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Nichtoffener Wettbewerb | 03/2014

Wohnen am Dom

Modell

Modell

2. Preis

Osterwold°Schmidt EXP!ANDER Architekten BDA PartGmbB

Architektur

Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten und Stadtplaner GmbH

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

QUARTIER AM DOM IN ERFURT

Der Anspruch auf großzügiges Wohnen mit viel Licht, freier - gleichwohl differenzierter -Aussicht sowie die stadtbaulichen und kontextuellen Forderungen bestimmter Raumkanten formen die Idee zu diesem Entwurf.
Der unaufgeregte Ansatz, die neue Bebauung quasi entlang der Grundstücksgrenzen anzulegen, eröffnet mit der Verschränkung des Südflügels und dem Lösen des sogenannten “Annexhauses“ zunächst eine grüne, luftige Mitte und zudem den erforderlichen wie bereichernden Freiraum zum Bergstrom - vor allem aber wird mit dieser klassischen Quartiersform eine erste und grundsätzliche Gliederung für Wohntypologien angelegt: die Basis für ein differenziertes Angebot zum Einquartieren.

Der Flügel am Domplatz [DOM] sticht zuerst durch seinen S-Schwung heraus. Die durchgesteckten Wohnungen der Obergeschosse erhalten gen Domplatz eine Loggia mit zusätzlicher Verglasung, die die Nutzung als Wintergarten erlaubt und so nebenher als Klima- und Schallpuffer zweier Räume funktioniert, so dass die grandiose Aussicht an dieser Stelle genossen werden kann. Das Erdgeschoss kann in vier bis acht Nutzungseinheiten unterteilt werden, die das Angebot am Domplatz von typischer Geschäftsunterlagerung, über ein Café/Bistro an der Spitze (keine störenden Kontaktpunkte zum Wohnen) bis hin zu symbiotischen Nutzungen für z.B. Tagesbetreuungen (ob jung oder alt) im zentralen Bereich schaffen können. An dieser Stelle kann im Zusammenhang der Nutzung ein halböffentlicher Zugang zum Hof mit einer übersichtlichen Kontaktfläche von außen und innen - also von öffentlich und privat - erzielt werden.

In verwandter Art lagern sich jeweils die Flügel An den Graden [ADG] und Am Kanonenschuppen [KAN] an. Mit ihrer klassischen Ost-West-Ausrichtung nehmen sie ohne nennenswerte äußere Störfaktoren Wohnungen auf, die sich in diese (mindestens zwei) Himmelsrichtungen erstrecken. Die Spezifik dieser Wohnungen findet sich in der zentralen Erschließung , die kreuzförmig die Funktionen von Kochen, Essen, Wohnen aufnimmt und mit Loggien und Balkonen verbindet (Prinzip verstärkt sich an den Giebelseiten, die durch die Geschossversprünge generiert werden). Dadurch lagern sich die Individualräume an persönlich thematisierbare Raumnischen an. Das Wechselspiel von Gemeinschaft und Privatheit kann so in jeder einzelnen Wohnung differenziert eingerichtet und gelebt werden ohne Zimmerstränge an Mittelfluren vorzugeben. Damit einher geht die Option, den sehr wirtschaftlichen Raumzuschnitt durch Zusammenlegen von Räumen - sprich hier: durch die Angliederung von Raumnischen zu größeren Zimmern zu variieren.

Der Südflügel am Bergstrom [BER] nimmt „gestapelte“ Stadthäuser auf. Während EG und 1.OG drei Stadthäuser mit Gärten aufnehmen, verschränken sich in den nächsten drei Geschossen Maisonettewohnungen um einen zentralen Erschließungsflur. Dieser ist zweiseitig erreichbar und ermöglicht zum einen die Verbindung zum Gemeinschaftshof und zum anderen die Anbindung (auch per Aufzug) an das Untergeschoss. Diese Stadthäuser sind mit großzügigen Balkonen, Dachterrassen und auch Wintergärten ausgestattet und bieten sich zum familiären Wohnen als städtische Alternative zum „Häuschen im Grünen“ an.

Das freigestellte Haus in Richtung Fischersand [FIS] ermöglicht mit den einzig definierten Erschließungskernen eine völlig freie Wohnungsteilung, die beispielgebend in einem Geschoss als Wohnungen aufgezeigt wird. Andernfalls ist eine Loftnutzung möglich bzw. deuten Linien mögliche weitere Teilungen an.
Der gewünschte Straßenschluss An der Graden und die exponierte Stelle im neuen Quartier - nämlich im Kontaktpunkt zu den bestehenden Wohngebäuden der Umgebung Am Fischersand - lassen für das Erdgeschoss eine weitere Nutzung denkbar werden:
> die eines Gemeinschaftsraumes der Quartiersbewohner (mit kleiner Teeküche, WC) z.B. als Basisstation für gemeinsame Aktivitäten, identitätsstiftende Quartiersfeste, Mietraum für private Feste (temporäre Raumerweiterung), Raum für gebündelte, mobile Dienstleistungen etc. etc.
> die von Gastwohnungen zur Kurzzeitmiete, die eine wirtschaftlich attraktive Alternative zum dauerhaften Gästezimmer sein können und kurzzeitig in unmittelbarer Nähe plötzlich Raumerweiterung für die „nachwachsende Familie“, den mehr als nur Wochenendbesucher, den Opair etc.etc. bieten. Eine Kompatibilität im Doppelnutzen der jetzigen Anrainer mit den künftigen Bewohnern wäre interessant.

In diesem Verständnis könnten verschiedene Wohntypologien die unterschiedlichen Bedarfe von Bewohnergruppen zeitgemäß erfüllen, aber langfristig auch auf flexible Nutzungen reagieren, um einen Aspekt der Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
Langlebige, widerstandsfähige Materialien mit optischer und haptischer Ästhetik wie z.B. Klinkersteine und mineralischer Kratzputz sollen im Verhältnis der Live-Cycle-Cost-Betrachtung die Beständigkeit der neuen Bebauung langfristig unterstützen und in unmittelbarer Nähe zum mächtigen Dom das neue Quartier auch selbstbewusst und vereinend behaupten. Das Wechselspiel mit filigranen Verglasungen und subtil verlaufenden Materialperforierungen sollen die Übergänge vom urbanen Umfeld zu „weichen“ privaten Bereichen mit Raum für viel Individualität unterstützen.

Freianlagen
Der S-Schwung des Gebäudes eröffnet Vis-a-Vis zum Dom einen Freiraum für gastronomische Freiluft-Aktivitäten und verzahnt den Neubau mit dem Erfurter Domplatz.
Durch einen halböffentlichen Zugang in der Mitte des Flügels am Domplatz kann der Innenhof betreten werden. Eine Mittelerschließung wird flankiert von Kulissengärten (Staudenbeete mit linear gepflanzten, dekorativen Ziersträuchern), die die privaten Loggien und Terrassen der Erdgeschosswohnungen in lockerer, rhythmischer Abfolge von der halböffentlichen Hofmitte abschirmen. Der offene Hofmittelpunkt dient als Treffpunkt der Anwohner und halböffentliche Erschließung der südlichen Gebäudeflügel zugleich.
Das freigestellte Haus in Richtung Fischersand [FIS] wird gerahmt von einer umlaufenden befestigten Fläche mit einer kleinen Terrasse direkt zum Fischersand. Die Freifläche ermöglicht analog zu den frei konfigurierbaren Grundrissen eine offene und flexible Freiraumnutzung.
Im Süden öffnet sich eine Freifläche als Spielwiese zum ungezwungenen Aufenthalt direkt am Wasser. Eine kleine Treppenanlage schafft den direkten Zugang zur Gera. Für alle nicht begehbaren Dachflächen wird eine extensive Begrünung vorgeschlagen.

Energie und Technik
Der vorgeschlagene, hohe energetische Standard der Gebäudehülle in Kombination mit einer effizienten Gebäudetechnik zur Eneregieversorgung als Blockheizkraftwerk bzw. alternativ über Fernwärme laut Stadtsatzung bietet ein zukunftsfähiges quartiersbezogenes energetisches Gesamtkonzept.

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebaulicher Leitgedanke des Entwurfs ist die Schließung des Blockrandes und Bildung eines großzügigen Innenraumes.

Die Blockschließung am Dom erfolgt durch ein elegant geschwungenes Gebäude mit drei Erschließungskernen.
Es nimmt an der Domstraße zunächst Bezug auf den s-förmigen Straßenverlauf und setzt somit harmonisch die geschlossenen Baufluchtlinien fort. Durch den gegenläufigen Schwung am östlichen Ende öffnet sich der Straßenraum geschickt zum Domplatz hin; der dabei entstehende, reizvolle kleine Platz ermöglicht die Beibehaltung der seit 200 Jahren bestehenden Blickachse aus der Domstraße auf den barocken Eckbau Domplatz / An den Graden.

Die 5-Geschossigkeit im Ostteil zitiert die am Domplatz mehrfach anzutreffenden Kopfbauten und hilft gleichzeitig den überdimensionierten Domplatz nach Süd-West räumlich zu schließen.
Durch die Staffelung der Gebäudehöhen wird die Flächenhaftigkeit der Flachdächer beim Blick von den Kavaten gemildert.
Wichtige Bestandteile der westlichen Umfassungsmauer des Kanonenschuppens Domplatz 1b werden einbezogen und lassen somit ein Zitat aus der militärischen Nutzung des Areals im 19. Jh. bestehen.

Der Rücksprung von der Domstraße erlaubt hier eine teilweise 5-Geschossigkeit.
Die vorhandene Bebauung gegenüber dem Bergstrom ist ebenfalls fünfgeschossig ausgebildet und rechtfertigt somit auch die 5-Geschossigkeit des Bauteils an den Graden.
Entlang der Domstraße handelt es sich um einen großen Baukörper, am Bergstrom löst sich die Bebauung auf, bis zur Freistellung eines Baukörpers.
Das Flachdach wird durch die Unterteilung der Baukörper als Lösung akzeptabel.

Die Fassade zum Dom ist als hochwertige Klinkerfassade ausgeführt, die dem Materialanspruch gerecht wird. Über die Farbigkeit sollte nochmals Rücksprache gehalten werden, da die Fassade „flimmert“. Die Fassadenausbildung muss auf den Dom abgestimmt werden. Eine ausschließliche Verwendung von Klinkern, insbesondere dunklen Klinkern, für die straßenseitigen Fassaden dürfte zu massiv wirken und wäre für die Altstadt untypisch. Ein Wechsel mit andern Materialien und Oberflächenfarbigkeiten, wie im Text angedeutet, wäre wichtig und zu empfehlen.

Bis auf 3 Reihenhäuser am Bergstrom ist die gesamte Anlage aus Geschosswohnungen aufgebaut, deren Erschließung erfolgt über 9 Treppenhäuser. Die Organisation um den einfachen Innenhof ist sehr praktikabel, die Grundrisse haben teilweise Schwächen, die Funktionalität des Zentralraums wird angezweifelt. Hier sollten Umarbeitungen, z.B. Spiegelung Küche/Bad stattfinden. Die Wohnräume sind derzeit kaum möblierbar.

Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit ist die gewünschte Auslastung des Grundstücks ist erreicht.

Baurechtlich problematisch angesehen werden mögliche Brandüberschläge in Ecksituationen und die Belichtungssituation zwischen viergeschossigem Südflügel und Fünfgeschosser An den Graden.

Freiraum
Es ist zu begrüßen, dass durch Zurücknehmen des Baukörpers an der Domstraße eine neue Freiraumqualität entsteht mit der Möglichkeit, vorhandene Bäume zu erhalten.
Die Flächenzuordnung im Innenhof - privat und halböffentlich - ist unklar und zu konkretisieren. Eine Anlieferung der Gewerberäume über den Innenhof scheint nicht möglich. Die Grünstreifen vor den Hauseingängen An den Geraden sowie vorm Kanonenschuppen sollte hinsichtlich der Praktikabilität überdacht werden. Die starke Befestigung des Ufers ist übertrieben und zieht unnötigerweise den Verlust an Großgrün nach sich.
Lageplan 1:500

Lageplan 1:500

Lageplan

Lageplan

Ausschnit 1:200

Ausschnit 1:200

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Erdgeschoss