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Ideenwettbewerb im kooperativen Verfahren mit vorgeschaltetem Auswahlverfahren | 06/2021

Innenraumkonzepte für die Kirche St. Maria in Stuttgart

1. Preis

HABERMANN Architektur- und Ingenieurgesellschaft mbH

Architektur

Dr. Fritz Barth

Architektur

Erläuterungstext

VORBEMERKUNG. Das Ziel des Wettbewerbs ist die Sicherung der Zukunft von St. Maria, wobei die Erhaltung des Sakralraums in Funktion und Charakter im Zentrum steht, doch gleichzeitig eine nicht festgelegte Vielzahl von nichtsakralen Funktionen ermöglicht werden soll. Der Raum soll also gleichzeitig im Sinne seiner historischen Funktion eindeutig konnotiert und dennoch in vielfacher Hinsicht variabel sein. Als grundsätzliches Mittel der Zukunftssicherung wird die gewünschte Öffnung der Kirche gesehen, ein Bestreben, dem indes durch den historischen Bau, der keine Eingriffe duldet, enge Grenzen gesetzt sind Ein gangbarer Weg, soweit es die architektonischen Möglichkeiten betrifft, ist eine stärkere Verzahnung mit dem urbanen Umfeld; der Gestaltung des Vorplatzes kommt somit für die Gesamtmaßname eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.
DER VORPLATZ. Hier besteht Handlungsbedarf – die aktuelle städtebauliche Situation kann kaum anders als unglücklich, ja desolat bezeichnet werden und bedarf dringend der Strukturierung. Drei Maßnahmen schlagen wir vor: die Versetzung des Paulinenbrunnens in die Achse des vorhandenen Plattenwegs als dessen Endpunkt, die Errichtung eines Kiosks am Schnittpunkt dieser Achse mit der Furtbachstraße und die Aufstellung einer Mariensäule im Zentrum des Vorplatzes in der Mittelachse der Kirche Diese Dreieckskonstellation hilft, die Erschließung des Vorplatzes zu klären; Brunnen und Kiosk spannen eine Torsituation auf, mit dem Fokus auf die Säule, wodurch die Kirche wesentlich besser in das urbane Gefüge eingebunden wird. Die Säule selbst als das Zentrum des Vorplatzes ordnet diesen und läßt ihn als Platz mit stärkerem Bezug zur Kirche erfahrbar werden. Der Kiosk wird diesen nicht nur beleben, sondern auch dazu dienen, seine sozialen Funktionen zu unterstützen.
DIE AUSSENBAUTEN AN DER KIRCHE. Entlang der Tübinger Straße bieten drei kleine Erker in der Tradition mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Anbauten an Kirchen Raum für eineVielzahl wechselnder Funktionen – Verkaufs-, Markt- oder Informationsstände und anderes mehr. Als Vitrinen genutzt, etwa im Rahmen einer in der Kirche stattfindenden Ausstellung, dienen sie einer Öffnung des Kirchenbaus an prominenter Stelle, ohne daß dessen Substanz selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Im Winter wäre hier auch ein provisorischer Schutz für Ob- dachlose möglich. Entlang der Furtbachstraße sind Nebenfunktionen untergebracht, Toiletten und Lagerräume wodurch in vielerlei Hinsicht problematische Eingriffe in den Kirchenraum selbst überflüssig werden. — Die An- bauten sind, wie auch der Kiosk, allesamt als einfache Holzbauten von ephemerem Charakter zu denken.
DER KIRCHENRAUM. Hier gilt es, die Ausgewogenheit und hohe räumliche Qualität des Baus unangetastet zu erhalten. Insbesondere wird Wert darauf gelegt, auch spätere Veränderungen, hauptsächlich die hölzerne Flach- decke, der sich der grandiose Raumeindruck nicht zuletzt verdankt, unverändert zu bewahren. Die Eingriffe sollen so minimal wie irgend möglich gehalten werden. Um die ge- wünschte und erforderliche Flexibilität zu erreichen, wird auf feste Einbauten im Schiff verzichtet; die für die unter- schiedlichen möglichen und aktuell nicht abschließend ein- grenzbaren Nutzungen notwendigen funktionalen wie atmosphärischen Bedingungen werden mittels variabler Elemente geschaffen.
DER BODEN. Es wird ein einheitliches Niveau hergestellt, was nicht zuletzt das Feiern von Gottesdiensten in zeitgemäßer Form und in unterschiedlichen Konstellationen und Größen deutlich erleichtert, mit dem jeweils unmittelbaren Bezug zum Altar. Im Bereich der ehemals fest installierten Bänke wird ein hölzerner Hohlboden installiert. Hier sind in Kanälen die technischen Einrichtungen samt den jeweiligen Anschlüssen verborgen, was eine maximale Flexibilität der Nutzung erlaubt. Auch die Heizung ist hier untergebracht, zusätzlich in anderen Teilen des Fußbodens.
DIE PRINZIPALIEN. Taufbecken und Tabernakel wer- den in ihrer bisherigen Gestalt beibehalten. Was den Altar betrifft, kann zwar eine ortsfeste Installation ins Auge gefaßt werden, doch scheint uns die vorgeschlagene verschiebbare Positionierung den Vorteil zu haben, daß dann für unterschiedliche Formen des Gottedienstes die jeweils optimale Position festgelegt werden kann – kleine, eher intime lassen sich auf den Chorraum beschränken, größere sich auf die Vierung beziehen, und große Veranstaltungen die nach einem festlichen Einzug in die Kirche verlangen füllen den gesamten Raum, jede in einer angemessenen Konstellation von Altar und Gebänk zum Raum, wesentlich unterstützt von der Variabilität des Beleuchtungssystems Auch ist so sichergestellt, daß die gewünschten anderen nicht sakralen Aktivitäten, denen die Kirche Raum bieten soll, den gebotenen Respektabstand zum Altar einhalten können, ohne daß dieser seine raumbestimmende Funktion einbüßt.
DIE BELEUCHTUNG. Sie ist das Mittel, um für die unterschiedlichsten Nutzungen den jeweils geeigneten Raum und die angemessene Atmosphäre zu gewährleisten. Hier- für werden in regelmäßigem Raster Leuchten installiert die mittels über der Holzdecke angebrachten Elektromotoren individuell in der Höhe justiert werden können Die Steuerung erfolgt per Computer; unterschiedliche Raum- und Lichtsituationen sind so per Knopfdruck in kürzester Zeit herzustellen. Die Leuchten bestehen aus einem stark gebläselten Glasschirm, der unter einem Messingzylinder hängt. In letzterem befinden sich die Leucht- mittel, zwei Ringe aus Leuchtdioden, deren einer nach unten, der andere nach oben strahlt und bei denen nicht nur die Intensität, sondern auch die Farbtemperatur individuell geregelt werden kann. So läßt sich eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Licht- und Raumsituationen her- stellen, die ohne jeden baulichen Eingriff die Architektur des Kirchenraums modifizieren und den jeweiligen Anlässen anpassen – in technischer Hinsicht, doch vor allem in den atmosphärischen Qualitäten.

Mitarbeit:
Friedrich Barth
Clemens Habermann
Lion Schreiber
Maximilian Wolf

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Gestaltungskonzept geht von der Ausgewogenheit und der hohen Qualität des
neugotischen Kirchenraums aus. Es werden minimalistische Eingriffe vorgeschlagen, die durch ihr sehr hohes Maß an Klarheit und Eindeutigkeit bestechen.

Der Kirchenraum wird auf ein einheitliches Höhenniveau eingestellt, das für die Nutzung des Raumes sowohl in liturgischer Hinsicht wie auch für verschiedenartigste
Veranstaltungsformate eine hohe Flexibilität ermöglicht.

Das vorgeschlagene Beleuchtungssystem stellt einen weiteren markanten Gestaltungsakzent dar. Durch individuell veränderbare Höhenjustierungen können hier unterschiedlichste Raum- und Lichtsituationen mit atmosphärischen Qualitäten ermöglicht werden.

Überzeugend erscheint auch die Materialität des Bodens, der im Bereich der ehemals festinstallierten Bänke als hölzerner Hohlboden vorgeschlagen wird, in dem alle technischen Einrichtungen verborgen sind.

Die Prinzipalien werden grundsätzlich beibehalten; über den Ambo wird keine Aussage getroffen. Für unterschiedliche Gottesdienstformen wird eine variable Positionierung des neuen Altars vorgeschlagen, der auf Schienen im Chorraum bewegt werden könnte, die Praktikabilität dieses Vorschlages wäre noch zu überprüfen.

Eine besondere Stärke des Entwurfes besteht darin, dass er die städtebauliche Situation der Kirche reflektiert und ihr ihre Stellung als Mittelpunkt des Platzes wieder zurückgeben
möchte. Diese Verzahnung mit dem urbanen Umfeld gelingt im Besonderen durch den Vorschlag, den Brunnen neu zu positionieren und als Endpunkt des vorhandenen Plattenwegs an der Tübingerstraße zu platzieren, sowie durch die Errichtung eines Kiosks am Schnittpunkt dieser Achse mit der Furtbachstraße. Der Vorschlag sieht ebenso die Positionierung einer Mariensäule in der verlängerten Achse des Kirchengebäudes vor, dies wird vom Preisgericht unterschiedlich beurteilt.

Erwähnung verdienen die hölzernen Anbauten an den Außenwänden der Seitenschiffe, mit denen sowohl dem Bedarf an Stauraum Rechnung getragen wird, als auch eine dauerhafte Lösung für die bestehende nicht zufriedenstellende Situation anbietet. Der Vorschlag, der an mittelalterliche Vorbilder anknüpft, ist allerdings mit den ästhetischen Vorstellungen der Neugotik nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Auch sind hier bauphysikalische Probleme im Blick zu behalten. Eventuell könnte für die Anbauten an der Tübinger Straße auch eine Lösung im Zusammenhang mit dem Kiosk gefunden werden.

Aufgrund seiner puristischen Klarheit mit hoher funktionaler Flexibilität und seinen städtebaulichen Qualitäten trägt dieser Entwurf ein hohes Potential eines überzeugenden Gestaltungs- und Nutzungskonzeptes von St. Maria in sich.

Beurteilung durch die Denkmalpflege:
Der Entwurf zeichnet sich durch die Akzeptanz des qualitätsvollen Innenraums aus und verbessert mit den Ideen zum Vorplatz an der Stelle, an welcher Defizite zu beklagen sind. Problematisch sind aus denkmalfachlicher Sicht die zwischen die Strebepfeiler gestellten Buden bzw. das Lager samt WC an den Außenfassades. Einerseits weil sie der bewussten Freistellung der Kirche widersprechen und zum anderen aus bauphysikalischer Sicht (Auswirkungen auf die Sandsteinfassade). Können die karikativen Angebote nicht über einen Neubau auf dem Vorplatz gelöst werden, müsste über eine mobile Ausformulierung der Einbauten (Buden) nachgedacht werden.