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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2022

Neubau Integrierte Leitstelle Ortenau in Offenburg

Perspektive

Perspektive

ein 2. Preis / Zuschlag

Preisgeld: 36.000 EUR

Schätzler Architekten GmbH

Architektur

Helmut Göppert Bauingenieure

Tragwerksplanung

bender + urich Ingenieurbüro

TGA-Fachplanung

Thomas Egger Modellbau | Frässervice

Modellbau

Erläuterungstext

Idee

Kommunikation, Funktion und Orientierung sind wichtige Parameter im multifunktionalen Sonderbau. Diese Parameter werden sowohl im Inneren des Gebäudes, als auch städtebaulich aufgenommen und ausformuliert.
Nördlich des Landratsamtes Offenburg wird der viergeschossige, schmale Baukörper entlang der Walter-Clauss-Straße platziert, der durch die stützenfreie Auskragung im Erdgeschoss und die Abstaffelung des obersten Geschosses geprägt ist. Dabei rückt der höhere Gebäudeteil vom Landratsamt ab und nimmt dessen Flucht auf. Die differenzierte Gebäudefigur reduziert die Baumasse und fügt sich -trotz des eng gezogenen Baufelds- gut in die umgebende Gebäudestruktur ein.

Durch die stringente vertikale Fassadenstruktur mit flachen horizontalen Bändern wird der Baukörper zusätzlich rhythmisch zoniert.
Die Omnibusspur wird als stützenfreie Auskragung an die KFZ Stelle und die Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage angeordnet und schirmt den Verkehr von der Wohnbebauung ab.

Die Leitstelle als zentraler Raum bildet sich im vierten Geschoss durch ein übergreifendes Schaufenster nach Süden mit entsprechendem Verschattungssystem ab. Eine Loggia Richtung Südwesten lockert die stringente Fassade aus grünlich eingefärbten, changierenden Keramiklamellen auf. Es entsteht eine spannende sowie identitätsbildende Adressierung der Integrierten Leitstelle Ortenau.


Nutzungsbereiche

Der Zugang erfolgt zentral Im Erdgeschoss durch das Foyer an der Walter-Clauss-Straße. Das zentrale Treppenhaus mit dem Aufzug erschließt alle Ebenen. Neben dem Foyer befinden sich die Umkleideräume, der Digitalfunk und die Netzersatzanlage. An der Westseite schließt an den Büroebenen eine Fluchttreppe an.

Im 1. Obergeschoss befindet sich gesammelt das Amt für Brand- und Katastrophenschutz. Vorgesehen ist eine Mischung aus Einzel- und Kombibüros und offene Bürozonen.

Die Verwaltungsräume für die Integrierte Leitstelle sind im 2. Obergeschoss angeordnet. Ebenfalls ist ein Mix aus Einzel- und Kombibüros und offenen Bürozonen geplant. Der große Stabraum und der Schulungsraum liegen zentral in der Einheit. Die Technikräume für den Leitstellenraum liegen am Fluchttreppenhaus und sind somit auf kurzem Weg von der Leitstelle im 3. OG erreichbar. Durch die Anordnung der Technikräume direkt unterhalb der Leitstelle werden die Versorgungsleitungen über kurze Wege zum Doppelboden der Leitstelle angebunden.
Die Flexibilität der Verwaltungseinheiten ist durch Doppelböden und Trockenbauwänden gewährleistet. Die Büroebenen werden durch offene Aufenthalts- und Arbeitszonen aufgelockert und in überschaubare Teilbereiche gegliedert.


Leitstelle

Die Leitstelle mit den neun Arbeitsplätzen wird als Sonderbereich gesichert im 3. OG situiert; erschlossen wird sie vom zentralen Treppenhaus mit einer Schleuse. Sie wird von der Nord- und Südseite belichtet. Feststehende und bewegliche Sonnenschutzelemente steuern den Sonneneintrag in der Leitstelle, sodass die Spiegelung an den Bildschirmen verhindert wird. Angrenzend an die Leitstelle mit Sichtbeziehung befinden sich das Büro Leitung, die Ausnahmeabfrageplätze sowie gegenüberliegend der Aufenthaltsraum mit Raucherbalkon, Teeküche und WC. Weitere Büroräume der Leitstelle liegen an der Ostseite und werden durch das Haupttreppenhaus erschlossen. Der Entwurf realisiert damit möglichst kurze Wege zwischen den Leitstellenarbeitsplätzen, Pausenräumen und angegliederten Funktionsbereichen. Die Größe des Leitstellenraums ermöglicht es, ohne Umbauten weitere Arbeitsplätze anzuordnen.

Die allg. Technik- und Lüftungsräume befinden sich im Untergeschoss.


Konstruktion

Das Gebäude wird in Offenburg in der Erdbebenzone 1, der Windzone 1 und der Schneelastzone 1 errichtet. Die Höhe des Gebäudestandortes beträgt ca. 170m NHN.

Das Bauwerk wird überwiegend in Massivbauweise mit unterzugslosen Stahlbetonflachdecken aus Recyclingbeton errichtet. Die Deckenspannweiten betragen im Wesentlichen zwischen 6 bis 8m.

Lediglich im 3.OG im Bereich der Leitstelle werden Deckenspannweiten von ca. 12m erreicht.

Die Spannweite dieser Flachdecke wird mit Spannbeton-Hohldielen überbrückt und kann somit ebenfalls unterzugslos hergestellt werden.
Dies hat den Vorteil, dass die Kollisionspunkte zwischen Tragwerk und Haustechnik minimiert werden und somit die Gebäudehöhe reduziert werden kann.
Das vertikale Tragsystem des Bauwerks wird aus Stahlbetonwänden und –stützen aus Recyclingbeton gebildet. Die Erdbebenaussteifung des Gebäudes erfolgt über die massiven Treppenhauskerne sowie weitere aussteifende Stahlbetonwände.

Das Erdgeschoss ist gegenüber den Obergeschossen, hofseitig um ca. 6m eingerückt.

Die Auskragung der Obergeschosse wird über sogenannte wandartige Träger (im 1.OG, parallel zu den Buchstabenachsen), „zurückgehängt“.
In den Giebelwänden werden Zugstäbe zur Stabilisierung der Auskragung, angeordnet.

Auf Grund der örtlichen Gegebenheiten sowie der Tatsache, dass sich der Gebäudestandort in unmittelbarer Nähe zum Mühlbach und der Kinzig befindet, geht der Verfasser davon aus, dass der Keller als wasserundurchlässiges Bauteil ausgebildet werden muss.


Keramik-Fassade

Das Fassadenmaterial besteht aus eingefärbten changierenden Keramikplatten.
Ziegel ist 100% natürlich aus Ton, der in eigenen Tongruben ökologisch abgebaut wird auf Flächen, die im Nachgang stets renaturiert werden. Das Material ist frei von schädlichen Zusatzstoffen und ohne Verwendung von Schwermetallen. Der sorgsame Umgang mit den Ressourcen, die Herstellung durch ökologisch vertretbare Produktionsverfahren und die vollständige Wiederverwertbarkeit beim Rückbau sind die Faktoren, die diesen nachhaltigen Baustoff auszeichnen.

Durch die einfache Handhabung bei der Montage, die Dauerhaftigkeit der Materialien (Ziegelplatten und Aluminium-Unterkonstruktion) und die Wartungsfreiheit der Systeme, ist die Keramikfassade besonders wirtschaftlich.


Elektrotechnik

Im Bereich der Garage des Landratsamtes befindet sich eine Trafostation, die das Landratsamt und das Netz des Energieversorgers (ÜWM) versorgt. Da sich im Baufeld mehrere Versorgungskabel befinden, sind im Vorfeld der Baumaßnahme enge Abstimmungen mit dem ÜWM erforderlich, um den Umbau der Kabel als auch die Versorgung der Leitstelle abzustimmen.

 Die elektrische Versorgung der Leitstelle erfordert eine nahezu 100% Verfügbarkeit inklusive der notwendigen Redundanz bzw. Fail-safe-Konzepten. Eine enge Abstimmung unter Berücksichtigung des vorliegenden Konzepts der Versorgung mit dem Energieversorger ist erforderlich.
Die Erhöhung der elektrischen Verfügbarkeit bei Ausfall der öffentlichen Versorgung erfolgt mittels Netzersatzaggregat(en) und Batterieanlagen (USV) – mit der erforderlichen Kraftstoffbevorratung sowie der notwendigen Batteriekapazität.

Die elektrischen Zentralen sind entsprechend des Versorgungskonzeptes ideal angeordnet.
Die Technikräume der Leitstelle befinden unterhalb im 2.OG und sind durch die Fluchttreppe auf kurzem Weg von der Leitstelle zu erreichen.

Photovoltaik:
Auf der Dachfläche befindet sich eine Photovoltaikanlage. Zur Erhöhung des Eigenbedarfes werden Akkus z.B. als Wechselrichter mit Akku (Hybridsysteme) eingesetzt.


Lüftung

Das Gebäude wird in drei Lüftungszonen aufgeteilt, Aufenthalts- und Sozialräume, WC-Räume und Räume der Leitstelle. Die Zentrale für die Lüftungstechnik befindet sich im Untergeschoss. Zentrale durchgehende Schächte an den beiden Treppenhäusern ermöglichen die vertikale Versorgung der Zu- und Fortluft. Im UG werden die drei Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung aufgestellt. Die Außen- und Fortluft wird jeweils über Dach geführt. Die Räume der Leitstelle sind gemäß Anforderung Fachverband Leitstellen e.V. konditioniert. Präzisionsklimaschränke werden nach Anforderung in der Leitstelle und im Serverraum positioniert. Dabei ist in der Leitstelle eine impulsarme Einbringung der Zuluft über Quellauslässe im unteren Bereich und die Luftabsaugung im oberen Bereich vorgesehen. Die erforderliche Kälteerzeugung wird auf das Gebäude und die Anforderungen abgestimmt und ist mit entsprechender Freikühleinrichtung vorgesehen. Die Aufstellung der Kaltwassererzeugung erfolgt im Untergeschoss, die Aufstellung des hierfür notwendigen Rückkühlers erfolgt auf dem Dach.


Heizung

Die Wärmeversorgung des Gebäudes erfolgt über das Fernwärmenetz der Badenova. Die Erschließung der Räume erfolgt über mehrere Steigepunkte an den Treppenhäusern. Die Beheizung der Räume erfolgt überwiegend mittels Fußbodenheizung. In der Leitstelle selbst ist die Beheizung über die Lüftungsanlage vorgesehen.


Sanitär

Die Trinkwasserversorgung des Gebäudes erfolgt über das öffentliche Netz der Badenova. Die Erschließung der Nassräume erfolgt über mehrere Steigepunkte. An den Endstellen werden Hygienespülungen vorgesehen. Die Warmwasserversorgung erfolgt dezentral elektrisch. Die Ableitung von Schmutz- und Regenwasser erfolgt über die öffentliche Kanalisation in der Walter-Clauss-Straße. Die Regenwasserableitung erfolgt innenliegend über die zentralen Schächte und anschließend im Keller an das öffentliche Kanalsystem.


Mitarbeiter*innen Schätzler Architekten GmbH 
Dipl.- Ing. Architektin Tanja Scharf
M.A. Babou Bojang

Beurteilung durch das Preisgericht

Die neue Leitstelle Ortenau flankiert die Walter-Claus-Straße mit einem skulptural anmutenden Baukörper, der sich über vier Geschosse erstreckt. Das Gebäudevolumen passt sich souverän den Rahmenbedingungen aus dem städtebaulichen und funktionalen Belangen an und verbindet sich dadurch gekonnt mit seinem Kontext. Dies drückt sich in dem zurückspringenden Erdgeschoss aus, um die LKWs passieren zu lassen und dem zurückweichenden Attikageschoss, um die Höhe der gegenüberliegenden Bebauung aufzunehmen. Lediglich die karge Gestaltung der Grünflächen auf dem Minimalgrundstück könnte liebevoller sein.

Der Hauptzugang an der Walter-Claus-Straße führt in ein angemessen großes Foyer, welches Nutzer und eventuelle Besucher freundlich empfängt. Die Präsenz an der Straße wird in Anbetracht der geringen Besucherströme als zu prominent gesehen und könnte in seiner Dominanz deutlich reduziert werden. Die innere Struktur und Organisation überzeugt mit Klarheit und einer soliden Umsetzung des Raumprogramms. Die Position des Leitstellenraums im vierten Obergeschoss passt und die Sichtbarmachung im Außenraum als Herzstück des Neubaus ist gelungen. Allerdings sollte der Reservebereich direkt im hohen Raumvolumen mit positioniert sein. Eine Verlegung des Treppenhaus nach außen und die damit verbundene Umsortierung der untergeordneten Räume könnte hier Abhilfe schaffen.

Das neue Erscheinungsbild der ILS überzeugt mit maßstäblich, detailreicher und präziser Fassadengestaltung, die es schafft den Baukörper als Sonderbau im Stadtraum angemessen zu repräsentieren. Die angebotene Fassadenmaterialität mittels Keramikplatten wird kontrovers gesehen und die Alternative einer Holzfassade ist zu prüfen und würde einen regionalen Bezug herstellen. Der hohe Verglasungsanteil sollte auf Sinnfälligkeit und auf energetische Aspekte überprüft und gegebenenfalls reduziert werden. Der angebotene Sonnenschutz mit individuell steuerbaren Lammellenstores ist erwünscht und von feststehenden Lamellen ist abzusehen.

Das Tragwerk überzeugt in Konzept und Struktur, sollte aber hinsichtlich Kriterien der Nachhaltigkeit geprüft und kritisch hinterfragt werden. Die Stütze im Leitstellraum im vierten Obergeschoss, die den Versprung im Dach abfängt, stört und sollte entfallen. Die Dachfläche mit PV Anlage und Begrünung wird von Seiten des Auslobers als wichtiges unabdingbares Element gesehen und sollte auf maximale Belegung geprüft werden.

Die wirtschaftlichen Kenndaten des Projektes liegen im mittleren Bereich.

Die im Energiekonzept vorgeschlagenen Elemente (Fernwärme, PV-Anlage, teilweise thermische Massen und Strahlungsflächen) zeigen eine sinnvolle Kombination,. Allerdings ist der Vorschlag einer Luftheizung in der Leitstelle kritisch zu hinterfragen. Neben dem hohen Energieaufwand ist eine natürliche Lüftung nur sehr eingeschränkt möglich. Der Entwurf zeigt einen hohen Glasanteil. Dieser gewährleistet eine gute Tageslichtausleuchtung, birgt aber die Gefahr der sommerlichen Überhitzung. Insgesamt kann gesagt werden, dass beim Thema Decarbonisierung des Gebäudes, also Konstruktion und Betrieb, noch Potentiale im Bereich Konstruktion, Fassade und Energieerzeugung gesehen werden.

Die Leiststelle ILS Ortenau überzeugt mit einem präzisen Städtebau, klarer Grundrissgestaltung und schafft mit raffinierter Strategie eine Sonderbauskulptur, die sich elegant in den Stadtraum einfügt.