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Eingeladenes, zweiphasiges städtebaulich-hochbauliches Entwurfsgutachten | 11/2022

Quartiersentwicklung Freiburger Straße in Stade

Perspektive Contrescarpe

Perspektive Contrescarpe

1. Rang

LRW Architektur und Stadtplanung PartG mbB

Stadtplanung / Städtebau

Y-LA Ando Yoo Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

SWING HÖFE
Vor der Altstadt
Bei Betrachtung der klassisch gewachsenen Altstadtstruktur Stades und dem Gürtel aus besonderen Nutzungen und Strukturen im Bereich der sich darum befindlichen alten Bastionen stellt sich zuerst die Frage nach der passenden Typologie einer neuen Bebauung in diesem Gürtel.
Bei der Weiterentwicklung auf dem Grundstück des alten Fabrikareals kann weder Stadtreparatur noch eine bauliche Imitation der Altstadt zielführend sein. Vielmehr geht es darum, die industrielle Stadtgeschichte zu transformieren und neue Baustrukturen zu entwickeln, die dabei den zeitgemäßen Anforderungen von Wohnvielfalt, Nutzungsmischung und Nachhaltigkeit gerecht werden.
Industrieller Kontext – fabrikartige Körnung der Cluster
Auffällig in der industriellen Bestandsarchitektur ist die „Ansammlung“ von Gebäuden auf dem Grundstück: geradlinige, tiefe und fast ikonografische Gebäude mit flachen Dachneigungen.
In Anlehnung an die industrielle Geschichte des Standortes greift die neue städtebauliche Körnung und Setzung genau diese Typologien auf und transformiert sie in zeitgemäßen und auch zukunftsweisenden Wohnungsbau:
• tiefe Baukörper für hohe Kompaktheit mit gutem A/V-Verhältnis
• Dachformen wie im Bestand mit ca. 15° Neigung geeignet für Gründächer
Das Quartier wird dabei in den baulichen Kontext eingefügt mit Maßstabskorrespondenzen zur Nachbarschaft und belebt von baulichen Brüchen:
• Gassenartige kleinteiligere Körnung im Norden als Anschluss an die Kerstensstraße
• Zunehmende Höhenentwicklung von Nord nach Süd
• Hochpunkt im Süden zur Stadt und als Gegenüber zum maßstabsbrechenden Einkaufsmarkt
• Traufständigkeit entlang der Freiburger Straße
Quartiers Milieus
Die Gebäude gruppieren sich um einen mittigen Quartiershof herum. Dieser ist öffentlich zugänglich, sowohl von der Freiburger Straße aus, als insbesondere auch von der Contrescarpe am Burggraben. Er dient der Quartiers-Erschließung und auch als attraktives Freiraumangebot. Im Südwesten öffnet er sich großzügig zum Wasser. Hier sind in der EG Zone besondere Nutzungen angeboten, wie z.B. ein Café oder Restaurant zum Wasser. Im Norden zur Kerstensstraße wird das Quartier zur anschließenden Einzelhausbebauung.
Schornstein als Identifikation
Der aktuelle, sich auf dem Grundstück befindliche Schornstein ist aufgrund der Anlegung einer flächigen Tiefgarage wirtschaftlich nicht zu halten. Da dieser dennoch einen nicht unerheblichen Teil zur Identifikation des neuen Quartiers beitragen soll, wird am Quartiershof eine Schornsteinstruktur errichtet, um an den historischen Kontext zu erinnern. Die neue Struktur beinhaltet einen für die Bewohner*innen offenen Zugang zur Tiefgarage. Zusätzlich ist das Gerüst bepflanzt und dient nicht nur im Quartier als klarer Orientierungspunkt, sondern ist auch vom Burggraben gut sichtbar und erinnert an den ehemals industriellen Kontext des Standortes.
Sichtbezüge und Durchgänge
Vom Quartiershof und dem Schornstein ausgehend werden Teile der Erdgeschosszone für Durchgänge unterbrochen mit dem klaren Ziel, Sichtbezüge zu schaffen. Zum einen entsteht aus dem Mittelpunkt des Quartiershofs ein Bezug zur Contrescarpe und dem Burggaben, zum anderen werden Quartiershof und Gartenhof durch das Gebäude verbunden, um es für die Bewohner*innen flexibler zu gestalten. In beiden Fällen werden im Erdgeschoss die Fassaden aufgebrochen und erlauben den Durchblick auf die andere Seite.
Co-Working und Gewerbe
Im südlichen Teil der Quartiersentwicklung, mit direktem Bezug zur Freiburger Straße, dem Burggraben und dem neu geschaffenen öffentlichen Hof befinden sich in der Erdgeschosszone gewerbliche Nutzung. Ein Café oder Restaurant im EG des Hotels und Co-Working in anderen Kopfbauten sorgen für eine belebte Umgebung und bilden ein besonderes Signet an der südlichen Spitze direkt am Burggraben.
Solitär am Eingang
Der Auftakt des neuen Quartiers bildet im Süden ein Solitär für Hotel- oder Servicewohnnutzung. Um einen größtmöglichen Abstand zum nordöstlichen kleinkörnigen Bestand zu erreichen, ist dieser auf die südlichste Grundstücksspitze positioniert. Zum Hof hin ist dieser leicht abgeschrägt, um einen großzügigen und einladenden Zugang zum Quartiershof zu erreichen.
Architektonisch fügt er sich in die „hausartige“ Gebäudesprache der Gesamtbebauung ein.
Häuser mit Dächern
Die Baukörper erhalten – ähnlich der Einzelhausthematik der Nachbarschaft und auch als Analogie zu den alten Gewerbebauten - alle ein gemeinsames Gestaltungsthema in Form eines schräg geneigten Satteldachs mit relativer flacher Neigung, geeignet für Begrünung und Photovoltaik.
FREIRAUMGESTALTUNG
In Anlehnung an die Körnung der Gebäudekörper zoniert sich die Außenraumgestaltung ausgehend von dem Kopfgebäude im Süden von einem urbanen und belebten Raum zu einer grünen und eher privat gehaltenen Umgebung.
Öffnung zum Wasser
Durch die Drehung des Solitärgebäudes in Richtung Freiburger Straße öffnet sich das Quartier zum Wasser. Eine großzügige Hofgestaltung mit mobilen, sowie fest installierten Sitzinseln, durchsetzt von grünen Baumscheiben ermöglicht den Blick auf das Wasser. Ein weiterführender Wegebelag verbindet das Quartier mit dem Ufer des Burggrabens, wo Sitzstufen und ein schmaler Ponton den direkten Aufenthalt im und am Wasser ermöglichen. Weiter nördlich schiebt sich in Verlängerung einer Quartiersachse ein kleiner Balkon über die Uferbereiche des Grabens und eröffnet eine erhabene Aussicht auf die Uferbereiche.
Die parallel zum Burggraben verlaufende Gebäudekante mit angrenzenden privaten Terrassen werden von kleinkronigen Blühgehölzen umspielt und durch punktuelle Heckenbänder von den öffentlichen Flächen dezent abgeschirmt.
Quartiershof
Rückseitig werden die Wohnungen überwiegend vom zentral gelegenen Quartiershof erschlossen. Kleine, topographisch gestaltete Spielbereiche mit einem anschließenden Quartierstreffpunkt bilden die Kontaktzone für die Bewohner*innen.
Industriell anmutende Spielgeräte und Mobiliar aus Holz-und Stahl sowie dunkel farbige Pflasterintarsien in den Belagsflächen nehmen Bezug auf die Historie des Ortes. Als ‚Landmark‘ des Quartiers wird der Schornstein als Replik in den Fokus gerückt. Eine umlaufende Sitzkante bindet ihn nutzbar in den Außenraum ein, Rank-und Kletterpflanzen umspielen das Stahlgerüst.
Gemeinschaftlicher Gartenhof / Grüne Gassen
Gen Norden findet sich eine kleinteiligere Bebauungsstruktur wieder, welche rund 1.50m tiefer als der Quartiershof liegt. Eine Quartierstreppe aus Tritt-und Sitzkanten mit einem integrierten, barrierefreien Rampenverlauf verzahnt den urbanen mit dem grünen Raum.
Ein gemeinschaftlich genutzter Gartenhof bildet mit offenen Heckenstrukturen und locker gesetzten Gehölzen transparente, grüne Gassen. Erweitere Kinderspiel-und Aufenthaltsflächen sind hier denkbar.
Die an die Kerstensstraße andockenden Gebäude erhalten private, parzellierte Mietergärten mit Gartenhäuschen zur Abgrenzung der gemeinschaftlich genutzten Außenflächen.
Mobilität und Fahrradstellplätze
Jedem Hauseingang werden Besucherstellplätze für Fahrräder zuteil. Eine Erweiterung der in der Tiefgarage ansässigen Mobilitätsstation dockt nördlich des Solitärgebäudes an. Straßenseitige Parkplätze für Elektrofahrzeuge mit Ladesäulen und überdachte Stellplätze für Leih- und Lastenfahrräder bilden hier das Inventar und sind sowohl für das Quartier als auch für Gäste nutzbar.
Oberflächenbeschaffenheit und Begrünung
Die befahrbaren Wegeverbindungen werden mit Betonpflaster versehen. Dabei wird darauf geachtet, nur Wegeverbindungen und Durchgänge zu versiegeln, welche für die Feuerwehr als auch die Müllentsorgung unerlässlich sind.
Sonstige Flächen für den ruhenden Verkehr werden mit versickerungsfähigem Rasenliner- bzw. einer wassergebundenen Wegedecke ausgeführt.
Klimafreundliche Laub-und Blühgehölze sowie heimische Laubmischhecken ziehen sich locker verteilt durch das neue Quartier, bilden Distanz zu den Wohngebäuden und spenden Schatten.
Regenwasserkonzept / Entwässerung
Aufgrund der begrünten Schrägdächer wird weniger Wasser zurückgehalten, weshalb auf den unterbauten Flächen der Tiefgarage Retentionsboxen mit Volumen zur Wasserspeicherung (nutzbar für die Begrünung) verlegt werden. Diese sind an einen Überlauf gekoppelt, welcher das überschüssige Wasser gedrosselt in den Burggraben leitet.
Mittig als auch seitlich der befestigten Wegeverbindungen finden sich in den Belag integrierte Rinnen, die das Wasser oberflächennah sammeln und stellenweise den Baumstandorten zuführen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf zeigt sehr anschaulich, welchen Charakter sich die Verfasser:innen für das neue Quartier vorstellen. Im Zentrum des Entwurfs wird eine belebte Mitte ausgebildet, die eine eigene identitätsstiftende Kraft zeigt. Um diese Mitte herum werden sehr unterschiedliche Räume entwickelt, die mit der privaten Enge und der Weite der öffentlichen Räume eine große Stärke des Entwurfs ausmachen. Die Stellung der Gebäude zueinander ist sehr gut gelöst und schafft Räume mit Durchblicken und lässt Perspektiven für die innenliegenden Gebäude entstehen. Die Ausbildung eines viergeschossigen Baukörpers am nördlichen Ende des Burggrabens trägt geschickt dazu bei, dass sich eine angemessene Dichteverteilung einstellt.

Besonders positiv hervorgehoben wird die Entscheidung der Verfasser:innen durchweg geneigte Dächer zu verwenden, die eine eigenständige Charakteristik und Fernwirkung entstehen lassen. Die Freiräume sind klar in öffentliche und private Bereiche gegliedert und lassen eine Durchlässigkeit und Raum für unterschiedliche Nutzungen erkennen. Die Höhendifferenzierung wird durch klare Abstufungen erreicht, das darin enthaltene Spiel mit dem Gelände ist ein besonderes Qualitätsmerkmal des Entwurfs. Der Durchgang im EG als Verbindung vom Burggraben in den Quartiershof ist gelungen und leitet durch seine trichterartige Form direkt ins Quartier und bildet gleichzeitig eine Adresse aus. Auch der Durchgang im Gebäude zwischen den Höfen wird positiv gesehen. Durch den leichten Versatz der Gebäude zueinander werden die langen Riegel aufgebrochen und das Quartier erhält einen erkennbaren, kleinteiligen Charakter. Positiv wird zudem bewertet, dass jeder Baustein ein in sich geschlossen organisierter Bau ist.

Im Vergleich zu den anderen Arbeiten stellen die Baukörper Bezüge zu den Werkhallen her und sorgen so für eine gelungene Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes. Die Ausbildung der Fassaden wirkt derzeit noch etwas zu schematisch und könnte nach Ansicht der Jury noch stärker differenziert werden um der starren Wiederholung entgegenzuwirken. Der Auftakt an der Südspitze in das Quartier findet die richtige Maßstäblichkeit und die Richtung der Dachfaltung wird begrüßt. Das gesamte Quartier wird dabei durch die bewegte Kontur der Dächer belebt. Die Materialität und Dachform ist auch in direkter Nähe zur Altstadt passend gewählt. Ebenso wirkt der Schornstein in der Mitte des großen freien Raums als Symbol der Industriegeschichte gelungen.

Kritischer wird hingegen das Gebäude östlich der Freiburger Straße kommentiert. Dieses ist aus Sicht der Jury zu massiv und fügt sich zu wenig in die Nachbarschaft ein. Es lässt jedoch ausreichend Spielraum für Anpassungen, um eine Lösung zu finden, die sich in den Kontext der Nachbarbebauung einpasst.

Zusammenfassend stellt die Jury fest, dass es sich bei der Arbeit um einen Entwurf handelt, der für den Ort sehr gelungen gewählt ist. Er findet eine gute Balance zwischen der Aufnahme der Historie und einer neuen Körnigkeit, die sich gut in die Umgebung einfügt. Der Versuch, ein Stück Stadt zu bauen, an die Geschichte anzuknüpfen und diese weiter zu erzählen, ist mit diesem Ansatz in überzeugender Form gelungen.
Lageplan

Lageplan

Perspektive Südwesten

Perspektive Südwesten

städtebauliche und historische Strukturen in Stade

städtebauliche und historische Strukturen in Stade

städtebauliche Einordnung und Txpologie

städtebauliche Einordnung und Txpologie

Raumkanten und Höhenverlauf

Raumkanten und Höhenverlauf

Freiraum und Höfe

Freiraum und Höfe

Retention

Retention

Fassadenkonzept

Fassadenkonzept

Schnitte

Schnitte