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Nichtoffener Wettbewerb | 02/2025

Umgestaltung der liturgischen Mitte der Kathedrale St. Marien zu Lübeck

1. Preis

Preisgeld: 9.050 EUR

Riemann Gesellschaft von Architekten mbH

Architektur, Innenarchitektur

Erläuterungstext

Grundgedanken
Mit großem Respekt vor dem baulichen Kunstwerk St. Marien und ihrem Wiederaufbau nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg widmen wir uns der schönen Aufgabe, deren Inhalt und Zielsetzung mit „Umgestaltung der liturgischen Mitte“ aufgrund der Vielfalt an Anforderungen und Bezügen nur unzureichend benannt ist. Ein Gesamtkonzept muss gleichzeitig die Architektur der Kathedrale St.Marien und ihre baulichen Elemente respektvoll würdigen, um sie mit den neu gestalteten Elementen in einen erkennbaren, dialogisierenden Zusammenhang zu bringen, in der die architektonische und künstlerische Identität und Aussage jedes Elements ihren Platz hat.

Eingangssituation und Windfang
Der traditionelle und etablierte Zugang erfolgt von der südlichen Rathausseite. Die Kirchenbesucher treten durch einen kleinen Windfang, dessen bauliche Gestalt in die des gewachsenen Bauwerks fest integriert ist, in einen Kapellenanbau ein, der zusammen mit der Totentanzkapelle auf der Nordseite ein Querschiff andeutet. Diesen zweijochigen Raum insgesamt (z.B. mit einer Glaswand) abzutrennen, verbietet sich u.E. aus diesem Zusammenhang. Einen größeren Windfang einzubauen, halten wir für falsch - die vorhandene Architektur und Ausstattung des Raumes lässt befriedigende Anschlüsse nicht zu.
Nach Rücksprache mit Haustechnik-Planern ist der Vorschlag, innerhalb des bestehenden Windfangs eine Luftschleier-Anlage aus zwei vertikalen Stelen einzubauen (rechts und links der Tür, die eine ausblasend, die andere einsaugend).
Den Empfangs- und Verkaufstresen soll als freistehende, aus Holz und Glas konstruierte Box ausgebildet werden; die Besucherführung erfolgt dabei so wie heute, indem steckbare Metallbügel eine Wegeführung hinein und hinaus vorgeben. Die Wände des Kubus sind Raumabschluss und Präsentationsfläche zugleich: Auf der „Tresen“- Ebene lassen sich Vitrinen und Schubkästen für die Präsentation und Verkaufsgegenstände herausziehen. Vertikale Schiebeläden bilden in geöffnetem Zustand der Box eine Art Baldachin, der eine schützende Wirkung erzeugt und dem Körper eine prägnante Gestalt gibt. Die Detaillierung der Brüstungen und lichtdurchlässigen Läden nimmt Bezug auf die Gestalt des neuen Singechors. Ergänzt wird der Kubus durch niedrige regalartige Präsentationsmöbel entlang der Ostwand des Kapellenraums.

Singechor
Der Entwurf nimmt Bezug auf die historische Gestalt, wie auf die heutige bauliche Situation, in der die südlichen Reste des zerstörten Lettners gleichsam als Mahnmal gezeigt werden, während der nördliche Bündelpfeiler des Mittelschiffs beim Wiederaufbau nach Abbruch der Lettner- Reste ergänzt wurde. Wir finden „rechts“ (Süden) und „links“ (Norden) also ganz unterschiedliche Situationen vor, auf die reagiert werden muss. Die Gestalt des „Unterbaus“ (Lettners) bezieht sich auf das ursprüngliche und in Resten vorhandene Vorbild, interpretiert die historischen Formen von Pfeilern und Bögen aber neu: als hölzerne Konstruktion, in der die Ausbildung einer biegesteifen Rahmenecke in Form des flächigen Bogens das gestaltgebende Element ist. Die Konstruktion wird aus dreidimensionalen Rahmenelementen aus Holz vorgefertigt, die am Scheitelpunkt sichtbar vor Ort zusammengefügt werden. Die Konstruktion folgt exakt dem ursprünglichen Pfeilerrhythmus des zerstörten Lettners, dessen Fundamente noch vorhanden sein dürften und entsprechend genutzt werden sollen. Die Konstruktion ermöglicht auch, zu den Seiten hin auszukragen, so dass sie auf beide Situationen, dem Bündelpfeiler im Norden, wie dem Rest des historischen Lettners im Süden eingehen kann.
Über diesem tragenden „Unterbau“ kragt die eigentliche Singechor- Ebene aus; deren Brüstung geht dabei aus den kragenden Konstruktionselementen der Empore hervor. Die Brüstungsfelder werden mit einem akustisch durchlässigen „Geflecht“ aus Holz- und Messingstäben gefüllt.
Eine Podestanlage, deren Stufen flexibel ausfahrbar sind, ermöglicht das Musizieren sowohl in Richtung Hauptschiff als auch in Richtung des Chorraums. Eine hölzerne Spindeltreppe erschließt die Ebene.
Zur Verbesserung des Direktschalls bei musikalischen Aufführungen sind zwei textile Segel geplant, die aus einem entsprechend geeigneten, schweren und dichten Stoff bestehen und an Seilen abgehängt werden. Nach Gebrauch können sie zusammengerollt und direkt auf der Empore in den dafür vorgesehenen kastenartigen Hohlräumen gelagert werden.

Fredenhagen- Altar
Die Fotos nach erfolgtem Wiederaufbau, in denen sich der Altar noch bis 1959 an Ort und Stelle befand, sind beeindruckend und zeigen, auf welche Weise er den Chorraum fasst und abschließt. Der Wiederaufbau mit allen überlieferten Bauteilen und Skulpturen des Bildhauers Thomas Quellinus sollte die kritische Rekonstruktion der Fußbodengestaltung mit Stufen etc. einschließen, in der die erhaltenen Baluster der Brüstung als Zitate Verwendung finden können. Die restliche Brüstung soll gestalterisch zurückhaltend als Stahlgeländer (ohne Ausfachung) ausgeführt werden.
Der Chorraum wird mit den geplanten Maßnahmen deutlich als Raum im Raum verstanden und erfahr-bar werden; insgesamt sollte durch die entstehende Raumdifferenzierung ein besseres Verständnis der Architektur der Kathedrale, ihrer Entwicklung und der heute noch gut sichtbaren verschiedenen Elemente ermöglicht werden.

Liturgische Mitte
Durch die neue, sich auf die Baugeschichte beziehende und räumlich differenzierende Situation, die durch den Aufbau eines Singechores und des Fredenhagen-Altars entsteht, wird es besser möglich sein, Gottesdienste sowohl im Hauptschiff der Kirche zu feiern, wie auch im Chorraum. Die liturgische Mitte sollte nicht unmittelbar vor dem Lettner ausformuliert werden, weil in diesem Joch aufgrund der Querschiff- ähnlichen Ausbildung der Eingangs- und Totentanzkapelle eine zu starke Querachse mit der ihr eigenen Wegeführung vorhanden ist. Der Entwurf sieht eine liturgische Insel in Form eines einstufigen Podestes aus Gotlandstein im westlich gelegenen Joch vor. Auf dieser Insel wird der neu gestaltete Altartisch im Zentrum stehen, davor ein Lesepult (südliche Seite) und ein um drei weitere Stufen erhöhtes Kanzelpult (nördliche Seite). Die neuen Prinzipalien sollten sich in zu-rückhaltender formaler Gestalt und im Material auf die in der Kirche bereits vorhandenen Materialien beziehen - Gotland-Stein,(brüniertes Messing.
Die Typologie der Bestuhlung (Bänke oder Stühle) wurde nicht weiter gestalterisch vertieft. Aus gestalterischer Sicht sind Bänke wünschenswert; ihre feste Anordnung ist ein einem großen Raum wie dem von St. Marien hilfreich. Wie denken hier an eine Bank, deren Rückenlehne mit wenig Aufwand von der einen zur anderen Seite geschwenkt werden kann, um die Orientierung für Konzerte im Westen wenden zu können.

Taufe
Die Position des Taufbeckens im Westen als symbolischem Ort und, wie der Altar in der Raumlängsachse liegend, wird beibehalten. Es ist erforderlich, den Ort für die Aufstellung des Taufbeckens zu definieren und ihn im Fußboden durch Verwendung von Gotland- Stein kenntlich zu machen. Wegen der gewünschten Möglichkeit der Nutzung des Ortes unterhalb der neuen Orgel als Ort für die Kirchenmusik und für Konzerte sollte das Taufbecken im zweiten Joch des Hauptschiffs aufgestellt wer-den. Die achteckige Form des Fußbodenbelages, hier bündig ohne Stufe eingelassen, verweist auf die historische, im Krieg zerstörte Taufschranke. Die Bestuhlung kann für Tauffeiern, die nicht innerhalb eines Gottesdienstes gefeiert werden, kreisförmig um das Taufbecken angeordnet werden.

Lichterbaum
Als Kerzenort wird die nördliche Chorumgangskapelle vorgeschlagen. Während das südliche Pendant als Gedenkort in ihrer starken künstlerischen Ausprägung mit den „Gebrochenen Kreuzen“ von Günter Uecker etabliert ist, befinden sich hier Gedenktafeln für im Krieg gefallene Gemeindemitglieder. Der neue Gedenkort soll durch eine schulterhohe gebogene Wand aus brüniertem Messingblech gebildet werden und damit eine geschützte Atmosphäre für den Lichterbaum entstehen lassen. Während die bestehenden Gedenktafeln respektiert werden und sichtbar bleiben, rücken sie vorsichtig in den Hintergrund; das Licht der Kerzen wird in dem matt brünierten Messingblech weich widerscheinen. Zusammen mit dem Fußboden aus Gotland-Stein und den Schlichten Sitzmöbeln, bildet sie einen geschützten Gedenk- und Rückzugsort.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit überzeugt insgesamt durch einen sehr übersichtlichen und gut zonierten Grundriss und stellt die liturgischen und nutzungsspezifischen Aspekte in den Mittelpunkt. Die reflektierte Befassung mit der Thematik überzeugt, wie auch der vorzügliche Erläuterungsbericht.

Neuer Singechor (ehem. Lettner)
Die vorgeschlagene Holzkonstruktion wirkt leicht und filigran, der Lettner nimmt sich wohltuend zurück und dominiert den übrigen Raum nicht. Gleichzeitig ist er präsent und nimmt Bezug auf die „klassische“ Lettner-Form. Die Wirkung wird dadurch unterstützt, dass die Konstruktion frei im Raum steht und die bestehende Architektur respektiert.
Die Brüstungselemente aus einem Holz-Metall-Geflecht geben der Empore sowohl eine hochwertige als auch lebendige Anmutung. Die vorgeschlagene Holzfarbe harmoniert mit der historischen Farbigkeit der Wandoberflächen und Pfeiler.
Die in der Visualisierung dargestellte Neuanbringung der historischen Lettnerfiguren an den Pfeilern statt am neuen Singechor wird als unpassend bewertet.
Die Verwendung von beweglichen Segeln zur Schalllenkung erscheint gestalterisch nachvollziehbar, die vorgeschlagene technische Umsetzung bei Auf- und Abbau bedarf noch einer weiteren Erläuterung bzw. Ausarbeitung.

Boden
Die Wiederverwendung des heutigen Backsteinbodens aus den 50er Jahren wird vom Preisgericht außerordentlich begrüßt, auch die Beibehaltung der Höhenentwicklung. Der Hochchor wird durch eine Stufe betont, was allerdings nachteilig für die Erreichung der gewünschten Barrierefreiheit ist und eine zusätzliche bauliche Lösung erfordert. Die Neuanbringung der geborgenen Grabplatten am vorgeschlagenen Standort wird als sinnvoll erachtet.

Prinzipalstücke
Die Stellung des Altars wird sehr positiv bewertet. Sowohl die Erhöhung als auch die Fassung durch einen abweichenden Bodenbelag entsprechen den besonderen Nutzungsanforderungen. Die Höhe und die Position der Kanzel werden aus Sicht der Nutzung kritisch diskutiert. Dadurch, dass der Altar aus der „Laufzone“ der Vierungsachse in das Mittelschiff verschoben wird, bleibt die geforderte Flexibilität im Raum weitestgehend erhalten.

Taufort
Positiv bewertet wird die Lage im zweiten Joch, wodurch das Aufstellen eines Podests unter der Orgel ermöglicht wird. Besonders ansprechend ist die Ausgestaltung dieses Ortes, die durch die vorgeschlagene Bestuhlung gefasst wird und dennoch flexibel bespielbar bleibt.

Eingangsbereich mit Windfang, Ticketverkauf und Shop
Der Entwurf verzichtet zugunsten des Gesamtraumeindrucks bewusst auf einen zusätzlichen Windfang und setzt auf eine technische Lösung durch eine Luftschleier-Anlage. Diese grundsätzliche Entscheidung wird sehr begrüßt, die Wirksamkeit der technischen Lösung muss nachgewiesen werden. Für den Ticketverkauf und Shop wird ein freistehender, aus Holz und Glas konstruierter Kubus mittig in die Südervorhalle gestellt, wobei die geschlossene Fassade die Gestaltung des Singechors aufgreift. Die Schiebeläden lassen sich nach oben platzsparend öffnen, wodurch gleichzeitig ein einladender Eindruck entsteht. Der Kubus wirkt selbstverständlich und zeitlos, gleichzeitig aber in Material und Ausführung qualitätvoll, er korrespondiert mit dem Singechor.

Lichterbaum
Für den Lichterbaum wurde ein guter Ort gefunden. Seine Ausgestaltung wird als angemessen bewertet. Diskutiert wird, ob der Chorumgang an dieser Stelle zu sehr eingeschränkt wird.

Bestuhlung
Die geforderte Anzahl der Sitzplätze im Mittelschiff wird deutlich unterschritten, die der Sitzplätze im Chorraum hingegen übererfüllt. Das Mittelschiff profitiert deutlich von dieser Lösung, da sich dadurch ein aufgeräumter und gut strukturierter Grundriss erzielen lässt. Es wird angenommen, dass hier allerdings auch eine Ergänzung durch Zusatzbestuhlung möglich gemacht werden kann.

Zusammenfassend schafft die Arbeit 1002 einen überzeugenden Raum mit einem erkennbaren Gesamtkonzept mit qualitätvoller und nachhaltiger Ausgestaltung und Materialwahl. Die einzelnen Nutzungsbereiche werden in ein überzeugendes Gesamtkonzept geführt, der Charakter der Marienkirche bleibt respektvoll gewahrt.
Perspektive Kasse

Perspektive Kasse

Perspektive Singechor

Perspektive Singechor

Grundriss

Grundriss

Längsschnitt

Längsschnitt

Querschnitt

Querschnitt

Ansicht West Singechor

Ansicht West Singechor

Schnittansicht Singechor

Schnittansicht Singechor

Axonometrie Singechor

Axonometrie Singechor

offene Ansicht Kasse

offene Ansicht Kasse

geschlossene Ansicht Kasse

geschlossene Ansicht Kasse