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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2023

Interimsstandort Württembergische Staatstheater Stuttgart / Maker City Stuttgart

2. Preis

Preisgeld: 80.000 EUR

heinlewischer

Architektur

Mayer-Vorfelder und Dinkelacker

Tragwerksplanung

Müller-BBM Building Solutions GmbH

Bauphysik

Filippo Bolognese Images

Visualisierung

Erläuterungstext

Übergeordnete Leitidee / Ziel der Wettbewerbsaufgabe
Der Neubau für die Interimsspielstätte soll sich offen, einladend und selbstbewusst darstellen und den Anspruch eines international anerkannten Opernhauses repräsentieren. Der Hauptbaukörper soll leicht, transparent und temporär wirken und sich mit dem städtischen Raum verbinden. Der Innenraum wird zum Außenraum und verschmilzt mit dem umliegenden städtischen Raum. Gleichzeitig ist es den Besuchern möglich, das urbane Leben der Stadt von der Spielstätte aus zu beobachten.

Die prägnante Wirkung des Gebäudes wird durch drei hintereinander liegende Schichten erzeugt: Der geschlossene Kubus des Zuschauerraums wird von einer Zwischenzone mit Galerien und Erschließungsebenen umgeben. Vor der eigentlichen thermischen Hülle wird das Stahltragwerk freigestellt. An diesem sind Vorhänge befestigt, die für den sommerlichen Sonnenschutz sorgen. Damit wird das Gebäude selbst zum Bühnenraum und so zu einem besonderen Erlebnis für Besucherinnen und Besucher. In diese Zwischenzone sind auch die bestehenden Bäume integriert, was zum fließenden Übergang zwischen innen und außen beträgt.

Wechselnde Projektionen mit LED-Technik, hinterleuchtete Bilder und Typografien mit Inhalten des aktuellen Spielplans, transportieren das eigentlich nicht Sichtbare aus dem geschlossenen Zuschauerraum nach außen, und stellen die Vielfalt der Produktionen der Württembergischen Staatstheater dar.

Das wechselnde Erscheinungsbild unterstreicht das Vorübergehende und Interimistische. Die warme und leichte Atmosphäre des Innenraums, gepaart mit der Transparenz und Leichtigkeit des Entwurfs, machen das Gebäude zu einem einladenden und ansprechenden Ort für Besucher und Künstler gleichermaßen. Es vermittelt Unbeschwertheit und verleiht dem Gebäude seine spezielle Atmosphäre.

Der modulare Aufbau des Entwurfs, die Konstruktionsart sowie die Verwendung von nachhaltigen Materialien spiegeln die Innovationsmöglichkeiten gegenwärtigen Bauens wider. Auf diese Weise können nicht mehr benötigte Gebäudeteile nach dem Nutzungsende als Spielstätte einfach zurück gebaut und weiterverwendet werden.

Städtebauliche Einbindung
Der Neubau der Interimsspielstätte wird als städtebaulich prägnanter Baustein entwickelt und formuliert zusammen mit den östlich angrenzenden Gebäudeteilen B2 und B3, eine klare Adresse.

Der südlich entstehende Freiraum bildet mit dem angrenzenden Kulturboulevard der Wagenhallen das Entree der neuen Spielstätte. Hier entstehen neue Begegnungsmöglichkeiten und Synergien zwischen den unterschiedlichen kulturellen Nutzungen. Die großzügige Freifläche erlaubt eine gleichwertige Inszenierung der Interimsspielstätte und der Wagenhallen, ohne diese in Konkurrenz treten zu lassen.

Die Anlieferung sowie die Ver-und Entsorgung erfolgt über den nordöstlichen, rückwärtigen Bereich der Spielstätte, so dass Überschneidungen mit Wegen von Besuchern und Mitarbeitern vermieden werden.

Der späteren Nutzung nach der Interimszeit, wird Rechnung getragen, indem die Baufelder maximal genutzt werden und bereits bei der jetzigen Planung auf zukünftige Belange und Flexibilität Rücksicht genommen wird.

Die Anordnung der Baukörper folgt dabei den Vorgaben des Bebauungsplans. Gebäude auf den beiden nordwestlichen Baufeldern B3 und B2 können nach der Interimsnutzung mit nur geringen baulichen Änderung anderweitig genutzt werden. Hier werden auch schon jetzt in den Obergeschossen Wohnungen vorgesehen. Auf dem Baufeld B1 entsteht die eigentliche Spielstätte. Hier lassen sich die Hinterbühnenbereiche nach der Interimsnutzung weiterverwenden. Lediglich die sich nicht für eine Nachnutzung eignenden Baukörper wie Zuschauerraum, Foyer und Bühnenturm werden modular rückgebaut. Geschossebenen werden im Luftraum der Bühne eingezogen, die Öffnung der Guckkastenbühne erhält eine neue Fassade und die Hinterbühne wird zu einem Innenhof, so dass auch hier große Teile des Gebäudes der späteren Nutzung der „Maker City“ zugeführt werden können und die Vorgaben des Bebauungsplans für die spätere Nutzung eingehalten werde können.

Während der Nutzung als Spielstätte sind alle Gebäudeteile über eine Magistrale miteinander verbunden. Diese Magistrale ist der zentrale Ort der Begegnung und der kurzen Wege. Sie bietet den Nutzern der Spielstätte eine schnelle und bequeme Verbindung zwischen den verschiedenen Gebäuden und Räumlichkeiten und verbindet den Bühnenbereich mit sämtlichen anderen Nutzungen. Die Magistrale öffnet sich nicht nur zu den Innenhöfen der Gebäude, sondern auch nach außen. Die Gestaltung der Magistrale als zentraler Ort der Begegnung bietet Nutzern hohe Aufenthalts- und Arbeitsplatzqualitäten. Gleichzeitig werden Funktionen im Äußeren ablesbar und erlebbar.

Die begrünten Fassaden in der Aurazone und die begrünten Dachterrassen erhöhen die Aufenthaltsqualitäten und bieten Platz für Flora und Fauna. Insektenhotels und Nistplätze auf dem Dach unterstützen die Biodiversität und das Mikroklima im städtischen Raum und schützen das Gebäude vor Überhitzung.

Baukörper – Nutzungen
Im Baufeld B1 sind sämtliche bühnennahen Nutzungen untergebracht. Das Erdgeschoss des zentralen Baufelds B2 kann von LKWs befahren werden und dient als Ver- und Entsorgungsstützpunkt. Im Erdgeschoss des Baufelds B3 befinden sich überwiegend Werkstätten, die sich mit großen Toren zum Außenraum öffnen lassen, diese teilweise mitnutzen können und neben dem repräsentativeren Hauptbaukörper der Spielstätte das atelierhafte Umfeld prägen.

Alle Nutzungen der Obergeschosse werden durch die durchlaufende Magistrale verbunden. Hier befinden sich die Proben- und Übungsräume sowie die Garderoben der verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen.

In den Obergeschossen der Baufelder B2 und B3 werden Wohnungen unterschiedlichen Zuschnitts angeboten, die sich begrünte Dachterrassenflächen entlang von Laubengangerschließungen teilen und so eine eigene Welt über dem eigentlichen Theaterbetrieb bilden.

Alle Baufelder im Bereich sind unter den nachnutzbaren Flächen unterkellert. Im Baufeld B1 befinden sich hier die Unterbühne und der Orchestergraben mit direkter Anbindung an die die Orchester-Stimmzimmer in B2. Im Baufeld B3 wird im Untergeschoss die geforderte Tiefagarage vorgesehen. Technikzentralen sind so konzipiert, dass sie bei einer Nachnutzung unverändert bleiben.

Fassaden / Material / Akustik
Die regelhaft aufgebaute Fassade ist im Passivhausstandard als elementierte Holz-Aluminium-Konstruktion mit 3-fach Verglasung vorgesehen, geschlossene Elemente werden mit einer Holzrahmenbauweise geplant. Im Innenraum dominiert die sichtbare Holzkonstruktion, die für eine warme und angenehme Atmosphäre sorgt.

Der eigentliche Zuschauerraum ist als Raum im Raum mit einer getrennten Innen- und Außenschale geplant, wodurch trotz der Leitbauweise eine gute Abschirmung gegen Außenlärm erreicht wird. Durch eine geplante zweischichtige Holzschale kann eine gute Innenraumakustik durch gezielte Anordnung von Schallsegeln und Absorberflächen an den Saalwänden und damit eine ausgewogene Bedämpfung von tief,- und hochfrequenten Bereichen erreicht werden.

Baukonstruktion
Für das Tragwerk des geplanten Neubaus ist eine Kombination aus Stahl-/Holzkonstruktionen und einzelnen wenigen Betonbauteilen vorgesehen. Im Sinne der Nachhaltigkeit und dem „Cradle to Cradle“ - Gedanken werden keine Verbundkonstruktionen eingesetzt. Stahl-, Holz- und Betonbauteile können so bei Bedarf getrennt voneinander zurückgebaut, recycelt und wieder verwendet werden. Zur Minimierung der CO2 - Intensität des Betons, der für aussteifende Kerne, den Bühnenturm, die Nebenbühnen und für Bodenplatten etc. eingesetzt wird, kommt RC-Beton zum Einsatz. Die Stahlbauteile werden ebenfalls aus Recyclingstahl hergestellt. Darüber hinaus sollen für untergeordnete Stahlbauteile Elemente aus rückgebauten/abgebrochenen Bauwerken wiederverwendet werden.

Die Gebäude sind in einem Grundraster von 7,50 m x 7,50 m aufgebaut. Innerhalb dieses Rasters wird das Tragwerk in den Regelbereichen modular aufgebaut. Dabei besteht ein Grundmodul aus Stahl- oder Holzstützen in den Rasterpunkten, die über Stahl-/Holzriegel am Stützenkopf miteinander verbunden sind. Das Deckenelement wird durch Brettstapel-/Brettsperrholzdecken oder durch Holzbalkendecken mit Beplankungen gebildet. Durch den modularen Aufbau sind flexible Gebäudeanpassungen möglich.

Die stützenfreien Sonderbereiche mit großen Spannweiten, wie zum Beispiel der Saal, der Bühnenturm und die Nebenbühnen im Gebäude B3 oder die Probesäle im Gebäude B1 werden durch Stahlfachwerkträger überspannt, die sich auch zur Installation von Bühnen- und Lichttechnik eignen. Der Ausbau der Ränge und Saalwände ist in Holzbauweise vorgesehen.

Energie- und Technikkonzept
Bei der Planung der Interimsspielstätte für das neue Theater in Stuttgart wurde ein umfassendes Klimakonzept berücksichtigt, das auf erneuerbaren Energien und nachhaltigen Technologien basiert. Zur Energieversorgung des Gebäudes werden PV-Module auf dem Dach installiert. Zudem wird Geothermie genutzt, um das Gebäude zu kühlen und zu heizen. Wärmerückgewinnung in Kombination mit einem Niedertemperatur-Netz vervollständigt das Haustechnikkonzept. Zudem sorgen natürliche Nachtauskühlung und gesteuerte textile Behänge für ein angenehmes Klima im Inneren des Gebäudes.

Brandschutz
In der Spielstätte sind die gesetzlichen Vorschriften für Großbühnen berücksichtigt. Für den Brandschutz wird zudem die Verkaufsstättenrichtlinie herangezogen. Die Stahlkonstruktion als feuerverzinkte Konstruktion in Kombination mit einer flächendeckenden Sprinkleranlage, gewährt einen ausreichenden Brandschutz bei minimalem Materialeinsatz. Fluchtwege aus allen Bereichen des Zuschauerraums führen in die nach außen hin verorteten Fluchttreppenhäuser.

Die Gebäude B2 und B3 werden in Nutzungseinheiten mit 2 Fluchtwegen und notwendigen Treppenhäusern konzipiert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt zeigt eine klare städtebauliche Setzung, welche mit der Konzeption eines modularen Systems in unterschiedlicher Ausprägung agiert. Durch diesen Zugang werden speziell beim Interimsgebäude vielfältige Raumbeziehungen, sowie eine hohe Flexibilität an Nutzungsmöglichkeiten geschaffen.

Das Gebäude artikuliert sich durch mehrere Schichten, der des geschlossenen Kubus, der Zwischenzone sowie den Galerien mit den Erschließungsebenen. Es entstehen vertikal sowie horizontal differenzierte Blickbeziehungen und Raumsequenzen. Durch die gewählte Struktur wird eine offene, experimentelle Architektur erkennbar, die nicht ausschließlich die gegebene Funktionalität einer Spielstätte widerspiegelt und somit einen Kommunikationsraum für ein breites Publikum zulässt. Funktional werden durch eine Magistrale (Rückgrat) die drei Baukörper miteinander verbunden, hier sind alle wichtigen Erschließungen situiert. Über einen klar definierten Haupteingang wird das gut proportionierte Foyer, welches sich über drei Ebenen erstreckt, erschlossen. Ein Garderobenbereich ist nicht ausgewiesen. Der Zuschauerbereich, eine Haus-in-Haus-Konzeption, weist zu wenig Sitzplätze auf und wird wegen seines Zuschnittes bezogen auf Theatervorstellungen kritisch hinterfragt. Eine Hufeisenstruktur wäre anzudenken.

Die Höhe des Interimsgebäudes bezogen auf das Umfeld (Wagenhallen) wurde kontrovers diskutiert. Der Anlieferungsbereich ist weitgehend zu überarbeiten. Die eingesetzten Materialien von Stahl/Holz für die Interimsspielstätte sowie Holz für die beiden anderen Baukörper sind durchaus nachvollziehbar. Die Wohnungen sind funktional - vielfältige Wohnungstypologien mit hoher Wohnqualität werden angeboten.

Der Freiraum im Kontext zur Wagenhalle lässt flexible Nutzungen ohne bereits fix definierte Gestaltungen zu, wird aber durch einen hohen Materialeinsatz erkauft. Es entstehen somit fließende Übergänge zwischen Gebäude und Außenraum, welche durch den Nutzer zusätzlich bespielt werden können. Die vielfältigen, großzügigen Grünräume sowie diverse Atrien erhöhen die Wohnqualität.

Ein Projekt, welches sich durch einen hohen innovativen Zugang bezogen auf die geforderte Nutzungsvielfalt großes Potenzial verspricht.