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Award / Auszeichnung | 07/2006

best architects 07

Ort der Begegnung an der deutsch-tschechischen Grenze

DE-95671 Bärnau

Auszeichnung

Brückner & Brückner Architekten GmbH Tirschenreuth I Würzburg

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/1999
    Fertigstellung: 01/2000

Projektbeschreibung

DER ORT DER BEGEGNUNG

das projekt ort der begegnung versucht, das gespannte verhältnis an der deutsch-tschechischen grenze mit architektonischen mitteln zu thematisieren.
dem schweigen zwischen west und ost soll ein ort der begegnung angeboten werden.
er will ein kristallisationspunkt der gedanken der menschen an der grenze sein und mitten in der natur die möglichkeit zur besinnung bieten, wenige meter von der grenze entfernt.

für viele menschen auf beiden seiten der grenze sind die wunden der geschichte noch nicht verheilt. gegenseitige schuldzuweisungen verhindern vielfach eine annäherung.
ziel des projektes ist der dialog zwischen der grenze, dem ort und den menschen, in dem der raum das organ sein soll, mit dessen hilfe alle miteinander sprechen.

der ort der begegnung steht im bezug zur natur und seiner lage an der grenze. das von menschen geschaffene bauwerk geht eine sinnliche symbiose mit dem topos ein und steht in einem festen kontext. ort und bau ergänzen sich gegenseitig. an einem anderen ort ist der bau nicht möglich.
die zeit der ideologien ist gesellschaftlich wie architektonisch auf beiden seiten der grenze vorbei. die feindbilder sind gestorben und haben eine leere hinterlassen.
in dieser leere kann nur mit großer behutsamkeit neues geschaffen werden. anstöße für eigene gedanken, keine mahnmale sind gefordert.

ein sanftes mittelgebirge steigt zur grenze an. die bayern nennen es oberpfälzer wald, die tschechen ceský les (böhmerwald).
der höhenzug bildet den horizont von beiden seiten.
eine natürliche topographische grenze, die durch historische ereignisse auch zu einer in den köpfen geworden ist.

erst hier oben kann der blick von ost nach west schweifen. vom nördlichen böhmerwald ins stiftland. die natur an diesem ort ist eine von menschen geformte kulturlandschaft. die staatsgrenze ist auf den ersten blick nur durch eine reihe regelmäßig verlaufender grenzpfosten erkennbar, die am rande einer rinderweide stehen. sie versuchen noch immer ost und west zu definieren. entlang der grenze, auf deutscher seite, verläuft der europawanderweg von der ostsee bis zur adria.

seit dem fall des eisernen vorhangs hat sich die grenze optisch kaum verändert. die heute verschwundenen grenzabsperrungen und minenfelder waren in den böhmischen wäldern vor den blicken aus dem westen versteckt.
dennoch ist die grenze auch aus bayerischer sicht transparenter, durchlässiger geworden. sie kann übertreten werden. für den straßenverkehr ist wenige meter entfernt ein grenzübergang. er verbindet bärnau wieder mit seiner alten nachbarstadt tachov. städte, die in der vergangenheit gemeinsam von und mit der grenze gelebt haben.

auf den zweiten blick bemerkt man, daß die böhmische seite fast menschenleer ist. der wald dominiert. verfallene orte wie paulusbrunn lassen sich nur noch erahnen. sie sind ruinen im wald, die sich die natur zurückerobert hat, da es keine menschen mehr gibt, die ihr widerstand leisten. in der weite ist schemenhaft das kurbad mariánské lázne (marienbad) erkennbar.

hinter bärnau steigt die landschaft nach osten langsam an. der weg zur steinbergkirche ist von einer allee gesäumt. sie erinnert an den stadtbrand und die hilfe aus tachov. es ist nicht mehr weit bis zur grenze. in sichtweite des grenzübergangs biegt ein weg links ab. er verläuft die grenze entlang nach norden. wiesen, wald und felder wechseln sich ab. mit landwirtschaft ist hier oben kein geld mehr zu verdienen. der raps steht auch dieses jahr wieder schlecht.

plötzlich versperrt eine mauer den freien blick nach osten. ein stück eiserner vorhang. doch die mauer scheint nicht undurchdringbar.
man geht weiter und bemerkt, die mauer öffnet sich. ein dritte dimension kommt hinzu. zwei wände, die eins waren, werden entlang der grenze geteilt und bilden gleich einem handschlag, einer geste der begrüßung, einen raum. neutral, exterritorial, im niemandsland.
durch die metamorphose eines bauwerks der trennung entsteht ein ort der begegnung.

zwei wände, eine aus stein, die andere aus holz. materialien, die das leben in der region seit jahrhunderten mitbestimmen. lärchenholz aus dem böhmerwald, flossenbürger granit aus der oberpfalz.
jeder baustein drei meter lang, fünfzehn zentimeter breit, fünf zentimeter hoch. die außenseite grob behauen, innen fein geschliffen. grün schimmernde glasplatten lösen die wände zunehmend nach oben auf.

der entstandene raum ist genordet. aus links und rechts werden ost und west, deutschland und tschechien.
die versetzten verlängerungen der beiden seitenwände deuten den weiteren verlauf der grenze an. sie bilden zusammen mit den stirnseiten zwei offene, nach osten oder westen gerichtete räume. der mensch muß sich entscheiden, ob er nach böhmen oder bayern sehen will.

die schichtung der einzelnen bausteine verleiht der oberfläche textur und rhythmus. die fugen verbinden sich zu einer einheit. keine unwesentlichen einzelheiten lenken von der wahrnehmung des ganzen ab. jeder stein-, holz- oder glasschicht scheint bewußt zu sein, daß sie alleine keine bedeutung hat. nur zusammen bilden sie eine einheit.

metallträger verankern die wände im boden. die verschraubungen bleiben nach außen sichtbar, greifen den inhumanen charakter des eisernen vorhangs auf.
der rauhen, kantigen außenhaut des baus steht ein schlichter, glatter innenraum gegenüber.

von süden kommend wirft der besucher seinen vorauseilenden schatten in den raum bevor er ihn betritt. durch schmale öffnungen an den stirnseiten tritt er ein. die sonne wandert durch den raum. licht bricht sich im glas der wände.
der ort der begegnung läßt nur einen blick nach norden oder süden durch schmale öffnungen an den stirnseiten zu.

im zentrum befindet sich als schwerpunkt ein massiver tisch mit zwei stühlen.
in der geschichteten decke treffen die materialien, holz und stein, unmittelbar aufeinander. sie verbinden sich zu einer zentralen fuge, werfen einen schatten. der schatten, den die vergangenheit und ein halbes jahrhundert der trennung auf das grenzland werfen und aus dem die menschen noch nicht herausgetreten sind.

der reine raum bietet dem besucher keine möglichkeit zur ablenkung. keine details oder dekoration stören. der raum ruht in sich, drängt keine aussage auf. er will keine zeichen und symbole zitieren. die welt außerhalb erscheint auf die wesentlichen dinge reduziert. licht, landschaft und vegetation.

in der tischplatte steht eine inschrift. einmal deutsch, auf der anderen seite tschechisch. der besucher ist irritiert. er muß sich auf die situation einlassen.
treffen am tisch zwei menschen gleicher nationalität aufeinander, so merken sie, daß einer von ihnen fehl am platze ist. ein platz bleibt immer für einen gesprächspartner von der anderen seite der grenze reserviert.
sitzt eine person am tisch, so wird ihr ihre nationale einsamkeit bewußt, die sie nur aufbrechen kann, indem sie die grenze übertritt.