Der Abwärtstrend setzt sich fort: Die Zahl der ausgelobten RPW-Verfahren ist weiter rückläufig. Wie aus der Datenbank von competitionline hervorgeht, wurden im Jahr 2023 insgesamt 366 Planungswettbewerbe von Bund, Ländern und Kommunen ausgelobt. Dies entspricht einem Rückgang von rund acht Prozent gegenüber dem Vorjahr.

 

Die rückläufige Entwicklung zeichnet sich bereits seit 2012 ab: Die Bedeutung von RPW-Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Bauvorhaben hat deutlich abgenommen. Während die Gesamtzahl der Ausschreibungen in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist, stagnierte die absolute Zahl der Wettbewerbe in einem Korridor zwischen 380 und 500 Stück pro Jahr. Nun ist sie erstmals nach unten durchgebrochen: 2023 war nur jede 45. Ausschreibung (ca. 2,2 %) ein Architektenwettbewerb. Zum Vergleich: 2012 lag der Anteil der RPW-Verfahren noch bei elf Prozent. Damals handelte es sich bei jeder zehnten Ausschreibung um einen Wettbewerb.

 

Städtebauliche Projekte dominieren, starker Rückgang im Schulbau

Die städtebaulichen Projekte behaupten auch 2023 ihre Spitzenposition unter den am häufigsten ausgelobten Objekttypen in Wettbewerben. Im Vergleich zum Vorjahr ist ihre Zahl um 23 Auslobungen auf 104 Verfahren gestiegen, was einem Zuwachs von über 28 Prozent entspricht. Damit nähert sich der Bereich der städtebaulichen Wettbewerbe dem Rekordniveau von 2017 mit 144 Verfahren.

"Es geht heute mehr um den Schutz und eine Qualifizierung des Freiraums, weil Architektur immer mit Ressourcenverbrauch verbunden ist und Neubauten generell unter kritischer Beobachtung stehen", beschreibt Markus Allmann die Entwicklung treffend. Der Architekt ist Direktor des Instituts für Raumkonzeptionen und Grundlagen des Entwerfens an der Universität Stuttgart und Inhaber des Büros Allmann Wappner (München/Berlin).

Den zweiten Rang der wettbewerbsstärksten Objekttypen belegt erneut die Kategorie Landschaft und Freiraum. Mit einem Plus von zwölf auf 82 Wettbewerbsverfahren nähert sie sich dem Höchststand von 2021. Damit ist Landschaft und Freiraum der einzige Objekttyp, der gemittelt seit 2017 zulegt. 

Eine gegenläufige Entwicklung ist im Schulbau zu beobachten: Mit einem Minus von gut 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr rutscht dieser Objekttyp von Platz zwei auf Rang vier der beliebtesten Wettbewerbsbereiche ab. Im Jahr 2023 wurden 28 Schulbauwettbewerbe weniger ausgelobt. Die Langzeitbetrachtung zeigt, dass der Rückgang der Wettbewerbe im Schulbau und im Wohnungsbau im Vergleich zu anderen Objekttypen besonders stark ausfällt. 

Markus Allmann, Direktor des Instituts für Raumkonzeptionen und Grundlagen des Entwerfens an der Universität Stuttgart und Inhaber des Büros Allmann Wappner (München/Berlin), spricht sich für optimierte Wettbewerbsverfahren aus.

Markus Allmann, Direktor des Instituts für Raumkonzeptionen und Grundlagen des Entwerfens an der Universität Stuttgart und Inhaber des Büros Allmann Wappner (München/Berlin), spricht sich für optimierte Wettbewerbsverfahren aus.

Laut Markus Allmann gibt es mehrere Faktoren für den rückläufigen Trend: Kommunen seien zunehmend bestrebt, die mit der Realisierung von Schulbauten verbundenen Risiken, insbesondere terminlicher und finanzieller Art, zu minimieren. Wettbewerbsverfahren, insbesondere offene Wettbewerbe, werden in diesem Zusammenhang als Risikofaktor wahrgenommen. Daher setze man zunehmend auf Verhandlungsverfahren (VgV), an denen spezialisierte Büros mit der gewünschten Expertise in diesem Feld beteiligt sind. 

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam, nennt einen weiteren Grund für den Rückgang der Schulbauwettbewerbe. "Die Verwaltungen sind personell und finanziell stark belastet", erklärt Nagel. "Deshalb entscheiden sie sich oft für kostengünstigere und schnellere Lösungen wie Modell- oder Modulschulen, anstatt Wettbewerbe auszuschreiben." Im Bereich der Büro- und Verwaltungsbauten hingegen sei der Rückgang auf die Immobilien- und Realisierungskrise zurückzuführen, die zu weniger Neubauprojekten geführt habe.

 

Baden-Württemberg ist mit 86 Verfahren das Bundesland mit den meisten Wettbewerben. Hessen verzeichnet mit neun Wettbewerben den größten Zuwachs, Schleswig-Holstein mit einem Minus von 15 Stück den größten Rückgang von Wettbewerben. 

München und Berlin führen im Jahr 2023 mit jeweils zwölf Wettbewerben die Liste der Städte an, die die meisten Wettbewerbe ausgelobt haben. In den Top Ten gibt es drei Neuzugänge: Bremen, Aachen und Heilbronn mit jeweils vier Wettbewerben. 

 

Bremen setzt sich klar für Baukultur ein

Das Wettbewerbsplus in Bremen ist das Ergebnis eines langjährigen Prozesses, betont Birgit Westphal, Leiterin des Bremer Zentrums für Baukultur. Die "Bremer Erklärung zur Sicherung und Qualifizierung der Baukultur" von 2013, die 2018 weiterentwickelt wurde, bilde den Kern einer Strategie zur Förderung von Architekturwettbewerben. Sie verpflichte öffentliche Bauherren, Wettbewerbe für städtebaulich relevante, historische oder die Stadtstruktur beeinflussende Projekte auszuschreiben oder sich daran zu beteiligen. Aber auch private Bauherr*innen sollen mitgenommen werden. "Die Bremer Erklärung orientiert sich an der RPW, mit einer Ausnahme: Das Preisgericht ist paritätisch besetzt und bei Patts hat der Auslober das letzte Wort", erklärt Westphal. "So behalten private Bauherren ihre Entscheidungskompetenz." 

 

Architekten wünschen sich Offene Wettbewerbe, doch die Realität sieht anders aus

Die Anzahl der offenen Wettbewerbe ging von 2018 bis 2022 stetig zurück. Allerdings stagniert dieser Abwärtstrend im Jahr 2023 erstmals. Die Anzahl der Wettbewerbe bleibt wie schon 2022 bei 20 Verfahren. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Trend anhält. 

Markus Allmann spricht sich für optimierte Wettbewerbsverfahren aus. Offene Wettbewerbe ohne Teilnahmebeschränkungen seien zwar der Wunsch der meisten Architekt*innen, doch in der Praxis bringen diese Verfahren einige Herausforderungen mit sich.

Bei offenen Wettbewerben müssten viele Teilnehmende umfangreiche Vorleistungen erbringen, was in der Summe mit einem hohen Aufwand an Ressourcen verbunden sei – und das bei verschwindend geringen Gewinnchancen. Beschränkte Verfahren hingegen ermöglichen es, die Prämierung auf eine kleinere Gruppe zu konzentrieren. Das motiviere die Teilnehmer zu einer "profunderen Leistung" und stelle gleichzeitig sicher, dass nur Büros mit der notwendigen Erfahrung und Expertise am Wettbewerb teilnehmen. Um die Beteiligung junger Büros zu sichern, schlägt Allmann vor, die beschränkten Verfahren um "Wildcards" zu erweitern.

Ein Grund für den Rückgang offener Wettbewerbe liegt laut Allmann im gestiegenen Bedürfnis nach Planungssicherheit. Es reiche heute nicht mehr aus, "schwarze Striche auf weißem Grund" zu präsentieren, um einen Wettbewerb zu gewinnen. Stattdessen würden Bauherr*innen detaillierte Informationen insbesondere zu Kosten und Flächen verlangen, um "Risiken so weit wie möglich auszuschließen". Dies führt laut Allmann dazu, dass statt offener Wettbewerbe vermehrt beschränkte Verfahren mit einem "immensen" Leistungsumfang durchgeführt werden.

Zweistufige Verfahren als möglicher Lösungsansatz

Der Architekt plädiert für eine stärkere Nutzung von zweistufigen Wettbewerbsverfahren. In der ersten Stufe sollte eine geringfügige Leistung erbracht werden, um eine breite Teilnahme zu ermöglichen. In der zweiten Stufe hingegen sollte die Arbeitsleistung angemessen honoriert werden.

Früher seien offene Wettbewerbe der Schlüssel zum Erfolg für junge Architekt*innen gewesen, erklärt Allmann. Doch heutzutage sei der Berufseinstieg deutlich schwieriger und komplexer geworden. Um sich als junge Architekt*innen zu profilieren und auf sich aufmerksam zu machen, empfiehlt Allmann den Einsatz von Netzwerken, Social Media und cleveren Marketingstrategien. Eine verbesserte Sichtbarkeit des Büros könne dann Einladungen zu beschränkten Verfahren ermöglichen.

Zeit für einen Paradigmenwechsel im Wettbewerbswesen?

"Weg vom Dogma des offenen Wettbewerbs", sagt Reiner Nagel. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur fordert ein grundsätzliches Umdenken im Wettbewerbswesen. "Jedes Ringen um die gute Idee zählt, unabhängig vom Verfahren", betont er. Kooperative und offene Verfahren, die auch eine Qualifizierung oder spezielle Tickets für junge Büros ermöglichen, könnten laut Nagel eine sinnvolle Alternative zu RPW-Verfahren darstellen.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, fordert ein grundsätzliches Umdenken im Wettbewerbswesen.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, fordert ein grundsätzliches Umdenken im Wettbewerbswesen.

Viele Kommunen sind rechtlich an starre Vorgaben gebunden, die oft nur RPW-Verfahren oder Einladungswettbewerbe zulassen. "Kooperative oder dialogorientierte Verfahren, die eine intensive Zusammenarbeit zwischen Bauherrschaft und Architekturbüros ermöglichen, sind in diesen Fällen oft nicht möglich", so Reiner Nagel. Er sieht daher dringenden Handlungsbedarf: "Die Richtlinien für die Durchführung von Wettbewerben (RPW) müssen an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Sie sind ein Instrument, das weiterentwickelt werden kann, um die Qualität der Architektur zu verbessern." Auch die Bundesarchitektenkammer spricht sich für eine Reform der RPW aus. Nagel weist darauf hin, dass die RPW von den Architektenkammern selbst gemeinsam mit dem richtliniengebenden Bauministerium erarbeitet wurden. Daher könnte ein Impuls zur Erneuerung auch von den Architekten und Architektinnen selbst ausgehen.

Ein Potenzial für Wettbewerbe sieht Nagel beim Bauen im Bestand. Bei der intelligenten Umnutzung und Sanierung ermöglichen es Wettbewerbsverfahren, unterschiedliche Ideen und Lösungsansätze zu sammeln. Wichtig sei dabei, dass Auslobende in ihrer handelnden Rolle bestärkt werden und nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas aufgezwungen werden soll. Im Gegenteil werden sie gerade beim Bestand in besonderer Weise über Handlungsoptionen beraten. Daher sollten sie an jeder Stelle aktiv in den Prozess eingebunden werden. Flexibilität, Fairness und Nachhaltigkeit sind somit auch im Wettbewerbswesen die Schlüsselworte für eine zukunftsorientierte Gestaltung. 

Architekt und Stadtplaner Gregor Bäumle setzt sich ebenfalls für eine Wiederbelebung des Wettbewerbswesen ein. Mit seiner über 15-jährigen Erfahrung als Wettbewerbsbetreuer fordert er insbesondere eine bessere Unterstützung kleiner Kommunen zur Durchführung offener Wettbewerbe. Zudem plädiert er für eine größere Vielfalt an Verfahren, die Entwicklung von Richtlinien für Vergabeverfahren und eine umfassende Beratung der Auftraggeber.

Um auch jungen Büros verstärkt die Teilnahme an Wettbewerben zu ermöglichen, brauche es laut Bäumle faire und transparente Zugangsbedingungen. Er empfiehlt jungen Büros die Bildung von Bewerbergemeinschaften und schlägt vor, ein Losverfahren zur Auswahl der Teilnehmer einzuführen. Zudem könnten bereits die Auslobenden eine begrenzte Vorauswahl treffen, bei der auch junge Büros berücksichtigt werden. Das vollständige Interview mit Gregor Bäumle und seine fünf Appelle für die Zukunft des Wettbewerbswesens finden Sie hier.

Der Artikel erschien erstmals am 7. Mai 2024 auf competitionline.com.