Zum elften Mal präsentiert competitionline die umfangreichste Statistik von Wettbewerben für Planungsleistungen in Deutschland. Dafür haben wir sämtliche auf competitionline.com veröffentlichten Ausschreibungen des Vorjahres ausgewertet (siehe Datenbasis am Ende dieses Artikels). 

Wie schon im Vorjahr fällt die Bilanz des Wettbewerbsjahres 2021 ernüchternd aus. “Ein Armutszeugnis” nennt der Leiter der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, die Entwicklungen gar. 

 

Zwar gab es 15 Wettbewerbe mehr als im ersten Corona-Jahr 2020. Ihr Anteil an allen architektenrelevanten Ausschreibungen geht jedoch um 1,2 Punkte zurück. Damit sinkt der Wert das zehnte Jahr in Folge und erreicht einen historischen Tiefstand von 7,6 Prozent. Bereits 2020 war der Anteil der Wettbewerbe erstmals in den einstelligen Bereich gerutscht. 2011 betrug er noch 28 Prozent. Seitdem ist der Wert folglich um das Vierfache geschrumpft.

 

Während die Zahl der Ausschreibungen im Zehnjahresdurchschnitt zweistellig gewachsen ist, bewegen sich die Wettbewerbe nicht von der Stelle. Ihre Zahl dümpelt in einem Korridor zwischen 380 und 500 Stück pro Jahr auf einem durchschnittlichen Niveau von 430 Wettbewerben hin und her. Dem Wettbewerb ist der Schub abhandengekommen. Und er lässt sich auch nicht herbeireden. Offensichtlich kann der Mehrwert von Lösungskonkurrenzen die große Mehrheit der Bauherr*innen nicht überzeugen. 

“Die Ressourcengrenze der Auslober*innen ist erreicht”, interpretiert competitionline-Geschäftsführer Dirk Bonnkirch die Entwicklung. “Wer mehr Wettbewerbe will, muss die Verwaltungen ertüchtigen. Wir sollten eine ehrliche Diskussion beginnen zwischen denen, die das ändern möchten, und denen, die das ändern können, die öffentlichen Bauherr*innen.” 

 

 

 

Auch die offenen Wettbewerbe setzen ihre Talfahrt fort. 2021 wurden bundesweit nur noch 26 Planungsleistungen ohne jegliche Zugangshürden ausgeschrieben. Noch nie war die Zahl in der jährlichen Ausschreibungsstatistik von competitionline niedriger. Seit 2018 hat sich ihre Zahl mehr als halbiert. Am Corona-Virus, das Deutschland erst 2020 erreicht hat, kann es also nicht alleine liegen.

 

Der offene Wettbewerb sei “nicht mehr unbedingt das sicherste Verfahren, um zu den besten Ergebnissen zu kommen”, bemüht sich Reiner Nagel im competitionline-Interview um einen Erklärungsversuch. Der Aufwand sei vergleichsweise groß, zudem komme es insbesondere in zweiphasigen offenen Wettbewerben vor, “dass manche Büros die Aufgabe nur ansatzweise durchdringen und sich darauf konzentrieren, mit ihrem Entwurf möglichst aufzufallen, um so in die zweite Phase zu kommen”, so der Leiter der Bundesstiftung Baukultur weiter. Im Vergleich zu früher säßen auf Ausloberseite außerdem immer häufiger sachkompetente Fachleute. “Die haben ein Anliegen: Mit wem würde ich gerne bauen? Wer kann das, wer kann das nicht? Und die Antworten kann man in einem Einladungswettbewerb besser formulieren.” 

Ist der offene Wettbewerb noch zu retten?

Für viele Büros ist der offene Wettbewerb nach wie vor die einzige Möglichkeit, an große Aufträge zu kommen. “Wir sollten sie auf jeden Fall da anbieten, wo das die Aufgabe hergibt”, ist Nagel überzeugt. “Aber wir dürfen dabei nicht fahrlässig sein und zu viele Ressourcen verbrennen.” 

 

Alexander Koblitz drückt es drastischer aus. Für junge Büros sei das gegenwärtige Wettbewerbssystem eine Katastrophe, sagt der Geschäftsführer von kleyer.koblitz.letzel.freivogel Architekten aus Berlin. Deutschland sei eine “Sicherheits- und Komfortgesellschaft, in der sich die Auftraggeber so absichern, dass sie ausschließlich mit erfahrenen Büros zusammenarbeiten können”, so der Sechstplatzierte des competitionline Rankings 2020 und Träger des brandenburgischen Baukulturpreises weiter. Die Bau- und Liegenschaftsämter seien zunehmend von Juristen dominiert, “deren ästhetisch-räumlicher Anspruch in der Regel sehr begrenzt ist”, meint Koblitz. “Es sind genau diese Juristen, die mit juristischen Winkelzügen den offenen Zugang zu Wettbewerbsverfahren unterbinden.”

Eignungsleihe durch hybrid professionals in kollaborativen Netzwerken 

Mit dem Rückgang offener Wettbewerbe schließt sich für den Nachwuchs ein Tor in die Selbstständigkeit. Junge und kleine Büros drohen auf der Strecke zu bleiben – oder müssen umdenken. Mit dem Arbeiten in Netzwerken sowie der Eignungsleihe stehen schon jetzt Möglichkeiten zur Verfügung, an beschränkten Verfahren teilzunehmen. Dass das eine zukunftsweisende Strategie sein kann, zeigt die durch die Corona-Pandemie neu angeheizte Diskussion rund um New Work. Arbeitsforscher*innen und Unternehmensberater*innen gehen davon aus, dass das Arbeiten in starren Bürostrukturen sukzessive durch projektbezogene Kollaboration in Netzwerkstrukturen ersetzt wird. “Maximale Freiheit, maximaler Sinn”, fasst Jens O. Meissner, Professor für Organisation und Innovation an der Hochschule Luzern, die Zukunft der Arbeit in kreativen Branchen zusammen. Darin arbeiten "Hybrid Professionals", hochqualifizierte Portfolioarbeiter, extrem professionell und projektbasiert für verschiedenste Auftraggeber.

500 Prozent mehr interdisziplinäre bzw. Ingenieurwettbewerbe

Es gibt auch gute Nachrichten: 2021 gab es fünf interdisziplinäre bzw. Ingenieurwettbewerbe. Nach null in 2018, zwei in 2019 und drei Ingenieurwettbewerben in 2020 ist das ein klarer Aufwärtstrend – und gegenüber 2018 eine Steigerung von 500 Prozent. 

Der 1. Preis im interdisziplinären Wettbewerb um die Sanierung und Umbau des ehemaligen Lichtspieltheater der Jugend zum neuen Standort des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst in Frankfurt (Oder) aus dem Jahr 2021.

Der 1. Preis im interdisziplinären Wettbewerb um die Sanierung und Umbau des ehemaligen Lichtspieltheater der Jugend zum neuen Standort des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst in Frankfurt (Oder) aus dem Jahr 2021.

“Ingenieurwettbewerbe und interdisziplinäre Wettbewerbe bieten für öffentliche Bauherr*innen sowie für private Investor*innen ein gutes Instrument, um auf den Gebieten des Städtebaus, der Planung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken, der Tragwerks- und Energieplanung, der technischen Gebäudeausrüstung energieeffizientes und nachhaltiges Bauen bestmöglich umzusetzen”, kommentiert Markus Balkow, stellvertretender Geschäftsführer der Bundesingenieurkammer die Entwicklung.

Dazu tragen auch die neuen technischen Möglichkeiten bei. “Die digitale Transformation lässt traditionelle, lineare Wertschöpfungsketten immer mehr erodieren”, heißt es in einem Thesenpapier des deutsch-österreichischen Innovationsberatungsunternehmen Lead Innovation. Projekte werden demnach zunehmend von interdisziplinären Teams abgewickelt. Freelancer, Internships und Job Hopping machen Arbeitsverhältnisse flexibler – eine Arbeitsweise, die in der Planungsbranche durchaus angelegt ist und vielfach praktiziert wird und die Chance birgt, die Kleinteiligkeit und Vielfalt der Branche zu erhalten.  

Mehr städtebauliche sowie landschafts- und freiraumplanerische Wettbewerbe

Wettbewerbe bei städtebaulichen sowie bei landschafts- und freiraumplanerischen Projekten verzeichneten 2021 gegenüber dem Vorjahr den größten Zuwachs.  

 

“Einleuchtend”, findet das Stadtplaner Reiner Nagel, “weil hier in der frühen Phase eine Weichenstellung stattfinden kann, über die sich die Politik häufig nicht einigt. Und da können Wettbewerbe mehr als konsensbildend wirken.” Ergebnisse von Wettbewerben für städtebauliche und freiraumplanerische Projekte seien für öffentliche Auftraggeber überzeugender und nachahmenswerter als solche in anderen Bereichen, da erkannt werde, “dass aus dem Makrostandort oder aus der großen städtebaulichen Konzeptidee sich für einzelne Bauvorhaben ein sehr viel besserer Rahmen ergibt”, lautet Nagels These.

Weniger Wettbewerbe im Schul- und Wohnungsbau

Einen Rückgang der Wettbewerbe verzeichnen die gesellschaftspolitisch so wichtigen Objekttypen Schulen und Wohnungsbauten. Verzeichnete competitionline.com 2019 hier noch 102 Wohnungs- und 76 Schulbau-Wettbewerbe, sind es 2021 nur noch 83 beziehungsweise 57. Nagel führt das unter anderem auf eine gewisse “Corona-Agonie” zurück. “Es ist wirklich kein Vergnügen, mit Video eine Jurysitzung durchzuführen. Wer das ein-, zweimal gemacht hat, der sagt vielleicht: ‘Bitte nicht noch mal.’ Deshalb hoffe ich, dass die Wettbewerbszahlen wieder hochgehen, sobald Preisgerichtssitzungen wieder analog möglich sind.”

Tourt seit Jahren durch das Land und wirbt für mehr Wettbewerbe: Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur.

Tourt seit Jahren durch das Land und wirbt für mehr Wettbewerbe: Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur.

Architekt und competitionline-Geschäftsführer Dirk Bonnkirch erkennt in dem Rückgang eher einen Ausdruck des Vorurteils, dass Wettbewerbe zu langwierig seien. Angesichts des politischen und gesellschaftlichen Drucks, möglichst viel Masse in kurzer Zeit zu liefern, griffen Bauträger in beiden Segmenten lieber auf Verhandlungsverfahren, Generalplaner- oder Generalübernehmer-Vergaben zurück. Das unterstreiche unter anderem das erste Berliner Vergabemonitoring der Berliner Architektenkammer. 

Baukultur-Ländle Baden-Württemberg

Wie in den vergangenen Monitoren verzeichnet Baden-Württemberg mit knapp 100 die meisten Wettbewerbe der deutschen Bundesländer. Auch bei den offenen Wettbewerben hat das Ländle die Nase vorn. 

 

Das sei insofern kein Wunder, als es “in seiner ganzen Haltung eine große Nähe zur Baukultur hat und strukturell, aber auch durch die Kammer wirklich vorbildliche Arbeit leistet”, lobt Baukultur-Chef Nagel. Es gebe ein hohes Interesse der Architektenschaft an Baukultur-Veranstaltungen. Große Verfahren seien als Chef*innensache im Bauministerium immer an der Spitze angesiedelt. Zudem fänden aktuell drei Internationale Bauausstellungen – Basel, Heidelberg sowie Stuttgart und Region – in Baden-Württemberg statt. Auch das sei Ausdruck dessen, dass das Land einen hohen Anspruch und eine entsprechend ambitionierte Community habe. 

Wie kann es weitergehen?

Vorschläge gibt es viele. Sie reichen von “die Verwaltungen ertüchtigen” (Dirk Bonnkirch) über eine Wiedereinführung regionaler Wettbewerbe sowie strengere Vorgaben und steuerliche Anreize (BAK-Präsidentin Andrea Gebhard) bis hin zu “lasst uns öffentliche und private Bauherr*innen nicht durch RPW-Dogmatismus abschrecken: Jede Lösungskonkurrenz, auch solche in ‘Schmuddelverfahren’, trägt zur Baukultur bei” (Reiner Nagel). 

Mit der Bauwende jedenfalls wird der Bedarf an innovativen Lösungen größer. Der ganze Bereich Umnutzung und Revitalisierung, nachhaltiges, klimaneutrales Bauen verlangt nach einer Vielfalt der Ideen und ist prädestiniert für Wettbewerbe. Gerade in der langfristigen Betrachtung zeigen sich die Stärken von Gebäuden, die auf Grundlage von Wettbewerben entstanden sind. Wir brauchen klimafreundliche Lösungen, und diese sind oft komplex und interessenübergreifend”, sagt BAK-Präsidentin Andrea Gebhard im Gespräch zum Ausschreibungsmonitor 2022. “Hier sind neue Ideen gefragt, und gerade die Auswahl an Möglichkeiten, die ein Wettbewerb bietet, gewinnt an Bedeutung, um neue Ansätze zu prüfen, neue Wege zu gehen, neue Bauaufgaben zu entwickeln.” Auf Investoren- und Entwicklerseite jedenfalls spielt das Thema ESG, also Environmental, Social and Corporate Governance, eine immer größere Rolle. “Niemand möchte mehr ein Vorhaben an den Markt bringen, das schon einen Reputationsschaden hat, weil es gegen den politischen Mainstream durchgesetzt wurde”, bestätigt Reiner Nagel den Wandel in der Immobilienbranche. “Unter Compliance-Gesichtspunkten macht es großen Sinn, Bauvorhaben mithilfe von konsensbildenden Wettbewerben zum Erfolg zu führen.”

Eine sprunghafte Entwicklung der Wettbewerbszahlen nach oben erwartet gleichwohl keine*r der Baukultur-Expert*innen, mit denen competitionline.com gesprochen hat. Es könne sein, dass durch fehlendes Geld, fehlende Ansprechpartner*innen in Verwaltung und ein Break-even bei der Betreuungskapazität durch spezialisierte Büros inzwischen ein Horizont von 400 bis 500 Wettbewerben in Deutschland erreicht ist, “bei dem mehr nicht gehe”, zieht Reiner Nagel Bilanz. Und endet pragmatisch: “Wir müssen uns überlegen, wie wir entweder mehr Kapazität schaffen oder innerhalb der Kapazität schlankere Verfahren durchführen.” 

Vielleicht aber hilft auch ein Blick über die Grenze. Denn wie es gehen könnte, zeigt unser Nachbarland Österreich. Dort haben die Kammern bei registrierten Wettbewerben immer ein Vorschlagsrecht für einen Teil der Plätze, berichtet Patrick Stremler, Geschäftsführer von Dietrich Untertrifaller Architekten aus Bregenz. Dazu wählen sie nach einem Schlüssel auch junge oder kleine Büros aus. “Es wäre wichtig, auch in Deutschland solche Ansätze zu finden.”  

Die Datenbasis des competitionline Monitors

Die Grundlage des competitionline Monitors bilden Ausschreibungen aus Deutschland, die im Jahr 2021 auf competitionline.com veröffentlicht wurden. Diese stammen von offiziellen Ausschreibungsorganen (regionale und überregionale Amtsblätter), wurden von privaten und öffentlichen Bauherr*innen direkt zugesandt oder von der competitionline-Redaktion aus über 400 zusätzlichen Quellen kontinuierlich recherchiert und zusammengetragen. Für die deutschen Vergabeverfahren stellt diese Datenbasis seit Jahren eine stabile und verlässliche Auswertungsgrundlage dar.

Wir berücksichtigen alle Architektenwettbewerbe, die mit einem realen Planungsauftrag in Verbindung stehen. Studentenwettbewerbe, Kunst- und Design-Wettbewerbe sind nicht Teil der Wettbewerbsanalyse, werden allerdings bei Aussagen zu Ausschreibungen generell berücksichtigt.

Architekturrelevante Ausschreibungen umfassen die Ausschreibungen im Hauptleistungsspektrum von Architekturbüros: Objektplanung Gebäude und Innenräume sowie Objektplanung Freianlagen und Stadt- und Gebietsplanung.

Ingenieurrelevante Ausschreibungen beinhalten Leistungen im Bereich Objektplanung Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen, Landschaftsplanung, Energieplanung, Technische Ausrüstung, Tragwerksplanung, Bodenmechanik – Erd-/Grundbau, Schallschutz – Raumakustik, Sicherheits-/Gesundheitsschutz, Studien – Gutachten, Thermische Bauphysik und Vermessung.

Beim Vergleich der Zahlen ist zu beachten, dass einer Ausschreibung stets nur eine Verfahrensart, aber mehrere Leistungsarten, Gebäudetypen und Adressen zugeordnet werden können, weshalb es zu Fallzahlen kommen kann, die die Summe an Ausschreibungen übersteigen.