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Nichtoffener Wettbewerb | 11/2021

Gestaltung Innenraum der Augustinerkirche in Erfurt

Perspektive Chorraum

Perspektive Chorraum

1. Preis

Preisgeld: 16.000 EUR

Schoener und Panzer Architekten BDA

Architektur

Architekturbüro Panzer und Oberdörfer

Architektur

Erläuterungstext

Präambel
Die Kirche des Augustinerklosters in Erfurt hat im Laufe der Jahrhunderte teils gravierende bauliche Veränderungen erfahren. Maßgeblich ist es dem Architekten Theo Kellner zu verdanken, dass die Kirche sich heute in wesentlichen Teilen in ihrer puristischen Ursprungsform zeigt und der Grundcharakter der Klosterkirche eines Bettelordens wieder erlebbar ist.
Gleichwohl wirken die durch Theo Kellner getätigten Einbauten zeitgeistig und transportieren eine drückende Schwere, die im Widerspruch zu einer modernen Kirchenarbeit und zu einer notwendigen Flexibilität des Raumkonzepts steht.

Leitidee
Mit wenigen aber gezielten baulichen Eingriffen sollen die funktionalen Mängel behoben und eine gestalterische Einheit geschaffen werden. In klarer Ablesbarkeit treffen künftig zeitlose, hölzerne Einbauten und das historische Gemäuer aufeinander.
Die neu gestaltete Kirche soll dabei ohne größere Umbaumaßnahmen den verschiedenen Veranstaltungen von kleinem Gesprächskreis über Gottesdienste bis hin zu größeren Konzerten variabel Raum bieten. Mit schmalem Aufwand entstehen den jeweiligen Veranstaltungen angemessene Raumsituationen.
Die Einbauten von Theo Kellner werden dafür teilweise zurückgebaut, im Wesentlichen aber baulich adaptiert. Die Leistung des Architekten bleibt im Charakter der Kirche unverkannt sichtbar.
Die Augustinerkirche wird außerdem erkennbar zum Lutherort umgestaltet. Auch außerhalb von Veranstaltungen zeigt sie sich Tagesbesuchern und -besucherinnen als heller, freundlicher und offener Ort.

Bauliche Maßnahmen und Mobiliar

Nordempore
Um die vor Ort irritierende Asymmetrie des Raumes zu bereinigen, wird in das nördliche Seitenschiff eine Empore eingestellt. Die Empore bietet Konzertbesuchern Platz, vor allem aber definiert sie im Erdgeschoss einen Ausstellungs- und Informationsbereich für Besucherinnen und Besucher, der dem Hauptschiff flexibel zugeschaltet werden kann. Am östlichen Ende des Nordschiffs bleibt die Taufkapelle wie im Bestand erhalten. Erschlossen wird die Empore über eine neu eingestellte Wendeltreppe im nordwestlichen Bereich der Kirche.

Chortreppe und Lutherort
Die Orgelempore wird zum Kirchenschiff und damit zur Gemeinde hin geöffnet. Es entsteht eine fest installierte Stufenanlage, die bis zu 120 Singenden und vorgelagert dem Orchester Platz bietet. Auf Ab- und Aufbau mobiler Chortribünen kann fortan verzichtet werden, außerdem wird die Hauptorgel erlebbarer Teil des Kirchenraumes.
Unter der Chortreppe werden großzügige Lagermöglichkeiten insbesondere für die Bestuhlung des Kirchenschiffs vorgesehen.
Außerhalb größerer Veranstaltungen dient die Chortreppe der Information und des Gedenkens an Martin Luther. In das Möbel eingefräste Zitate in verschiedenen Sprachen erinnern an sein Vermächtnis und laden zur Diskussion, zum Verweilen und zum Gespräch ein.

Hauptzugang / Foyer
Die Chortreppe trennt den Haupteingang vom Kirchenschiff und bildet einen Windfang- und Informationsbereich aus, der für Veranstaltungen auch als Kassenbereich genutzt werden kann.
Bei größeren Konzerten erfolgt die Erschließung des Kirchschiffs dann durch den Ausstellungsbereich unter der Nordempore hindurch. Im Regelfall zeigt sich die Chortreppe aber zweiseitig geöffnet, so dass eine zentrale Erschließung des Hauptschiffs gegeben ist.

Ausstellungsbereich
Unter der Nordempore, flexibel zuschaltbar zum Hauptschiff, entsteht ein Ausstellungs- und Informationsbereich. Die neue Empore wird mit einem Abstand zur Außenwand ausgeführt, womit Nordlicht in den Ausstellungsraum einfällt. Die neuen Stützen der Empore werden derart raumhaltig ausgeführt, dass sie Kerzen aufnehmen können, womit der Raum auch der Andacht und Kontemplation dienen kann. Am östlichen Ende des Nordschiffs bleibt die Taufkapelle bestehen.
Die Trennwand zwischen Nordschiff und Hauptschiff wird als flexibel öffenbare, perforierte Holzkonstruktion ausgeführt. Um das Hauptschiff der Kirche in seiner symmetrischen Grundanlage und Vertikalität wirken zu lassen, wird auch die südliche Wand zum Kreuzgang hin mit Holzelementen verkleidet.

Chorraum und Chorgestühl
Das Chorgestühl wird Theo Kellner zitierend derart neu interpretiert, dass es zukünftig in Einzelstühle trennbar und damit flexibel stellbar ist. Neben dem klassischen vis-à-vis der Stühle werden so auch geschützte Gesprächs- und Andachtssituationen im Kreis oder, den historischen Lettner zitierend, mit dem Rücken zum Hauptschiff stehend ermöglicht.
Der Chorraum wird durch eine Rampe erreicht, die sich bei Bedarf aus der Chorstufe herausklappen lässt.

Kirchengestühl
Das Kirchengestühl wird aus Stühlen gebildet, die sich zu bankartigen Reihen zusammenstellen lassen. Damit kann auf die unterschiedlichen Anforderungen und Veranstaltungen jeweils angemessen reagiert werden.
Unter der neuen Chortreppe entsteht ausreichend Stauraum, um für kleinere Veranstaltungen nicht benötigte Stühle ortsnah zu verstauen.
Prinzipalien
Um auf die verschiedenen Gottesdienstgrößen und damit die verschiedenen Orte der Gottesdienstausübung reagieren zu können, wird vorgeschlagen, die vorhandene Kanzel zurückzubauen und für Altar und Ambo auf mobile Lösungen zurückzugreifen. Taufstein und bestehender Altar verbleiben in ihrer Funktion und an ihren Orten.

Dachdecke
Die Dachdecke wird mit einem Akustikputz ausgeführt und weiß gestrichen. Die Decke wird über in den Fußpunkt der Tonne integrierte Deckenstrahler indirekt beleuchtet und sorgt für eine gleichmäßige, helle und freundliche Lichtstimmung des Kirchenraumes.

Konstruktion und Materialität
Die Ein- und Umbauten werden als Holzkonstruktion ausgeführt. Die vorhandenen Brüstungen werden entfernt, die Emporen werden zimmermannsmäßig ergänzt. Die bestehenden und neuen Konstruktionen erhalten eine weiß pigmentiert geölte Eichenholzoberfläche.
Die neuen Wandelemente werden kassettiert gestaltet und referenzieren die historische Wandvertäfelung, die gem. historischer Zeichnung mindestens zu Zeiten der Parlamentsnutzung der Kirche (1850 - 1852) eingebaut war. Gemeinsam mit der möglichen „weltlichen“ Möblierungsvariante wird die Parlamentssituation und damit der Kirchraum als demokratischer Ort wieder erlebbar.
Die Kassettierung der Holzverkleidungen baut außerdem einen gestalterischen Zusammenhang zwischen dem neuen Chorgestühl und den raumbildenden Einbauten auf. Alle den historischen Gemäuern zugefügten Elemente sind als Einheit lesbar.

Licht und Technik
Die fortan geweißte Dachdecke wird indirekt beleuchtet und sorgt für eine angenehme, freundliche und gleichmäßige Grundausleuchtung des Raumes. Für Veranstaltungen kann das Deckenlicht abgedimmt werden.
Die mittelalterlichen Farbglasfenster treten durch den insgesamt helleren Raum und die puristischere Gestaltung des Kircheninneren deutlich hervor. Um diesen Effekt zusätzlich zu verstärken wird vorgeschlagen, sie von außen anzustrahlen. Bauliche Änderungen an den Fenstern werden nicht vorgenommen.
Die Kirche soll in einer separaten Maßnahme mit einer Fußbodenheizung beheizt werden. Die vorgeschlagenen Einbauten und Möblierungsvarianten stehen diesem Vorhaben nicht im Wege.

Wirtschaftlichkeit und Etappierbarkeit
Die vorgeschlagenen Maßnahmen können in Abhängigkeit der Finanzierung in verschiedene Bauabschnitte aufgeteilt werden und bedingen sich nicht vollständig. Chor- und Kirchengestühl sowie die Ausgestaltung des Altarraums und der Dachdecke könnten auch unabhängig vom Einbau der Nordempore und Chortreppe ausgeführt werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Hervorzuheben ist, dass in diesem Entwurf auf intelligente Weise sakrale und kirchenmusikalische Nutzung zusammengedacht wurde, verbunden mit einer einfachen, klaren und nachvollziehbaren Gliederung des Raumes. Der Chorraum wird durch Beibehaltung der Chorstufe und Wiederaufnahme des Chorgestühls in seiner Bedeutung unterstrichen. Mit einer Neugestaltung des Chorgestühls wurde zudem die Möglichkeit einer optionalen Nutzung als Raumtrennung zwischen Hauptschiff und Chor angeboten. Der Altar, als leichter Tisch konzipiert, kann in seiner Position dem gottesdienstlichen Gebrauch lokal angepasst werden. Er ordnet sich in seiner zurückhaltenden Form der Hauptattraktion der Kirche, den gotischen Fenstern, unter. Westseitig ist eine Verbindung der Orgelempore zum Hauptschiff über zentral fest eingeordnete Chorpodeste (Chortreppe) hergestellt. Auf diese Weise wird zum einen die Orgel dem Kirchenraum nähergebracht, zum anderen laden die Stufen zum Sitzen und Betrachten des Raumes ein. Sehr positiv wird bewertet, dass kirchenmusikalische Veranstaltungen ohne größere Montagen und Umbauten stattfinden können. Es erfolgt lediglich ein Drehen der Bestuhlung. Über diese Einbauten kann zum einen der Bedarf an Stauraum gedeckt werden, zum anderen dienen sie als Windfang und als Informationsbereich für die Besucher. Die Dimensionierung der Zugänge zum Kirchenraum erscheint jedoch etwas beengt. Die Bestuhlung wirkt durch ihre Formensprache geschlossen und kommt - wenn gewollt - der Anmutung von Bänken nahe. Das bringt dem Raum zusätzliche Ruhe. Die neu eingefügte nordseitige Empore löst sich geschickt mit einem Lichtschlitz von der Nordwand. Der im Erdgeschoss entstehende Raum definiert Ausstellungsfläche und Taufkapelle. Er ist mittels variabler, semitransparenter Wandelemente vom Hauptschiff getrennt. Mit diesen und den südseitigen Wandbekleidungen knüpft der Entwurf an die Ausstattung zu Zeiten der Parlamentsnutzung an. Positiv zu würdigen ist - neben der reichlichen Realisierung der gewünschten Platzzahl - die variable Nutzung des Kirchenraumes verbunden mit einer hohen gestalterischen Qualität, überzeugender Materialästhetik und konzeptioneller Klarheit. Insgesamt ergibt sich ein überzeugender und zeitgemäßer Umgestaltungsvorschlag, der die vielfältigen Anforderungen heutiger und zukünftiger Nutzungen berücksichtigt und gleichwohl auf die historischen Bezüge und Zusammenhänge eingeht.
Perspektive Chortreppe

Perspektive Chortreppe

Perspektiven Zugang und Ausstellungsfläche

Perspektiven Zugang und Ausstellungsfläche

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Obergeschoss

Grundriss Obergeschoss

Längsschnitt

Längsschnitt

Querschnitte

Querschnitte