Normalisierung ist das Schlagwort des Ausschreibungsjahrs 2021. Jahrelang wurde die Branche beim Blick auf den öffentlichen Planungsmarkt von starken Wachstumsraten verwöhnt, im ersten Corona-Jahr musste sie dann aber eine kleine Delle hinnehmen. 2021 ist diese Delle ausgebeult: Die Zahl öffentlicher Planungsausschreibungen nahm im vergangenen Jahr um starke 12,7 Prozent auf 14.326 Stück zu, wie der Blick in die competitionline-Datenbank zeigt. Alexander Kramer, Fachmann für Vergaberecht des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), konstatiert mit Blick auf die neuen "Monitor"-Zahlen: "Der Schub ist zurück."

 

War das erste Pandemie-Jahr noch von Unsicherheiten geprägt – die Steuereinnahmen der Kommunen brachen ein, und Sorgen, dass viele Bauvorhaben angesichts gesperrter Haushalte eingestellt würden, machten die Runde –, stand 2021 für die deutsche Wirtschaft Sortierung auf der Tagesordnung. "Die Pandemie ist zwar längst nicht vorbei", so Kramer, "aber für uns alle beherrschbarer geworden." Dementsprechend traue sich die öffentliche Hand mehr und größere Investitionsvorhaben zu. "Die Ungewissheit, die 2020 Bauvorhaben ausbremste, ist einer Zuversicht und einem gewissen Maß an Planungssicherheit gewichen."

 

Eine Planungssicherheit, um die sich Bund und Länder bereits kurz nach Beginn der Pandemie mit Milliardenzuschüssen und Erleichterungen im Haushaltsrecht bemüht hatten. Im vergangenen Jahr wurden die Maßnahmen vereinzelt fortgeführt. "Nur das reicht nicht. Es braucht auf kommunaler Ebene neue Unterstützung", fordert Kramer.

Wie sehr finanzielle Hilfen in der Lage sind, die Ausschreibungslandschaft zu stimulieren, zeigt das Beispiel Offenbach. Das Land Hessen legte schon 2018 – und damit lange vor Corona – ein Milliardenprogramm für seine hochverschuldeten Kommunen auf. Die junge Stadt am Main bekam "Beinfreiheit für Investitionen", wie es ihr Kämmerer ausdrückt, und konnte Geld in den Schulbau investieren. Innerhalb weniger Jahre stieg dadurch die Zahl der Auslobungen rapide an.

Alexander Kramer leitet im Dezernat III die Bereiche Städtebaurecht und Stadtentwicklung, Klimaschutz und Umwelt, Raumordnung; Land- und Forstwirtschaft, sowie Vergaberecht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Alexander Kramer leitet im Dezernat III die Bereiche Städtebaurecht und Stadtentwicklung, Klimaschutz und Umwelt, Raumordnung; Land- und Forstwirtschaft, sowie Vergaberecht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Die Milliarden von Bund und Ländern lassen im diesjährigen Monitor auch bundesweit einzelne Objekttypen glänzen. So profitiert der Bereich Sport und Freizeit von den 2021 ausgeschütteten 110 Millionen Euro im Förderprogramm "Investitionspakt Sportstätten" des Bundes und kann zum ersten Mal die Marke von 1000 Ausschreibungen durchbrechen. Geht es nach dem Deutschen Olympischen Sportbund, müssten hier schon sehr bald viele Milliarden folgen.

Das Wachstum des Objekttyps von 27 Prozent erklärt Kramer aber auch mit einem Nachholeffekt. "Dieser Bereich war gerade im vergangenen Jahr ganz anders gefragt als im Corona-Jahr." 2020 gab es bundesweit lange, pauschale Schließungen, die zum Teil bis ins erste Quartal 2021 reichten, "aber danach haben wir so etwas flächendeckend nicht mehr gesehen, sodass der Freizeitbereich wieder attraktiv für Investitionen wurde".

 

Starkes Wachstum verbuchten ebenfalls die Gesundheitsbauten. Laut Kramer ist auch das ein Corona-Effekt. Die Länder haben den Kommunen zweckgebunden Mittel zur Verfügung gestellt, um Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen besser auszustatten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Ausschreibungen dieses Typs auch in den kommenden Jahren weiter zulegen. Denn: "Diese Investitionen in die gesundheitliche Infrastruktur sind umfassend und nicht mal so eben abgeschlossen."

Datenbasis competitionline Monitor

Die Grundlage des competitionline Monitors bilden Ausschreibungen aus Deutschland, die im Jahr 2021 auf competitionline.com veröffentlicht wurden. Diese stammen von offiziellen Ausschreibungsorganen (regionale und überregionale Amtsblätter), wurden von privaten und öffentlichen Bauherr*innen direkt zugesandt oder von der competitionline-Redaktion aus über 400 zusätzlichen Quellen kontinuierlich recherchiert und zusammengetragen. Für die deutschen Vergabeverfahren stellt diese Datenbasis seit Jahren eine stabile und verlässliche Auswertungsgrundlage dar.

Wir berücksichtigen alle Architektenwettbewerbe, die mit einem realen Planungsauftrag in Verbindung stehen. Studentenwettbewerbe, Kunst- und Design-Wettbewerbe sind nicht Teil der Wettbewerbsanalyse, werden allerdings bei Aussagen zu Ausschreibungen generell berücksichtigt.

Architekturrelevante Ausschreibungen umfassen die Ausschreibungen im Hauptleistungsspektrum von Architekturbüros: Objektplanung Gebäude und Innenräume sowie Objektplanung Freianlagen und Stadt- und Gebietsplanung.

Ingenieurrelevante Ausschreibungen beinhalten Leistungen im Bereich Objektplanung Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen, Landschaftsplanung, Energieplanung, Technische Ausrüstung, Tragwerksplanung, Bodenmechanik – Erd-/Grundbau, Schallschutz – Raumakustik, Sicherheits-/Gesundheitsschutz, Studien – Gutachten, Thermische Bauphysik und Vermessung.

Beim Vergleich der Zahlen ist zu beachten, dass einer Ausschreibung stets nur eine Verfahrensart, aber mehrere Leistungsarten, Gebäudetypen und Adressen zugeordnet werden können, weshalb es zu Fallzahlen kommen kann, die die Summe an Ausschreibungen übersteigen.

Der Blick auf die regionale Verteilung der öffentlichen Ausschreibungen bestätigt Altbekanntes: Die meisten Auftragschancen gab es 2021 erneut in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Ihr Anteil schrumpft jedoch seit Jahren – langsam, aber konstant. Kamen sie 2017 noch auf fast 53 Prozent aller Ausschreibungen, waren es 2021 nur noch 47,1 Prozent.

 

Überdurchschnittlich groß war das Wachstum im vergangenen Jahr mit 45 Prozent beziehungsweise 180 Ausschreibungen in Rheinland-Pfalz. Das Plus lässt sich aber nicht eindeutig auf Wiederaufbaumaßnahmen nach der Ahrtal-Flutkatastrophe im Juli zurückführen, wie eine Analyse der Monatswerte zeigt. Das für Bau zuständige rheinland-pfälzische Finanzministerium teilt auf Anfrage mit, dass der Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung (LBB) eine deutlich gestiegene Zahl an Vergabeverfahren durchgeführt hat. Der LBB hat auch die Sanierung des Mainzer Landtags umgesetzt.

Anteil offener Verfahren nimmt weiter zu

Ebenfalls bereits bekannte Entwicklungen unterstreicht der Blick auf die Verfahrensarten. Die Bedeutung offener Verfahren nimmt wie im Vorjahr weiter zu – wenn auch weniger stark. An den architektenrelevanten Ausschreibungen steigt ihr Anteil um rund zwei Punkte auf jetzt 21,8 Prozent. Im Vorjahr hatte sich ihr Anteil schlagartig mehr als verdoppelt.

 

Seit 2016 erlaubt die EU-Vergabeverordnung (VGV) öffentlichen Auftraggeber*innen für die Vergabe von Planungsleistungen auch offene und nichtoffene Verfahren. Dabei handelt es sich um reine Angebotsverfahren, das heißt, die Auftraggebenden treffen ihre Vergabeentscheidung auf Grundlage der Eignung der Bietenden sowie ihrer eingereichten verbindlichen Angebote.

Zahl der Wettbewerbe steigt leicht

Gegenüber dem Vorjahr hat die Zahl der Wettbewerbe 2021 geringfügig um 15 Stück zugelegt. Ihr Anteil an sämtlichen architektenrelevanten Ausschreibungen sank allerdings erneut leicht von 3,0 Prozent in 2020 auf 2,8 Prozent in 2021. Zehn Jahre zuvor ging fast jede dritte öffentliche Ausschreibung auf einen Wettbewerb zurück.

 

Detaillierte Informationen über die Entwicklung der Wettbewerbe lesen Sie hier in unserem "Wettbewerbe spezial" zum competitionline-Monitor 2022.

 

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie entwickeln sich die Ausschreibungen in diesem Jahr? Angesichts der aktuellen geopolitischen Verwerfungen ist diese Frage schwerer zu beantworten denn je. Zumindest für Corona lässt sich konstatieren: "Vorausgesetzt, es funkt uns im Herbst keine gefährlichere Variante als Omikron dazwischen, können wir davon ausgehen, dass die öffentliche Hand die Pandemie immer besser verdauen wird", so Kramer. Für 2022 rechnet der Spezialist für kommunale Vergabe folglich mit einem ähnlich starken Wachstum der Ausschreibungen wie im vergangenen Jahr.

Ein Optimismus, der neben Corona noch von einer anderen Unbekannten eingetrübt werden könnte: der Angriffskrieg auf die Ukraine. Dass dieser zu einem geopolitischen Faktor mit Auswirkungen auf das deutsche Baugewerbe wird, unterstreicht ein Erlass des Bundesbauministeriums. Ein nicht unerheblicher Teil der auf den Baustellen eingesetzten Materialien kommt aus Osteuropa; um exorbitante Mehrkosten der Branche abzufedern, hat der Bund bei seinen Hochbauten großzügige Regelungen für Stoffpreisgleitklauseln auf den Weg gebracht.

Bei den Folgen des Kriegs für die Bauwirtschaft geht es aber nicht nur um Materialengpässe, betont Konstantin Kholodilin, Immobilienökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): "Die Flüchtlingsströme werden die Nachfrage nach Wohnraum deutlich erhöhen, vermutlich muss der allgemeine Wohnungsbau durch breite öffentliche Initiativen ergänzt werden. Ich bin jedoch skeptisch, was die dazu verfügbaren Ressourcen angeht: Die Staatsschuldenlast befindet sich auf einem historischen Rekordstand, und die Zinsen, Energie- sowie Baukosten steigen."

Ukrainische Kriegsgeflüchtete: wo unterkommen auf dem belasteten deutschen Wohnungsmarkt?

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Neben dem Wohnungsbau drängt sich die Frage auf, welche Auswirkungen die kriegsbedingte Fluchtbewegung auf den Schulbau haben wird. Immerhin ist nicht zu erwarten, dass die vielen geflüchteten Mütter und Kinder bald in ihre Heimat zurückkehren können. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, rechnet daher mit bis zu 250.000 ukrainischen Schüler*innen, die langfristig ins deutsche Bildungssystem integriert werden müssen.

An einen Schub für den Schulbau glaubt DIW-Experte Kholodilin jedoch nicht. "Ich vermute, dass zunächst die existierenden Schulen 'verdichtet' werden. Schon jetzt werden die sogenannten Willkommensklassen geöffnet bzw. Flüchtlingskinder in existierende Klassen aufgenommen." Zudem müsse man sehen, dass trotz aller Bemühungen im Schulbau die Zahl der Bildungseinrichtungen von 44.000 Anfang der 90er auf 32.000 im Jahr 2020 zurückgegangen sei.

Auch Kramer vom DStGB glaubt nicht, dass der Krieg in seiner derzeitigen Eskalationsstufe signifikante Auswirkungen auf den Ausschreibungsmarkt haben wird. Zum einen hätten Kommunen 2015 Strukturen zur Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten entwickelt. Zum anderen hat die öffentliche Hand gerade "die große Unbekannte Pandemie" erlebt, in deren Folge Verwaltungen gelähmt und Investitionsentscheidungen ausgebremst wurden. "Der Krieg ist nicht 'das nächste Corona' in der Ausschreibungslandschaft."

 

 

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