Offener Wettbewerb | 12/2024
Umgestaltung Barbarossaplatz in Berlin-Schöneberg
©WES LandschaftsArchitektur
3. Preis
Preisgeld: 13.183 EUR
Landschaftsarchitektur
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Verfasser:
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Mitarbeitende:
Stefan S. Weber, Israt Jahan Nishat, Aliaksandra Dalmatava, Zhiyuan Jiang
Erläuterungstext
Ein Gartenplatz für den Barbarossakiez
Städtebauliche Reparatur
Die fünf, genau genommen sechs Öffnungen der einmündenden Straßen prägen als städtebauliche Achsen den Charakter des Platzes. Jedoch dominieren die Straßenöffnungen ihn heute unangemessen stark, da die raumbildenden Platzkanten der Vorkriegsbebauung zum großen Teil fehlen und durch den Wiederaufbau nicht adäquat ersetzt wurden. Der Platzraum ist durch die zu großen Öffnungen nicht angemessen gefasst, wodurch der Platz Schwierigkeiten hat, ein Raumgefühl mit Aufenthaltsqualität zu vermitteln. Die prächtigen vorhanden Platanen schaffen es, den Charakter des Platzes zu prägen aber die fehlenden prägenden Wände dieses Stadtraumes können sie nicht ersetzen. Um den Raum mit den vielen auf ihn treffenden Achsen und den zu großen Platzöffnungen zur Ruhe zu bringen, wird vorgeschlagen die grüne Platzmitte zu stärken, zu vergrößern und dem einen Ruhepunkt entgegenzusetzen: das „Grüne Wohnzimmer“.
Die Neugestaltung des Barbarossaplatzes eröffnet die Chance, den Platz aus dem ihn einschnürenden Korsett des Kfz-Verkehrs zu befreien und in einen Freiraum von ökologischer und gestalterischer Qualität in ein „Grünes Wohnzimmer“ zu überführen. Der Wandel des heute noch durch den Verkehr geprägten Transferraumes hin zu einem Platzbereich als Aufenthalts- und Verweilraum, Ort des sozialen Lebens und der Naherholung. Die Idee für das „Grüne Wohnzimmer“ schafft eine starke unverwechselbare Adresse als „grüne“ Mitte.
Eine starke Mitte und vielfältige Ränder
Um den größtmöglichen Raum für eine starke Mitte zu schaffen, werden die erforderlichen Fahrbahnen für den Radverkehr und den MIV gemäß dem vorliegenden Gutachten gebündelt und neben Gehwegen und Sickeranlagen an den Platzrand gerückt. Die wird durch reduzierte Lärmemissionen (Entfall der Parkplätze, geplanter Einrichtungsverkehr und durch Modalfilter gestärkter Radverkehr) nachbarschaftsverträglich ermöglicht. Die Fahrbahn an der Ostseite des Platzes sowie vor dem Schulgebäude entfallen zugunsten der Platzmitte und nehmen neben den Fußgängern auch den dort erforderlichen Rad- und Rettungsverkehr auf.
Die Platzränder werden berlintypisch durch Gehwege mit Gehwegplatten begleitet, deren Baumbestand behutsam ergänzt wird. Am Übergang zu den auf den Platz treffenden Straßen wird die Fahrbahn verengt, so dass sich einfahrender Verkehr sich verlangsamt und dem Fußgänger mehr Platz zugewiesen wird. Gestalterisch öffnet sich die Platzfläche bereits hier und der Barbarossaplatz gewinnt an Raum. Zwischen der Schwäbischen Straße und der westlichen Barbarossastraße entsteht hierbei ein kleines Stadtplätzchen, was durch eine bodenbündig eingelassene wassergebundene Wegedecke mit Sitzmöglichkeiten betont wird und zu einem kleinen Nachbarschaftstreffpunkt mit ganz eigener Identität werden kann.
Am Übergang zum Alice-Salomon-Park entsteht eine weitere Aufweitung die an einem Verkehrsknoten von Fuß- und Rad-Verkehr mit einem Mobility-Hub (Jelbi-Punkt) aufgewertet wird. Er bildet den Eingang zum Park, der von Unterwuchs befreit, Blickachsen längs der wichtigen Fußverbindung Hohenstaufenstraße – Paulus Kirche zulässt. Ergänzend dazu sollte die Grenze zu dem Flachbau mit dichten Sträuchern so abgepflanzt werden, dass ein breiter räumlicher Rücken für einen schmale Aufenthaltsfläche entsteht mit Blick auf den neuen Platz und mit genügend Abstand zum Supermarkt. Ein drittes Plätzchen entsteht dank der Wendeschleife an der östlichen Barbarossastraße. Im direkten Bezug zum Schulgebäude ist hier Raum für den Bibliotheksbus, der in den übrigen Zeiten mit der angebotenen Boden-Schach und Mühle Fläche als Treffpunkt zum gemeinsam Spielen genutzt werden kann. Spielsteine könnten beispielsweise vom Schulwart geliehen werden. Zwischen Barbarossastraße und Schule sind auch Märkte und kleine Quartiersfeste vorstellbar.
Um den Kinderbrunnen wird eine Grüne Mitte geschaffen, die sich bis an die Platzränder spreizt, um Raum und Kraft zu gewinnen. Üppig an den Rändern mit Sträuchern bis zu 1 m Höhe und davor liegenden Wiesenflächen bepflanzt, schafft sie einen Raum mit eigener, intimer Qualität und behält gleichzeitigen den Bezug zu dem prägenden Schulgebäude, ohne den Blickbezug zu den Platzrändern zu verlieren. Das Baumdach der vorhandenen Platanen scheint wie in einer übergeordneten Ebene über dem Platz zu schweben – welches durch kleinere Bäume zweiter Ordnung ergänzt wird und einen Bezug zu dem neunen Grünraum und den Platzrändern schafft.
Der neue Platz zwischen Schule und Kinderbrunnen bietet sich als ein aktiver multicodierter Raum an. Er ist als deutliche Geste der Verortung von Schule im Quartier zu verstehen und dementsprechend zu nutzen, wie auch als neuer Treffpunkt für Anwohner*innen und Besucher*innen. Abgesehen davon schafft die Verortung der Aufenthaltsfläche einen leichten Bezug zur historischen Gestaltung und rückt den Brunnen in seiner zentralen Lage gleichzeitig an den Rand des Zentrums. Eine der besonderen Qualitäten ist das unter Denkmalschutz stehende Schulgebäude als stadträumliche Dominante am nordöstlichen Platzrand und der städtebaulich darauf Bezug nehmende Kinderbrunnen. Dieser besondere Zusammenhang wird durch einen sich dazwischen aufspannenden, offenen und multicodierten Freiraum zum Ausdruck gebracht. Er verleiht dem Barbarossaplatz eine geschützte, barrierefreie Erreichbarkeit mit einem eindeutigen Bezug zu dem Gebäude am Platz, in dem heute die Grundschule am Barbarossaplatz sowie die Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg als zwei zentrale Anlaufstellen des Stadtbezirks verortet sind. Dabei wird dem Umstand, dass die Grundschule mit offenem Ganztagsbetrieb in Kooperation mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus zusammenarbeitet Rechnung getragen, in dem die intensiven fußläufigen Beziehungen zwischen beiden Einrichtungen durch die Anbindung des Platzes an die östliche Barbarossastraße sowie an den Alice-Salomon Park der nötige Raum gegeben wird. Auch die Wochenendöffnungen des Gebäudes durch den Volkshochschulbetrieb werden mit Angeboten wie z. B. Schach und Mühle und neuem Raum für Kurse unter freiem Himmel strategisch genutzt und das Gebäude noch stärker im Kiez verankert.
Um diese Freifläche herum ordnen sich unter den Baumkronen Liegewiesen und schützende Strauchbänder an. Sie bilden einen ruhigen Raum, bieten Schutz und schaffen Distanz zu dem schnelleren, von Verkehrsflächen geprägten Rahmen. Die Grüne Mitte bietet sich so attraktive Aufenthaltspunkte wie auch Rückzugsmöglichkeiten neben einem lebendigen Treffpunkt in der Nähe der Schule – im Bereich um vorhandenen Platanen.
Die leicht geschwungenen und sich zu Sitznischen aufweitenden diagonalen Platzquerungen ergänzen das Angebot, werden unaufdringlich in diese Pflanz- und Wiesenflächen integriert und führen in Ihrem Verlauf am Kinderbrunnen vorbei über die neue Aufenthaltsfläche am Brunnen und dem Treffpunkt vor dem Schulgebäude.
Die Anordnung der Wege- und Aufenthaltsflächen ist so gewählt, dass immer ein Abstand von mind. 1 m zum Stamm der vorhandenen Platanen berücksichtigt wird, um die Wurzeln zu schonen.
Das neue Grüne Quartierswohnzimmer bietet vielfältigste Aufenthalts- und Begegnungsmöglichkeiten für die Nachbarschaft und Besuch.
Vegetationskonzept
Das Vegetationskonzept unterstützt unter Einbeziehung der imposanten Bestandsbäume die städtebaulichen, räumlichen und gesellschaftlichen Zielstellungen:
Die alten Platanen transportieren neben der denkmalgeschützten Fassade, dem Kinderbrunnen und der historisch angelehnten Grundstruktur, den Genius Loci des Barbarossaplatzes in die heutige Zeit. Ein Rahmen aus Zürgelbäumen und die Strauchbänder der Grünen Mitte bilden die benötigte Raumstruktur, die durch den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben ist. Die Strauchbänder aus Pfaffenhütchen (Euonymus), Prunkspiere (Exochodra), immergrünem Zwergliguster Lodense (Ligustrum vulgare 'Lodense') und punktuell Reitgras (Calamagrostis) schaffen den Spagat zwischen historischem Schmuckplatz (Blüten und Herbstaspekt), Vogel und Insektenweide sowie Leichtigkeit ohne hohe Anforderungen an die Pflege (kleinbleibende Sorten) zu stellen.
Niedrige und gern mehrstämmige Arten wie Gelbholz (Cladrastis) und Sunburst-Gleditschie schaffen mit ihren gefiederten Blättern unter den Platanen eine zweite Baumebene mit einem lichten, lockeren Blätterdach und betonen den gärtnerischen Charakter der Grünen Mitte.
Die umgebenden Straßenalleen werden mit den jeweils etablierten Arten ergänzt.
Baumschutz und Baumvialität
Die Baumvitalität wird durch spezifische Maßnahmen sowohl für Bestandsbäume als auch Neupflanzungen langfristig gesichert. Um die alten Platanen werden, wo eine Flächenbefestigung aufgrund des Nutzungsdrucks unumgänglich ist, Metallgitter als Wurzelbrücken auf punktuellen Schraubfundamenten eingebaut. Wurzelschachtungen verhindern, dass dabei Hauptwurzeln verletzt werden. Alte Baumquartiere werden vorsichtig optimiert, soweit sinnvoll und möglich durch vergrößerte und begrünte Baumscheiben sowie Optimierungen im Wurzelraum. Neue Baumquartiere werden über die FLL-Anforderungen hinaus gehend dimensioniert, belüftet, miteinander verbunden, begrünt und über die Oberflächentopografie oder Anschluss an die Entwässerungsobjekte bewässert.
Materialität
Für die Gehwege an den Platzrändern wird die berlintypische Verwendung von Mosaiksteinpflaster mit Gehstegen aufgegriffen. Für die erweiterte Platzfläche im Übergang zur östlichen Barbarossastraße sowie zum Alice-Salmon-Park wird als sich aufweitende Gehwegflächen ebenfalls Mosaiksteinpflaster vorgeschlagen. In diesen Bereichen kann das vorhandene Material zu voraussichtlich 100% wiederverwendet werden. Das Mosaikpflaster wird mit dazugekauftem Material gemischt und integriert sich damit unauffällig in die Oberfläche. Um den Gartencharakter zu unterstützen, wird für die Wege und Aufenthaltsflächen in der Platzmitte wassergebundene Wegedecke mit enzymatischer Stabilisierung vorgeschlagen, alternativ wäre auch ein Mosaiksteinpflaster denkbar, das sich in der Gesteinsart von den Rändern absetzt. Zwischen den Stufen erhöht Rasenfugenpflaster den Anteil sickerfähiger Fläche. Die Stufen werden aus Naturstein und Mobiliar aus feuerverzinktem Stahl und unlackiertem Holz und damit vollständig wiederverwendbar hergestellt.
Mobiliar
Für die Bänke wird vorgeschlagen, das Modell „Parkbank Berlin“ aufzugreifen, was in dem Bayrischen Viertel häufig Verwendung findet.
Entwässerung
Das Regenwasser der verbleibenden Fahrbahnen wird entsprechend der heutigen Gefälleausbildung in Abhängigkeit vom Baumbestand und seinem Wurzelraum in angrenzenden Versickerungsflächen oder Sickermulden geleitet. Dabei werden besonders im Bereich der vorhandenen Bäume die Deckenhöhen so wenig wie möglich verändert und die Aufbauten der Fahrbahnen, wenn möglich erhalten. Tiefbeete werden nur dort eingesetzt, wo der Stauraum durch Mulden nicht ausreicht.
Im „Grünen Wohnzimmer“ wird das Regenwasser vom höchsten Punkt um den Brunnen in angrenzende Grünbereiche geleitet, wo es verdunsten bzw. versickern kann und sich bei Starkregen auch im Bereich der Strauchflächen in flachen Mulden aufstauen kann.
Das Regenwasser der Fläche vor der Schule wird über Kastenrinnen in vergrößerte Baumscheiben und Zisternen eingeleitet, die zur Bewässerung genutzt werden können. Nach dem gleichen Prinzip wird an den aufgrund der Nutzungen stärker befestigten Plätzchen vorgegangen.
Um in Zukunft die angrenzenden Dachflächen zum Teil anschließen zu können, wird vorgeschlagen, in den Bereichen außerhalb der vorhandenen Bäume einen Baumgrubenaufbau nach dem Stockholmer Modell zu wählen oder das Dachwasser unterhalb der Tragschichten in belastbaren Kiesskelettschichten zur Versickerung zu bringen.
Epilog
Das Potenzial des Barbarossaplatzes, sein besonderer, heute aber eher „schlummernder“ Charakter wird mit dem „Grünen Wohnzimmer“ und den „starken“ Rändern optimal und auf sehr überraschende Weise herausgearbeitet und als starke stadträumliche Adresse erlebbar zum Ausdruck gebracht. Das klare städtebauliche Prinzip, seine Orientierung und seine prägenden zusammenhängenden Flächen qualifizieren den Barbarossaplatz als städtebaulich prägenden besonderen Platz.
Dabei wird der entwurfliche Umgang mit Raum in seiner unterschiedlichen Wahrnehmung, gendergerecht (Übersichtlichkeit und Sicherheitsempfinden) und generationenübergreifend (Design for All), verstanden. Ebenso das Wissen um Vielfalt der Personengruppen und deren unterschiedliche Ansprüche an den Freiraum. Offenheit, Klarheit und neben aller Ökonomie eine gewisse Großzügigkeit vom Makro- zum Mikromaßstab finden sich an den entscheidenden Punkten, den Trittsteinen und Übergangsbereichen mit dem Ziel der Lesbarkeit des Ortes und der Vermeidung von Angsträumen.
Beurteilung durch das Preisgericht
Der Entwurf schafft - orientiert an der historischen Figur - eine starke Mitte mit hoher Aufenthaltsqualität. Er kreiert eine eigene Identität, in dem der Brunnen und die Schule sehr gelungen inszeniert werden. Die Auflagen des Denkmalschutzes werden erfüllt. Die angrenzenden Straßen und Wege werden konsequent aufgewertet und zur Platzmitte geführt. Es werden Nutzungskonflikte durch eine klare planerische Aussage minimiert. Der Platz ist von allen Richtungen erreichbar.
Mit einfachen Mitteln wird eine gut lesbare Stadtfigur ausgebildet: Um den Kinderbrunnen als gestalterisches und funktionales Zentrum der Anlage wird eine attraktive Rahmung entwickelt, die ein „Grünes Wohnzimmer als Angebot für die Anwohnenden formuliert.
Die Kante wird durch ein Strauchband gebildet, dass nach außen eine wiederkennbare Fassung und nach innen einen geschützten Raum ausbildet. Die Sichtachse zur Kirche wird beachtet. Der Strauchrahmen geht in eine Wiese über, die als multifunktionale Aufenthaltsfläche dient. Der Einsatz von Sträuchern zur Ausbildung der befürworteten Raumkanten wird kritisch diskutiert, da auf Grund der fehlenden Einsehbarkeit Angsträume entstehen können.
Die Volkshochschule bekommt mit der vorgesehenen Platzgestaltung und den Bänken eine besondere Aufenthaltsqualität als Treffpunkt für Schüler:innen und Abholende. Eine Besonderheit des Entwurfs sind die drei kleinen Plätzchen an den Einmündungspunkten der Straßen, die einerseits eine spielerische Nutzung erlauben und andererseits als Schleppkurve für große Fahrzeuge (Feuerwehr, Umzugs- und Entsorgungsfahrzeuge) dienlich sind. Der Entwurf bietet relativ wenige Höheproblematiken, damit ist die Barrierefreiheit herstellbar. Der Entwurf ist multifunktional codiert und kann weitere Nutzungsoptionen aufnehmen.
Unter Beachtung der Vornutzung werden vorhandene Materialien (Asphalt, Mosaikpflaster) wiederverwendet und mit ortstypischen Materialien ergänzt. Die wassergebundene Decke im zentralen Platzbereich wird aufgrund der Gefälle kritisch betrachtet.
Der Entwurf sieht ein konsequentes Längsparken vor, was für die Ausbildung einer Fahrradstraße Voraussetzung ist. Damit wird eine klimafreundliche Mobilität gefördert.
Das Niederschlagswasser soll auf dem eigenen Grundstück versickern. Dafür wird das Oberflächenwasser konsequent in Rigolen und Mulden abgeleitet. Die Verwendung von unterirdischen, überbauten Versickerungssystemen wird unter planungs- und bauzeitlichen sowie funktionalen Gesichtspunkten kritisch gesehen. Die vorgeschlagenen Zisternen sind unter Kostengesichtspunkten nicht realisierbar.
©WES LandschaftsArchitektur