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Nichtoffener Wettbewerb | 12/2021

Remise Amstetten (AT) – Neubau Firmenstandort „ecocenter“ und Neugestaltung Halle 3

Visualisierung Innenhof

Visualisierung Innenhof

3. Rang

smartvoll architekten ZT KG

Architektur, Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

ZUG UM ZUG - ein neues Leben für die Remise Amstetten
Wie adaptive reuse und urbane Wildnis zur Reanimation einer Brache beitragen und dabei auch noch das Klima schonen

Die Baubranche hat, soviel dürfte inzwischen klar sein, eine erhebliche Mitverantwortung an der Veränderung des Klimas. Angefangen bei der Bodenversiegelung, bis zum enormen Sandverbrauch bei der Zementherstellung oder dem CO2-Ausstoß bei der Betonproduktion. Der Einfluss vom Bauen auf das Klima wird sich in den nächsten Jahrzehnten noch verstärken, wenn, wie demographische Studien vorhersagen, immer mehr Menschen in Städten leben werden. Es braucht daher neue Strategien für die sinnvolle Nachnutzung bereits versiegelter industrieller Flächen, die ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben.
Gerade industrielle Brachflächen sind paradoxerweise gleichzeitig auch Inbegriff einer belebten urbanen Wildnis – wo der Mensch sich zurückzieht, schaffen sich Pflanzen und Kleinlebewesen ihr neues Habitat. Statt diese gerade entstehende Wildnis zu zähmen, wollen wir ihr so viel Platz wie möglich lassen. Denn die Herausforderungen der Zukunft sind untereinander verknüpft und lassen sich unserer Meinung nur holistisch lösen. Die Stadt verstehen wir als gemeinschaftliches Ökosystem aus Pflanzen, Tieren und Menschen, die nur im Zusammenspiel gut funktionieren können.

Unweit des Bahnhofs Amstetten befindet sich so eine brachliegende Fläche - eine alte Remise samt zugehörigem Industrie-Areal. Das radial um eine Drehscheibe angelegte Gebäude bot als Werkhalle mit 22 Einfahrtsgleisen über Jahrzehnte Platz für Lokomotiven, bevor es vor einigen Jahren als Eventlocation einer neuen Zwischennutzung zugeführt wurde. In den nächsten Jahren soll das zur Remise gehörende Areal zu einem lebendigen Mischnutzungsquartier entwickelt werden. Zukünftig soll das weitestgehend autofreie Quartier vor allem über den Bahnhof erschlossen werden, wobei die Remise den neuen Eingang zum Quartier markieren wird.
Das Bestandsgebäude ist aus unserer Sicht in mehrfacher Hinsicht erhaltenswert. Neben den ökologischen und architektonischen Aspekten ist unter dem städtebaulichen Blickpunkt vor allem die identitätsstiftende Wirkung hervorzuheben. Gerade in einem Quartier, das fast ausschließlich von Neubauten geprägt sein wird, ist der Charme des Bestehenden und die Patina ein atmosphärischer Hauptgewinn.
Im Zuge der Quartiersentwicklung wird für die Remise eine neue Nutzung vorgesehen. Eine Mischung aus Werkstätten, Kreativlaboren, Büro- und Veranstaltungsflächen bringt unterschiedliche Akteure zusammen und sorgt im Idealfall für regen Austausch und Synergien zwischen den Nutzern.

Um den benötigten Raum für die neue Nutzung zu schaffen, wird der Bestand um vier Baukörper ergänzt. Besondere Rücksicht wurde dabei auf eine achtsame Dimensionierung gelegt. Die einzelnen Baukörper nehmen in ihrer Dimensionierung einerseits Rücksicht auf den menschlichen Maßstab und ersetzten andererseits nur so viel der alten Struktur wie notwendig. Gleichzeitig wirken die neuen Implantate doch als klares Signal der Erneuerung des Areals. Die Positionierung der Baukörper schafft einen intuitiven Zugang von der Bahnhofs-Unterführung ins Quartier, während der neue Eingang, prominent von zwei Neubauten gerahmt, unmissverständlich den Weg ins Innere leitet.
Nicht jeder Teil des Bestands trägt gleichermaßen zur Atmosphäre bei, nicht jeder Teil ist im neuen Gebäude gleichermaßen von Vorteil. Es geht im Projekt also nicht um dogmatischen Erhalt von Substanz, sondern um das präzise Auswählen von bestehenden Qualitäten. Das bestehende Dach ist in seiner aktuellen Form nicht für eine Nachnutzung geeignet und muss deshalb ersetzt werden.
Die alte Tragstruktur gibt allerdings weiterhin die Struktur des neuen Dachs und der neuen Fassade vor. Die vier Baukörper scheinen aus dem Dach zu wachsen und gehen so einen Dialog zum Bestand ein. Auf dem Dach entsteht ein neuer, umlaufender Dachgarten, der von den Bürogebäuden aus betreten werden kann. Entlang der Baukörper rückt der Dachgarten von den Gebäuden ab, um durch die Tragstruktur natürliches Licht ins Innere der Remise zu lassen.
In die alte Remise wird zusätzlich ein neues Galeriegeschoß eingefügt. Der Bestand als verbindendes Element ermöglicht so eine zusätzliche interne, zirkulierende Erschließung zwischen den Baukörpern. Zusammen mit den jeweils eigenständigen Erschließungskernen der Implantate ergibt sich dadurch eine enorme Flexibilität in der alltäglichen Nutzung. So profitieren schlussendlich beide Teile –Neubau und Bestand – voneinander und bieten am Ende gemeinsam mehr Qualitäten als es ein Teil allein es je könnte. Die Konfiguration aus neuen, punktuellen Baukörpern und der flächigeren Remise entspricht zudem ideal den Anforderungen unterschiedlicher Arbeits-Settings. Während das Erdgeschoß großzügige Flächen für Werkstätten, Labore und Veranstaltungen bietet, kann in den vertikalen Implantaten fokussierte Büroarbeit stattfinden.
Neben den gestalterischen Vorzügen des Bestands ist es auch ökologischer Sicht weitaus sinnvoller bestehende Strukturen weitestgehend zu erhalten. Die graue Energie, die bereits im Bestandsgebäude verbaut ist, wird so nicht achtlos entsorgt. Gleichzeitig bedeutet ein Neubau massiven Neuverbrauch von Ressourcen und CO². Durch den Tausch des Daches wird bestehende Fläche wieder nutzbargemacht. In Kombination mit dem viel geringeren Neubauvolumen im Vergleich zu einem kompletten Neubau wird hier an mehreren Stellen ressourcenschonend geplant.

Nachhaltigkeit endet aber nicht bei der Gebäudehülle. Auch eine entsprechende Freiraumplanung trägt maßgeblich zum klimatischen Wohlbefinden bei. Die Freifläche soll, in Reminiszenz an die industrielle Wirkung des Bestands als urbane Wildnis funktionieren. Die alte Drehscheibe, das Zentrum der Remise, wird zum Biotop und neuen Zentrum des ganzen Quartiers. Auch hier dient die Gestaltung nicht rein der Atmosphäre, sondern ebenso der nachhaltigen Entwicklung am Areal. Statt auf getrimmtem Rasen, betonierte Flächen oder überregulierter Grünraum setzten wir auf gewollt ungezähmte Bepflanzung.
Eine Mischung aus Bäumen und niedrigere Bepflanzung soll einerseits das Quartier für eine heißer werdende Zukunft rüsten, andererseits Flora und Fauna einen Lebensraum bieten und im wahrsten Sinne des Wortes zum lebendigen Miteinander einladen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das bestehende Dach der Remise soll entfernt und durch eine neue, begrünte, abgetreppte Struktur ersetzt werden. Im Bestandsgebäude wird ein neues Galeriegeschoß ergänzt. Zusätzlich zerschneiden mehrere 4- bis 5-geschoßige, abgeschrägte Baukörper den Bestand. Das Projekt zeigt eine eigenwillige Formensprache, die sich dem Preisgericht nicht erschließt. Auch aus wirtschaftlicher Sicht wird die enge Verzahnung von Alt und Neu in der vorgeschlagenen Form kritisch gesehen. Der Aufwand des Bestandserhalts scheint unter Berücksichtigung der Tragfähigkeit und des Brandschutzes in keinem vernünftigen Verhältnis zum finanziellen Einsatz zu stehen.
Positiv beurteilt wird, dass das Gesamtprojekt in Bauphasen realisiert werden kann. Das Freiraumkonzept schlägt eine urbane Wildnis vor, die für eine Industriebrache gut geeignet erscheint. Angesichts der künftigen Entwicklung des Areals zu einem innerstädtischen Quartier scheint das Konzept aber wenig geeignet.
Axonometrie

Axonometrie

Visualisierung Eingang

Visualisierung Eingang

Visualisierung Innenhof

Visualisierung Innenhof

Visualisierung Innenhof

Visualisierung Innenhof

Visualisierung Dach

Visualisierung Dach

Visualisierung Dach

Visualisierung Dach

Lageplan

Lageplan

Lageplan

Lageplan

EG

EG

1.OG

1.OG

2.OG

2.OG

3.OG

3.OG

4.OG

4.OG

Ansicht Strasse

Ansicht Strasse

Ansicht Hof

Ansicht Hof

Schnitt

Schnitt

Konzeptdiagramme

Konzeptdiagramme