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Mehrfachbeauftragung | 07/2022

Entrée Klett-Areal Rotebühlstraße Stuttgart, Gebäude R 77/1 und R 75

Die neuen Kopfbauten orientieren sich zu dem Birkenhain - das neue Zentrum des Areals

Die neuen Kopfbauten orientieren sich zu dem Birkenhain - das neue Zentrum des Areals

1. Preis

Preisgeld: 35.000 EUR

Bruno Fioretti Marquez

Architektur

Uwe Mönnikes

Brandschutzplanung

Schnetzer Puskas Ingenieure AG

Tragwerksplanung

Erläuterungstext

Ausgangssituation und Konzept
Das Klett-Areal erstreckt sich fast über einen gesamten innerstädtischen Gebäudeblock mit Blockrandbebauung, zahlreichen Hofgebäuden und einem unüberschaubaren Geflecht aus Innenhöfen. Kriegszerstörungen, Abbruch- und Umbaumaßnahmen im Laufe des letzten Jahrhunderts haben dazu geführt, dass ein Gebäudekonglomerat aus unterschiedlichen Baustilen entstand. Der Hauptzugang zu dem Stammsitz des familiengeführten Unternehmens befindet sich an der Rotebühlstraße, gegenüber des Feuersees. Eher beiläufig führt eine Durchfahrt durch das straßenbegleitende, denkmalgeschützte Gebäude aus den 1950er Jahren, dass das Bild des Eingangs prägt, und erschließt das Gelände.
Rückbauen und Weiterbauen dienen als Strategien um die Eingangssituation klarer zu definieren, das Hofareal zu ordnen und vorhandene Strukturen zu stärken.
Städtebau und Grünraum
Der Übergang vom öffentlichen zum privaten Raum, die Pförtnerloge und der zentrale Empfang bilden einen Dreiklang aus Offenheit, Durchlässigkeit und räumlichen Bezügen. Sie kreieren den Auftakt zum Firmengelände.
Die Durchfahrt erhält eine abgehängte Deckplatte aus poliertem Stahlblech, die beidseitig aus den Gebäudefluchten als Vordach hervortritt und den Eingang markiert. Durch die Lichtreflexe und die verzerrte Spiegelung des Orts wird die Eingangssituation visuell erweitert; Gleichzeitig erinnert die Decke an eine Wasseroberfläche und nimmt so Bezug zu dem gegenüberliegenden Feuersee.
Links und rechts der Durchfahrt befinden sich die Pförtnerloge und der zentrale Empfang, die nun als großflächig verglaste und großzügige Räume Ein- und Durchblicke zulassen – zu diesem Zweck werden die Innenwände entfernt und die Fassaden neu gestaltet.
Durch den Rückbau des anschließenden, zweigeschossigen Quergebäudes aus den 1950er Jahren kann die Rückfront des Empfangs ebenfalls komplett verglast werden. Es entsteht eine großzügige neue Freifläche und Öffnung des bisher dicht bebauten Innenhofs, so dass die Besucher bei ihrer Ankunft einen Überblick über das gesamte Areal haben.
Die Ziegelsteine des Abbruchs werden genutzt um einerseits den Grundriss des Gebäudes im Bodenbelag nachzuzeichnen und andererseits in gemahlener, geschredderter Form ein Kiesbett auf der ehemaligen Grundrissfläche zu bilden. In dem Kiesbett wird ein Birkenhain gepflanzt. Der Birkenhain vereint eine Vielzahl von Motiven und Funktionen. Durch den Rückbau des Bestands entsteht in dem Innenhof ein neuer Raum, der nun von der bestehenden Mensa, den historischen Hofgebäuden aus den Anfängen des Klettverlags, dem Empfangsbereich des Eingangsgebäudes und der gegenüberliegenden Bebauung gefasst wird. Der Birkenhain wird zum neuem Zentrum des Areals. Er holt die Natur in den Innenhof und bildet ein Pendant zu der Baumallee entlang des Feuersees. Der Empfangsraum befindet sich nun in der Mitte der Baumachse, die sich auf dem Firmengelände fortsetzt. Für die Besucher, die durch die raumhohen Verglasungen ungehindert in beide Richtungen blicken, gehen Außen und Innen ineinander über. Räumlich und atmosphärisch zeichnen die Birkenbäume das Volumen des Bestandsgebäudes nach – beim Entlangschreiten des Hains wird dessen Präsenz auch anhand der Veränderung der Temperatur spürbar. An diesem neuen Ort, der zum kommunikativen Treffpunkt der Mitarbeitenden werden soll, wird die Zeit lesbar - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Klettverlags zeigen sich an den Spuren im Bodenbelag und dem Blattwerk, das sich mit den Jahreszeiten verändert.
Zur Stärkung des neuen Zentrums auf dem Campus, aber auch zur Stärkung der Identität des Unternehmens und des vorhandenen architektonischen Potentials wird die eingeschossige Lagerhalle rückgebaut und die bestehenden Industriegebäude im Hof (R 77/1 und A 32/1) erhalten Anbauten, die sich stirnseitig zum Hain hin orientieren und von hier erschlossen werden. Sie bilden mit der1899 gebauten Druckerei der Firma Klett eine Flucht. Der schmale Weg, der nun entlang des Birkenhains entsteht, wird durch den rhythmischen Wechsel von Höfen und Gebäuden begleitet, wobei sowohl die Höfe, als auch die Anbauten jeweils eigene „Identitäten“ ausbilden. Der erste Innenhof, direkt an den Hauptzugang anschließend, ist etwa 0, 75 Meter erhöht und als weiter, urbaner Platz mit einem durchgängigen Bodenbelag aus Pflastersteinen und mittiger Baumgruppe gestaltet. Der zweite Innenhof ist ein intimer, kleiner und üppig bepflanzter Hof mit einem Wasserbecken, der wie ein vorgelagertes Vorzimmer wirkt, das das umgestaltete Bürohaus erschließt. Der dritte Innenhof wird über eine breite Freitreppe, die im Sommer wie eine Tribüne als Sitzfläche mit Blick auf den Hain dient, erreicht. Der Platz selbst ist, mit Ausnahme der Wege entlang der Gebäude, mit einer wassergebundenen Decke ausgeführt und mit Sitzmöglichkeiten ausgestattet. Der vierte Innenhof schließlich, am Ende des innenliegenden Areals, erhält eine wassergebundene Decke mit Bepflanzungen und Sitzflächen und wird über eine begleitende, unauffällige Kaskadentreppe erschlossen.
Architektonisches Konzept
Solidität, Unaufdringlichkeit und Offenheit als Kernpunkte und Grundsätze des Unternehmens spiegeln sich in dem Entwurfskonzept und der Auswahl der Materialität der baulichen Interventionen wider.
Durch den Rückbau des Gebäudes R75 entsteht auf dem Hofgelände eine Offenheit, Durchlässigkeit und Klarheit. Nicht nur wird so bereits bei dem Betreten des Innenhofs das Areal in seiner ganzen Tiefe erlebbar, sondern die Backsteingebäude (R77/1 und A32/1), die sowohl Zeichen der Industriekultur des beginnenden 20. Jahrhunderts sind als auch den Ausgangspunkt des Klettverlags markieren, werden zum Kern und Mittelpunkt des Areals. Um die Bedeutung der historischen Bauten zu stärken und das Zentrum eindeutig zu definieren, werden die bestehenden Gebäude um Kopfbauten erweitert, die sich zum zentralen Birkenhain orientieren. Volumetrisch greifen sie die vorhandene Kubatur auf und bauen den Bestand unaufgeregt und selbstverständlich weiter. Doch bereits die Fassadenöffnungen der Stirnseiten, die unregelmäßig in der Fassade verteilt und teilweise halbgeschossig versetzt sind, erzählen von der Andersartigkeit und der Sonderstellung. Um den zentralen Freiraum zu beleben, befinden sich in den Annexen die Erschließungskerne und Sonderfunktionen, wie eine Espressobar, Aufenthaltsräume, Besprechungsräume oder Terrassen. Die Räume haben ihren Funktionen entsprechend unterschiedliche Raumhöhen und stehen innerhalb des Gebäudevolumens über Lufträume oder Verglasungen zueinander in Beziehung.
In der Gesamtfläche entsprechen die Erweiterungsbauten den verloren gegangenen Grundrissflächen des Abbruchs. In ihrer Nutzung ergänzen sie jedoch das Raumprogramm, wodurch der Ort an sich dichter, lebendiger und komplexer wird.
Grundrissorganisation und neue Arbeitswelten
Um den Anforderungen der neuen Arbeitswelten gerecht zu werden und eine größtmögliche Flexibilität zu erreichen, wird das Bestandsgebäude (R 77/1) komplett entkernt, so dass nur die Erschließung, die Tragstruktur und die Fassaden erhalten bleiben. Dadurch entstehen große, offene Räume, die sich über die gesamten Grundrissflächen erstrecken und durch die Tragstruktur und den Rhythmus der Fenster gegliedert werden.
In diesen offenen Räumen können sich zukünftig Bürolandschaften entwickeln, in denen die Arbeits- und Besprechungstische, Regale und IT-Inseln frei und nach Bedarf positioniert und durch Loungezonen mit bequemen Sesseln ergänzt werden können. Einzel- und Gruppenarbeitsplätze bilden Inseln und spiegeln die unterschiedlichen Arbeitsweisen als konzentrierte Einzelarbeit und als Teamarbeit wider.
Als strukturiertere Grundriss- und Möblierungsvariante können den jeweiligen Fensterachsen Tischgruppen zugeordnet werden, die quer zum Raum angeordnet werden. Durch Vorhänge abgetrennte ovale und runde Zonen, die als temporäre Besprechungsräume oder Lounges genutzt werden können, gliedern die Arbeitsbereiche in Gruppen. Als dritte Variante ist eine Mischung aus Einzel- oder Doppelbüros und einem offenen Grundrisslayout denkbar.
Alle drei Grundrissvarianten werden durch Einzelbüros für die Leitung der Teams und Sitzungsräume für ausgedehnte Besprechungen in den bestehenden Annexen ergänzt. Der neue Kopfbau, der das Gebäude erweitert, beherbergt die Bereiche der informellen Kommunikation – hier sind die Teeküche und ein großzügiger Aufenthaltsraum angeordnet. Eine Regalwand entlang der Erschließungswand bietet Raum für die Publikationen des Verlags seit Beginn seiner Gründung. Sie empfängt die Besucherinnen, schlägt räumlich eine Brücke zwischen Bestand und Neubau und inhaltlich zwischen Geschichte und Zukunft der Firma.
Während die Funktionen dieses Kopfbaus klar den jeweiligen Teams oder Abteilungen zugeordnet sind, befinden sich in dem Kopfbau des Nachbargebäudes (A32/1) übergeordnete Funktionen, die von allen Mitarbeitenden der Firma genutzt werden können. Die Espressobar im Erdgeschoss belebt auch mit Außensitzflächen den Platz und wird zu einem Kommunikationsraum. In den oberen Geschossen sind Sitzungsräume und Lounges angesiedelt, die auch durch ihre Raumgeometrien - zweigeschossige Räume mit offenen Galerien greifen ineinander und gehen in niedrigere Räume über - eine Besonderheit darstellen und einen repräsentativen Charakter haben.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der an Stelle des in den 50er Jahren entstandenen Quergebäudes R75 vorgeschlagene Hain mit dicht zueinanderstehenden Birken erlaubt eine Öffnung des dicht bebauten Areals und bildet für Mitarbeiter und Besucher eine neue identitätsstiftende Oase als Kommunikations- und Begegnungsort in Ergänzung zu den grünen Rückzugsorten des Bestands. Die Markierung des Bestands durch die Ziegelbänder erscheint nicht zwingend, wichtiger wäre sicherzustellen, dass hier keine zusätzliche Aufheizung entsteht ggf. durch grünere Füße, die dazu beitragen könnte, dass die Fläche nicht zu urban wirkt.
Die Backsteingebäude R77/2 und A 32/1 rücken so als Ausgangspunkt der Unternehmensgeschichte und Beispiel der Industriekultur in den Mittelpunkt des Areals. Neue Kopfbauten erweitern und schließen die Bestandsgebäude intarsiengleich ab. Volumetrisch werden die jeweiligen ikonographische Silhouetten und auch die Massivität des Bestands aufgenommen. Und doch entsteht durch die plastische Bearbeitung, die Art und Lage der Öffnungen und die Ausbildung der Öffnung ein eigener Charakter bis in das Detail des Verbands. Sehr sorgfältig werden schöne und differenzierte räumlichen Situationen an den Eingängen, den Übergängen zum Bestand oder auch an den Besprechungsräumen inszeniert. Der Ansatz ressourcenschonender Vollholzdecken und Ziegelwänden durch Nutzung von Abbruchmaterial im Sinne des urban minings ist nachvollziehbar und wird ausdrücklich begrüßt.
Bewusst bleiben die Änderungen und Überformungen des Bestands als Teil der Geschichte sichtbar. Nur das Innere wird geöffnet um hier je nach Anforderungen unterschiedlichste und auch adaptive Aufteilungen anzubieten. Auf den ersten Blick scheinen die Flächenvorgaben unterschritten – dies täuscht: durch geschickte Nachverdichtung werden die Flächenvorgaben auch im Vergleich zu anderen Arbeiten erreicht bei gleichzeitiger Reduktion der Überbauung des Areals.
Das neue schwebende Vordach markiert das Entrée zur Rotebühlstraße und fügt sich gut in den Duktus des Bestandbaus ein. Der Blick in die Tiefe des Hofs wird damit akzentuiert. Das Foyer mit schönem Blick in den Birkenhain ist funktional und räumlich vom Empfang etwas abgekoppelt. Hier wäre zu prüfen ob die Durchfahrt nicht geschlossen werden sollte um auch ausreichen Raum zum Ankommen zu bieten.
Die Freiflächen sind vielfältig und versprechen unterschiedliche Aufenthaltsqualitäten. In der weiteren Durcharbeitung müsste sichergestellt werden, dass alle Flächen barrierefrei zu erreichen sind.
Eine poetische, sehr eigenständige Arbeit die in Ihrer unaufdringlichen Zurückhaltung und zugleich Offenheit ideal den Geist des Unternehmens und des Bestands widerspiegelt.
Kopfbauten erweitern die bestehenden Gebäude.

Kopfbauten erweitern die bestehenden Gebäude.

Eingangsbereich

Eingangsbereich

Lageplan

Lageplan

Erdgeschoss

Erdgeschoss

Regelgeschoss

Regelgeschoss

3. Obergeschoss

3. Obergeschoss

Schnitt

Schnitt

Axonometrie

Axonometrie

Variante Bürotypologie

Variante Bürotypologie

Axonometrie Büroraum

Axonometrie Büroraum