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Studienauftrag im selektiven Verfahren | 06/2021

Ersatzneubau Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Thurgau (CH)

Zur Realisierung empfohlen

Graber Pulver Architekten

Architektur

Schnetzer Puskas Ingenieure AG

Bauingenieurwesen

GHIGGI PAESAGGI landschaft und städtebau gmbh

Landschaftsarchitektur

Beurteilung durch das Preisgericht

Obwohl es sich bei der KVA im Prinzip um eine technisch anspruchsvolle Aufgabe handelt, die viele architektonische Aspekte nicht berücksichtigen muss, ist die Bauaufgabe aufgrund des beträchtlichen Volumens und der Lage im Landschaftsraum eine richtige Herausforderung. Die Infrastrukturbaute ist zu gross, um sich in die eher kleinmassstäbliche Bebauungsstruktur einzufügen. Der Projektvorschlag für die neue Kehrichtverwertungsanlage sucht – über die funktionalen und organisatorischen Fragestellungen hinaus – den Dialog mit der Landschaft und entwickelt dabei eine architektonische und tektonische Eigenständigkeit und Identität. Mit einer klaren horizontalen Gliederung der Gebäudehülle soll der enorme Massstab des Ersatzbaus in die räumlich bestimmenden Landschaftselemente der Thurebene eingebunden werden.


Das neue Hauptvolumen wird an die Bebauungsgrenze im Süden gesetzt. Zwischen der bestehenden und der neuen Anlage entsteht ein grosszügiger Freiraum. Dort werden die Verwaltung und weitere ergänzende Module für beide Generationen der KVA platziert. Diese Arealaufteilung gewährleistet genügend Platz, damit neben der neu erstellten Anlage in Zukunft eine weitere KVA-Generation im Norden gebaut werden kann.


Die Verwaltung, der Besucherempfang sowie die Zufahrt für den Betrieb sind im mittleren Bereich an der Westseite über einen attraktiven Zugang zum Areal leicht auffindbar. Diese Anordnung ermöglicht einen idealen Standort für die Verwaltung. Dabei reduziert das Gebäude beim Hauptzugang die riesige Dimension der Energiezentrale auf einen menschlichen Massstab. Der separate Gebäudeteil mit den ständigen Arbeitsplätzen weist eine gute natürliche Belichtung und attraktive Aussenraumbezüge auf. Das Verwaltungsgebäude erlaubt mit seiner attraktiven Gestaltung eine klare Adressierung für die Mitarbeitenden und Besuchenden. Neben der betrieblichen Aufgabe der Abfallverwertung und der Produktion von Energie soll das Gebäude auch für die Vermittlung von gesellschaftsrelevanten Sachverhalten in Energie- und Umweltfragen eine wichtige Rolle übernehmen.


Die arealinterne Verkehrsführung wird entflochten. Das Waaghaus befindet sich südlich des Ersatzbaus mit genügend Stauraum für die ankommenden und wegfahrenden Fahrzeuge. Der Transport der Schlacke und der Abfälle von der Bahn zum Areal erfolgt über die bestehenden Rampen im Osten.


Die einzelnen Nutzungseinheiten und deren funktionale Anordnung bestimmen die Gesamtform der KVA. Der Hauptbaukörper mit Bunker, Prozesshalle und Luftkondensationsanlagen (LUKO) sowie der separat quergestellte Verwaltungsbau mit dem Besucherzentrum bilden das volumetrische Grundgerüst der Anlage. Alle Bauten, ausgenommen das Besucherzentrum, sind laufenden Änderungen, Reparaturen, Revisionen und dem Austausch von Anlagen und Einzelteilen unterworfen. Das Denken in Modulen und den damit verbundenen Systemen ist im Projektvorschlag vorbildlich umgesetzt.


Der Bunker ein Massivbau in Beton, die Prozesshalle mit zwei Verbrennungslinien ein Skelettbau aus Stahl und Holz mit einer mittleren massiven Erschliessungszone sowie die LUKOs in einem Stahlskelettbau sind additiv über dem zum Teil im Erdreich liegenden Sockelbau in Recyclingbeton angeordnet. Dieser gewährleistet auch die Ver- und Entsorgung der drei darüberliegenden Bausteine. Die gewählte Grundkonstruktion und deren Materialisierung entsprechen den betrieblichen Anforderungen und gewährleisten durch eine Modulbauweise eine hohe betriebliche Flexibilität. Das materialmässig hybride Gebäude kann jederzeit ergänzt, zerlegt oder wieder verwendet werden und verspricht so eine wertige Nachhaltigkeit.


Die inneren Funktionen und deren Organisation zeigen sich in der Volumetrie. Der in der Vertikalen dreiteilig gegliederte Baukörper weist einen Sockelbau, einen darüber liegenden Trakt in der Höhe der umgebenen Landschaftselemente sowie einen oberen Bereich mit gefalteten Flächen für eine Photovoltaikanlage auf. Deren Blendwirkung und farblicher Ausdruck muss näher untersucht werden. Mit dem heute bekannten eher dunklen Glas kann der gewünschte Effekt kaum erreicht werden. Die vielversprechende Idee der Gestaltung des Baukörpers ist ambitiös. Sie muss konstruktiv sorgfältig umgesetzt werden, bis sie auch in der Realität zu überzeugen vermag.


Durch die natürliche Be- und Entlüftung der Prozesshalle kann auf eine kostenintensive mechanische Lüftung verzichtet werden. Dazu werden im unteren und oberen Bereich Lüftungsöffnungen eingebaut. Das mögliche Eindringen von Pollen der Fassadenbegrünung in die Prozesshalle muss in der folgenden Planung verhindert werden, da diese nur mit grossem Aufwand gereinigt werden kann und zum Schutz der Anlage.


Positiv zu erwähnen sind die im Gesamtvolumen integrierten LUKOs und deren konstruktive Abstützungen auf das Sockelgeschoss. Das gewählte Konstruktionsprinzip vermittelt gegen aussen nicht nur die technischen Inhalte und Anforderungen an das Gebäude, sondern sie verleihen dem markanten Baukörper zusätzlich gestalterische Plastizität.


Der Freiraum wird bestimmt über ein Ensemble von Tumuli (Tumulus Lat. Erdhügel, symb. Grabhügel), die zum identitätsstiftenden Element der Gesamtanlage werden sollen. Die Tumuli sollen aus unterschiedlichen Materialen vor Ort geschichtet und von unterschiedlichen Pflanzengesellschaften im Kontext mit den angrenzenden Natur- und Kulturlandschaften spontan besiedelt werden.


Die übergeordnete Idee des artifiziellen Umgangs mit der Topographie bespielt ein zentrales Thema der Landschaftsarchitektur. Die starke Geste der Tumuli, deren Form sich eben nicht von funktionalen Notwendigkeiten herleitet, sondern im menschgemachten Umgang mit der Landschaft gründet, wird vom Gremium geschätzt. 


So einfach der Grundgedanke auf den ersten Blick ist, erweist er sich bei vertieftem Studium als problematisch. Die Fläche des Bestandesbaus ist zum Zeitpunkt des Anfalls des Deponiegutes nicht frei, die Flächen näher am Ersatzbau werden zur Baulogistik gebraucht. Von daher müssen Aushub und Abbruch in jedem Fall abtransportiert werden. Das Argument, mit den Tumuli durch Vorort-Deponie Abfuhrfahrten zu vermeiden, greift somit leider nicht. Auch im Hinblick darauf, dass auf der Nachbarschaftsfläche der KIBAG Kies Weinfelden AG ein hochmodernes Recyclingwerk entsteht, erscheint der Deponiegedanke nicht sehr zwingend. Zudem wird das Abbruchmaterial nicht frei von Altlasten sein, was eine unterliegende Entwässerung der Tumuli-Flächen notwendig machen würde.


Eine etwas stärker ausformulierte Umgebungsgestaltung mit Sitzgelegenheiten, räumlichem Bewuchs der Tumuli oder auch sonstigen möglichen Bäumen auf dem Areal hätte dem Gremium geholfen, sich nicht nur auf die oben beschriebenen technischen Probleme der Grundidee zu fokussieren.


Das Projekt überzeugt durch die Anordnung der Gebäude und deren sinnvollen Etappierung innerhalb des zur Verfügung stehenden Grundstücks. Die verlangten Nutzungseinheiten sind richtig angelegt und gut organisiert. Dies zeigt sich in der Volumetrie der Gebäude. Der statische Aufbau ist einfach. Die gewählte Materialisierung überzeugt funktional und gestalterisch. Mit dem Einbezug der markanten umliegenden Landschaftselemente bei der vertikalen Gliederung des Baukörpers präsentieren die Verfasser einen guten konzeptionellen Ansatz, um den mächtigen Baukörper bestmöglich in den Landschaftsraum der Thurebene einzufügen.