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Werkstattverfahren | 12/2021

Entwicklungskonzept für Wilhelmsburg Ost in Hamburg

Visualisierung Bahnhofsviertel

Visualisierung Bahnhofsviertel

Teilnahme

coido architects

Stadtplanung / Städtebau

Karres en Brands

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

WILHELMSBURG-OST - DIE 6 PRINZIPIEN

 

1. Lokale Qualitäten stärken | Auf der Suche nach der DNA von Wilhelmsburg-Ost

Die Vielfalt der städtebaulichen Strukturen innerhalb des Projektgebietes, der Reichtum an unterschiedlichen Grünflächen (Korallusviertel) sowie das Vorhandensein städtischer Straßenräume und öffentlicher Infrastrukturen (Bahnhofsviertel) werden als Identität von Wilhelmsburg-Ost erkannt. Zugleich bieten diese Aspekte großes Potential zur behutsamen, aber zielgerichteten Weiterentwicklung des Stadtteils. 

  

2. Verbinden! Verbinden! Verbinden! | Innen – Außen - Menschen

Im Stadtteil fehlt es derzeit an sozialen, räumlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen.  Unser Entwurf sieht daher neue Verbindungen im Gebäude-, Quartiers- und Stadtmaßstab vor. Wichtigster Baustein ist ein markantes städtebauliches und programmatisches Rückgrat, das die unterschiedlichen Nachbarschaften miteinander verknüpft und ein neues Raum-kontinuum zwischen dem urbanen Quartierszentrum Berta-Kröger-Platz und dem Landschaftsraum der Dove-Elbe aufspannt – der Boulevard.

 

3. Öffentlicher Raum als Katalysator | Genius Loci statt Tabula Rasa

Nachbarschaften können nur dann gut funktionieren, wenn sie Möglichkeiten zur sozialen Interaktion zwischen den Bewohnern ermöglichen. Der öffentliche Raum ist die wichtigste Plattform für diese Interaktionen und wird mit seinen Straßen, Nischen, Plätzen, Parks und Übergängen zu den Gebäuden qualitätvoll und spezifisch entwickelt. 

  

4. Lokale Ökonomie stärken | Erdgeschoss-Akupunktur

Unterschiedliche, kleine Geschäfte im Plangebiete zeigen schon heute, dass der Bedarf und der Impuls für eine lokale wirtschaftliche Entwicklung im kleineren Maßstab bestehen. Diese Aktivitäten, die den vielfältigen kulturellen Hintergrund der Bewohner spiegeln, sollen durch moderate Mieten in den Bestandsgebäuden gezielt gefördert werden. Neubauten ergänzen dieses Angebot durch öffentliche Erdgeschosse. Im Korallusviertel wird angeregt, die EG-Zone durch Anbauten für gewerbliche/soziale Nutzungsangebote zu öffnen und mit dem Außenraum zu verweben. Ein Netzwerk von Klein- und Kleinstunternehmern entlang der Nord-Süd-Verbindung bildet zukünftig den „Boulevard der Initiativen“. 

  

5. Wir lieben Autos, aber... nicht überall!

Das Auto prägt derzeit das Erscheinungsbild des Stadtteils und steht einem urbanen und lebenswerten öffentlichen Stadtraum im Weg. Unser Mobilitätskonzept mit mehreren, unterschiedlich großen Knotenpunkten bündelt die Stellplätze dezentral. Neben Tiefgaragen unter den Neubauten sind es vor allem die Stellplatzanlagen im Norden, die durch eine Überplanung kompakter organisiert und zugleich freiräumlich gestaltet und eingebunden werden. 


6. Es ist eine Strategie! | Langfristige Ambitionen kombiniert mit kurzfristigen Interventionen

Die Zeit großer, unflexibler Masterpläne ist längst vorbei. Deshalb ist unser Vorschlag kein statischer Entwurf, sondern vielmehr eine Vision – ein räumlicher und programmatischer Rahmen für Wilhelmsburg-Ost. Er hat ein klares Ziel und direkt umsetzbare Maßnahmen in den Vertiefungsbereichen, kann in der konkreten Ausformulierung aber an zukünftige Entwicklungen und gesellschaftliche Bedürfnisse angepasst und mit seiner klaren Leitidee auch weitergedacht werden.


Korallusviertel: Gegliederte und aufgelockerte Urbanität im Grünen

Das Korallusviertel wird als zeitgemäße Interpretation der gegliederten und aufgelockerten Stadt weiterentwickelt. Der ruhende Verkehr wird gebündelt und die großen, jedoch anonymen Grünflächen mit ihrer bereits parkähnlichen Vegetation wandeln sich nun in einen echten Wohn-Park. Die strukturgebende Vegetation bleibt erhalten, neue Verbindungen werden geknüpft. Die Hochhausschreibe im Norden wird durch eine Öffnung des Erdgeschosses, in Kombination mit den neuen Setzungen der Grünen Mitte am Atlasteich und der Spiel- und Sportfläche im Norden, zur zentralen Drehscheibe im Freiraum und zum Symbol für die Entwicklung des Viertels. Der Boulevard entwickelt sich entsprechend des offenen Charakters des Korallusviertels zu einem, sich teilenden, mäandrierenden Weg der eine neuen Freiraum-Loop bildet. Die derzeitigen als Fahrrad- und Abstellraum genutzten Erdgeschosse werden geöffnet und mit initiativen Nutzungen belegt. Einzelne Baukörper werden im Bereich des Erdgeschosses durch Anbauten ergänzt, die den Gedanken des kleinteiligen und Belebten Boulevards fördern. Im Gleichklang mit dem Freiraum entsteht ein belebter grüner Außenraum mit Gemeinschaftsgärten, Spielplätzen, Sportmöglichkeiten und neuen lokalen, kleinmaßstäblichen Initiativen.


Durch die Bündelung des ruhenden Verkehrs auf bereits bestehenden, neugestalteten und optimierten Parkplätzen, können größere Stellplatzflächen aus dem Freiraum genommen werden. Es entsteht ein nutzbarer grüner Freiraum einerseits. Andererseits wird der Parkplatz als multifunktionale und begrünte Fläche gestaltet, die Teil des Grünraums wird und zu besonderen Anlässen und bei zukünftiger Abnahme der PKW-Verkehre angeeignet werden kann. Durch eine klare Wegeführung, gezielte Setzungen und die Multifunktionalität entsteht eine neue und zukunftsfähige Freiraumtypologie, die sich selbstverständlich und funktional integriert.



Bahnhofsviertel: Klare Räume und vielfältiges Ensemble am Boulevard

Die konsistente Blockrandstruktur und die klar gefassten Straßenräume sind Grundlage für die zukünftige Entwicklung. Der Bereich Jungnickelstraße/Wehrmannstraße bietet das Potential diese Struktur fortzuschreiben und sie dennoch durch gezielte Setzungen zu einem individuellen Stadtbaustein mit hoher Aufenthaltsqualität auszubilden. Durch bewusste Rücksprünge der Bebauung auf den kirchlichen Grundstücken entstehen zwei Platzsituationen die den prägenden Baumbestand erhalten. Beide Plätze sind öffentlich zugänglich. Innen und außen durch öffentliche Nutzungen in Form einer Kita, eines Begegnungsraumes und einer Gastronomie verzahnt. Es entsteht eine neue, charakteristische Quartiersmitte und ein markanter Quartierseingang, die durch den „Boulevard“ in die übergeordnete Stadtteilstruktur eingebunden sind.


Der klare Block des Bahnhofviertels, seinen Parzellen und seiner Geschossigkeit, kombiniert mit der Typologischen Diversität der Wehrmannstraße (giebel- und traufständige Häuser, Turm) und den Anspruch einer neuen, identitätsstiftenden Setzung bilden die gestalterische Referenz der Entwicklung. Ein steiles Satteldach gibt der Neuplanung eine eigene, moderne Identität und bildet in seiner Anordnung und dem angestrebten Typologiemix ein spannungsreiches Ensemble. Der Quartierseingang bekommt eine charakteristische Anmutung mit einem VIII-geschossigen Akzent als südlichen Auftakt und, in seiner Kubatur mit steilem Satteldach, besonderem Baukörper am Kirchenstandort. Alle Neubauten werden als Holzrahmenbau errichtet. Die Häuser an auf den kirchlichen Grundstücken, an den Plätzen, werden zudem mit einer Holzfassade versehen. 

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Leitthema ist der „Boulevard der Initiativen“ als prägnante Nord-Süd-Achse mit punktuellen Aufweitungen, welche sich in unterschiedliche Sub-Plätze differenzieren. Der öffentliche Raum wird als verbindendes Element gestaltet. Der Entwurf ist darauf angewiesen, dass die gewerbliche und soziale Nutzung der Erdgeschossflächen funktioniert, um eine lebendige Vielfalt im Quartier zu erreichen. Es wird hinterfragt, ob es eine ausreichende Nachfrage für die Vielzahl der Nutzungen in den Erdgeschosszonen gibt.


Die Nachverdichtung im Sinne von neuem Wohnen hat in dieser Arbeit eine untergeordnete Thematik. Ein Ansatz wie durch Neubaupotentiale eine soziale Durchmischung und Ergänzungen zum Bestand gelingen können, wird vom Gremium vermisst. Die Verknüpfung der Angebote in den Gebäuden und im Freiraum durch einen „Loop“ im nördlichen Bereich wird als ein interessanter Ansatz befunden. Allerdings beziehen sich die damit einhergehenden Lösungsansätze vorwiegend auf die Erschließung und Freiräume. Eine baulich-räumliche Veränderung ist in Ergänzung zum Bestand nicht vorgesehen, wobei das Quartier an dieser Stelle eine Klärung und neue städtebauliche Qualitäten vertragen würde. Auch der Übergang des „Loop“ zum Boulevard wird als weniger gelungen betrachtet. Es fehlt an dieser Stelle eine räumliche Kontur und Kraft im Straßenraum, ein baulicher Akzent, der dem Raum eine gewisse Klarheit gibt.


Die mutige Geste mit dem Durchbruch der Hochhausscheibe als Geste Richtung Grünfläche und Kleingärten kann überzeugen. Die Wegeführung mit der Gabelung im nördlichen Bereich mit der Separierung von Autos und Fußgängern wird hingegen bezüglich ihrer Funktionalität kritisch gesehen.


Jedes Quartier hat seine eigene Freiraumqualität und besondere Aufenthaltsbereiche, der Freiraum wird jedoch oft durch großflächige Sportanlagen oder Parkplätze versiegelt. Positiv wird gesehen, dass im Korallusviertel durch die Verlegung des Korallusrings nördlich der Hochhausscheibe ein großer grüner Freiraum entsteht. Auch die Gestaltung des Atlasparks ist hinsichtlich Angebot und Vernetzung mit dem Wohnumfeld gelungen.


Der Entwurf macht nur unzureichende Aussagen zur Erschließung und Entwässerung. Außerdem weist er ein erhöhtes Konfliktpotential zwischen Verkehrsnutzungen (schnelles Rad, Kfz) und Erholungs-/Aufenthaltsfunktionen auf. Die neuen Parkierungsflächen/Parkbauten sind gut angeschlossen, allerdings konzentrieren sich die neuen Anlagen für den ruhenden Verkehr im nördlichen Teilbereich, im Süden sind wenig neue Stellplatzkapazitäten verortet. Gut gelöst wurde der Erhalt des Baumbestandes.


Die Auseinandersetzung mit strategischen Ansätzen und den damit einhergehenden weichen Elementen wird vom Gremium gewürdigt. Die Arbeit hat mit dem „Boulevard der Initiativen“ eine prägnante städtebauliche Aussage, aber weist Defizite in der Auseinandersetzung mit neuem Wohnraum und den verkehrlichen Lösungen auf und kann so im Sinne einer ganzheitlichen Stadtplanung nicht vollständig überzeugen.

Lageplan

Lageplan

ZoomIn Korallusviertel

ZoomIn Korallusviertel

Schema Korallusviertel

Schema Korallusviertel

Modell Korallusviertel

Modell Korallusviertel

ZoomIn Bahnhofsviertel

ZoomIn Bahnhofsviertel

Modell Bahnhofsviertel

Modell Bahnhofsviertel