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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2020

Neubau eines Kinder- und Jugendtheaters für das Theater Ulm

4. Preis

Preisgeld: 18.000 EUR

schleicher.ragaller freie architekten bda

Architektur

Faltlhauser Krapf Beratende Ingenieurgesellschaft mbH

Tragwerksplanung

Erläuterungstext

Autark und trotzdem „Teil des Ganzen“

Das bestehende Theatergebäude der Stadt Ulm orientiert sich in seiner zentralen Innenstadtlage bislang schwerpunktmäßig zum Stadtzentrum nach Süden und bildet zur Zeitblomstraße nach Norden eher eine Rückseite aus.

Mit der Neukonzeption des Kinder- und Jugendtheaters auf dem nördlichen Grundstücksbereich besteht nun die Möglichkeit, dem Theaterquartier auch nach Norden ein „Gesicht“ zu verleihen. Die bereits begonnene Platzumgestaltung des Quartiers kann somit entlang der Neutorstraße nach Norden fortgesetzt werden, um der hier künftig geplanten Stadtentwicklung auch aus Fußgänger- und Fahrradperspektive einen attraktiven Außenraum mit Aufenthaltsqualität anzubieten. Südlich und östlich des ergänzten Theaterkomplexes entsteht somit eine attraktive Außenfläche mit Aufenthaltsqualitäten unter teilweise überdachten Freibereichen, wie sie für einen Stadteingang angemessen ist.

Der 1969 vom Architekten Fritz Schäfer ausgeführte Theaterbau ist stark geprägt von der ungleichen sechseckigen Wabenstruktur, die in ihrer Geometrie auch in der jüngst begonnenen Platzgestaltung ihren Niederschlag findet.

Die gefaltete Foyerfassade des Neubaus führt diese Grundgeometrie des Bestandsbaus weiter, überdacht und formuliert den neuen, ebenerdigen Zugangsbereich und signalisiert mit ihrer markanten, einprägsamen Formensprache die eigenständige Nutzung – und versteht sich gleichermaßen als „Teil des Ganzen“.

Die Probebühne und der Orchesterproberaum überragen mit ihren Nebenräumen von der Straßenflucht zurückspringend das Gebäudevolumen, das sich sonst an den benachbarten Traufkanten orientiert. Dieser Aufbau führt einerseits die Formensprache der Dachaufbauten des Bestandshauses fort und signalisiert andererseits mit seiner bronzeschimmernden Metallgewebeverkleidung – einer Krone gleich – bereits aus der Ferne erkennbar den Ort des neuen Kinder- und Jugendtheaters.

Ein Café im Eingangsbereich bespielt den Platz und lädt über die Theaternutzung hinaus zum Verweilen mit Münsterblick ein. Die Foyerauskragung ist unterseitig mit polierten Metallflächen verkleidet, in der sich das Platzgeschehen widerspiegelt.

Bereits bei Betreten des Foyers auf Platzebene erschließt sich dem Besucher der gesamte Foyerraum zu den beiden Bühnen in den Obergeschossen bis zum Deckentragwerk, welches sich konstruktiv aus der Faltung der Fassade entwickelt.

Eine einladende Wendeltreppe führt den Besucher hinauf in das großzügige Foyer der Hauptbühne und noch weiter bis zur Studiobühne.
In den Obergeschossen angelangt, wird der Blick über die gefaltete Fassade zum historischen Stadtzentrum gelenkt, welches von der Münstersilhouette überragt wird.

Die auffällige Form der Wendeltreppe agiert gleichermaßen städtebaulich als „Scharnier“ im Übergang der Zeitblomstraße zur Neutorstraße und signalisiert als einladende Geste den Zugang zum Kinder- und Jugendtheater.

Die tragende Struktur der Erweiterung wird gebildet aus einem Stahlbetontragwerk, bestehend aus weitgespannten Stahlbetondecken, Stahlbetonstützen und an den Stellen wo statisch erforderlich, aus wandartigen Trägern. Die vertikal tragenden Bauteile werden auf wenige tragende Achsen verteilt, wodurch sich über die Geschosse eine große Flexibilität in Bezug auf die Nutzung ergeben.
In den Bereichen, wo eine stützenfreie Konstruktion erforderlich wird, werden die Lasten über raumbildende Fachwerkträger an die tragenden Bauteile verteilt. Die auskragenden Platten im Eingangsbereich, werden über eine tragende Rautenstruktur an die darüberliegenden Bauteile angehängt. Diese räumliche Tragwirkung stellt nebenbei auch eine sehr wirtschaftliche Konstruktionsweise dar.

Die eindrucksvolle Raumwirkung einer gefalteten Fassade mit ihrem Übergang in die rautenförmige Deckenkonstruktion hat Dominikus Böhm mit seinem wundervollen Kirchenbau St. Johann Baptist in Neu-Ulm bereits meisterlich vorgeführt.

Die Außenmaterialität orientiert sich in ihrer Beschaffenheit an derselben Referenz des Sichtbetons – hell eingefärbt, um auf die Farbigkeit des Bestands Bezug zu nehmen. Die kronenartige, bronzene Metallverkleidung der Dachaufbauten unterstützt die Signal- und Fernwirkung. Die Verwendung dauerhafter und gut alternder Materialien fördert den Nachhaltigkeitsgedanken. Die – auch grundstücksbedingte - äußerst kompakte Baukörperform unterstützt diesen Ansatz hinsichtlich der Unterhaltskosten.

Die Bühnen sind funktional als Raumbühnen konzipiert und ermöglichen somit eine maximale Variablität und Flexibilität. Aufsteigende Sitzreihen sind gleichermaßen möglich wie eine komplett ebene Experimentierbühne. Haupt- und Probe-/Studiobühne wären optional zusammenschaltbar. Die Raumbühne ermöglicht das unmittelbare Erleben der Theaterstücke.

Der Foyerraum als kommunikativer, über alle Etagen offener Raum, schafft innenräumliche Sichtbezüge, bietet Ausblicke über die Stadt und lädt zum Verweilen vor und nach den Vorstellungen ein.

Gleichzeitig wird durch den Foyerbereich eine klare Trennung zwischen den öffentlichen Nutzungen des Kinder/-Jugendtheaters und der Werkstätten, Probe und Lagerflächen geschaffen. Damit ist der eigenständige Betrieb des Kinder- /Jugendtheater gewährleistet.

Die bestehende Infrastruktur wird mit geringstmöglichen Eingriffen weitergeführt und ergänzt. Die natürlich belichtete Gebäudefuge zwischen Bestand und Neubau dient als Mitarbeiterzugang, vermittelt geschickt zwischen den unterschiedlichen Ebenen und schafft gleichzeitig Orientierung.

Der neue Malersaal wird im Untergeschoss auf gleichem Niveau mit dem Montagesaal und den übrigen Werkstattgewerken angeordnet und ist über eine Vorfläche direkt an den Prospektaufzug sowie den bestehenden Lastenaufzug angebunden. Ein großzügiges Oberlicht aus der Sockelfassade zur Zeitblomstraße versorgt diesen Bereich bei Bedarf mit natürlichem Nord-licht.

Die Anlieferung kann weiterhin über die Durchfahrt im „Hinterhof“ stattfinden. Dadurch kann ein störungsfreier Publikumsverkehr gewährleistet werden. Die Ausfahrt wird kreuzungsfrei vorgeschlagen und ist zukünftig auch über den Parkplatz zur Neutorstraße möglich.
Zwei Erschließungskerne dienen jeweils alle Geschosse an, garantieren notwendige Fluchtwege und ebenso die Barrierefreiheit.

Die zeichenhafte Gebäudeform, welche sich selbstbewusst im Stadtraum präsentiert und gleichzeitig der Formensprache des Theaterquartiers unterordnet, lässt eine Vielzahl an Blickbezügen zu und trägt nach unserer Auffassung dazu bei, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen Neugier, Stolz und Begeisterung für diesen Raum zu schaffen.

Alles Übrige ist Theaterarbeit!

Beurteilung durch das Preisgericht

Der horizontal dreiteilig gegliederte Erweiterungsbau schließt direkt an das Telekomgebäude, sowie, getrennt durch einen Glaszwischenbau, über die gesamte Gebäudebreite an die Nordfassade des Theaters an. Durch die Gliederung der Baumasse erscheint das Gebäude neben dem Theater angenehm kleinteilig. Im Erdgeschoss nimmt eine gläserne, raumhohe Fassade die Flucht der späteren Blockrandbebauung entlang der Neutorstrasse auf und wird entlang der Zeitblomstrasse fortgeführt. Im ersten Obergeschoss schiebt sich ein massiver Riegel mit einer sehr dominant gefalteten Fassade in Richtung Neutorstraße. Es kragt über das Erdgeschoss hinaus und schafft somit eine großzügig überdachte Eingangssituation für das Kinder und Jugendtheater. Dieser Gebäudeteil führt die Traufhöhe der Bestandsfassade des Theaters fort und fügt sich angenehm in das Straßenbild der Neutorstraße ein. Drei weitere Geschosse werden in einem zurückgesetzten Kubus zusammengefasst, der sich mit einer fensterlosen messingfarbenen Steckmetallfassade von den unteren Geschossen absetzt und die Dachlandschaft des Ulmer Theaters achsial fortsetzt.
Durch die zurückliegende Glasfassade des Foyers des Kinder- und Jugendtheaters und die darüber liegende gefaltete Fassade, die an die große Fassadenbewegung des Bestandsgebäudes entlang der Neutorstraße anknüpfen möchte, und den dadurch entstehenden, für die Nutzung angemessenen Vorplatz, wird eine sehr prägnante Adressbildung erreicht, die sehr positiv bewertet wird. Jedoch wird das Gebäude durch die Vor- und Rücksprünge der Gebäudeebenen, der dominanten Faltung der Obergeschossfassade und den sehr unterschiedlichen Fassadenkonstruktionen -und Materialien an dieser Stelle als zu „aufgeregt“ empfunden. Sie stellt deshalb eine zu große Konkurrenz zum Theaterbestand dar.
Aus Sicht der Denkmalpflege ist das Anschließen des Gehäuses über die gesamte Nordseite der Theaterfassade problematisch.
Vom Eingangsbereich mit Garderobe führt eine großzügige Wendeltreppe in das Foyer im ersten Obergeschoss Dort wird über die gefaltete Fassade den Blick in Richtung Münster möglich. Weiter gelangt man in den annähernd quadratischen Theatersaal, der mit einer Podienanlage viele Möglichkeiten für die Theaternutzung bietet.
Der Malersaal befindet sich auf der Ebene der Bestandswerkstätten. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Verfasser die Decke entlang der Nordfassade nach oben zieht, und somit für die Belichtung ein sehr hohes Fensterband schafft, durch das Passanten entlang der Zeitblomstrasse am Geschehen im Malersaales teilhaben können. Der Malersaal wird durch einen neuen Lastenaufzug angedient. Der Nutzer sieht jedoch die fehlende, unbedingt notwendige Anbindung an den bestehenden Lasten Aufzug als problematisch an. Die Probebühnen befinden sich über dem Kinder- und Jugendtheater, der Orchestersaal im obersten Geschoss. Durch diese abgeschiedene Lage entstehen für die Orchestermusiker und den Orchesterwart sehr lange Wege über Aufzüge und Treppen, um letztendlich die Bühne beziehungsweise den Orchestergraben zu erreichen. Kritisiert wird an dieser Stelle auch, dass die Belichtung der Verwaltungsräume und Garderoben im Gebäudebestand durch das nahe Heranrücken dieses hohen Gebäudeteils verschlechtert wird.
Der Lieferverkehr nutzt die bestehende Durchfahrt, Rückwärtsabladung ist über die neu geschaffene Rampe und Lastenaufzug möglich.
Im Vergleich zu allen anderen Arbeiten wurden circa 20 % mehr umbaute Raum geplant. Dies lässt erhöhte Baukosten erwarten.