Lorenz Nagel ist aufs Holz gekommen. Spätestens seit dem preisgekrönten Projekt WOODIE steht für den gelernten Architekten vom Hamburger Projektentwickler PRIMUS Developments fest: "Wir bauen nur noch mit Holz." Im Gespräch mit competitionline plädiert Nagel für mehr Offenheit gegenüber dem Baustoff und skizziert wichtige Holzbauprojekte hierzulande: "Wir müssen mit Holz endlich mehr in die Breite kommen!"

Herr Nagel, wie schaut ein Projektentwickler auf das Thema Holzbau?

Beton ist ein Klimakiller. Holzbau ist die Zukunft – zumindest da, wo es wirklich sinnvoll ist.

Warum wird dann nicht viel mehr mit Holz gebaut?

Holzbau hat es aus mehreren Gründen in der Baubranche beziehungsweise bei vielen meiner Entwickler-Kolleg*innen schwer: Die Genehmigungen laufen schleppend, weil es an vielen offiziellen Stellen noch an Wissen zum Holzbau fehlt. In Deutschland und Europa – die skandinavischen Länder und die Alpenregion mal ausgenommen – fehlt schlicht das Know-how; viele Leute wissen einfach nicht, wie sie moderne Gebäude in Holz bauen können. Das hemmt den Weg in die Zukunft des Bauens sehr. Hinzu kommt, dass Holz ein sehr emotionales Thema ist. Seit Jahrtausenden wissen wir: Holz brennt. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Thema Brandschutz nicht einfacher.

Entwickler Lorenz Nagel leitet seit Juli 2020 PRIMUS Developments. Zuvor hat er unter anderem als Architekt im Büro Eike Becker Architekten und ingenhoven architects gearbeitet.

Entwickler Lorenz Nagel leitet seit Juli 2020 PRIMUS Developments. Zuvor hat er unter anderem als Architekt im Büro Eike Becker Architekten und ingenhoven architects gearbeitet.

Das klingt so, als ob ich als Architekt*in den Entwickler*innen Holzbau erst schmackhaft machen muss?

Vor fünf Jahren hätte ich die Frage anders beantwortet. Aber heute sage ich: Viele Entwickler*innen und Investor*innen wollen mit Holz bauen, sie wissen nur nicht, wie sie das anstellen können. Man muss sich wirklich mit dem Baustoff auseinandersetzen und sich auf ihn einlassen, damit man auch sinnvoll und effektiv mit Holz baut und das Ganze nicht zu einem gut gemeinten Selbstzweck ohne ökologische Wirkung wird. Da möchte ich auch meine Architektenkolleg*innen in die Pflicht nehmen, dass sie mit offenen Karten spielen und sagen: "Holzbau ist super. Das und das sind die Vorteile, und an diesen Stellen hakt es noch." Wir nennen es bei uns "das neue Bauen".

Ist das jetzt die Lösung aller Probleme – sich drauf einlassen? Das klingt so einfach …

Das mag einfach klingen, aber das darauf Einlassen setzt auf ganz vielen Ebenen an. Bei den Planer*innen, bei den Bauunternehmen, natürlich auch bei uns Entwickler*innen, bei den städtischen Genehmigungsstellen und und und … Man darf nicht vergessen: Alle haben über viele Jahrzehnte hinweg nur mit Beton gearbeitet und kennen diesen Baustoff in und auswendig. Da braucht es Umgewöhnungszeit für etwas Neues. Umso wichtiger ist Know-how als Überzeugungsfaktor!

… Know-how, das wir in Deutschland haben?

Definitiv. Wir haben ja mit dem WOODIE in Hamburg bewiesen, dass wir Holzbau in Deutschland können. Dass das Projekt den Mipim Award bekommen hat, macht uns natürlich stolz, aber es war auch ein Paukenschlag für die Baubranche hierzulande. "Seht her, man kann mit Holz mehr anstellen, als nur das klassische Einfamilienhaus zu bauen! Man kann damit große siebengeschossige Gebäude bauen." Es funktioniert nicht nur, sondern es lohnt sich auch aus finanzieller Sicht. Man kann ein solches Projekt wirtschaftlich stemmen und gleichzeitig nachhaltig bauen.

Das Studentenwohnheim WOODIE von Sauerbruch Hutton aus vorgefertigten Holzmodulen erhielt zahlreiche Preise, darunter den Mipim Award 2019.

Das Studentenwohnheim WOODIE von Sauerbruch Hutton aus vorgefertigten Holzmodulen erhielt zahlreiche Preise, darunter den Mipim Award 2019.

Projekte

Das eingespielte Mipim-Team ist wieder am Werk: Ebenfalls mit Sauerbruch Hutton und Kaufmann Bausysteme baut PRIMUS Developments im Berliner Regierungsviertel Holzmodul-Büros für Bundestagsabgeordnete. Das Projekt läuft intern unter dem Spitznamen "LUISE", angelehnt an die benachbarte Luisenstraße.

Die aus Vollholz-Modulen bestehenden Obergeschosse des geplanten Bürogebäudes sollen mit farbigen Fassadenelementen verkleidet werden.

Die aus Vollholz-Modulen bestehenden Obergeschosse des geplanten Bürogebäudes sollen mit farbigen Fassadenelementen verkleidet werden.

"Holzbau ist nicht nur nachhaltig ein Goldstandard, sondern auch schnell“, sagt Entwickler Lorenz Nagel. „In konventioneller Betonbauweise kann es bis zur Mängelbeseitigung und Co. locker ein paar Jahre dauern – Holzbau verkürzt das deutlich, gerade wenn wir mit vorgefertigten Modulen arbeiten. Die Zeit, die wir als Projektentwickler ins Risiko gehen, ist also viel kürzer."

Auch in Hessen entsteht derzeit ein neuer Bürokomplex des Hamburger Entwicklers. Das Büroprojekt ROCKYWOOD wird ebenfalls in Holzhybridbauweise gebaut – nach Entwürfen von Eike Becker Architekten. Aktuell befindet sich das Projekt in der Ausführungsplanung. In der zweiten Jahreshälfte soll der Bau beginnen. "Das ist für uns eine spannende Aufgabe", sagt Nagel, "weil wir unter Beweis stellen können, dass man mit Holzmodulen auch moderne Bürowelten bauen kann."

"Es geht aber nicht immer nur um Neubau. Es gibt auch sehr starke, clevere und nachhaltige Lösungen im Bestand", konstatiert Nagel. In Hamburg beispielsweise wird auf dem ehemaligen Postbank-Areal in der City-Nord von MAGNA Real Estate ein Altbau aus den 1980er-Jahren erweitert. Rund die Hälfte des Bestands soll nach den Entwürfen von Sauerbruch Hutton erhalten bleiben – ergänzt durch Aufstockung in Holzbauweise. Am Ende soll ein Campus mit Büro- und Wohnräumen entstehen. "Die Klimabilanz eines solchen Projekts ist sehr gut", so Nagel, "weil nicht einfach abgerissen und neu gebaut wird. Holz kommt als Goody noch obendrauf."

"Das Projekt von Magna ist noch in der Planung, und man muss am Ende genau hinschauen, was wirklich klappt. Aber ich bin da sehr optimistisch. Auf jeden Fall ist es ein wichtiger Ansatz: 50 Prozent eines Areals, was eigentlich hätte abgerissen werden sollen, wird nicht abgerissen, sondern clever mithilfe vom Holzbau umgenutzt."

Im Frühjahr 2020 ergatterte Kaufmann Bausysteme einen 180 Millionen Euro schweren Auftrag der Stadt Berlin: In den kommenden vier Jahren errichten die Österreicher nach Plänen von NKBAK Architekten bis zu 32 Erweiterungsbauten von Bildungseinrichtungen in der deutschen Hauptstadt.

Im Frühjahr 2020 ergatterte Kaufmann Bausysteme einen 180 Millionen Euro schweren Auftrag der Stadt Berlin: In den kommenden vier Jahren errichten die Österreicher nach Plänen von NKBAK Architekten bis zu 32 Erweiterungsbauten von Bildungseinrichtungen in der deutschen Hauptstadt.

"Es entstehen flächendeckend gerade viele spannende Projekte. In Berlin zum Beispiel setzt unser Partner Kaufmann Bausysteme, mit dem wir alle Holzbauprojekte machen, 32 Schulen in Holzmodulbauweise um. Angepeilt ist eine Bauzeit von einem Monat, und dann ist die nächste Schule dran … Solche Projekte sind wegweisender als ein einzelnes Leuchtturm-Projekt."

Das Know-how müssen wir jetzt in die Breite bringen, und das tun wir ja auch gerade mit mehreren Projekten (siehe Kasten). Die Bauunternehmen, die Kommunen, die Entwickler*innen und natürlich auch die Architekt*innen – alle müssen sehen: Was wir bis jetzt in Beton gebaut haben, können wir zum großen Teil auch mit Holz umsetzen. Ich glaube, wir sind in Deutschland auf einem richtigen Weg, und es werden immer mehr Weichen gestellt, auch wenn das von Bundesland zu Bundesland noch sehr variiert. Wir sind sicherlich noch nicht in der Champions League des Holzbauens, aber wir sind definitiv auch nicht mehr Kreisklasse.

Das waren jetzt Beispiele aus Berlin und Hamburg – der Weg in die Breite geht doch nicht nur mit Projekten in zwei Metropolen …

Das stimmt natürlich. Hinzu kommen Bayern und Baden-Württemberg, die über viel Know-how im Holzbau verfügen. Aber man muss leider auch sagen: Es gibt Bundesländer, in denen Holzbau auf einem wünschenswerten Level noch gar nicht möglich ist. Da fehlt ein bisschen der Mut, weil es bei den Beteiligten an Wissen mangelt. Einige Bundesländer haben immer noch große Defizite, was die Genehmigung von Holzbauten angeht. Aber das ändert sich gerade: Ich spüre allerorten eine wachsende Offenheit gegenüber dem Baustoff Holz.

Wie wir zum Holzbau kamen

In der Konzeptionsphase des WOODIE haben wir uns die Frage gestellt, wie wir bei so einem klassischen Bauprojekt (studentisches Wohnen: möbliertes Zimmer mit Bad) einen Weg gehen können, der etwas unkonventioneller und nachhaltiger ist, als klassisch Beton oder Gipskartonwände zu verbauen. Da kam der Gedanke der Modularität auf, weil es sich um wiederkehrende Grundrisse handelte. Über die Modularität kamen wir in Kontakt mit Kaufmann Bausysteme in Österreich, die uns sagten, wir könnten das Modul auch einfach aus Holz bauen. Da schrillten bei uns natürlich erst einmal die Alarmglocken, immerhin ging es nicht einfach nur um einen zweigeschossigen Wohnungsbau. Ob wir das genehmigt kriegen? Kaufmann konnte uns aber mit ihrer Erfahrung mit dem Baustoff viele Sorgen nehmen. Zusammen mit Sauerbruch Hutton sind wir dann trotz aller Zweifel das Wagnis Holzbau eingegangen. Und wollen es nicht mehr missen.

Wo stehen wir in Sachen Holzbau in Deutschland?

Am Wendepunkt. Wir müssen das Wissen von einzelnen Projekten jetzt in die Breite bringen und Holzbau als klimafreundliche Alternative etablieren. In Österreich, in der Schweiz und in den nordischen Nachbarländern ist man viel weiter als bei uns. Wenn wir den Mut haben, werden wir das aber aufholen können. Ich glaube, Deutschland ist ein neugieriges und innovatives Land. Der Holzbau wird in den nächsten zehn Jahren eine ganz große Bedeutung bei dem Versuch einnehmen, das Baugewerbe nachhaltiger zu machen. Denn was die CO2-Bilanz unseres Bauens angeht, können wir uns nicht auf unsere Beton-Schultern klopfen.

Und wenn die Schultern aus Holz sind, dürfen wir uns anerkennend draufklopfen? Will heißen: Holz ist das Ende der Nachhaltigkeitsfahnenstange?

Holz wird ein gewichtiger Teil der Bauwende sein. Aber auch unsere Holzbauten bestehen nicht komplett aus Holz. Wir müssen immer noch Beton verbauen – für Fluchtwege zum Beispiel, weil sonst der Brandschutz Bauchschmerzen hat. Auch beim Thema Dämmung müssen wir noch clevere Lösungen finden.

Holz ist ein wichtiger, grundlegender Ansatz, weil wir so den massivsten Baustoff klimafreundlich austauschen – vom CO2-intensiven Beton hin zum CO2-bindenden Holzbau. Aber es ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, und wir sollten alle immer versuchen, neugierig und innovativ zu bleiben. Wenn wir mit Holz bauen, sind wir nicht auf einmal alle Probleme dieser Erde los, aber der Holzbau ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Herr Nagel, vielen Dank für die Einblicke.

Dieser Artikel erschien erstmals am 29. März 2021 auf competitionline.com.