modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffener Wettbewerb | 07/2021

Sanierung und Neubau Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg

ein 3. Preis

GEORG • SCHEEL • WETZEL ARCHITEKTEN GmbH

Architektur

Erläuterungstext

Entwurfsidee
Das Baugrundstück inmitten der Heidelberger Altstadt weist eine hohe Komplexität hinsichtlich seiner städtebaulichen Lage und Topographie in Verbindung mit der historischen Bausubstanz auf. Es liegt an einer Nahtstelle zwischen den dichten Blockrandbebauungen der Altstadt und der sich zum Hang und zum Heidelberger Schloss auflockernden und von Grün durchwebten Bebauungsstruktur. Das vorhandene historische Lagerhaus ist in einer Reihe großmaßstäblicher, objekthafter Bauten zu sehen, die gleichwohl straßenraumbildend ausgeformt sind.

Diesen Kontext setzen wir mit einer ebenfalls objekthaft-skulpturalen Intervention fort, welche sich sensibel in die Struktur der historischen Nachbarschaft eingliedert, sich über seine Material- und Formensprache als öffentliches Gebäude zugleich aber von den umliegenden Wohntypologien abhebt. In diesem Spannungsfeld entsteht mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma inmitten der lebendigen Altstadt ein neuer und identitätsstiftender Ort für Begegnung und Dialog.

Das Ensemble spannt einen neuen Platzraum an der Kreuzung Zwingerstraße/Bremeneckgasse auf und verklammert gleichzeitig Zwingerstraße und die Einmündung der neuen Schlossstraße. Hier – in die wichtigen Stadträume gerückt – befindet sich die neue Adresse des Dokumentationszentrums, artikuliert durch eine skulptural in den Baukörper eingeschnittene offene Erdgeschosszone, die sich mit dem öffentlichen Raum verbindet.


Städtebau & Freiraum
Die Körnung der Altstadt mit ihren gut proportionierten Stadträumen wird im Sinne eines Weiterbauens des Stadtgefüges behutsam aufgegriffen. Ausgehend von der bauzeitlichen Stützwand an der Zwingerstraße arrondiert die wieder aufgegriffene historische Gartenterrasse das Baugrundstück und vermittelt gleichzeitig den Höhenunterschied zwischen Zwingerstraße und Bremeneckgasse. Der oberirdische Baukörper tritt durch skulpturale Rücksprünge in Dialog mit den umliegenden Stadträumen:

Ein Rücksprung an der Kreuzung Zwingerstraße/Bremeneckgasse generiert eine Caféterrasse oberhalb der „Schmuckanlage“. Im Bereich der vorhandenen Platane weicht der Baukörper abermals zurück und artikuliert so auf selbstverständliche Weise eine Aufweitung des Stadtraums, welche als Vorplatz für den hier gelegenen Haupteingang des Dokumentations- und Kulturzentrums dient. Caféterrasse und Vorplatz gehen dabei fließend ineinander über. Die Verbindung zwischen öffentlichem Außen- und Innenraum erfolgt mittels einer durchgehend transparenten Öffnung, welche Außen- und Innenraum fließend ineinander übergehen lässt. Eine dritte Zäsur wird durch das bewusste Abrücken des Neubaus vom denkmalgeschützten Altbau geschaffen. Der geschützte Zwischenraum nimmt als öffentlich begehbarer „Stadtbalkon“ neben dem abgesenkten Erinnerungshof auch den Nebeneingang für Künstler:innen auf.

Der auf diese Weise modulierte, polygonale Neubau greift mit seinen Kantenlängen die Körnung der historischen Bebauungsstruktur auf. Gleichermaßen wird auch die weithin einsehbare Dachfläche als „fünfte Fassade“ in 3 flachgeneigte Walmdächer gegliedert um sich harmonisch in das Erscheinungsbild des Nachbarensembles und übergreifend auch in die denkmalgeschützte „Gesamtanlage Alt Heidelberg“ einzupassen.


Räumliche Organisation
Vom Vorplatz an der Bremeneckgasse aus wird das Gebäude über den barrierefreien Haupteingang erschlossen. Vom Foyer, das direkt übergeht in die Raumzonen des Veranstaltungs- und Cafébereiches, ist die umgebende Stadttopographie über das geöffnete Erdgeschoss direkt wahrnehmbar. Es bildet ein öffentliches Forum in der Altstadt von Heidelberg. Die in das Foyer integrierte, großzügige Treppenanlage mit Blick auf den Altbau nebst Personen- und Lastenaufzug verbindet das Erdgeschoss mit den darüber liegenden Ausstellungsgeschossen. Der Veranstaltungsbereich mit Saal und zuschaltbarem Seminarraum nimmt den Platz des einstmals hier befindlichen Kinosaals ein und lässt sich über große Portalöffnungen vollständig an das Foyer mit Garderoben und Sanitärbereichen anbinden. Östlich schließt das Café mit großzügiger Terrasse für Außengastronomie an, welches auch unabhängig vom Dokumentations- und Kulturzentrum betrieben werden kann. Über einen Verbindungsbau wird ebenfalls vom Foyer aus der westliche Altbau erschlossen, der die Geschäftsräume des Zentralrats (EG) und des Besucherzentrums (1. OG) aufnimmt. Diese verfügen über eine interne, nichtöffentliche Vertikalerschließung mit Aufzugsanlage sowie über direkte Anbindungen an den Neubau auf allen Ebenen (UG–2. OG).

In den Obergeschossen des Neubaus befindet sich der Ausstellungsbereich als hochflexibles Raumgefüge. Dauer- und Wechselausstellung fügen sich zusammen mit dem Diskussionsbereich zu einem sinnfälligen Rundgang. Bewusst gesetzte Fensteröffnungen eröffnen den Besucher:innen fokussierte Ausblicke auf Heidelberg, die sich gleichermaßen als Schauplätze der Bürgerrechtsbewegung gezielt mit den Ausstellungsinhalten in Verbindung setzen lassen können.

Ebenfalls über die öffentliche Treppenanlage wird der Dokumentationsbereich im Untergeschoss erschlossen. Der abgesenkte Gedenkhof mit Wasserbecken sorgt für eine natürliche Belichtung der Bibliothek mit Lesebereich und Arbeitsplätzen. Das Archiv befindet sich im Untergeschoss des Altbaus und verfügt über eine gesicherte Anbindung an die Bibliothek. Ebenfalls im Untergeschoss, über den Gedenkhof belichtet, liegt im denkmalgerecht sanierten Gewölbekeller das Atelier mit Galerie zum Probenraum für die ‚artists of residence’. Ein zusätzliches Treppenhaus, welches den 2. Rettungsweg für den Neubau sichert, stellt zugleich die interne Erschließung mit separatem Zugang für die Künstler:innen dar.

Die Tiefgarage mit 10 Pkw-Stellplätzen (davon 2 barrierefrei) wird über die Zwingerstraße erschlossen. Die reduzierte Ein-/Ausfahrt ist für einen kleinstmöglichen Eingriff in die denkmalgeschützte Hangstützmauer bei optimierter Einsehbarkeit des Straßenraums konzipiert. Ein Zwischengeschoss (UG/EG) nimmt Lager- und Nebenräume auf und konsolidiert die Höhenversprünge in den unterschiedlichen Gebäudeteilen. Teile der Zwischenräume werden als Verteilerebene für TGA-Installationen genutzt.


Äußere Gestaltung
Die skulpturale Objekthaftigkeit des Baukörpers – welche entscheidend dazu beiträgt, ihn aus dem Kontext der umgebenden Wohnhäuser als repräsentatives, öffentliches Gebäude abzuheben – setzt sich auch in der Fassadengestaltung fort: Das offen gestaltete Erdgeschoss wird als großformatige Fuge zwischen Baukörper und Sockel interpretiert. Über eine großzügige Pfosten-Riegel-Fassade öffnen sich das Foyer, das Café und der Veranstaltungsbereich zum umgebenden Stadtraum und treten mit diesem in einen Dialog, indem sie Aus- und Einblicke gleichermaßen eröffnen. Die übrigen Fassadenflächen werden lediglich durch vereinzelte, liegende Fensteröffnungen durchbrochen, während ruhige, geschlossene Flächen die Körperhaftigkeit des Neubaus betonen.

An diesen Stellen kommt die Materialität der Fassade besonders zum Tragen: Ausgehend vom rötlichen Sandstein der Hangstützmauer wird für den Neubau eine Ziegelfassade im gleichen, von hellrot bis rosa changierenden Farbspektrum vorgeschlagen. Während die Vormauerschale im Sockelbereich in Anlehnung an die Stützmauer im lagernden Läuferverband gemauert wird, ist für die oberirdischen Geschosse ein Verbandswechsel vorgesehen: Hier werden die Steine senkrecht, in Form eines „vertikalen Läuferverbandes“ vermauert, welcher auf die bekleidende Funktion der Gebäudehülle verweist. Die Materialität der Fassade findet auch Entsprechung in der Dachbekleidung, welche als gleichfarbige Ziegeleindeckung vorgesehen ist. Die Homogenität der Außenhaut setzt sich als Konsequenz des skulpturalen Ansatzes über die erdgeschossige Öffnung bis in den Innenraum fort. So werden der „Stadtbalkon“ und die Caféterrasse als oberer Abschluss des Sockels und mit ihnen auch der Fußboden im Erdgeschoss in hellrötlichem Ziegel ausgeführt.


Denkmalschutz
Für den Altbau ist eine denkmalgerechte Sanierung der Fassade vorgesehen. Die Innenräume werden – gleichermaßen unter Berücksichtigung denkmalpflegerische Belange – saniert und für die vorgesehene Verwaltungsnutzung ausgebaut. Hierzu sind Eingriffe in die Vertikalerschließung vorgesehen und ggf. werden auch brandschutztechnische Ertüchtigungen erforderlich. Für die Kellerräume, incl. dem denkmalgeschützten Gewölbekeller des Gebäudeteils II, ist ebenfalls eine denkmalgerechte Sanierung unter Berücksichtigung der nutzungsspezifischen, bauklimatischen Anforderungen (Archiv, Atelier) vorgesehen.

Die denkmalgeschützte Hangstützmauer entlang der Zwingerstraße wird in ihrer baulichen Integrität erhalten; der historischen Entwicklung folgend wird sie als Sockel für den Neubau interpretiert. Hierzu ist baukonstruktiv eine innenseitige Aufdoppelung vorgesehen, wobei die innere Wand als eigentliche Außenwand (incl. Lastabtrag) fungiert. Die Hangstützmauer ist im Bauablauf entsprechend abzufangen und zu sichern. Die Tiefgaragenzufahrt wird als Öffnung in die Bestandsmauer integriert, wobei die Dimensionierung auf das verkehrssicherheitstechnische Minimum reduziert wird.

Als Bestandteil der „Gesamtanlage Alt Heidelberg“ respektiert der Neubau das vorhandene Erscheinungsbild der Altstadt. In seiner Geschossigkeit (III Vollgeschosse) greift der Neubau die Höhen der Nachbarbauten auf. Dank einer sensiblen Modulierung des Bauvolumens werden die Fassaden- und Dachflächen des großformatiges Baukörpers sinnfällig gegliedert und passen sich sowohl in ihrer Wahrnehmung aus dem Straßenraum als auch im Überblick aus den umgebenden Hanglagen in das Gesamtbild ein, ohne dabei seine Eigenständigkeit zu verlieren.

Beurteilung durch das Preisgericht

GEORG SCHEEL WETZEL ARCHITEKTEN aus Berlin sprechen mit einem offen gestalteten Erdgeschoss und Außenräumen rund um das Gebäude eine klare Einladung an die Öffentlichkeit aus, sich mit den Themen der Sinti und Roma auseinanderzusetzen. Dabei changiert der Entwurf zwischen zwei Polen: Einerseits lehnt er sich mit seinem in drei Walmdächer gegliederten Baukörper an die kleinteilige Architektur des Nachbarhauses an, andererseits verleiht er dem Gebäude durch seine Großmaßstäblichkeit den Charakter einer öffentlichen Institution. Eine Zäsur wird durch das bewusste Abrücken des Neubaus vom denkmalgeschützten Bestandsgebäude geschaffen, wo ein öffentlich begehbarer »Stadtbalkon« Einblicke in den abgesenkten »Erinnerungshof« bietet. Im Innern überzeugt der Vorschlag mit einer durchdachten Raumabfolge, die gezielte Ausblicke in die Altstadt erlaubt.