang der Müllerstraße, die durch die rückversetzte Höhenstaffelung bestätigt wird und vermittelnde Übergänge zu den Nachbargebäuden aufweist.
Zum Blockinnenbereich hingegen verliert der Entwurf an eigenen Qualitäten und bildet eine weniger ausformulierte Gebäuderückseite aus, die mit ihrer Massivität eine unnötige Enge erzeugt.
Die Verkaufsflächen überzeugen in ihrer Komposition und ihren Qualitäten, um einen langlebigen und anpassungsfähigen Betrieb des Warenhauses zu gewährleisten. Der Zugang im Eckbereich Schulstraße / Müllerstraße wird in seiner Funktion als Entrée in den Gebäudekomplex unterrepräsentiert. Attraktoren, die in den Gebäudekomplex lenken und ein vermittelndes Angebot schaffen, fehlen.
Gute Lichtverhältnisse lassen moderne und flexible Grundrissvarianten der Büroflächen zu, die im Zusammenspiel mit den unabdingbaren Außenraumflächen Funktionalität und Flexibilität begünstigen.
Durch die konsequente Ausrichtung zu den ruhigen Blockinnenbereichen werden gute Wohnsituationen geschaffen, die mit klarer Adresse und nachvollziehbarer Erschließung dazu beitragen die Wohnnutzung als gleichberechtigte Struktur neben den weiteren Nutzungen in den Gebäudekomplex zu implementieren.
Besonders die Höfe, die dem Gebäude eine Leichtigkeit und Lockerheit verleihen, werden von der interessierten Stadtgesellschaft für gut befunden, da diese Einschnitte den unterschiedlichen Nutzungseinheiten eine natürliche Belichtung ermöglichen. Die Vor- und Rücksprünge der einzelnen Gebäudeteile als eher unruhig empfunden und die Schließung der Höfe als kastenförmige und verschlossene Wirkung der Fassade nach außen wahrgenommen. Der Konzentration der gemeinwohlorientierten Nutzungen konnten vor allem positive Aspekte zugeschrieben werden, wobei die Auffindbarkeit deutlich kenntlich gemacht werden müsste. Die Dachnutzung wird in der Mischung aus öffentlichen Nutzungen einschließlich konsumfreier Bereiche und Klimabelangen (PV-Anlagen) als gelungen bewertet. Die Lage der Wohnungen zum Innenhof mit Blick ins Grüne sowie die Vielzahl der Fahrradabstellplätze wurden wertgeschätzt, wobei deren Verortung als nicht präsent genug erachtet wurde.
Der Entwurf kreiert ein Haus, in dem verschiedene Nutzungen zusammenkommen, miteinander verzahnen und harmonieren. Durch den hohen Grad an Flexibilität wird ein resilientes Gebäude für alle Nutzungen erzeugt, dass unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Gremiums zur weiteren Bearbeitung als klarer Favorit hervorsticht und in der Gesamtheit überzeugt.
©Baumschlager Eberle Architekten
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