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Studienauftrag im selektiven Verfahren | 06/2021

Ersatzneubau Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Thurgau (CH)

Engere Wahl

Staufer & Hasler Architekten AG

Architektur

Conzett Bronzini Partner AG

Bauingenieurwesen

Martin Klauser Landschaftsarchitekt

Landschaftsarchitektur

Beurteilung durch das Preisgericht

Ein verfĂĽhrerisch schönes Bild steht am Anfang der Präsentation: Ein Blick aus dem fahrenden Zug, durchs Schneetreiben, ĂĽber ein pittoreskes Industrieareal und dahinter tĂĽrmt sich erhaben eine neue Anlage auf. Sie erscheint als feine Komposition verschiedener Volumina – auf den ersten Blick zufällig gewachsen, auf den zweiten von eigenen Ordnungs- und Formgesetzen durchdrungen. Es handelt sich, das ist sofort erkennbar, um ein industrielles Bauwerk. Aber um eines, das freundlich, hell und zugänglich erscheint: das Bild zeigt den voll ausgebauten Zustand der neuen KVA Thurgau. 


Über eine sorgfältige Beschäftigung mit der menschgemachten Erscheinung der Thurebene, ihren Narben und Naturräumen sowie ihrem Bestand an Industriebauten finden die Verfassenden ihren Zugang zu den architektonischen Aspekten der Aufgabe. Es ist ein affirmativer Ansatz, der die Eigenheiten einer KVA, ihren Massstab und ihre technischen Bauteile zum Thema macht und als Chance begreift. Die KVA wird als Monument in der Ebene inszeniert, in dessen Gestaltung sich die Beschäftigung mit Nah- und Fernsicht spiegelt. Technik und Architektur gehen dabei eine symbiotische Beziehung ein, bedingen und durchdringen einander. Technik wird zur Architektur und die Architektur macht die technischen Prozesse sichtbar.


Diese Inszenierung der technischen Bauteile der KVA, der Energiewandlungsprozesse sowie der weiteren Ausbaustufen wird als vertikal gegliedertes und horizontal gestapeltes Konglomerat angelegt. Einzelne Bauteile der Gesamtanlage werden sicht- und erfahrbar gemacht. Mit diesem Verfahren ist sichergestellt, dass die gesamte Anlage ĂĽber die Zeit eher besser wird. Jede Ausbaustufe trägt zum angestrebten Bild bei. 


Diese strategischen Aspekte, die enge Beziehung zur Technik und das durchdachte gestalterische Konzept im Umgang mit den Erweiterungsbausteinen sind klug gewählt und wirken raffiniert. Wie sich zeigen wird, weisen sie aber durchaus auch problematische Seiten auf. 


Das architektonische Prinzip beruht auf einem mehrschichtigen Aufbau: Auf einem Sockel aus Weisszement erhebt sich ein Stahlbau, der mit einer geschuppten, schimmernden Haut aus PV-Modulen ausgefacht wird. Ein durchlässiger Dachkranz schliesst die Volumina ab und beruhigt die Erscheinung der Dachaufbauten. Ăśber diesem dreiteiligen Aufbau erheben sich, elegant aufgeständert sowie weitherum sichtbar, weisses Volumen mit den LUKOs. Diese aufgeständerten Volumina lösen die Kamine als Hauptsymbole der KVA ab und werden zum Leitmotiv des Entwurfs. An die Stelle des archetypischen, rauchenden Schlotes tritt eine weisse Box, welche den Bedeutungswandel der KVA vom «schmutzigen» Abfallvernichter zum «sauberen» Kraftwerk symbolisiert – auch wenn es sich bei den LUKOs in technischer Hinsicht, um genau jenen Teil der Anlage handelt, die keine Energie erzeugen, sondern die nicht verwendbare Energie vernichtet. 


Es ist denn auch die elementare Wichtigkeit dieses Motivs fĂĽr den Entwurf, der zu ausfĂĽhrlichen Diskussionen fĂĽhrt. Dies, weil es sich bei den LUKOs um ein Motiv mit einer gewissen «Anfälligkeit» handelt, deren elegant aufgeständerte Erscheinung aus verschiedenen technischen Richtungen gefährdet wird. Es sind recht grosse Wartungszugänge zu den LUKOs nötig und auch der Durchmesser der Abdampfleitungen ist beachtlich. Beides könnte das angestrebte Bild beeinträchtigen. Die notwendige Statik (Erdbeben) und ihre Einleitung in die Statik des Hallendachs kommen dazu. Im schlimmsten Fall werden sogar Paneele zur Akustikdämmung nötig, welche die gesamte Aufständerung verdecken wĂĽrden. 


Durch eine weitere technische Gegebenheit wird die Idee der aufgeständerten LUKOs als zentrales Element des Entwurfs gefährdet. Es handelt sich dabei um die zu erwartenden, warmen Abluftströme einerseits der Prozesshalle der Abfallverwertung, andererseits von den LUKOs späterer Ausbauetappen, welche den Wirkungsgrad massiv einschränken wĂĽrden. 


Während eine Verschiebung der LUKOs der ersten Etappe auf dem Dach der Anlage – im Rahmen, den die vertikale Abdampfleitung erlaubt – noch denkbar wäre, fĂĽhrt das gleiche Problem in den weiteren Ausbauetappen zu PROJEKTE Team Staufer & Hasler Architektur Staufer & Hasler Architekten AG Bauingenieurwesen Conzett Bronzini Partner AG Landschaftsarchitektur Martin Klauser Landschaftsarchitekt HTL / BSLA 20 einer schwerwiegenderen Gefährdung des Bildes: Die Anordnung verschiedener LUKOs auf verschiedenen Höhen ist in der gegebenen Nähe nicht möglich. Die Abluftströme der tieferliegenden LUKOs wĂĽrden von den höherliegenden LUKOs angesogen und deren Leistung negativ beeinflussen. Es mĂĽssten also aufwändig alle LUKOs auf die gleiche Höhe aufgeständert werden. Die angestrebte Erscheinung der Anlage wĂĽrde somit massiv verändert werden. Die Revisionierbarkeit einer solchen LUKO-Anordnung sowie der darunter liegenden Räume, gerade im Vollausbau, wird zudem stark angezweifelt. 


Durch die sehr unsichere Perspektive der weiteren Ausbauschritte ist zu erwarten, dass die Anlage fĂĽr einen nicht absehbaren Zeitraum im Zustand der ersten Etappe verbleiben wĂĽrde. Das faszinierende, eingangs beschriebene Bild wĂĽrde also noch lange nicht entstehen, vielleicht auch gar nie.


Ob aber die aufgeständerte LUKO-Box der ersten Etappe als Einzelepisode die nötige motivische Kraft und Wirkung erzielen kann, um ihrer ikonografischen Wichtigkeit gerecht zu werden, wird kontrovers diskutiert. Vor allem aber bleibt die sehr präsente Nordfassade lange Zeit als äusserst grosse und etwas abweisende PV-Fassade stehen. Vermisst wird eine wirksame Gliederung, eine Schichtung oder eine plastische Teilung, welche die grosse Fläche schon in der ersten Ausbaustufe weniger mächtig wirken lässt. Verstärkt wird diese Geschlossenheit durch die Unmöglichkeit, den Bunker wie vorgeschlagen mit einem seitlichen Fenster zu belichten.


Eine einladende Ankunftssituation für Mitarbeitende und Besuchende wird vermisst. Die vorgeschlagene Ankunft wirkt wenig attraktiv und der volumetrische Abschluss bzw. Auftakt des Volumens im Bereich der Ankunft wirkt, ohne die erst in ferner Zukunft zu erwartende Ausbaustufe des CCS, etwas unvollständig.


Konstruktiv und statisch zeigt die Abgabe einen Stand, der eine Umsetzung pragmatisch, nachhaltig und angemessen möglich machen würde. Lediglich die vorgeschlagene Anordnung der CSS-Anlage würde massive Vorinvestitionen nötig machen – die dazu noch schwierig zu planen wären, da zur notwendigen Technologie keine Erfahrungen vorhanden sind und somit grosse Sicherheiten früh eingeplant werden müssen.


Das Areal ist Teil einer Kulturlandschaft – von den Verfassern «Narbenlandschaft» genannt. Die grossflächigen Kiesabbaugebiete wurden teilweise «unvernarbt» zurĂĽckgelassen und schufen somit, quasi als Ersatz fĂĽr die ursprĂĽngliche Auenlandschaft, ein Patchwork von bedeutenden ökologischen Ausgleichsflächen. Im Zuge des Neubaus der KVA als gesellschaftlich bedeutender Ort im Thurgau wĂĽrde sich hier in einer ĂĽbergeordneten Betrachtung der ökologischen Vernetzung eine Chance fĂĽr das ganze Thurtal ergeben. 


Auf dem Areal wird das fruchtbare Zusammengehen von Industrie und Natur exemplarisch vorbildlich durchexerziert. Der Raum gliedert sich in funktional unterschiedliche Zonen. Diese werden gemäss ihrer Eignung mit Logistik- oder Natur-/Aufenthaltsthemen bespielt. Ein durchgehender Betonbelag umgreift das Areal und wird wo immer möglich perforiert und mit unterschiedlichen natürlichen Lebensräumen bespielt, wobei aus logistischer Perspektive die Hartflächen inklusive Bahnverlad eher zu knapp bemessen sind.


In der Summe entsteht ein engmaschiges Mosaik von wertvollen Naturräumen von hoher Sichtbarkeit. Die formale Gestaltung der Flächen ordnet sich völlig den logistischen Notwendigkeiten unter, gerade dadurch wirkt das Naturthema nicht aufgesetzt, sondern beginnt einen Dialog mit den betrieblichen Teilen der Anlage. Die Transformation der Anlage und ihrer Flächen erweist sich in dieser Denkart als Vorteil, so entstehen auf nur temporär vorhandenen Flächen innert kurzer Zeit wertvolle Lebensräume wie Ruderalflächen. Auffallend hervorzuheben ist auch, dass wirklich alle Flächen auf ihr ökologisches Potential untersucht und sehr detailliert beschrieben werden. Neben den grossen Flächen mit hoher Sichtbarkeit, wie der zentralen Retentionsfläche, tragen begrünte, unscheinbare Zäune ebenso wie die Fugen der Beläge zum Gesamtmosaik bei. Ein witziges sichtbares Zeichen der Natur in Transformation sind eine Reihe bepflanzter Container, die je nach Gebrauch der Flächen verstellt werden können. Eher ungünstig erscheinen die kleinen Aufenthaltsbereiche für das Personal inmitten der Schwerverkehrsflächen und die grosse Distanz des Parkplatzes zur Verwaltung.


Das Beurteilungsgremium schätzt die gezeigte Arbeit, die sensible und tiefe Auseinandersetzung mit dem Ort und den Eigenheiten einer KVA in hohem Masse. Die sehr komplette Abgabe zeigt eine beeindruckende Beherrschung des architektonischen Metiers. Die geschilderten technischen Gegebenheiten sowie die zeitlich und technisch noch sehr vage Entwicklung der KVA führen jedoch leider dazu, dass das faszinierende Versprechen, wie die Anlage im Endausbau wirken könnte, vermutlich nie erreicht werden würde. Die erste Etappe allein vermag hingegen nicht die gleiche Kraft und Raffinesse zu entwickeln. Fast scheint sie wie ein Fragment ihrer eigenen, utopischen Zukunft.