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Nichtoffener Wettbewerb | 06/2019

Neubau eines Stadt- und Kreisarchivs mit Quartiersplatz in Bad Hersfeld

Anerkennung

Preisgeld: 3.100 EUR

Angela Fritsch Architekten BDA

Architektur

Erläuterungstext

LEITIDEE / STÄDETEBAULICHE EINBINDUNG
Der Neubau des Stadt- und Kreisarchivs wird als kompakter und zugleich differenzierter Baukörper an der räumlichen Kante der Antoniengasse und dem neuen Quartiersplatz platziert.
Den baulichen Anfangs- und Endpunkten der Antoniengasse in Gebäudestellung und Straßenflucht folgend, wird der Gesamtbaukörper des Archivs in drei senkrecht zur Antoniengasse stehende schmale, tiefe Gebäudeteile untergliedert. Die räumliche Fassung der Gasse wird gestärkt, die Morphologie des Blockrandes klarer und der heterogene Charakter des Quartiers gemindert. Hofseitig verzahnt sich der Baukörper mittels Vor- und Rücksprüngen mit der offenen Blockinnenbebauung.
Die Flanken der Längsseiten des Baukörpers fluchten so, dass städtebaulich drei Freiräume zoniert werden:
A) Ein gefasster öffentlicher Quartiersplatz im Osten an der Ecke Eisfeld/Antoniengasse; B) Ein halböffentlicher Raum, der die Antoniengasse und angrenzende Parkplätze umfasst; C) Ein privater Raum im Blockinnenbereich.

Die Flachdächer der einzelnen Gebäudeteile sind in ihrer Höhenentwicklung gestaffelt. In der Körnigkeit der Gebäudekubatur und in der Ausprägung der Dachform vermittelt das Gebäude zwischen den unterschiedlichen baulichen Strukturen und Maßstäben – dies lässt das Gebäude zu einem Bindeglied zwischen dem „Herkules-Center“ mit Parkdeck und der kleinteiligeren Bebauung werden. Der höchste und prägnanteste der drei Gebäudeteile fasst die östliche Platzkante des neu geschaffenen Quartiersplatz und bildet zu diesem die deutlich sichtbare Adresse des Archivs aus. So entsteht an der schmalen Antoniengasse eine kleinteilig-differenzierte und am Quartiersplatz hingegen ein klare, raumfassende Gebäudesilhouette.

Analog zu der neu geschaffenen räumlichen Einteilung des gesamten Quartiers werden auch die entstehenden Freibereiche des Baugrundstücks mit Nutzungen belegt. Im westlichen, halböffentlichen Teil des Grundstücks liegen Anlieferung, Park- und Wendemöglichkeit. Die Ostseite des Grundstücks wird in städtebaulich prägnanter Lage durch den öffentlichen Quartiersplatz belegt. An dessen nördlicher Platzkante schirmt eine Baumreihe die garagenartige Randbebauung ab, bindet aber den angrenzenden privaten Parkplatz räumlich in den Platz ein. Die Hofseite des Grundstücks ist als privater Freiraum gestaltet - in Form eines kontemplativen, umfriedeten und bewachsenen Gartenhofs, dessen Ummauerung sowohl den Blockinnenbereich, als auch die Platzkante des Quartiersplatzes räumlich fasst. Als inhaltliche und bauliche Korrespondenz zum Archivgut wird in einem Teil des Hofes ein kleines Lapidarium angelegt. Darin können Spolien angeordnet werden, wie sie vielerorts in der Stadt zu finden sind und die als Zeitzeugen ebenfalls ein Stück Bad Hersfeld dokumentieren.

RÄUMLICHE ORGANISATION / ERSCHLIESSUNG
Dem differenzierten und dennoch kompakten Baukörper liegt eine kohärente innere Struktur und Wegebeziehung zugrunde. Diese folgt den Arbeitsabläufen, der inneren und äußeren Erschließung und gliedert in öffentliche und nicht-öffentliche Bereiche. Der Organisation und Belegung der Freiräume folgend ist der öffentliche Bereich mit dem Hauptzugang am Quartiersplatz angeordnet. Vom öffentlichen Bereich staffelt sich das Erdgeschoss von Ost nach West in öffentliche, halböffentliche und interne Nutzungen ab. Die interne Anlieferung liegt folglich im Westen. Über die Anlieferung gelangt man mit dem Archivgut zur Haupterschließungsachse, an der sich alle Räume zur Aufbereitung des Archivguts aufreihen, die Büroräume der Mitarbeiter wie auch der Digitalisierungsraum grenzen direkt an. Den Endpunkt dieser Magistrale bildet der Aufzug, der die Verwahrung des Archivguts in den Obergeschossen erschließt.

In den Obergeschossen befindet sich der räumliche Schnittpunkt der Erschließung von internem und öffentlichem Bereich. Er liegt als zugangskontrollierter Bereich zugleich nah an der Aufbereitung und zentral im öffentlichen Bereich und am Haupteingang. Er ist für Besucher und Personal von den Arbeitsbereichen und dem Lesesaal gleichermaßen einsehbar. Die Büros und die Arbeitsplätze des Lesesaals orientieren sich zum kontemplativen ruhigen Innenhof, um konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. An der Stelle des Aufeinandertreffens von Bürobereich und Lesesaal liegt auch der Arbeitsplatz der Saalaufsicht mit Blickbeziehung zum Haupteingang.

Die Untergliederung des Neubaus in drei Gebäudeteile findet sich auch in der Struktur der Obergeschosse wieder, indem diese mit drei unterschiedlich großen Magazinbereichen belegt sind: A) Die großen Aktenarchive B) Das Zwischenarchiv und das Bibliotheksarchiv C) Die kleinteiligen Sonderarchive. Die Organisation der Obergeschosse folgt der des Erdgeschosses, indem ein Haupterschließungsgang senkrecht zu den Magazinräumen in Ost-West-Richtung alle drei Gebäudeteile durchquert und verbindet. An den Endpunkten dieser Hauptwegebeziehung liegt jeweils ein Zugang zur vertikalen Erschließung.
Strukturell sind nördlich des Erschließungsgangs immer die unterschiedlichen Magazinräume und südlich davon eine Nebenraumspange mit Sanitäranlagen, Aufzug und Treppenhäusern angegliedert.


ARCHITEKTURSPRACHE / FASSADENGESTALTUNG
Der weitgehend geschlossene Baukörper erhält eine Fassade aus rotbraun changierenden Ziegeln, welche dem Charakter seiner Nutzung als Hort der Geschichte Bad Hersfelds und ihrer Zeugnisse gerecht wird, dabei Solidität und Zeitlosigkeit ausstrahlt und im Laufe der Zeit angemessen Patina erhält. Durch seine solitärhaft geschlossen-monolithische Erscheinung einerseits und seinen inhaltlich-historischen Kontext anderseits nimmt das Fassadenmaterial ortstypische Bezüge auf. Der lokale rotbraune Sandstein - als kleinteilig verwitterter Bruchstein beispielweise in der Stiftsruine zu finden - wird hier in der gleichen Farbigkeit und einer für Ziegeloberflächen ungewöhnlich rauen und kleinteiligen Oberfläche übernommen.
Im Wechselspiel von horizontalen Schichtungen werden gelochte Formziegel in gebrochener und ungebrochener Form als Binderverband angeordnet. Die Aussparung jedes zweiten Binderziegels erzeugt als weiteres Element eine durchbrochene Ziegelhaut, die in den Erschließungszonen der Magazingeschosse einen indirekten Lichteinfall vor den Fenstern erzeugt. Fassadenzonierungen werden gestalterisch subtil herausgearbeitet. Der Haupteingang erhält einen tiefen überdachten Gebäudeeinschnitt und wird mit einer konstruktiv notwendigen Tektonik aus Betonfertigteilen hervorgehoben.
Dem städterbaulichen Kontext der Altstadt Bad Hersfelds Rechnung tragend, kommt der Dachlandschaft als „Fünfte Fassade“ eine besondere Rolle zu, nicht zuletzt weil sie von der höher liegenden umgebenden Bebauung einsehbar ist. Die Materialität des Ziegels wird von den Fassaden auf den Dachflächen mit liegenden Ziegeln für haustechnische Aufstellflächen und einer Schüttung aus Ziegelschotter fortgeführt.

KONSTRUKTION
Der Neubau des Kreis- und Stadtarchivs besteht aus einer nicht unterkellerten Stahlbetonkonstruktion mit Flachdecken und vorgehängter Fassade. Die Gründung erfolgt mittels einer lastabtragenden Bodenplatte mit Verstärkungen im Bereich der Stützen. Das statische System verläuft der Grundrisstypologie und den Nutzungsbereichen folgend mit einem Stützenraster in Nord-Süd-Richtung. Die Stützweiten nehmen dabei die Abmessungen des Rollregalsystems der Magazine auf. Innerhalb der Magazine ist jeweils einseitig dem Hauptgang (Mittelgang) eine Stützenreihe zugeordnet - eine Stahlbetonwandscheibe als Trennung der Magazine untereinander bildet ihr Pendant.

ÖKOLOGISCH-ENERGETISCHES KONZEPT
Grundlegend wurden die Nutzungen im Gebäude so zoniert, dass Magazin- und Büroräume zur Minimierung der solaren Einträge nach Norden orientiert und alle Neben- und temporär genutzten Räume, nach Süden orientiert sind. Somit liegt die Fassade mit dem größten Fensterflächenanteil im Norden. Eine Nachtauskühlung der Büro- und Arbeitsbereiche wird durch schmale vertikale Lüftungsklappen ermöglicht.
Alle Geschossdecken und bei Bedarf auch ein Teil der massiven Wände erhalten eine Bauteilaktivierung zur Temperierung. So kann insbesondere bei den Magazinen und Archivräumen eine weitgehend konstante Raumtemperatur sichergestellt werden, flächige Wärmeströme können zum Heizen zugeführt und zum Kühlen abgeführt werden.
Das Erdgeschoss mit der öffentlichen Nutzung und den Büros erhält eine Fußbodenheizung. Während die Hauptnutzflächen im Erdgeschoss natürlich gelüftet werden können, wird für die Magazin-und Archivräume eine Klimaanlage vorgesehen. So werden die erforderlichen klimatischen Verhältnisse in diesen Räumen sichergestellt. Es wird vorgeschlagen, als Zentralgerät eine sogenannte „DEC-Anlage“ zu verwenden, um mit Umweltenergie (Solarthermie- Sorption, Adiabatik- Befeuchtung / Kühlung, Wärmerückgewinnung mit Rotationswärmetauscher) auch zu be- und entfeuchtet.
Die Zulufteinbringung in die Archiv- und Lagerflächen erfolgt impulsarm über textile Luftauslässe, die im Deckenbereich befestigt werden. Die Abluft wird an zentralen Stellen raumweise abgesaugt. Fortluftauslass und Außenluftzufuhr werden auf dem Dach des Technikraumes angeordnet, verdeckt durch eine erhöhte Attika. Zur Wärme-und Kälteerzeugung werden gasmotorische Wärmepumpen eingesetzt, die ganzjährig sowohl Heizen als auch Kühlen. Ergänzend zur solarthermischen Nutzung wird auf dem Dach eine Photovoltaikanlage vorgesehen. Für den Brandschutz des Archivguts kann je nach Anlagetyp im Technikraum oder im Hausanschlussraum eine zentrale Löschanlage angeordnet werden.

BESONDERHEITEN
Aufgrund der speziellen Anforderung, dass die Magazingeschosse der Öffentlichkeit eingeschränkt zugänglich sein sollen, sieht der Entwurf zwei bauliche Fluchtwege über notwendige Treppenhäuser vor, die auch den funktionalen Zusammenhängen des Erdgeschosses folgen. Mit diesem Konzept werden dem Nutzer alle Möglichkeiten zur Verwendung der Magazingeschosse offengelassen.
Die vorgesehene Ummauerung des Hofes zur städtebaulichen Raumbildung stellt eine kostenrelevante Maßnahme dar, mit ihr werden auch in funktionaler Hinsicht die bestehenden Topographiesprünge entlang der Grundstücksgrenzen freiraumplanerisch gefasst. Abgesehen von der östlichen Hofmauer, die den Quartiersplatz begrenzt, könnten alle weiteren Ummauerungen auch in einem späteren Bauabschnitt realisiert werden.
Sämtliche Freianlagen sind mit Bepflanzungen und Oberflächen versehen, die wenig pflegeintensiv und mit geringem Aufwand unterhalten werden können.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit überzeugt durch die Leitidee, den Neubau mit der Umgebung zu verzahnen. Der skulptural wirkende Baukörper mit Höhenversprüngen wirkt auf den ersten Blick wie ein Fremdköper. Doch bei genauerer Betrachtung wird die städtebauliche und freiraumplanerische Qualität sichtbar. Mit hoher Sensibilität werden unterschiedliche Freiraumtypologien definiert, die zur spannenden Zonierung des Quartieres beitragen. Durch die Setzung eines gegliederten Baukörpers entstehen klar definierte öffentliche, halböffentliche und privat nutzbare Freiräume. Durch den Neubau wird die Antoniengasse zu einem Raum, in dem sich Enge und Weite spannungsvoll abwechseln. Kritisiert, aufgrund ihrer Länge und Monotonie, wird allerdings die Fassadengestaltung im Bereich des ‘Herkulescenters‘. Der Quartiersplatz erhält mit einer Baumreihe nach Norden zur angrenzenden Bebauung eine sinnvolle räumliche Fassung. Die zwei Stufen im Eckbereich Antoniengasse / Eisfeld überzeugen allerdings nicht. Auch der dem Archiv zugeordnete Innenhof und das Lapidarium werden bezüglich einer zukünftigen Nutzung eher kritisch betrachtet. Insgesamt ist das Raumprogram im Wesentlichen überzeugend umgesetzt. Ungünstig präsentiert sich lediglich der Eingangs- und Foyerbereich, da der Lesesaal ohne Abtrennung in den Eingangsbereich übergeht. Kritisiert wird der Grundriss auch im Bereich des Medienmagazins, da sich der ‘temperierte Übergangsbereich‘ eine Etage höher befindet. Insgesamt überzeugt die Arbeit durch die sensible städtebauliche Setzung im bestehenden Stadtgefüge. Dazu im Wiederspruch steht lediglich die skulpturale Formensprache des Solitärs.