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Kooperatives Verfahren | 09/2019

Umgestaltung des Marktplatzes in Pfullingen

Gesamtlageplan

Gesamtlageplan

ein 1. Preis / Zuschlag

Prof. Schmid I Treiber I Partner

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

AUSGANGSSITUATION UND ZIELSETZUNG

Nach Inbetriebnahme der Umfahrung der B 312 durch den Ursulabergtunnel 2003 ist der Durchgangsverkehr in der Pfullinger Innenstadt deutlich zurückgegangen. Dadurch erhielt die Stadt Pfullingen die Möglichkeit, ihre „Mitte“ verkehrlich neu zu ordnen und ein identitätsstiftendes Zentrum mit hoher Aufenthaltsqualität zu entwickeln. Nach der Fertigstellung des DEZ mit seinem Umfeld und des Passy-Platzes steht nun die Umgestaltung des Marktplatzes mit dem Rathausumfeld an, um die Aufwertung der Innenstadt im Gesamten weiter fortzuführen.

ENTWURFSIDEE

Die Innenstadt von Pfullingen zeichnet sich durch eine Abfolge von Plätzen aus: Lindenplatz, Marktplatz, Passy-Platz und Laiblinsplatz. Der Entwurf bezieht sich darauf und entwickelt ein zusammenhängendes großzügiges Freiraumkonzept für eine neue Ortsmitte der Begegnung. Das bedeutet, dass die öffentlichen Freiräume um das attraktive Ensemble aus Martinskirche, den historischen Rathausgebäuden und dem Marktplatz sowie der mehr lineare Lindenplatz eine Aufwertung erfahren und zum Anziehungspunkt im Stadtkern mit Raum für Einzelhandel, Veranstaltungen im Freien und das Verweilen werden. Um dies zu erreichen und dem heterogenen Gebäudebestand Ruhe, Einheit und Großzügigkeit zu verleihen, wird dem gesamten Planungsgebiet ein farblich und in seiner Materialität einheitlicher Stadtboden zugrunde gelegt.

Ein weiteres, reizvolles Merkmal von Pfullingen ist seine lebendigen Wasserläufe, die der Stadt Charme und das Besondere verleihen. Der Umgang mit dem Wasser grundsätzlich, die Möglichkeit das natürliche Gefälle aufzugreifen und sich zunutze zu machen und die Bedeutung des Elementes Wasser unter den heutigen und zukünftigen klimatischen Bedingungen sind ein wichtiger Bestandteil des Entwurfes.

MARKTPLATZ UND MARTINSKIRCHE

Der Charakter des Marktplatzes wird bestimmt durch den historischen, heterogenen Gebäudebestand und besonders durch die höher gelegene Martinskirche. Durch die erhobene Lage und die bisherigen, kleinteiligen Maueranlagen wirkte die Kirche abgetrennt vom Geschehen, fast unbeteiligt. Der Entwurf löst diese Trennung auf und integriert die Kirche in den Marktplatz mit einer offenen, großzügigen und abgerundeten Stufenanlage. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass sich die Kirche wie auf einer sanften Scholle von Osten her in den Platz schiebt und von diesem aufgenommen wird. Der relativ schmale Platz wirkt nun weit und offen und lässt alle möglichen Nutzungen zu: Märkte, Feste, Außenbewirtung, Begegnung und Verweilen, Spiel und Erleben gehen Hand in Hand miteinander.

Wo bisher das zerklüftete und unzugängliche ‚Gebirge‘ zu finden war, öffnet sich nun eine weitere Platzfläche als Teil der erhobenen Kirchenscholle. Hier kann man Ruhe und Besinnlichkeit im lichten Baumschatten (Gleditia triacanthos ‚Skyline‘) des Kirchenhains erleben und sich vom bunten Treiben auf dem tiefer gelegenen Marktplatz zurückziehen. Sitzstufen, die von zwei barrierefreien Rampen begleitet werden ermöglichen den ungezwungenen Aufenthalt. Von der Marktstraße wird der Kirchenhain durch eine lockere Baumreihe abgeschirmt.

Auf dieser ruhigen, leicht über dem Marktplatz liegenden Platzfläche findet das Kunstobjekt ‚Disput‘ einen neuen, exponierten Standort. Auch der Bücherbaum darf auf dem Marktplatz nicht fehlen und wird auf die Sitzkante unter dem Baum am Rathaus I versetzt.

LINDENPLATZ

Nahtlos geht der Marktplatz in den mehr linearen Lindenplatz über. Durch die geänderte Verkehrsführung als 2-Richtungsverkehr auf der Marktstraße wird der Lindenplatz wieder zum Platz und als solcher erlebbar. Die Ladengeschäfte auf der westlichen Platzseite erhalten so ruhige, großzügige Vorzonen, die für Außenbewirtung oder Warenauslagen genutzt werden können. Der Fußgänger- und Radverkehr erhält Raum zur Entfaltung.

Im Gegensatz zum historischen Marktplatz erlaubt sich der Lindenplatz ein modernes Gesicht. In seinem neuen Zentrum entsteht eine städtisch anmutende offene Aufenthaltsfläche mit Wasserspiel und Sitzelementen. Seinem Namen entsprechend wird der Lindenplatz durch kraftvolle, stadtklimafeste Linden (Tilia tomentosa ‚Brabant‘) eingerahmt.

STRASSENRÄUME

Für die Hauptverkehrsadern im Planungsgebiet und somit im Stadtkern von Pfullingen, wird eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h vorausgesetzt. Von Norden verläuft der gesamte Verkehr ausschließlich über die Marktstraße hin zur Großen Heerstraße im Begegnungsverkehr. Busse und Individualverkehr teilen sich eine 6,5 m breite Fahrbahn, die immer wieder von Längsparkflächen begleitet wird. Die Bushaltestellen sind mit Busborden barrierefrei ausgebaut. Die Busse sollen bewusst auf der Fahrbahn halten, um einerseits den Verkehr zu verlangsamen und andererseits großzügige Gehwegbereiche zu gewährleisten. Sehr breite, natursteingepflasterte Fußgängerüberquerungen über die Marktstraße (mit oder ohne Lichtsignal) verbinden beide Straßenseiten zu einer, vom langsamen Verkehr unterbrochenen Platzfläche. Stadtklimafeste Straßenbäume leiten Blick und Verkehr in Reihen oder punktuell durch die Innenstadt.

An der Ecke Schulstraße / Große Heerstraße sieht der Entwurf die Schließung einer städtebaulichen Lücke vor, um dem dominierenden Element der Kirche auf der anderen Straßenseite ein Gegengewicht zu geben. Die Einmündung zur Schulstraße wurde stark verringert, wodurch sowohl vor der Kreissparkasse als auch vor dem neuen Gebäude Vorplatzzonen zum Verweilen entstehen. Das ‚Ankommen‘ aus der Richtung der Schulstraße hin zur Kirche wird dadurch verstärkt und geändert.

WASSER

In der Stadt Pfullingen hat Wasser eine große Bedeutung. Der Entwurf greift dieses Thema auf und zieht das Wasser als lineares Element durch das gesamte Planungsgebiet. Der Stadtbach nutzt das natürliche Gefälle und verläuft von Süden nach Norden. Ab der Einmündung Schulstraße wird der Stadtbach die Kirche östlich umfließend in einer gebauten Rinne weitergeführt und bildet einen natürlichen und erlebbaren Abschluss des Fußgängerbereichs, bevor man auf die Fahrstraße gelangen würde. Außer in Hochwassersituationen wird der Stadtbach nicht in das Einlaufbecken unterirdisch abgeleitet, sondern auf den Lindenplatz weitergeführt. In Abschnitten taucht das Wasser in den Belagsflächen des Lindenplatzes als bewusstes Element immer wieder auf, bis es auf dem zentralen Platzbereich optisch sein Ende findet. Die Schollenfläche aus großen Steinplatten empfängt den Stadtbach in seiner gebauten Rinne, und lässt ihn hier unterirdisch entschwinden. Das inszenierte Wasserspiel, ein seichtes Wasserbecken mit Wasserrampe, wird dagegen mit Trinkwasser gespeist.

Sowohl die Rinnen als auch das Wasserspiel sind so gesteuert, dass die Wassertiefe 25 cm nie übersteigt. Die Rinne und das Wasserspiel sind seitlich mit mattiertem Edelstahl eingefasst, der Boden ist wie oben aus Naturstein ausgebildet.

MATERIALIEN UND AUSSTATTUNG

Die Materialpalette kommt mit wenigen, edel anmutenden Elementen aus. Im gesamten Planungsgebiet sieht der Entwurf einen Wildpflasterbelag aus Dolomit vor, Oberflächen sandgestrahlt und Kanten gebrochen, verlegt auf Asphalttragschicht. Verschiedene Farbtöne von beige und sandfarben bis zu warmem Ocker verleihen dem Stadtboden gleichzeitig eine Lebendigkeit wie auch die nötige Ruhe, um die verschiedenen Materialien und Stile in der Bebauung zu einer homogenen Einheit zusammen zu fassen ohne dabei monoton zu wirken. Die Schollenflächen im Zentrum des Lindenplatzes sind von der Materialität und Farbgebung gleich wie der Wildpflasterbelag, jedoch handelt es sich um großflächige Dolomit-Steinplatten.

Die Entwässerung auf dem Marktplatz erfolgt über Gefällelinien, die mit Einzeilern aus Dolomit Großsteinpflaster markiert werden. Diese Tiefpunktlinien münden in punktuelle Straßeneinläufe 30/50 cm.

Die Belagsfläche im Kirchhain ist als unversiegelte Wassergebundene Decke ausgebildet, um den natürlichen Charakter eines Haines zu stärken.

Treppenstufen und Borde sind aus hellem Betonwerkstein. Sitzstufen und Sitzelemente sind ebenfalls aus Betonwerkstein mit geschliffenen Oberflächen und im Falle der Sitzelemente mit eingelassener Sitzauflage in Holz ausgebildet.

Handläufe, Poller und Fahrradbügel sind wie die Einfassung des Stadtbachs aus mattiertem Edelstahl. Die Straßenbeleuchtung entspricht, wie im Entwurf gezeigt, einer Leuchte mit Aufsatz von BEGA.

GRÜNSTRUKTUR

Es ist Teil des Entwurfsgedankens so viele gesunde Bestandsbäume wie möglich zu erhalten. Somit werden auf beiden Plätzen nahezu alle Solitärbäume erhalten.

Das starke Element der Bestandsbaumreihe der Großen Heerstraße wird im Bereich der Kirche entlang der Marktstraße übernommen oder mit stadtklimafesten Straßenbäumen weitergeführt.

Der Lindenplatz erhält einen struktur- und namensgebenden Rahmen aus stadtklimafesten Silber- Linden, Tilia tomentosa ‚Brabant‘. Ein neues, kühlendes Baumdach aus Gleditia triacanthos ‚Skyline‘ erweckt den Kirchenhain zum Leben und lädt zum Verweilen im lichten Schatten ein.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Innenstadt Pfullingens wird stadträumlich wesentlich durch die Platzfolge vom Lindenplatz, Marktplatz und Laiblinsplatz gepägt.
Das zentrale Bauwerk in dem Kontext ist die Martinskirche, um diese bestimmt heute das sogenannte „Gebirge“ unzugänglich, ungenutzt den öffentlichen Raum. Es trennt anstatt zu verbinden.
Die Verfasser schlagen als eine weitere topografische Ebene, die durch Stufen erschlossene „Kirchenscholle“ vor. Deren neue Qualitäten werden erkannt desgleichen die des grünen Daches über dem sogenannten neuen Kirchenhain.
Das in Pfullingen präsente Element Wasser „die Bächle“, wird schlüssig als gliederndes, lineares Element weiterentwickelt.
Die kompositorische Setzung der Bäume als neue Fassung des Lindenplatzes ist schematisch. Ebenso die Querungen der Marktstaße als verbindendes Element des Stadtraumes.
Kritisch gesehen wurden insbesondere die Nord-Ansicht des Kirchenhains, geprägt durch eine Vielzahl von noch nicht kohärenten Elementen. Ebenso nicht nachvollzogen werden, konnte die formale Umsetzung des benannten dialektischen Ansatzes kontrapunktisch zum historischen Markt an der Nordseite des Lindenplatzes.
Die Doppelrampe an der Marktstraße und die Notwendigkeit des Aufganges am Durchgang zum Marktplatz ist auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Der Außenbereich vor der Marktschenke ist im Bezug auf die Höhenlage zu verifizieren.
Ausschnitt Kirchenhain und Treppenanlage

Ausschnitt Kirchenhain und Treppenanlage

Kirchenhain

Kirchenhain

Schnitt Marktstraße und Kirchenhain

Schnitt Marktstraße und Kirchenhain

Schnitt Kirchenhain

Schnitt Kirchenhain

Lindenplatz

Lindenplatz

Schnitt Lindenplatz

Schnitt Lindenplatz