Dialogorientierter Bauträgerwettbewerb | 11/2024
Wohnraumentwicklung Areal Nordwestbahnhof in Wien - Bauplätze 4, 5 und 10 (AT)
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
Gewinner / 1. Stufe / Bauplatz 4 - Empfehlung Weiterbearbeitung in der 2. Stufe
Landschaftsarchitektur
ghp gmeiner|haferl & partner ZT GmbH
Tragwerksplanung
Bauphysik, Brandschutzplanung
TGA-Fachplanung, Energieplanung
art:phalanx – Agentur für Kultur und Urbanität
sonstige Fachplanung
Familienwohnbau gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft m.b.H.
Projektentwicklung, Investor*in
Erläuterungstext
Fünf Häuser, fünf Höfe
Der Nordwestbahnhof ist mit 44 Hektar Fläche das letzte große innerstädtische Entwicklungsgebiet in Wien. Dieser Stadtteil soll ein klimafreundliches und sozial durchmischtes Wohn- und Arbeitsviertel werden. Das Ziel des vom wohnfonds_wien ausgeschriebenen Bauträgerwettbewerb der Phase 1 ist ein qualitätsvoller, geförderter Wohnbau nach dem 4-Säulen-Modell: Architektur, soziale Nachhaltigkeit, Ökonomie und Ökologie. Unseren Entwurf für den Bauplatz NW04-6 hat die Jury mit dem ersten Preis ausgezeichnet: „In wirklich überzeugender Weise findet in diesem Beitrag eine Auseinandersetzung mit den Kernanliegen der Kreislaufwirtschaft und des Klimaschutzes statt. Auch mit Blick auf die städtebaulichen und architektonischen Qualitäten überzeugt der Beitrag mit einem klug durchdachten Grundriss- und Erschließungskonzept.“
Inside Out
Wie der Name schon sagt, denkt unser Konzept von innen nach außen. Inside Out verschiebt die Grenzen vom Eigenen zum Gemeinsamen, ist sichtbar mit seinem Holzskelett, lässt seine Innenräume in die Außenbereiche fließen und leitet kühle Luft von außen nach innen. Als spitzwinkeliges Dreieck entlang der Grundstücksgrenzen bildet unsere Wohnstruktur auf der Innenseite einen geschützten Nachbarschaftspark. Der straßenseitig eingeschnittene offene Hof dient als Vorplatz für die Schule im Erdgeschoss. Zahlreiche Vor- und Rücksprünge gliedern den Baukörper und verleihen den Fassaden ein individuelles Profil.
Sparsam mit dem Privaten, großzügig mit dem Geteilten
Über dem Sockel entwickeln sich fünf Häuser, die ihre Nutzungen zu übersichtlichen Nachbarschaften gruppieren. Ein offener Laubengang mit fünf schattigen, durchgrünten und kühlen Geschosshöfen – den Gemeinschaftsterrassen – verbindet die Häuser. Dieser stark durchgrünte Außenraum spendet frische, kühle Luft und schützt vor Hitze. Von einem einheitlichen Stützenraster getragen, bilden die fünf Häuser jeweils ihre eigenen Identitäten aus: mal eingekerbt, mal mit vorgelagerten Loggien ergänzt, mal mit Photovoltaik an der Fassade, mal um ein “Grünes Zimmer” gewickelt, mal tief und durchgesteckt, mal flach an der Fassade aufgefädelt. Plattformen wie multifunktionale Gemeinschaftsräume, die Stadtloggia oder der Mehrzweckraum unterstützen die Bildung einer dauerhaften Hausgemeinschaft. Gemeinsam sind allen Wohnungen schattenspendende, windgeschützte Loggien und die Möglichkeit zur Querdurchlüftung. Sparsam mit dem Privaten und großzügig mit dem Geteilten – das schafft leistbaren Wohnraum und stärkt den Sinn für das Gemeinsame vor der eigenen Wohnungstür.
Beurteilung durch das Preisgericht
Ökonomie
Das Projekt umfasst insgesamt 130 geförderte Wohnungen, davon 49 Normwohnungen, 81 SMART-Wohnungen und 7 geförderte Geschäftslokale mit einer Nutzfläche von insgesamt 10.953 m2.
Die angestrebten Gesamtbaukosten liegen bei € 3.500,- / m2 förderbarer Nfl. inkl. Zuschläge und sind die höchsten im Bewerberfeld. Die Vorgaben der SMART-Wohnungen werden sowohl ökonomisch (FB € 60,- / m2 WNFl.) als auch der Anzahl nach (62 %) erfüllt.
Die angestrebten Nutzerkonditionen liegen mit € 8,99 / m2 WNFl. im durchschnittlichen Bereich des Bewerberfeldes. Die angestrebten Nutzerkonditionen der sonstigen Mietwohnungen liegen mit einem Eigenmittelanteil in der Höhe von € 90,- / m2 WNFl. und einer monatlichen Belastung von € 10,89 / m2 WNFl. im oberen Bereich des Bewerberfeldes. Über den Bezugszeitpunkt hinausgehende Stundungsangebote sind vorgesehen und werden auf Anfrage individuell angeboten. Gewürdigt wird, dass die Mietvorschreibung erst ab dem dritten Monat nach Bezug erfolgt. Die geplante Finanzierungsstruktur sieht eine Fremdmittelfinanzierung in der Höhe von 3,5 % vor.
Die Jury erwartet, dass sich eine – jedenfalls unter Beibehaltung der eingereichten Qualitäten – allenfalls erzielbare Reduktion der Baukosten auch zu Gunsten der Nutzerkonditionen auswirken wird.
Soziale Nachhaltigkeit
Das Projekt bietet für die Schaffung einer dauerhaften Community mehrere Plattformen an (z.B. multifunktionale Gemeinschaftsräume, eine Stadtloggia und einen Mehrzweck- und Sportraum).
Erfolgversprechend wirkt ein von einem/einer Haustechniker*in besetzter Stützpunkt der Volkshilfe, der für Hausreinigung und Freiraumpflege sowie für die Einschulung und Betreuung langzeitbeschäftigungsloser Personen genutzt werden soll und generell als Kommunikationsdrehscheibe und Anlaufstelle für die Bewohner*innen dient.
Für die Siedlungsbegleitung wird eine Roadmap angeboten. Der darin konstant vorgesehene Austausch mit dem Quartier wird sehr positiv bewertet.
Grundsätzliche Ansätze und Möglichkeiten für kulturelle Nutzungen bzw. Inhalte sind durch die multifunktionalen Gemeinschaftsräume sowie den zweigeschoßigen Mehrzweckraum, der auch außerhalb des Bauplatzes nutzbar sein soll, sowie den Hinweis, verschiedene Kulturen sichtbar machen zu wollen, gegeben.
Als Besonderheit wird die FREE PEOPLE School (plus Garconnieren für Schüler*innen) integriert, die ukrainischen Schüler*innen einen Schulabschluss nach ukrainischem Lehrplan ermöglichen soll.
Architektur
Das Projekt überzeugt durch die gelungene Vermittlung zwischen städtebaulicher Setzung und innerer Gliederung. Die Vor- und Rücksprünge und Einschnitte sind sowohl zur Straße als auch zum Hof sensibel gesetzt und bieten auch nach Innen einen Mehrwert, indem sie typologische Vielfalt in den Baukörper bringen.
Durch „Stadtloggia“ und „Kühle Brise“ tritt die Erschließung in den Dialog mit dem Straßenraum und verspricht in den Darstellungen auch eine intensive Begrünung. Die offene Laube als verbindendes Element schafft Querdurchlüftung in allen Bereichen und endet im Atrium, das als ein spannender Beitrag zur typologischen Vielfalt gesehen wird, insbesondere durch die großzügige Öffnung nach Norden.
Die Materialität und Gliederung der Fassaden versprechen über die angedeutete Vielfalt hohe Qualitäten, die im Rahmen der zweite Stufe vertiefend herausgarbeitet werden müssen.
Besonders gelungen wird die Aktivierung des Erdgeschoßes und seine Verbindung zu Untergeschoss und ersten Obergeschoss durch den Multifunktionsraum gesehen, wobei bei der Schule auf die Möglichkeit einer Nachnutzung zu achten ist.
Ökologie
Der mäandrierende Baukörper und die private Nutzung des Freiraumes durch die Schule schränken die Freiflächen auf Erdgeschoßebene zwar ein, werden aber durch ein Angebot von unterschiedlichen Sonderfreiräumen in den Gebäudeebenen kompensiert. Diese überzeugen durch hohe Nutzungsqualität und entfalten ihre Wirksamkeit auch im Straßenraum, da sie in Dialog mit dem öffentlichen Raum treten. Dies gilt besonders für den kleinen Schulvorplatz.
Der Entwurf greift verschiedene Anforderungen des kreislauffähigen Bauens auf und skizziert sehr gute Lösungsvorschläge: Die Reduktion energieintensiver Primärressourcen wird durch den Einsatz regenerativer Baustoffe mit geringer Umweltwirkung erzielt, wie etwa Holzskelettbau und nachwachsenden Materialien im Innenausbau (Hanf als Dämmstoff, Lehmbauplatten für Innenwände, Lehmputz etc.) sowie durch den Einsatz von CO2-reduziertem Beton im Sockelbereich. Zudem wird ein nutzungsflexibles Grundrissraster entwickelt, wobei die Raumhöhe von 2,8 m im ersten Obergeschoss den Ansatz der Nutzungsoffenheit weiter unterstützt. Die klare Trennung von Primärkonstruktion und Fassade fördert zudem die Rück- und Umbaufähigkeit.
Besonders positiv wird der geplante Einsatz von ReUse-Elementen im Fassadenbereich bewertet, mit der Empfehlung, diesen Ansatz weiter auszubauen und konsequent umzusetzen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere das bereits entwickelte Konzept zur Beschaffung des ReUse- Materials gewürdigt.
Hervorzuheben ist auch die Erstellung eines materiellen Gebäudeausweises (im Projekt als „digitaler Zwilling“ bezeichnet), der die verwendeten Materialien und ihre Umweltwirkungen dokumentiert und eine fundierte Grundlage für weitere Optimierungen im Rahmen des Planungsprozesses bietet.
Die städtebauliche Anordnung und Ausrichtung der Gebäude sowie das Belüftungskonzept sorgen für eine sehr gute natürliche Belüftung und Belichtung der Wohnungen. Dadurch wird eine effektive passive Querlüftung erreicht, die zugleich sommerliche Überwärmung vermeidet.
Das Energiekonzept überzeugt mit zahlreichen aktiven und quartiersbezogenen Maßnahmen zur Energieversorgung und -speicherung und bietet eine Vielzahl guter Lösungsansätze. Besonders hervorzuheben ist die Integration eines PV-Systems, das als wichtiger Bestandteil der Fassadengestaltung dient. Ebenso spielen die Nutzung von Abwärme und die Einbindung von Salzwasserspeichern als aktive Speichertechnologien eine zentrale Rolle in diesem auf eine nachhaltige Energieversorgung ausgerichteten Versorgungskonzept.
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
©Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH
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