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Kooperatives hochbauliches Wettbewerbsverfahren | 06/2024

Umgestaltung Wasserturm Umgedrehte Kommode in Bremen

2. Preis

Riemann Gesellschaft von Architekten mbH

Architektur

Erläuterungstext

Umgedrehte Kommode Bremen Kooperativer hochbaulicher Wettbewerb Erläuterungsbericht Riemann Gesellschaft von Architekten

Anforderungen an das Denkmal und prinzipielle architektonische Antwort
Der liebevoll- despektierliche Name „Umgedrehte Kommode“, den die Bremer ihrem Wasserturm gegeben haben, sagt einiges über dieses exzeptionelle Bauwerk aus. Die eigenwillig gestaltete Hülle um ein eigentlich technisches Bauwerk will diesen als Architektur, als Werk der Baukunst wahrgenommen wissen. Aus städtebaulicher Sicht ist ihm die Fernwirkung aufgrund seiner prominenten Lage, seiner Größe und nicht zuletzt seiner einprägsamen Form sicher. Aus architektonischer Sicht in näherer Betrachtung sind die unmittelbar in Erscheinung tretenden Massen, die „kolossale“ Gestaltung, und -trotz großflächiger Fenster- die Konnotationen mit Bildern einer wehrhaften Burg prägend.
Eine neue Nutzung muss sich mit dieser Wahrnehmung auseinandersetzen und beabsichtigte Veränderungen sorgsam abwägen. Das gilt auch für die Wahrnehmung der Innenräume, deren Bild neben der in Teilen „unpassenden“ Fassadengliederung durch die enormen Stahl-Tragkonstruktionen insbesondere der Decken geprägt wird, und nicht zuletzt durch die Veränderungen und Spuren, die im Verlauf der Zeit hinzukamen.
Unser Ansatz ist daher: der Erhalt der originären architektonischen Aussagen inclusive möglichst aller wesentlichen Schichten und Spuren. In die neuen Nutzungen als Gewerbe- und Büroräume und als Wohnungen sollen diese Spuren als prägende Besonderheit integriert werden. Dem Erhalt und der Lesbarkeit der Spuren stehen die formal und in ihrer Materialität erkennbar neuen „Schichten“ der geplanten Interventionen und Einbauten gegenüber.

Kesselhaus
Das Kesselhaus soll als Bürohaus genutzt werden. Es sind zwei unterschiedliche Prinzipien möglich: In der ersten Variante sorgt ein vom Innenhof zugängliches Treppenhaus für maximale Flexibilität der Aufteilungsmöglichkeiten in viele Einheiten unterschiedlicher Größe im EG und OG (mit Aufzug barrierefrei erschlossen).
Will man auf das Treppenhaus zugunsten maximaler Ausnutzung verzichten (Variante 2), so sind größere Einheiten möglich, die sich zum Teil über zwei Geschosse erstrecken.
Die Eingriffe beschränken sich auf den Einbau neuer Trennwände und einer Decke über dem EG. In jedem Fall sollen die Fachwerkträger des Hauptdachs im Obergeschoss sichtbar bleiben und dessen Räume mit ihrer Gestalt und der großzügigen Raumhöhe prägen. Die Belichtung dieser Räume soll über Lamellenfenster in der Dachfläche ergänzt werden. Die Fensteröffnungen der massiven Fassaden werden zum Teil bis auf die Sockelhöhe verlängert. Wir haben auf das ursprünglich vorgeschlagene „Weiterbauen“ ober-halb der bestehenden Anbauten im OG verzichtet. Der bestehende holzverschalte Dach-aufbau auf dem nordöstlichen Anbau soll zugunsten der wieder freigelegten Fassade des Haupthauses entfallen.
Neben diesen prinzipiellen Überlegungen zur Nutzung und Umgestaltung der historischen Substanz müssen die einzelnen Maßnahmen in Bezug auf Wärmeschutz und Bauphysik der Gebäudehülle genauer entwickelt werden. Die massiven Wände könnten hier mit einer wärmedämmenden Innenschale (z.B. Poroton mit Perlitefüllung) ergänzt wer-den. Die neuen Fenster sollen mit thermisch getrennten Stahlprofilen ausgeführt werden. Die Beheizung soll als Flächenheizung (Fußboden, Wand) ausgeführt werden.

Wasserturm
Der Innenhof zwischen Kesselhaus und Wasserturm dient als Begegnungsort der verschiedenen Nutzer der Häuser und soll auch gastronomisch genutzt werden.
EG Wir können uns nach wie vor eine gastronomische Nutzung des Erdgeschosses unter Einbeziehung der vielen Veränderungen im nordwestlichen Teil des Hauses gut vorstellen: dieser bietet sich mit seinen nachträglichen Einbauten, Kran-Laufbahnen usw. und der bestehenden Öffnung ins UG dazu gut an und wird eine ganz eigene Atmosphäre ausstrahlen. Eine gute Verbindung zum Innenhof ist über den östlichen Raumteil gegeben. Dementsprechend haben wir die Haupterschließung des Hauses (Sicherheitstreppenraum, Aufzüge und einen Vorraum mit Packstation etc.) nach wie vor in der südlichen Haushälfte vorgesehen. Sollte der Wunsch bestehen, das Restaurant gerne auf der Südseite zu etablieren, so könnten die Grundrisse entsprechend (im ganzen Haus) gespiegelt werden. Entsprechend dieser grundsätzlichen Verteilung der Nutzungen im EG und der Erschließung ergeben sich die Nutzungsverteilungen im UG (Mieterabstellflächen, Technikräume); diese werden hier nicht weiter beschrieben.
2./3.OG In diesen Etagen sollen im wesentlichen Maisonette- Wohnungen in engem Bezug zur bestehenden Gebäude- und Fassadenstruktur eingebaut werden. Auf die zweigeschossigen Fenster antwortet ein zweigeschossiger Raum, der Wohn- und Schlaf-ebene verbindet und die ursprüngliche Höhe der Räume erleben lässt. Die Einbauten sind als „hölzerne“ Einbauten gestaltet, deren wohnlich-warme Oberfläche im Kontrast zur Ruppigkeit des Bestandes steht. Die Balkone sollen ähnlich wie im Bestand vorhanden als sehr leichte Schicht vor den Fenstern bzw. oberhalb der Baluster ausgebildet werden.
4./5.OG Zur Nutzbarmachung und Belichtung des unbelichteten 4.OG schlagen wir vor, dieses mit dem 5.OG zu Maisonette- Büros zu gestalten. Das Licht fällt wie durch einen Obergaden auf die untere Ebene, die außer Nebenfunktionen im dunklen Raumbereich (WC, Teeküche) Großraumbüros und Konferenzräume bereithält.
6.OG Wegen der prägenden großen Fachwerkträger (Fischbauchträger) halten wir dieses Geschoss nicht gut für eine Wohnnutzung geeignet. Die Flächen können hier in unterschiedlich große Büros geteilt werden. Die Nebenräume sollen idealerweise in einer Raum-im-Raum-Lösung (Box) gebaut werden.
7.OG Die Lanzett- Fenster dieses Geschosses werden rundherum wieder geöffnet. An den Ecken lassen sich Veranda-artige Außenräume ausbilden, um die sich die Wohnfunktionen der großzügigen Geschosswohnungen gruppieren.
8.OG Wir haben die Fragen im Zwischenkolloquium und die Hinweise danach so verstanden, dass die von uns vorgeschlagene halböffentliche Nutzung dieser Etage kritisch oder als möglicherweise nicht angemessen beurteilt wird. Das oberste Ziel ist, wie beschrieben, der Erhalt und die Nutzbarmachung der originalen Bausubstanz und ihrer räumlichen Qualitäten. Das schlösse, wie ursprünglich vorgeschlagen hier auch Teile der Wassertanks im 7.OG und des Dachs mit ein. Ein Anheben des Daches würde die Nutzung als halböffentlichen Raum (Galerie etc.) zwar verbessern, aber nach unseren Untersuchungen keine andere Nutzung (z.B. für Wohnen wegen der fehlenden Befensterung mit Sichtverbindung nach außen) ermöglichen. Die Belichtung des Geschosses für eine Nicht- Wohnnutzung (z.B. Galerie) würde durch eine Verglasung in Dachebene (nahe der Traufe/ hinter der Attika verborgen) erfolgen. Unser ursprünglicher Vorschlag, das Dach zu erhalten, und dort eine solche halböffentliche Nutzung zu etablieren, besteht also nach wie vor.
8./ 9.OG Alternativ dazu haben wir eine Lösung für eine Wohnnutzung in dieser besonderen Lage entwickelt und dargestellt. Diese beinhaltet den Abbruch des bestehenden Daches und den Aufbau eines neuen Baukörpers (im 9.OG) mit Abstand zur historischen Kubatur. Hier sollen Maisonette-Wohnungen entstehen, deren Schlafräume (8.OG) um einen nach oben offenen Patio orientiert sind. Die Wohnebene darüber (9.OG) mit groß-zügig befensterten Fassaden und Ausblick über die Stadt nutzt die Dachbereiche ober-halb des Schlafgeschosses (8.OG) als Terrassen. Entlang der Außenmauer/ Attika gelangt man zu den Turmräumen, die als „Pavillons“ genutzt werden können. Das Aufgeben des originären Daches erfordert u.E. eine klare architektonische Formulierung des neuen Abschlusses, die respektvollen Bezug nimmt auf den Bestand und zugleich sich verständlich lesbar von ihm unterscheidet. Unser Vorschlag soll dazu eine mögliche Antwort geben: aus der Nähe wird die Veränderung gar nicht sichtbar sein, aus der Fernsicht wird sie als neuer Abschluss in einer geometrisch definierten und vom Bestand lösenden Kontur in Erscheinung treten und dabei die Dominanz des Denkmals wahren.
Konstruktion
Die historischen Fenster sollen so weit irgend möglich erhalten werden; sie sollen durch innen vorgesetzte neue wärmegedämmte Fenster zu einer Kastenfenster-Konstruktion (mit gedämmten Leibungen zur Taupunktverschiebung) ergänzt werden. Neue Fenster orientieren sich an der Teilung und prinzipiellen Gestalt des Bestands, werden von ihm aber durch Material (Stahl), schmalere Profile und weitere Details unterschieden.
Wir schlagen vor, die mächtigen Wände mit der Temperierungsmethode nach Großeschmidt zu temperieren. Auf diese Weise können die bestehenden großen Massen sinn-voll in das Temperierungskonzept integriert und ihre Gestalt (Oberflächen) erhalten wer-den. Zur Wärmeerzeugung sollte eine Wärmepumpe (Geothermie) zum Einsatz kommen. In die Dachfläche des neuen Daches könnten zur Stromerzeugung flach liegende PV- Module integriert werden.
Die vorhandenen Deckenkonstruktionen sollen mit neuen Fußbodenaufbauten ergänzt werden, die die erforderlichen schalldämmenden und ggf. brandschutztechnischen Funktionen erfüllen.