BDA Preis Bayern 2022

Umbau und Erweiterung eines historischen Wohnhauses zur Bücherei

Das ortsbildprägende oberfränkische Wohnstallhaus aus dem 18.Jahrhundert wurde mehrfach erweitert und umgebaut. Die ursprüngliche Struktur ist heute noch ablesbar, mit giebelseitig an das Wohnhaus angebautem Stall für das zugehörige Tier. Die ehemalige Scheune auf dem Grundstück wurde Anfang der 2000er Jahre abgebrochen.

Eingriffe in das Tragwerk schädigen das Gebäude nachhaltig. Durchgängig niedrige Raumhöhen schränken Gebäude dieser Bauzeit für eine neue Nutzung ein.

Eine Haus-in Haus-Konstruktion aus biegesteifen Stahlrahmen stützt das bestehende Wohnhaus nach allen Seiten. Die Konstruktion nimmt Druck und Zugkräfte aus dem Dach auf und leitet sie ab.

Der neue Raum im Raum eignet sich durch Höhe und Fläche für künftige flexible Nutzungen. Mit seiner hölzernen Oberfläche innen wie außen assoziiert er den Charme einer früheren Wohnstube. Der eingestellte Baukörper kommt durch die komplette Freistellung im alten Wohnhaus optimal zur Geltung.

Der angegliederte ehemalige Stall mit preußischer Kappendecke wird erhalten und in das Raumkonzept integriert. Die Decke wird als Galerie und Rückzugsort für die Jugendbücherei neu nutzbar gemacht.

Der neu errichtete Erweiterungsbau bietet Raum für die erforderlichen Flächen für Medien, Büro, Sanitärbereich und Ausgabe. Angelehnt an das Erscheinungsbild einer Scheune in Erscheinung, innerer Struktur und Konstruktion fügt er sich an das Wohnhaus an und verbindet die Bereiche untereinander.

Wohnhaus und Scheune begrenzen den öffentlichen Außenraum als Vorbereich der neuen Bücherei. Gebäude und Raum orientieren sich zum historischen Ort. Das neue Ensemble empfängt seine Besucher, wird zum weiteren Baustein in der Ortsmitte am Bach, gegenüber der Kirche und dem historischen Rathaus.

Die Bücherei im alten Wohnstallhaus soll Beispiel geben, ein vormals landwirtschaftlich geprägtes Ensemble mit neuen, hier öffentlichen, Funktion zu beleben. Gleichzeitig soll das Projekt ein Beitrag zum Erhalt der ortsbildprägenden Strukturen leisten. Das Projekt soll auf der Ebene der Entscheidungsträger motivieren und inspirieren, Leerstände in den Ortsmitten wiederzubeleben, historischen Strukturen zu erhalten und mit lebendigen Nutzungen in die Zukunft zu führen.

Nicht nur die Architektur der Gemeindebibliothek im idyllischen Gundelsheim ist auszeichnungswürdig, auch ihr Entstehungsprozess hat Vorbildcharakter. Er zeigt, wie durch einen dialogischen Prozess Architektur entstehen kann, mit der nicht nur baukulturell wichtiger Bestand bewahrt wird, sondern mit der sich Bürgerinnen und Bürger auch identifizieren.

 

Aus Sorge, dass das historische Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert im Zentrum der Ortschaft abgerissen werden könnte, erwarb die Gemeinde das Haus samt Grundstück. Unter Einbeziehung der Bürgerschaft wurde die Nutzungsidee konkretisiert: Eine multifunktionale Bibliothek sollte hier einziehen. Mit dem Anspruch, regionalen wie jungen Architekturbüros eine Bühne zu geben, lobten die Gundelsheimer einen geladenen Ideen- und Realisierungswettbewerb aus. Der Entwurf des Schweinfurter Büros Schlicht Lamprecht Architekten überzeugte die heterogen besetzte Jury, zu der auch die Eigentümerinnen und Eigentümer der angrenzenden Grundstücke gehörten.

 

Schlicht Lamprecht Architekten übersetzen den regional vertrauten Dreiklang eines fränkischen Bauernhausensembles, das aus Haus, Stall und Scheune besteht, geschickt in eine zurückhaltende und doch auch prägnante Architektur. Der ergänzende Neubau aus Holz ist eine Reminiszenz an die ehemalige Scheune und stülpt sich über den ehemaligen Stall, der nun als Lesebereich dient. Das alte Wohnhaus beherbergt die mit zahlreichen liebevollen Details ausgestattete Kinderbibliothek. Zugleich dient diese auch als Gruppenraum für den örtlichen Waldkindergarten. Der kleine, offene Cafébereich verschränkt geschickt Neubau und Bestand. Und das mobile wie flexible Mobiliar ermöglicht eine vielseitige Nutzung der Räume: Gemeindesitzungen, Lesungen, ja selbst Trauungen finden hier statt.

 

Mit der Materialwahl wird das vertraute regionale Erscheinungsbild unterstrichen: Geschlämmte Wände, Terrazzoboden und Holz erinnern an die einfache Ausstattung historischer Bauernhäuser. Die Fassade des Neubaus aus naturbelassenen, thermisch behandelten Holzlamellen unterstreicht durch ihren raffinierten Verlege-Rhythmus die sympathische Offenheit der Bibliothek.

Durch den dialogischen Prozess mit der Bürgerschaft konnte der Wettbewerbsentwurf ohne spätere Veränderungen in der Architektur umgesetzt werden. Die während des Baus regelmäßig stattgefundenen Veranstaltungen wie Führungen und Lesungen verankerten die Bibliothek schon vor der Fertigstellung in die Herzen der Gundelsheimer, mit dem Ergebnis, dass die prägnante Silhouette des Doppelgiebels nun als Grafik selbst Zuckertütchen des Ortes ziert.