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Einstufiger, nicht offener, regional begrenzter Realisierungswettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren | 02/2023

Grünes Viertel Stephansstift in Hannover

Grünes Viertel Stephansstift, Lageplan 1:500

Grünes Viertel Stephansstift, Lageplan 1:500

2. Preis / Baufeld 2

B99 Architekten

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

chora blau Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

GRÜNES VIERTEL STEPHANSSTIFT

Referenz und Überraschung
Ein Ensemble aus zwei konstruktiv sehr einfachen Häusern, einer Gartenmauer und einem Gartenhof bildet ganz selbstverständlich einen Teil des neuen Grünen Quartiers. Die Gestalt der Gebäude erscheint wie eine zeitgemäße, auf wesentliche Elemente reduzierte Übersetzung der historischen Stiftsarchitektur auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Anmutung und Anordnung des Ensembles wirkt vertraut und lädt so ganz selbstverständlich zur Aneignung ein. Im Gegensatz zu den klaren, städtischen Kanten, mit der das Gebäude zur Definition guten Straßenraums im Quartier beiträgt, überrascht es im Gartenhof mit einer intensiv begrünten Balkonschicht, offenen Fassaden sowie gemeinschaftlichen, grünen Bereichen und einem Lofthaus. Hier entsteht ein ruhiger Ort der Gemeinschaft für die Bewohner.

Gemeinschaft und Individualität
Die Gruppierung des Ensembles um den grünen Gartenhof animiert zu Gemeinschaft, ohne dass die Individualität und Privatheit der Bewohner beeinträchtigt wird. Jeder Wohnung stehen neben dem gemeinschaftlichen Hof auch großzügige private Freiräume zur Verfügung. Durch die kompakte Erschließung über nur drei Treppenhäuser entstehen vielfältige Hausgemeinschaften. An einem Treppenhaus befinden sich - von der Ein-Zimmer-Singlewohnung bis zur großen Familienwohnung oder Wohngemeinschaft - Wohnungen für unterschiedlichste Lebenskonzepte. Die Grundrisse sind so konzipiert, dass die Individualräume überwiegend ähnlich groß und dadurch vielfältig und flexibel nutzbar und an sich wandelnde Lebens- und Arbeitskonzepte anpassbar sind. Durch die einfache, gleichmäßige Struktur können einzelne Zimmer als „Schaltzimmer“ unkompliziert jeweils zwei Wohnungen zugeschaltet werden.

Einfachheit und Detail
Die Geometrie und Konstruktion der Gebäude sind im Sinne eines nachhaltigen Bauens vor allem nach den Grundsätzen des einfachen Bauens konzipiert. Die kompakten, selbstverständlich und bekannt erscheinenden Gebäudevolumen erhalten Ihre Spezifik und Wiedererkennbarkeit durch einzelne besondere Details und sorgfältig gewählte Materialien. So entstehen zum Beispiel wiedererkennbare, prägnante Eingangssituationen und Bezüge zur Umgebung. Im großen Maßstab trägt die wiedererkennbare von den Referenzen der Umgebung inspierierte Form des Ensembles zur Entstehung eines guten Quartiers bei, im kleinen Maßstab wird das Ensemble auf den zweiten Blick als eigenständiger Baustein im Quartier identifizierbar.

Garten und Quartier
Die Freianlagen des Quartiers gliedern sich in drei Teilbereiche, die einem Gradienten an Privatsphäre folgen: den grünen Rahmen, den Gartenhof und den Stiftspark.
Die Zone der Vorgärten bildet die äußere Schale und nimmt vorwiegend funktionale Aspekte, wie Retention und Entsorgung auf. In ihr liegen die mit Stauden bepflanzten Entwässerungsmulden zur Versickerung des Regenwassers, sowie die Zuwegungen zu den Gebäudeeingängen. Der starke Blütenanteil der Mischstaudenpflanzung, die durch raumprägende Strauchgruppen ergänzt wird trägt neben der Biodiversität auch zur Adressbildung bei.
Fahrradstellplätze für Besucher ergänzen das Angebot in der Tiefgarage. Sie liegen jeweils den Eingängen der Gebäude zugeordnet im äußeren Rand. Ein Unterflursystem für den Müll befindet sich in Nähe der Tiefgaragenzufahrt im Norden des Quartiers in unmittelbarer Nähe zum öffentlichen Straßenraum.
Der Gartenhof wird über zwei barrierefreie Zugänge im Westen und Süden fußläufig erschlossen. Hier zeigt sich ein eher privates und introvertiertes Bild. Der stark durchgrünte Garten bietet viel Raum für private Außenflächen und Terrassen, die über ein Strauchband leicht separiert über Trittplatten an die Gemeinschaftsflächen angeschlossen sind. Hier liegt auch der, in ein Blütenmeer gebettete Nachbarschaftstreff für gemeinsame Grillabende unter den schattenspendenden Bäumen. Die berankten Balkone der Westfassade erweitern den Garten auch in der Vertikalen und schaffen ein angenehmes Kleinklima. Die Freiflächen befinden sich zum Teil auf der Tiefgaragendecke.
Durch eine Gartenmauer im Süden gelangt man in den kleinen Stiftspark mit seinen mächtigen Bestandbäumen. Die Bäume werden zur besseren Wirkung freigestellt und von einer Blühwiese umspült. Im Übergang zu den Gebäuden liegen Sitzbereiche, die Aufenthalt in der Mittags- und Abendsonne ermöglichen. Die öffentliche Durchwegung erfolgt mittels eines Grand Weges entlang der baulichen Fassung des kleinen Parks und ist im Osten ebenfalls Bestandteil einer Feuerwehraufstellfläche. Außerdem befinden sich am südlichen Rand drei Carsharing Stellplätze, die von der in Nord-Südrichtung verlaufenden Achse gut einsehbar sind.
Die Entwässerung gliedert sich in zwei miteinander verbundene Systeme. Während der Innenhofbereich in eine Zisterne entwässert, die in die umlaufenden Mulden überläuft, entwässern die äußeren Dächer direkt in die angrenzenden Mulden. In der Nähe der Straße liegt der gedrosselte Überlauf in das städtische Netz.

Nachhaltigkeit
Kompaktheit / Materialien
Das Gebäude ist im Sinne des einfachen Bauens als kompakter, geometrisch einfacher Baukörper, mit einem günstigen A/V-Verhältnis, einer effektiven Erschließung und unkomplizierten konstruktiven Details geplant. In allen Bereichen des Gebäudes kommen robuste, langlebige Materialien zum Einsatz. Es ist sowohl als Holzmassivbau mit einer robusten, dem Wetter angemessenen Klinkerfassade als auch als Gebäude in konventioneller Bauweise realisierbar. Wo möglich werden Co2 neutrale Materialien und Sekundärmaterialien verwendet, die wenigen eingesetzten Primärmaterialien zeichnen sich durch gute Rezyklierbarkeit aus. Die Fassade des Ensembles erhält - gemäß der Vorgabe des Bebauungsplans - eine Hülle aus Klinker aus regionaler Produktion und mit hohem Anteil an Recyclat. Alle nichttragende Wände werden in Holzständerbauweise mit Lehmbauplatten vorgesehen. Die Hoffassade ist zum größten Teil als leichte Holzkonstruktion geplant, die Balkone werden als einfach rückbaubare Stahlkonstruktion vorgesehen. Die Fenster sind als Holzfenster geplant. Sämtliche Bauteile sind in hoher energetischer Qualität dem angestrebten energetischen Standard entsprechend ausgebildet.

Solare Gewinne / Erdwärme
Die Zonierung der Aufenthaltsräume und dienenden Räume ist nach Himmelsrichtung und Grad der Öffentlichkeit gewählt. Um die Übertemperaturhäufigkeit im Sommer zusätzlich zu reduzieren und ein Aufheizen zu verhindern, sind süd-/west- und ostorientierte Fenster mit hoher Wärmelast in der Regel in angemessener Größe dimensioniert (maximal 40 Prozent der jeweiligen Raum-/ Nutzfläche) oder durch auskragende Balkone und eine im Sommer davorliegende Grünschicht verschattet. So sorgen die Fenster für passive solare Gewinne im Winter bei gleichzeitig nicht allzu hohen Wärmelasten im Sommer. Alle Dachflächen werden mit Photovoltaik-Ziegeln belegt. Die Spitzböden dienen als Klimapuffer.
Die benötigte Wärme für Raumwärme und Warmwasser wird mittels Wärmepumpentechnik erzeugt. Die Wärmeübergabe in den Räumen geschieht durch Fußbodenheizung. Zur Belüftung der Räume kommt eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung zum Einsatz. Die Tiefgarage wird natürlich belüftet über die Tiefgaragenabfahrt und Lüftungsöffnungen (nach Lüftungsplanung). Durch die ausreichend dimensionierten Fenster ist eine hohe Tageslichtversorgung vorhanden, sodass der Kunstlichtbedarf reduziert werden kann.

Resilienz / Soziale Nachhaltigkeit
Das Gebäudeensemble beinhaltet eine große Vielfalt an Wohnungstyplogien für unterschiedlichste Lebensformen. Der Zuschnitt der Wohnungen und Zimmer ist im Hinblick auf eine größtmögliche Flexibilität in der Nutzung konzipiert. Ähnlich große Individualräume, zuschaltbare Zimmer und eine leichte Konstruktion der Innenwände ermöglichen eine unaufwändige Anpassung an sich wandelnde Ansprüche an das Wohnen und Arbeiten.
Das Gebäudeensemble erinnert in Struktur und Detail an historische Stiftsarchitektur, wirkt vertraut und lädt so ganz selbstverständlich zu Nutzung und Aneignung ein. Der Hof, um den sich das Ensemble gruppiert, vermittelt Geborgenheit und lädt zu Gemeinschaft ein. Gleichzeitig ist Rückzug in privaten Freibereichen möglich, die sich um den Hof herum anordnen. Über jedes der drei Treppenhäuser werden Wohnungen unterschiedlichster Größe erschlossen, so dass sich eine sehr diverse, vielfältige Hausgemeinschaft ergeben kann.

Beurteilung durch das Preisgericht

Unter dem Motto ‘zwei Gebäude, eine Mauer, ein Hof’ formulieren die Verfasser:innen eine sehr klare Grundkonzeption für das Baufeld II. Die übergeordnete Gliederung in ein auf sich bezogenes, geschlossenes Ensemble und einen öffentlichen grünen Platz erscheint stringent und nachvollziehbar. Das Gebäudeensemble bindet dabei unterschiedliche Baukörper und Typologien ein, die über einen Gartenhof als zentralen Freiraum selbstverständlich verknüpft werden.
Ein gut proportionierter U-förmiger Baukörper entlang der Anna-von-Borries-Straße bildet eine klare Kante zum östlichen Stadtraum aus und knüpft gleichzeitig in seiner plastischen Ausgestaltung in ruhiger und zurückhaltender Weise an die historische Stiftsarchitektur an.
Erschließung und Grundrissgestaltung des Gebäudes überzeugen in ihrer Kompaktheit und Klarheit. So gelingt beispielsweise eine Reduktion auf nur drei Erschließungskerne, es entstehen vielfältige Hausgemeinschaften und durch Individualräume ähnlicher Größe wird eine hohe Flexibilität und Anpassbarkeit an sich wandelnde Lebenskonzepte ermöglicht. Größere Wohnräume werden zum Hof hin orientiert und eine begrünte Balkonschicht vermittelt zu diesem gemeinschaftlich genutzten Gartenraum.
Die Gestaltung der Freiflächen ist angemessen und kohärent zum architektonischen Konzept. Funktionen und Nutzungen sowie die Abstufung von Öffentlich zu Privat erscheinen richtig gewählt. Insbesondere der ‘Gartenhof’ bietet durch seine Bepflanzung unterschiedliche atmosphärische Qualitäten und ist als Freiraum für die Hausgemeinschaft gut vorstellbar.
Kritisch diskutiert wird der Einsatz der Lofthäuser. Ihre Angemessenheit im städtebaulichen Kontextund ihre raumbildende Wirkung entlang der westlichen Baufeldkante sowie zum südlich angrenzenden Quartiersplatz werden in Frage gestellt. Eine größere Einheitlichkeit der Baukörper wäre wünschenswert. Die Verwendung des Satteldaches anstelle des Pultdaches sollte daher geprüft werden.
Problematisch sind ebenfalls die Überschreitung der Abstandsflächen im nördlichen Bereich sowie das fehlerhafte Entfluchtungskonzept. Die Entfluchtung in der Anna-von-Börries-Straße kann nicht wie dargestellt erfolgen.
Insgesamt stellt die Arbeit einen qualitätsvollen Beitrag im Verfahren dar.
Grünes Viertel Stephansstift, Lageplan 1:200

Grünes Viertel Stephansstift, Lageplan 1:200

Visualisierung Baufeld 2

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