Erinnern Sie sich an die Jahrhundertflut 2002? Damals tauchte der in den Umfragen zur Bundestagswahl abgeschlagene Kanzler Gerhard Schröder plötzlich medienwirksam in Gummistiefeln in den Hochwassergebieten auf. Am Wahltag, dem 22. September 2002, zog er haarscharf an Edmund Stoiber vorbei. Manche Beobachter führten das auch auf seine beherzten Auftritte als Katastrophenmanager zurück. Stoiber hingegen hatte erst gemahnt, man dürfe das Leid von Menschen nicht für wahltaktische Manöver ausnutzen, ließ sich dann aber wenig überzeugend doch in Schlamm- und Bruchbudenkulissen ablichten – für ihn zu spät, wie sich an der Urne herausstellte.

Im Sommer 2002 traten die Elbe und ihre Zuflüsse über die Ufer. Tausende Menschen verloren ihr Hab und Gut. Ihnen versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder im sächsischen Grimma in Regenjacke und Gummistiefeln Hilfe.

Im Sommer 2002 traten die Elbe und ihre Zuflüsse über die Ufer. Tausende Menschen verloren ihr Hab und Gut. Ihnen versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder im sächsischen Grimma in Regenjacke und Gummistiefeln Hilfe.

„Gummistiefelmomente“ nennt unsere Herausgeberin Susana Ornelas Ereignisse, in denen Führungspersönlichkeiten viel gewinnen, aber auch verlieren können. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Personalverantwortung in Architekturbüros.

Einen Gummistiefelmoment par excellence erleben wir gerade. Er fordert jedem Einzelnen viel ab. Von Unternehmen verlangt er noch mehr: Weitsicht, Sensibilität und gute Führung – und zwar mehr, als sich in betriebswirtschaftlichen Kennzahlen abbilden lässt.

Ein aktuelles Beispiel: Die Mitarbeiterin eines Berliner Architekturbüros erzählt, dass ihre Geschäftsführung angesichts der Schul- und Kitaschließungen im Zuge der Corona-Krise allen Mitarbeiter*innen mit betreuungspflichtigen Kindern ermöglicht, in Teilzeit bei vollem Lohnausgleich von zu Hause aus zu arbeiten; vorerst zwar „nur“ für einen begrenzten Zeitraum von drei Wochen – „danach müsse man weitersehen“ –, aber immerhin.

Aus einem anderen Architekturbüro berichtet ein Angestellter hörbar entnervt, dass sein Arbeitgeber von seinen Mitarbeiter*innen im Homeoffice zusätzlich zu dem Umstellungs- und Anpassungsaufwand auch noch ein genaues Reporting darüber verlangt, wie viel Zeit sie für die Kinderbetreuung aufwenden.

Was meinen Sie, was bei den Mitarbeiter*innen beider Büros für ein Eindruck bleibt (und was sie in ihrem Architekt*innen-Netzwerk verbreiten werden)? Oder anders gefragt: In welchem Büro würden Sie lieber arbeiten?

Was sich sonst noch tut

  • Gute Nachrichten für Architekten: Nachdem die Bundesregierung bereits Anfang vergangener Woche erlassen hatte, dass alle Bauprojekte des Bundes so weit wie möglich weitergeführt werden sollen, ist nun ein Erlass bezüglich der Ausschreibungen neuer Planungs- und Bauprojekte des Bundes gefolgt. Demnach seien „ausschreibungsreife Gewerke“ weiterhin zu vergeben, Planungen fortzusetzen und „weitere Bauvorhaben zur Ausschreibung zu führen“. Angebots- und Vertragsfristen sollen der aktuellen Situation angepasst und einzureichende Bescheinigungen können durch Eigenerklärungen ersetzt werden. Auch wenn die Ausschreibungen des Bundes mengenmäßig nicht sehr ins Gewicht fallen, könnte vom Erlass eine Signalwirkung an Länder, Kommunen und andere öffentliche Auftraggeber ausgehen. Derzeit lässt sich allerdings ohnehin noch kein Rückgang der Ausschreibungen feststellen. 
  • Die Bereitstellung der hastig zusammengeschnürten Hilfsmaßnahmen für Unternehmen setzt Banken und Sparkassen unter Druck. Die Bewilligung von Soforthilfen gerät wegen der Masse an Anträgen vielerorts ins Stocken. Nachdem die Investitionsbank Berlin die Annahme weiterer Anträge für Soforthilfen bereits am Wochenende bis ausgesetzt hatte (wir berichteten), könnte nun auch das konventionelle Darlehens- und Kreditgeschäft  Geldinstitute in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Immobilien Zeitung meldet, dass etwa die Hamburger Sparkasse keine neuen Darlehensanträge mehr annehme. Mindestens drei Monate werde es dauern, bis wieder eine seriöse Bewertung der Rahmenbedingungen möglich sei. Gerade fließe alle Energie in die Umsetzung der staatlichen Hilfspakete, zitiert die Zeitung einen Sprecher der Haspa.
  • Während der Sachverständigenrat der Bundesregierung gestern eine deutliche Rezession von Minus 2,8 Prozent in diesem Jahr prognostiziert hat, scheinen deutsche Architekten und Planer eher zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Das geht aus dem Architektenbarometer des Marktforschungsinstitut BauInfoConsult hervor. Mitte März glaubte demnach nicht einmal die Hälfte der befragten Planer, dass das Corona sie wirtschaftlich ernsthaft infizieren könnte. Die Marktforscher führen die zuversichtliche Stimmung auf die vollen Auftragsbücher und Umsatzreserven sowie auf die schnellen Konjunkturhilfen der Bundesregierung zurück. Gleichwohl sind die Erwartungen der deutschen Architekt*innen an die kommenden Monate so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Das hat das Münchner Ifo Institut kürzlich in einer Architekten-Befragung festgestellt.
  • Weil gerade oft moniert wird, dass nur den kleinen (Soforthilfen) sowie großen (Wirtschaftsstabilisierungsfonds) Unternehmen geholfen wird, die Mitte mit elf bis 249 Mitarbeiter*innen aber außen vor bleibe, hier eine Grafik aus der letzten Steuerstatistik:
  •  
  • Während findige Messebauer nun Notfallambulanzen bauen, produzieren amerikanische Architekturbüros in einem Open-Source-Projekt per 3D-Druck Gesichtsvisiere für Krankenhäuser und Pflegepersonal. Wie das etwa im New Yorker Büro von BIG funktioniert, sehen Sie hier.

  • Möchten Sie wissen, wie es deutschen Architektur- und Planungsbüros in der Corona-Krise geht? Dann nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und beteiligen Sie sich an unserer aktuellen Umfrage. Wir freuen uns auf Ihre Antworten bis Montag, 6. April, 10 Uhr.

Im ersten Fall wird die Geschäftsführung bei ihren Mitarbeiter*innen aufgrund ihrer Reaktion auf lange Zeit einen Stein im Brett haben. Das zweite Beispiel zeigt, dass man als Geschäftsführung derzeit auch schnell unbedacht handeln kann. Die Motive des Arbeitgebers mögen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein – Planung der Leistungsfähigkeit oder Erfassung notwendiger Angaben für einen Antrag auf Kurzarbeitergeld –, den Mitarbeiter*innen wurden sie offensichtlich nicht oder nicht ausreichend kommuniziert. Haften bleibt das ungute Gefühl, von seinem Arbeitgeber misstrauisch überwacht zu werden. Das demotiviert und schadet der Leistung.

Zusammenrücken

Transparent und wertschätzend mit Auftraggebern, Geschäftspartner*innen, Kolleg*innen kommunizieren, Mitarbeiter*innen mitnehmen und sie mit Hilfestellung, Empathie und Geduld durch diese Zeit leiten, selbst wenn einem selber manchmal zum Heulen zumute ist – selten waren diese Fähigkeiten so gefragt wie heute.

Was man dabei aber gewinnen kann, zeigt ein drittes Beispiel: Ein befreundeter IT-Mitarbeiter eines Büros war sich lange unsicher, ob er mit seinem neuen Arbeitgeber auf Dauer warm werden würde. Kürzlich erzählte er am Telefon, dass ihn die schnelle Reaktion des Unternehmens in Sachen Corona beeindruckt habe: „Wir wurden schon vor über drei Wochen ins Homeoffice geschickt. Erst fand ich das übertrieben, aber angesichts der Lage erscheint mir das jetzt vorausschauend und verantwortungsvoll.“ Das Unternehmen habe sich beeilt, alle notwendigen Hilfestellungen für die Heimarbeit zu organisieren: „Das ging von Softwarelizenzen und leistungsfähigeren Providerverträgen über den koordinierten Transport von Bürostühlen und Bildschirmen per Möbeltaxi nach Hause bis hin zu Tipps, wie man die Kommunikation via Telko oder Videokonferenz vereinfachen kann.“ Er bekomme mehrmals pro Woche eine aufmunternde Mail von der Geschäftsführung mit Informationen über die Lage im Büro und in der Branche sowie mit Tipps & Tricks, wie man den Alltag und die Abläufe im Homeoffice verbessern, „aber auch wie ich meine Kinder beschäftigen kann“. Insgesamt sei die Kommunikation zwar aufwendiger, der Austausch aber intensiver geworden, so der Informatiker. „Ich habe paradoxerweise das Gefühl, dass wir alle ein Stück enger zusammengerückt sind.“

In diesem Sinne: Nutzen Sie den Gummistiefelmoment. Es kann, um ein weiteres Lieblingswort von Kollegin Ornelas zu zitieren, geschäftsentscheidend sein.

Beste Grüße,

Ihre competitionline-Redaktion