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Projektwettbewerb im offenen Verfahren | 07/2023

Wohnüberbauung Am Rain in Luzern (CH)

4. Rang / 4. Preis

Preisgeld: 20.000 CHF

Julian C. Fischer Architekten

Architektur

Albiez de Tomasi GmbH

Landschaftsarchitektur

Egeter & Partner AG

Tragwerksplanung

Beurteilung durch das Preisgericht

Kontext, Architektur, Freiraum

Das Projekt baut auf dem Bestand auf, der minimal umgebaut, erweitert und ĂŒberformt wird. Die denkmalpflegerische Forderung nach ‚Substanzerhalt‘ wird dabei nicht stĂ€dtebaulich oder in Bezug auf die architektonische IdentitĂ€t und Ausstrahlung des Quartiers verstanden, sondern gewissermassen wortwörtlich umgesetzt, indem die sechs HĂ€user quasi integral erhalten bleiben. Durch seitliche Anbauten werden die GebĂ€ude miteinander verbunden, wodurch sich zwei lange, schlanke Zeilen bilden. Durch die skulpturale Artikulation der Scharniere mit Vor- und RĂŒcksprĂŒngen gelingt es, die LĂ€nge der in ihrer Grunddisposition starren, parallel stehenden Zeilen und deren kanalisierende Wirkung zu einem gewissen Grad zu brechen und aufzulockern. Im Erdgeschoss fĂŒhren ĂŒberhohe und rĂ€umlich attraktive DurchgĂ€nge unter den Zwischenbauten hindurch. Dank der geringen GebĂ€udetiefe an diesen Stellen, entsteht nicht nur eine funktionale, sondern auch eine rĂ€umliche DurchlĂ€ssigkeit der Siedlung. Den gedeckten gemeinschaftlichen Aussenbereichen wird durchaus AufenthaltsqualitĂ€t attestiert. Die HauszugĂ€nge sind primĂ€r von der Strasse aus erschlossen, aber auch von der Gartenseite her zugĂ€nglich, was innenrĂ€umlich attraktiv ĂŒber teilweise doppelgeschossige RĂ€ume geschieht, aber bei der nördlichen Zeile zu wenig einladenden, im Tiefparterre liegenden EingĂ€ngen fĂŒhrt. Der dem Projekt inhĂ€rente Widerspruch, dass die virtuos modellierten Zwischenbauten jeweils eine reprĂ€sentative Zugangssituation zu formulieren scheinen, wĂ€hrend sich die unscheinbaren HauszugĂ€nge in der Mitte der bestehenden Fassaden verlieren, lĂ€sst sich kaum auflösen. Die expressive Fassadengestaltung fĂŒhrt zu einer sehr eigenen und starken IdentitĂ€t des Ensembles, die im Hinblick auf Ihre Selbstbezogenheit und fehlende Relation zum Ort kontrovers diskutiert wird.

Durch den starken Bezug der Bauten zum Bestand entstehen FreirĂ€ume, die ein gemeinschaftliches Wohnen ermöglichen und zugleich eine gute Verbindung mit den angrenzenden Siedlungsteilen schaffen. Das Freiraumkonzept ist schlicht, die Zonierung gut, das beabsichtigte Bild jedoch nicht immer ganz klar. Entlang der Querverbindungen in Nord-SĂŒd-Richtung lagern sich die unterschiedlich programmierten Gemeinschaftsorte in den GebĂ€udedurchgĂ€ngen an. Sie sind somit gut verteilt und bei unterschiedlichen Witterungen nutzbar. Der Spielplatz im Nordwesten wird geschickt um einen grösseren Gemeinschaftsort erweitert. Der Hof im SĂŒden wird selbstverstĂ€ndlich wirkend angeschlossen und NutzgĂ€rten hierhin ausgelagert, ob die stimmige und fliessend wirkende Verbindung jedoch aufgrund der GefĂ€llesituation ohne Rampen, Sockelmauern oder Stufen funktioniert wird angezweifelt. Zumindest ist hier die Bearbeitungstiefe nicht hoch genug.

Durch den Erhalt der Quartierstrasse und die grĂŒnen Vorzonen wird angemessen auf den angrenzenden historischen Bestand eingegangen. Der Gehweg auf der nördlichen Strassenseite wirkt dabei jedoch etwas fremd. Etwas zu hoch fĂ€llt der Anteil der HartflĂ€chen aus. Die Wege zeigen immer wieder Aufweitungen, deren Nutzen sich mit derart vielen KommunikationsbĂ€nken nicht immer erschliesst. Unterhalb der DurchgĂ€nge wird es zudem kein GrĂŒn geben, auch werden wohl die vermeintlich grĂŒnen FlĂ€chen unter den Velos und die Erweiterungen der GemeinschaftsflĂ€chen grau oder braun als Hartbelag zu lesen sein. Der zweite
Gemeinschaftsraum im grossen Hof ist interessant, fĂŒhrt aber erneut zu einem Verlust von GrĂŒnflĂ€chen.

Materialisierungs- und Pflanzkonzept sind nur grob beschrieben. Was nun die unterschiedlich gefĂ€rbten grĂŒnen BelĂ€ge sind, bleibt unklar. Zumindest verbal besteht die Absicht eine differenzierte Vegetationsstruktur zu schaffen, die sicherlich das Potenzial hat ökologische Mehrwerte zu schaffen - die Plandarstellung bleibt dabei leider recht marginal. Eine Interessante Idee ist die Verwendung von Obstgehölzen, leider ist nur der repetitiv verwendete neu zu pflanzende Hartriegel angeschrieben.

Nutzung

Die beidseitigen HauszugĂ€nge garantieren eine hohe DurchlĂ€ssigkeit des Quartiers und eine gute Vernetzung mit dem Aussenraum. Die bestehenden Treppenkerne werden um einen Aufzug ergĂ€nzt und sind als Zwei-bzw. DreispĂ€nner organisiert. GrosszĂŒgige Familienwohnungen orientieren sich jeweils gegen Westen und Osten. Die Wohnungstypologien ergeben sich massgeblich aus der Bestandsstruktur. An den bisherigen Ost-bzw. Westfassaden knĂŒpft die Erweiterung an und artikuliert einen durchgesteckten Wohnraum mit angrenzendem Aussenraum gegen SĂŒden. Es ergibt sich eine sehr eigenstĂ€ndige und reichhaltige Wohnlandschaft, die sich um die Schnittstelle zwischen Alt und Neu entwickelt, durch polygonale Raumgeometrien auszeichnet und durch vielfĂ€ltige SichtbezĂŒge besticht. Die einseitig orientierten und pragmatisch organisierten Kleinwohnungen fallen demgegenĂŒber klar ab, sind aber trotzdem funktional.

Zwei Pavillons mit den GemeinschaftsrĂ€umen liegen im nordwestlichen und sĂŒdwestlichen Gartenraum und aktivieren diesen zusĂ€tzlich, wobei der sĂŒdliche Pavillon wegen seiner betrĂ€chtlichen Breite und geschlossenen Ostwand zu trennend wirkt. Die konsequente Adressierung der HĂ€user von der Strasse stĂ€rkt diese als gemeinschaftlichen Raum. Die teils gedeckten PassagenrĂ€ume bilden, daran anknĂŒpfend, vielfĂ€ltig nutzbare, kleinteilige und gut verteilte Orte der Zusammenkunft.

FunktionalitÀt, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit

Hoch anzurechnen ist dem Projekt der sorgfĂ€ltig auf der bestehenden Struktur aufbauende Ansatz, der im Bestand mit geringer Eingriffstiefe auskommt, viel Substanz weiterverwendet und dadurch den Verbrauch von grauer Energie minimiert. Die expressive SkulpturalitĂ€t, die den Reiz des Projektes ausmacht, fĂŒhrt jedoch zu einer verhĂ€ltnismĂ€ssig grossen und komplizierten Abwicklung und aufwĂ€ndigen Konstruktion der AussenhĂŒlle, was ökonomisch wie ökologisch den durch den Substanzerhalt gewonnenen Vorteil etwas relativiert. Da jeder Erschliessungskern von jeweils 2 Hausseiten zugĂ€nglich ist, entsteht ein ĂŒberdurchschnittlicher Anteil an VerkehrsflĂ€che. Mit den bestehenden Untergeschossen ergibt sich ein unterdurchschnittlicher Anteil NebennutzflĂ€chen, wĂ€hrend die Investitionskosten leicht ĂŒber dem Durchschnitt liegen. In Bezug auf die sommerliche KĂŒhlung des Stadtraums mittels Kaltluftströmen, sind lange Riegelbauten gegenĂŒber Punktbauten mit ZwischenrĂ€umen im Nachteil. Auch sieht der Projektvorschlag einen verhĂ€ltnismĂ€ssig grossen Anteil versiegelter FlĂ€chen vor, was das sommerliche Überhitzungspotenzial weiter verschĂ€rft.

Fazit

Das Projekt hat die Jury insbesondere fasziniert, da es auf mehreren Ebenen einen radikalen Ansatz verfolgt. Zum einen in Bezug auf den Bestand, von dessen Substanz es nahezu 100% erhĂ€lt und damit betreffend Nachhaltigkeit ein Exempel statuiert. Zum zweiten in Bezug auf die Architektur deren farbenfroher Ausdruck und verspielte SkulpturalitĂ€t von selbstbewusstem Gestaltungswillen durchdrungen ist und im Quartier gĂ€nzlich neue Impulse setzen wĂŒrde. Und zum dritten in Bezug auf die Grundrisstypologie, die aus der Not eine Tugend macht, die Schnittstelle zwischen Alt und Neu kurzerhand zum Herzen der Wohnungen befördert und damit so unkonventionelle wie spezifische WohnrĂ€ume schafft. Auf ortsbaulicher Ebene hingegen erweisen sich die durchgehenden Zeilen im historischen Kontext nicht als ĂŒberzeugendste Lösung und der Ă€ussere Ausdruck des Projekts erscheint schlussendlich im bescheidenen, zurĂŒckhaltenden Genossenschafts-Umfeld etwas zu polarisierend. Auf der Ebene des Freiraums wird eine gute Verbindung zu den umgebenden Siedlungsteilen geschaffen. Das Konzept ist schlicht aber das beabsichtigte Erscheinungsbild aufgrund der reduzierten Darstellung nicht immer ganz klar. So wird ein höherer Anteil an GrĂŒnflĂ€chen suggeriert, als dies tatsĂ€chlich der Fall ist und diverse - wohl baulich nötige - Elemente wie Mauern und Rampen unterschlagen.