Um innovativ zu sein, braucht man die Freiheit zu interagieren, Fehler zu machen und zu mutieren. Nur so kann Austausch und damit etwas Neues entstehen. Moderne technische Geräte bieten diese Freiheit nicht. Sie sind abgeschlossene Gegenstände, die eine Funktion erfüllen. Der Nutzer nutzt, das Gerät führt aus. Interaktion findet nicht statt.

Das muss aber nicht so sein, finden die beiden Dozenten Maximilian Hans und Fahim Mohammadi von der Akademie für Bildende Künste (ABK) Stuttgart. Anfang Oktober letzten Jahres leiteten sie einen Workshop, der diese einseitige Beziehung zwischen technologischen Geräten und ihren Nutzern aufbrechen sollte. Unter dem Titel „creative Hacking“ modifizierten und programmierten elf Studierende eine Woche lang Drucker, Festplatten und Scanner. Die einzige Vorgabe: Das Resultat sollte grafisch sein.

Vom Konsumenten- Produzentenverhältnis zwischen Mensch und Maschine zum
kollegialen Miteinander

Vom Konsumenten- Produzentenverhältnis zwischen Mensch und Maschine zum kollegialen Miteinander

Der Ansatz, die Studenten experimentell und zweckfrei an bestimmte Grundfragen der Profession heranzuführen, überzeugte die competitionline campus Jury um Klaus Bollinger. Und das bereits zum zweiten Mal in Folge. Schon 2017 gewann Mohammadis Grundkurs „Grundlagen und Gestaltung“ mit seiner offenen Herangehensweise den Fakultätspreis.

„Wir haben eigentlich nur einen Anstoß in eine Richtung gegeben, daraus hat sich dann ein selbstständiger Prozess entwickelt“, sagt Hans über den Workshop.

Eine Gruppe von zwei Industriedesignstudenten und einem Architekturstudenten hat in der Woche einen interessanten Prozess durchgemacht: Erst haben sie einen Arm, der einen Stift bewegt, an einen Scanner montiert und das Ganze dann mit einem Drucker verbunden. Am Schluss sind sie in die unieigene Werkstatt gegangen, um sich eine Keramikdrehscheibe auszuleihen.

Auch in der Gestaltung sollte man sich die technologischen
Errungenschaften zu Nutze machen, finden die Dozenten Mohammadi und Hans.

Auch in der Gestaltung sollte man sich die technologischen Errungenschaften zu Nutze machen, finden die Dozenten Mohammadi und Hans.

Mohammadi: „Es fängt mit einer ganz einfachen Funktion an, man beginnt mit ihr zu spielen, die Dinge auseinanderzunehmen und zusammenzubauen. Daraus ergibt sich dann eine eigene Logik, die vorher nicht definiert war. Das ist das Geheimnis, das dem ganzen innewohnt: in diesen Zustand zu kommen, in dem man die sonst üblichen Regeln außen vor lässt.“

Wie schnell sich die Studierenden diese Anweisung zu Herzen genommen haben, hat dann  aber selbst ihre Dozenten überrascht. Als sie merkten, wie lange es dauert, das Gehäuse eines Druckers mit einem Schraubenzieher zu entfernen, benutzten sie einfach die Brechstange. Hans hat das im ersten Moment schockiert, dann sei ihm aber bewusst geworden, dass sie genau das taten, was von ihnen verlangt wurde: die Vorsicht ablegen, etwas falsch zu machen.

Am Workshop nahmen Studenten aus den Fächern Industriedesign,
Architektur, Kommunikationsdesign und Kunst teil.

Am Workshop nahmen Studenten aus den Fächern Industriedesign, Architektur, Kommunikationsdesign und Kunst teil.

In dem Workshop mischten sich Studenten aus den Fächern Industriedesign, Architektur, Kommunikationsdesign und Kunst. Alle aus dem ersten Studienjahr. Das war Mohammadi wichtig: „Zu Beginn des Studiums sind die Leute frei in ihrer Wahrnehmung und haben noch keine klare Definition von ihrem Fach.“ Später wäre es schwieriger, die Studenten zu einer Denkweise zu bekommen, die Zweck und Konventionen vollkommen außen vor lässt.

Das fächerübergreifende Arbeiten führe außerdem dazu, dass die Studenten von Beginn an lernen, ein Projekt aus verschiedenen Blinkwinkeln zu betrachten. Im Berufsleben würde das heutzutage schließlich auch immer mehr verlangt, ist sich Mohammadi sicher. „Der Begriff der Autorenschaft ändert sich in unserer Zeit. Man arbeitet im Netzwerk, Open Source, schafft Anknüpfungspunkte für andere Teilnehmer und entwickelt ein Produkt gemeinsam im Prozess.“

Am Ende des Workshops haben die Maschinen zeichnen gelernt.

Am Ende des Workshops haben die Maschinen zeichnen gelernt.

Am Ende der Woche hängen Mandala-ähnliche Zeichnungen nebeneinander an der Wand. Die Bürogeräte haben malen gelernt. Doch die Bilder der selbstgebauten Zeichenmaschinen sind eigentlich nur ein hübscher Nebeneffekt des tatsächlichen Ergebnisses des Workshops.

Vordergründig ging es Mohammadi und Hans darum, Kompetenzen im Programmieren und Codieren zu vermitteln. Generell wolle man den Spezialisten jedoch nicht ersetzen. „Programmierer sollen immer noch programmieren und Architekten entwerfen. Das Grundwissen im Programmieren soll den Gestaltern lediglich die Möglichkeit geben zu verstehen, was mit Technologie möglich ist, sodass sie sich dann mit ihren Ideen und Problemen an die Experten wenden können“, erklärt Mohammadi.

Zwei Industriedesign- und ein Architekturstudent entwickelten dieses
Zeichengerät aus einem Drucker, einem Scanner und einer Keramikdrehscheibe.

Zwei Industriedesign- und ein Architekturstudent entwickelten dieses Zeichengerät aus einem Drucker, einem Scanner und einer Keramikdrehscheibe.

Neben den sehr konkreten und berufsorientierten Erkenntnissen, die hier gelehrt werden, vermittelt der Workshop noch eine Idee, die weit über dem konkreten Gestalten, auf der Metaebene, schwebt. Mohammadi: „Bei uns erfüllen Maschinen nicht irgendeine Aufgabe als komplexes Werkzeug, sondern werden als ‚nicht menschlicher Akteur‘ am Gestaltungsprozess beteiligt.“

Mensch und Maschine erforschen gemeinsam neue Möglichkeiten in der Gestaltung. Ob mit Schraubenzieher oder Brechstange: So lange Interaktion stattfindet, Fehler passieren dürfen und Mutation möglich ist, kann Innovation passieren, auch im Austausch mit Scannern und Druckern.