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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2019

Wohnen an der Kürschnergasse in Erfurt

3. Preis

Eingartner Khorrami Architekten

Architektur

Erläuterungstext

An zentraler Stelle in der Erfurter Altstadt werden zwei Baudenkmale saniert und der fragmentierte Block ergänzt und geschlossen, wodurch der ursprüngliche Stadtraum in Anlehnung an die historischen Baufluchten neu entsteht. Die vorgeschlagene Neubebauung besteht aus vier voneinander unabhängigen und einzeln ablesbaren Häusern, die Maßstab und Typologie der umgebenden Altstadtbebauung aufnehmen und fortführen.

Entlang der Kürschnergasse entstehen drei Stadthäuser mit Maisonettewohnungen über drei Geschosse oberhalb jeweils einer kleineren Gewerbeeinheit. Der Wölbung der Kürschnergasse folgend, sind Trauf- und Firsthöhen der drei Häuser gegeneinander versetzt. Zusammen mit den nach oben leicht auskragenden Geschossen entsteht so eine differenzierte Straßenfassade, die an die ursprüngliche kleinparzellige Fachwerkbebauung erinnert. Außenbündige Fenster mit profilierten Holzumrahmungen, die Farbigkeit der Putzfassaden sowie die Ziegeldächer orientieren sich an der für die Erfurter Altstadt typischen Architektursprache. Alle drei Einheiten verfügen über große hofseitige Terrassen im 1.OG, die die durchgesteckten Wohnbereiche nach außen in den Hof erweitern. Im 2.OG und im DG befinden sich Schlaf- und Kinderzimmer sowie Sanitärräume. Durch die individuellen Hauseingänge an der Kürschnergasse haben die Gebäude den Charakter innerstädtischer Einfamilienhäuser.

Das deutlich größere Eckhaus Kürschner-/ Rupprechtsgasse, das an die drei Stadthäuser anschließt, bildet durch seine prominente Lage im Stadtraum das Pendant zum benachbarten Stadtpalais Pilse 14. Entsprechend erhält das Gebäude eine zurückhaltende Putzfassade über dem hohen Sockelgeschoss, das eine größere Ladeneinheit aufnimmt. An der Rupprechtsgasse befindet sich der Hauseingang sowie die Zufahrt zum Autoaufzug. Das Eckhaus ist als Zweispänner organisiert und durch die direkte Anbindung an die Tiefgarage vollständig barrierefrei. Die Anordnung des Treppenhauses in der Innenecke des Gebäudes ermöglicht eine gute Belichtung der Drei- und Vierzimmerwohnungen. Die größere der beiden Dachgeschosswohnungen verfügt über eine private Dachterrasse. Die Ladenfläche im Erdgeschoss ist teilbar, von der Kürschnergasse besteht ein ebenerdiger Zugang.

Der Bereich unter den Neubauten und unter dem Hof ist unterkellert, hier befindet sich die Tiefgarage mit 15 Stellplätzen, davon 12 als Doppelparker. Bei Bedarf wären mit weiteren Doppelparker 18 Stellplätze möglich. Das Untergeschoss nimmt außerdem die Mieterkeller auf, darunter eine große Fläche unter dem Laden des Eckhauses, sowie den Müllraum (der Transport der Mülltonnen erfolgt über den Autoaufzug). Um den baulichen Aufwand zu minimieren, ist die Unterkellerung, soweit möglich, mit Abstand zu den benachbarten Bestandsgebäuden geplant.

Das denkmalgeschützte Gebäude Pilse 14 mit dem Charakter eines spätklassizistischen Stadtpalais wird äußerlich nach historischem Vorbild mit Bossenputz und Eckbalkon im 1.OG wiederhergestellt. Die Außenwände werden innenseitig gedämmt, um einen zeitgemäßen Wärmeschutz zu gewährleisten. Wenige gezielte Eingriffe in die Gebäudestruktur, unter anderem der Einbau eines Aufzugs, ermöglichen einen weitgehenden Erhalt der historischen Bausubstanz, auch der Dachkonstruktion. Dabei entstehen vier großzügige, dreiseitig belichtete Etagenwohnungen. Das ausgebaute Dachgeschoss wird hauptsächlich von der Hofseite aus belichtet, um störende Dachaufbauten zu vermeiden. Zugunsten einer besseren Gebäudeorganisation erfolgt der Hauptzugang neu barrierefrei vom Hof aus, in den man über die Tordurchfahrt an der Rupprechtsgasse gelangt. Die Hochparterrewohnung wird zusätzlich über die repräsentative Eingangstreppe von der Straße aus erschlossen. Hofseitig werden in den Obergeschossen Balkone angebaut.

Auch beim Haus Pilse 15 bleibt die denkmalgeschützte Bausubstanz so weit wie möglich erhalten. Im Erdgeschoss befindet sich ein kleines Appartement, das auch als Büro- oder Gewerbeeinheit genutzt werden kann. Über den daneben befindlichen Durchgang zum Hof und die historische Treppe werden die Obergeschosse erschlossen. Das neu ausgebaute Dachgeschoss wird mit dem 2.OG zu einer größeren Maisonettewohnung zusammengefasst. Die hofseitigen Anbauten werden entfernt, das 1.OG erhält einen kleinen Balkon. Die mittelalterlichen Keller unter beiden Bestandsgebäude bleiben einschließlich ihrer Zugänge vom Hof vollständig erhalten.
Der neu entstehende gemeinsame Innenhof verbindet die neuen mit den historischen Gebäuden und ist von allen Häusern aus erreichbar. Von den Stadthäusern erreicht man den Hof aus der Kürschnergasse über einen privaten Durchgang, der auch den Zugang und zweiten Rettungsweg der Tiefgarage aufnimmt. Das Niveau der Doppelparkergarage ermöglicht die Pflanzung eines kleinen Baums. Im Hof befinden sich auch die Fahrradstellplätze.

Beurteilung durch das Preisgericht

Strukturell gesehen besitzt die Arbeit eine gute wohntypologische Mischung von Stadthäusern und Geschosswohnungsbau. Die kleinparzellierten Stadthäuser stellen vier voneinander unabhängige und einzeln ablesbare Gebäude dar, die Maßstab und Typologie der umgebenden Altstadt überzeugend aufnehmen und fortsetzen. Auch die gewerblichen Nutzungen in den Erdgeschossen der Stadthäuser folgen dieser Logik. An der Kürschnergasse entsteht somit das gewohnte, aber auch stimmige Bild von Eingängen zu den Häusern und Läden und damit eine gute Adressbildung. Die Stadthäuser sind mit der Größe von 134 m² bzw. 101 m² im wirtschaftlichen Bereich. Die Kopfbebauung ist als Zweispänner mit der Möglichkeit des Durchwohnens, also der Möglichkeit der zweiseitigen Belichtung, gut entwickelt. Allerdings haben nur zwei Wohnungen von sechs einen Freibereich. Das Dachgeschoss verfügt hingegen über eine großzügige Dachterrasse. Die Pilse 14 wird unter Wahrung der historischen Grundstruktur, insbesondere der Berücksichtigung des ehemaligen Laubenganges, zu Wohnzwecken reaktiviert und durch Balkone zum Hofbereich ergänzt. Hervorzuhaben ist, dass die Wohnungen ab dem 1. Obergeschoss über den Hof und den neu eingeordneten Aufzug barrierefrei erreichbar sind. Zur Nutzbarmachung des Dachgeschosses sind drei zulässige Gauben zum Hof richtig eingeordnet. Die Pilse 15 erhält insgesamt 3 Wohnungen und folgt damit dem Gedanken der Kleinteiligkeit. Die Tiefgarage ist, wie von der Auslobung gefordert, von der Rupprechtsgasse erschlossen, besitzt insgesamt optional 18 Stellplätze, z. T. als Doppelparker, und erfüllt damit nicht ganz die Vorgaben des Bauherren von mindestens 20 Stellplätzen. Begrüßt wird, dass der Durchgang zum Hof von der Rupprechtsgasse aus barrierefrei ist und ein weiterer Zugang über das Treppenhaus zur Tiefgarage vorgesehen wird. Die architektonische Erscheinung des Ensembles sucht die Planvorgaben des B-Planes gestalterisch zu übersetzen und zu ästhetisieren. Trauf- und Firsthöhe sind in beiden Baufeldern und in der Innenhofbebauung eingehalten. Die Aufnahme der sanften Höhenentwicklung der Kürschnergasse ergibt ein interessantes Höhenspiel in den Geschossen der Stadthäuser, das stimmig durch die erhöhte Traufe des Kopfbaus zum Abschluss kommt. Ergänzt wird der architektonische Eindruck durch die Verwendung von städtebaulichen Motiven, wie der Auskragung der Geschosse und der fassadenbündigen Fenster. An der Kürschnergasse entsteht in der Rhythmisierung der Fassaden aus vierachsigen und dreiachsigen Gebäuden sowie dem stattlichen Kopfbau eine sensible Abfolge. Dass der Altbestand an der Pilse 14 sich am dokumentierten Bestand aus dem 19. Jhdt. orientiert, kann gefolgt werden. Die klassizistisch anmutende Fassadengestaltung des neuen Kopfbaues wird jedoch kritisch hinterfragt. Insgesamt stellt die Arbeit einen gelungenen Beitrag zur Lösung der gestellten Aufgabe für die Altstadt von Erfurt dar. Sie geht gekonnt mit dem Alphabet der Erfurter Altstadt zu Werke, wobei dessen neuzeitliche architektonische Interpretation ausdrücklich vermisst wird.

Aus der Sicht der Denkmalpflege wird für diesen Beitrag eine Genehmigung in Aussicht gestellt. Die Aufteilung der Pilse 15 in eine Wohnung je Etage wird aufgrund der notwendigen Eingriffe und der eingeschränkten Nutzbarkeit der Wohnungen sehr kritisch gesehen. Die Einordnung des Balkons vor dem Laubengang der Pilse 14 wird als ungeschickt eingeschätzt. Die Führung des Fahrstuhls bis in das Dachgeschoss ist aufgrund der Dachneigung fraglich.

Konstruktion und Statik
Grundsätzlich weist die Tragstruktur eine realisierbare Lösung auf. Die Tiefgarage wurde jedoch nicht mit der tatsächlichen Gründungssituation geplant. Eine Verschiebung der Wände in der Tiefgarage wird notwendig. Im Gewerbebereich Süden ist eine Veränderung der Lage der Decken über der Tiefgarage notwendig, um Stufen vor dem Gewerbe zu vermeiden. Es wurden nicht alle Unterzüge, die notwendig werden, berücksichtigt. Die Einzelhäuser weisen eine sehr gute Tragstruktur auf; problematisch sind die vier Treppenhäuser (+ zusätzliches Rettungstreppenhaus). Die Bauweise stellt sich in einer einfachen und kostengünstigen Wahl dar (massive Deckenkonstruktion und einschalige Außenwände massiv). Bauphysikalisch problematisch ist der fassadenbündige Einbau der Fenster.