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Award / Auszeichnung | 03/2022

Carlo Scarpa Preis für den Garten 2022

Natur-Park Schöneberger Südgelände

DE-12157 Berlin, Prellerweg 47-49

Auszeichnung

GRÜN BERLIN GmbH

Bauherren

planland GbR Planungsgruppe Landschaftsentwicklung

Landschaftsarchitektur

Prof. Dr. Ingo Kowarik

Landschaftsarchitektur

Künstlergruppe ODIOUS

Kunst

Klaus Duschat

Kunst

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    180.000m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/1999

Projektbeschreibung

Der 1999 eröffnete Natur Park befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Rangierbahnhofs Tempelhof und wird durch die Grün Berlin entwickelt und bewirtschaftet. Nachdem der Bahnhof 1952 endgültig stillgelegt wurde, eroberte sich die Natur nach und nach die ehemaligen Gleise und Bahnhofsflächen zurück. Auf dem 18 Hektar großen Gelände verbinden sich die Elemente Technik, Kunst und Umwelt auf einzigartige und dynamische Weise: ehemalige Bahnanlagen neben künstlerischen Stahlkonstruktionen und wilder, robuster Natur. In dieser Umgebung konnte eine beachtliche Artenvielfalt entstehen, große Teile des Geländes wurden 1999 zum Landschafts- und Naturschutzgebiet erklärt. Gemeinsam mit dem Wasserturm und der Brückenmeisterei ist die knapp 5.000 Quadratmeter große Lokhalle Teil der denkmalgeschützten Gesamtanlage im Natur Park Südgelände. Aktuell erfolgt die denkmalgerechte Sanierung dieser mit dem Ziel des langfristigen Erhalts sowie einer parkverträglichen Umnutzung zum kulturellen Veranstaltungs- und Atelierstandort.

Beurteilung durch das Preisgericht

Begründung für die Verleihung des Internationalen Carlo-Scarpa-Preises für den Garten 2022

Der wissenschaftliche Beirat der Fondazione Benetton Studi Ricerche hat einstimmig beschlossen, den 32. Internationalen Carlo-Scarpa-Preis für den Garten dem Natur-Park Schöneberger Südgelände in Berlin zu widmen, einem großen Park im südöstlichen Teil BerlinSchönebergs. Der Park ist das Ergebnis des langen Brachliegens riesiger ehemaliger Bahnflächen und der schließlich gereiften Erkenntnis, dass das Gelände zu einem Ausdruck der „urbanen Natur“ Berlins als Stätte der Begegnung zwischen den Sehnsüchten der Berliner, zeitgenössischer Landschaftskultur und einem tief verwurzelten ökologischen Bewusstsein der Stadt geworden war. Das Gelände zeigt sich uns heute als ein großer öffentlicher Raum, der zu einem grundlegend neuen Konzept des Stadtparks beigetragen hat. Die Mischung aus verlassenen Bahnanlagen, ausgedehnten Vegetationsbereichen, die größtenteils ihrem spontanen Wachstum überlassen wurden, und künstlerischen Interventionen begleitet den Besucher und Nutzer und betont den Dialog zwischen den Zeichen menschlicher Präsenz und dem Werden der Natur.


Der Natur-Park ist mit seinen 1,7 Kilometern Länge Teil einer größeren Reihe öffentlicher Parks, eines fast kontinuierlichen Stücks „Stadtnatur“, das von Norden nach Süden die Stadt durchzieht. Ausgehend von einer Konstellation von „Leerräumen“, als zusammenhängende Landschaft interpretiert, hat die Stadt hier ein Kontinuum entwickelt. Es handelt sich um ein urbanes Laboratorium, in dem Experimente der Stadtökologie und unterschiedliche soziale Bedürfnisse aufeinandertreffen und zusammenfinden und in dem neue Handhabungen der Pflege und Verwaltung des städtischen Raums entwickelt werden.


Die Geschichte des Natur-Parks Schöneberger Südgelände ist aufs Engste mit der Geschichte Berlins in der Nachkriegszeit als isolierter und geteilter Stadt verknüpft, mit der Aufgabe von Industriebetrieben, der Unterbrechung des Eisenbahnverkehrs, der schrittweisen Demontage von Strecken und der Auflassung von Anlagen, die wiederum eine Wiederaneignung durch die Natur auslösten. Eine Infrastrukturplanung führte zu der Idee, das Südgelände mit einem neuen Güterbahnhof zu belegen, bis sich mit dem Aufkommen eines neuen ökologischen Bewusstseins ab 1980 ein Perspektivwechsel vollzog. Die Bedeutung des Ortes erschloss sich neu als naturräumlicher Wert und soziales Potenzial für das Alltagsleben der Bürger. Mit der Übergabe des gesamten Areals an den Senat und seiner Verwaltung durch Grün Berlin ab 1986 beginnt ein umfassendes Projekt, an dem Ökologen, Umweltverbände und Bürger, die Landschaftsplanungsbüros Planland und Ökocon und die im Gelände arbeitende Künstlergruppe Odious beteiligt sind. Ausgehend vom Ort, also aus einer immersiven Position zwischen der eindringlichen Präsenz der Natur und den „Ruinen“ einer verlassenen Landschaft, finden die verschiedenen Akteure einen modus operandi, der schlussendlich die lebendige Erfahrung des 1999 symbolisch eröffneten Natur-Parks Schöneberger Südgelände ermöglicht.


Der Natur-Park Südgelände ist Keimzelle eines großen Feldversuchs, der uns heute die Stadt als umfassende Landschaft lesen lässt. Eine Stadt gespickt mit Orten, an denen sich seit den 1960er Jahren eine Idee von „Stadtnatur“ entwickelt hat, die untrennbar mit der politischen, sozialen und urbanen Geschichte Berlins verbunden ist, motiviert durch die entscheidende Präsenz einer „Schule der Stadtökologie“, die Wegweiser für ein weit verbreitetes Bewusstsein für urbane Landschaft und urbanen Lebensraum ist.


An den verlassenen Orten, den Orten der Teilung, in den großen Leerstellen, die durch die Zerstörung von Gebäuden und Infrastrukturen entstanden sind, werden die allgegenwärtige p. 2 Präsenz und der prägende Charakter eines scheinbar unproduktiven Bodens innerhalb weniger Jahrzehnte zum Ausgangspunkt für neue Zusammenhänge und neue Planungen. Geboren aus einem Zustand der räumlichen und zeitlichen Schwebe, entstehen daraus eine Mentalität und eine Herangehensweise, in denen sich ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein, ein Gefühl der Gemeinschaft und politische und administrative Kompetenzen fest miteinander verbinden. Aus dem Zustand der Trennung wird ein Projekt der Koexistenz, aus im Verbotenen erkundeten Orten werden Räume sozialer Verdichtung, jahrzehntelang unüberwindliche Trennmauern öffnen sich und offenbaren auch im Hinblick auf ihre Artenvielfalt außergewöhnliche Räume. Der Natur-Park Südgelände ist das Ergebnis dieses Prozesses, ein Ort der Ruinen des letzten Jahrhunderts, der mit dem allmählichen Wachstum der Vegetation, dem Leben der Tiere und auch der Menschen koexistiert, die ihn als Labor der Ideen und Erfahrungen im Bereich der Landschaftskultur, der ökologischen Forschung, der Kunst und der gesellschaftlichen Teilhabe interpretieren.


Der in diesem Jahr ausgezeichnete Ort verweist einmal mehr auf Erfahrungen und Lehren früherer Preisträger und auf das Streben, in Landschaften nicht nur den Geist der Geschichte zu erkennen, sondern auch die eindrucksvollsten Motive zeitgenössischer Kultur. Dazu gehört die Lehre der Zeitlichkeit, abzulesen aus den Spuren abrupt unterbrochener Arbeiten wie in den Steinbrüchen von Cusa in Sizilien (Carlo–Scarpa-Preis 1999), oder die Erkenntnis der Notwendigkeit, Ruinen zu bewohnen, wie im Fall des Désert de Retz in Frankreich (1993), aber auch die kreative Geste der Zusammenstellung von Weggeworfenem wie bei den Wegen an der Akropolis in Athen (2003), wo Dimitri Pikionis die Mosaiksteine eines archäologischen Denkens in moderner Sichtweise zusammenbringt.


Vor allem jedoch in der jüngeren Geschichte des Südgeländes spüren wir die Wiederentdeckung einer Landschaft, die im Laufe der Zeit unsichtbar geworden ist, die nach dem langsamen Prozess des Entschwindens aus dem Stadtbild wieder auftaucht. Gleichzeitig sehen wir die Entwicklung eines unwillkürlich entstandenen Stücks Garten am Rande, jenseits der Kulissen einer Stadt, die die Präsenz des Ortes zunächst leugnet. Das jedenfalls ist die Geschichte von Maredolce-La Favara, dem 2015 ausgezeichneten arabisch-normannischen Garten, der jahrhundertelang inmitten der wuchernden Vorstädte Palermos existierte, dann aber verschwand. Es ist aber eben auch die Geschichte des Südgeländes, einer Insel, deren Spuren innerhalb weniger Jahrzehnte zunächst verblassten. Durch einen Diskurs, in dem sich soziale Belange und Verantwortung bei der Gestaltung von Prozessen, künstlerische Forschung und wissenschaftliche Auseinandersetzung verschneiden, hat diese Insel neue Zugehörigkeit zu einem ganz eigenen Archipel gefunden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen bringt der Carlo-Scarpa-Preis im Natur-Park Schöneberger Südgelände die Anerkennung jenes Zusammenwirkens von Werten und Erkenntnissen zum Ausdruck, das der notwendigen Reflexion über heutige Stadtlandschaften zugrunde liegen muss. Der Ort bezeugt einen Moment in der Geschichte, in dem das Gefühl der Verbundenheit mit einer Landschaft einer wissenschaftlich geleiteten Suche entspringt, die sich entfaltet und die Arbeit all derer leitet, die sich für die Umsetzung einer Idee von städtischer Natur in reale Lebensorte und eine Form des Zusammenlebens in der Stadt einsetzen. Aus diesen Gründen und wegen der immer dringlicheren Notwendigkeit, Orte als Ergebnis gemeinsamer Erfahrung und Stätte der Begegnung von Wissen und Zuhören zu sehen, positioniert zwischen sozialem Umfeld und kultureller Debatte, hat der wissenschaftliche Beirat der Fondazione Benetton Studi Ricerche beschlossen, das Carlo-Scarpa-Siegel drei Persönlichkeiten zu übergeben, die den Geist dieser gemeinsamen Erfahrung vermitteln: der Landschaftsplanerin Rita Suhrhoff (Grün Berlin, verantwortlich für den Park), dem Bildhauer Klaus Duschat (Odious) und dem Ökologen und Landschaftsplaner Ingo Kowarik. In ihren Händen ist der Preis Ausdruck der Verbundenheit und Anerkennung all derjenigen, die mit ihrer Arbeit zeigen, wie notwendig es ist, eine bewusste Beziehung zur Erde zu entwickeln, und die ihr leidenschaftliches Streben nach Wissen verbunden mit dem unermüdlichen Wunsch, sich bei der Gestaltung von Landschaften höchsten ästhethischen, ethischen und ökologischen Ansprüchen zu stellen, unter Beweis stellen.