modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb | 09/2023

Neugestaltung Waageplatz in Göttingen

Perspektive

Perspektive

2. Preis

Preisgeld: 6.500 EUR

GM013 Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

GRÜNE INSEL WAAGEPLATZ
Lebendiger und nachhaltiger Stadtraum


ZIEL
Die Entwicklung des Waageplatzes schafft ein Ensemble mit Robert-Gernhardt-Platz, Leinekanal und der Stockleffmühle, einen lebendigen Stadtraum. Nachhaltigkeit, ökologische Vielfalt aber auch soziales Miteinander in einem Freiraum für alle stehen im Mittelpunkt - es entsteht ein Ort der Begegnung, des nachbarschaftlichen Austauschs und der Kommunikation. Der Waageplatz entwickelt sich aus seiner momentanen Introvertiertheit hin zu einem identitätsstiftenden Platz am Wasser, der mit einer ruhigen, zurückhaltenden und dem Kontext entsprechenden Geste nach außen strahlt und zum grünen Herz der Innenstadt wird.

STADTRÄUMLICHE UND HISTORISCHE BEZÜGE
Der neue Stadtplatz ergänzt die steinerne Innenstadt um einen grünen und nachhaltigen Freiraum und vereint die historischen und stadträumlichen Bezüge des Ortes mit einer zukunftsorientierten Grundkonzeption. Durch den neuen Waageplatz wird das Ensemble mit dem Robert-Gernhardt-Platz und der Stockleffmühle gestärkt und gibt Schwung für eine Aktivierung der Mühle als Ankerpunkt in der Nachbarschaft. Die mögliche Öffnung des ehem. JVA Gebäudes am Eingang Stichstraße (Abriss Mauer) kann als Ensembleerweiterung und Übergang zum Platz der Synagoge integriert werden. Die neue Gestaltung öffnet sich zum Leinekanal als wichtigem Aspekt der mittelalterlichen Stadtgeschichte, der Platz wird zum Wasser gebracht. Der Waageplatz wird als Treffpunkt zwischen der Innenstadt mit Universitätsstandorten und dem Bahnhof herausgearbeitet. Die Nähe von Studierendenwohnen, zum Einkaufszentrum Carré, zu Büro- und Dienstleistungsstandorten, zu Fastfood-Restaurants und Diskotheken findet sich in vielfältigen Aufenthaltsmöglichkeiten wieder. Die sonst in der Innenstadt geringen Sitz- und Ruhemöglichkeiten werden am neuen Waageplatz durch die verbindende Sitzkante maximiert. Der Platz wirkt als übersichtlicher Verteiler der übergeordneten Bewegungen - ruhige Mitte und gute Orientierung. Der Denkmalschutz wird in allen Bereichen berücksichtigt. Die Fassade des repräsentativen Gebäudes der Staatsanwaltschaft prägt den Platz, der Nähe zum Gebäude der ehemalige JVA, zur Stockleffmühle und zum Mahnmal Synagoge wird mit einer zurückhaltenden Gestaltung Rechnung getragen. Die Reitstallbrücke wird durch eine vorgesetzte, begrünte Wand an der Furt inszeniert. Die Futtermauern des Kanals werden vollumfänglich erhalten und nur in den zwei Zugangsbereichen zum Balkon Kanalblick überbaut. Das historische Geländer wird erhalten und nur in den Zugangsbereichen des Balkons punktuell geöffnet. Der schwebende Balkon (oben) stellt ensemblebildend einen starken Bezug zur Mühle und der Wassertreppe (unten) am Robert-Gernhardt-Platz her.

GRÜNE INSEL am Leinekanal
Die bestehende Platzgestaltung ist introvertiert und nimmt wenig Bezug zum umgebenden Stadtraum. Dies wird umgedreht: Eine grüne Insel bildet die ruhige Mitte für ein lebendiges Außen. Die Insel hebt sich als Sitzkante zum Gebäude der Staatsanwaltschaft repräsentativ nach oben und senkt sich als zurückhaltende Geste mit einer seichten Rasenböschung zum Leinekanal ab. Diese Bewegung einer Waage nimmt Bezug auf die historische Platzbedeutung. Die Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten um die Insel werden maximiert, die Sitzkante im lichten Schatten wird Treffpunkt, Kommunikationsort, ein Ort des Sehens, Beobachtens und Gesehen-werdens, ein Ruheort für ein gutes Buch oder zum informellen Spielband. Die Insel bildet zwei Qualitäten aus: nach Innen einen Parkraum mit baumüberstandener Rasenfläche als Ruheort mit Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten und einem ökologisch wirksamen Wildwiesenbereich. Die umgebende Fläche wird als urbaner, multifunktionaler Platzraum entwickelt. Die Grüne Insel liegt auf einem Teppich aus wassergebundener Wegedecke – richtungslos & langsam -, zu den Rändern bildet sich ein Rahmen aus Natursteinplatten aus. Alle Bewegungsrichtungen werden aufgenommen und fließen um die Insel, Sitzbänke mit Arm- und Rückenlehne beschreiben die Terrasse zum Leinekanal. Ein ebenerdiges Wasserspiel bringt Kühle auf den Platz, Tischtennis und Boulespiel erzeugen Lebendigkeit und bieten Nutzungsmöglichkeiten für Jung und Alt. Pergolen mit Holzlamellen erzeugen zusätzlichen Schatten und werden in Kombination mit zugeordneten Sitzmöglichkeiten zum Treffpunkt mit Licht, WLAN, Tisch und Induktionslademöglichkeiten. Wasserspender werden vorgesehen. Spielgeräte mit wissenschaftlichem Bezug zum Wasser werden als zurückhaltende Einzelobjekte entlang der Kante Leinekanal vorgesehen. Bei Veranstaltungen können die Sitzbänke zur Seite gehoben werden, es entsteht eine große, zusammenhängende Fläche zwischen Grüner Insel und Leinekanal für Feste, Märkte und Events. Infrastruktur für Marktbeschickung kann integriert werden. Der Balkon Kanalblick bietet eine weitere Aufenthaltsqualität über dem Wasser und stärkt mit seinem Bezug zur gegenüber liegenden Wassertreppe das Platzensemble mit dem Robert-Gernhardzt-Platz. Die Furt wird in ihrer Breite und Befahrbarkeit erhalten. In der Furtmitte, zwischen den Fahrspuren, wird ein um 3 cm vertiefter Wasserlauf mit dem Austauschwasser des Wasserspiels der Platzfläche vorgesehen und zum zusätzlichen Spielangebot. Eine grüne Wand, der Reitstallbrücke vorgesetzt, begleitet die Furt nach unten, erhöht die Biodiversität und wirkt klimapositiv. Der Waageplatz wird zu einem Ort der freien Nutzung und entwickelt einen egalitären und verbindenden Charakter.

MÜHLENBRÜCKE
Als älteste Brücke über den Leinekanal stellt die Situation eine historische Besonderheit dar. Der Ursprüngliche Verlauf der Brücke wird aufgegriffen, an der Stockleffmühle kann entsprechend der zukünftiger Entwicklung des Gebäudes eine Terrassenaufweitung entstehen. Die Brücke hat eine unterschiedliche Fern- und Nahwirkung. Die zurückhaltende Stahlunterkonstruktion und das Geländer nehmen klar Bezug auf die nördlich gelegene neue Fußgängerbrücke. Es wird ein zurückhaltendes Ensemble mit Trauerweide und Stockleffmühle gebildet. Von Nah werden mit dem Hartholz-Bohlenbelag historische Bezüge als erster Leinekanal-Übergang hergestellt. Die Brückenkonstruktion wird für 6 t Pflegefahrzeuge ausgelegt.

NACHALTIGER FREIRAUM
Der Waageplatz wird erlebbar nachhaltig und klimaangepasst gestaltet. Er lebt von einer maximalen Entsiegelung bei gleichzeitiger innerstädtischer Nutzung. Der Platzraum wird zusammen mit der Wasserfläche des Leinekanals als Freiraumverbund, als blau-grüne Infrastruktur betrachtet. Die Grüne Insel wird mit den teils tieferliegenden Bereichen und der Wildwiese zur Wasserrückhaltung, -speicherung, -verdunstung und -versickerung genutzt. Die Fläche um die Grüne Insel wird in wassergebundener Wegedecke hergestellt und nimmt ebenfalls Regenwasser auf. Alle Bereiche werden von der Kanalisation abgekoppelt und wenn nicht oberirdisch in der Grünen Insel dann unterirdisch über Box- und Baum-Rigolen versickert. Überschüssiges Regenwasser wird in einer unterirdischen Zisterne zur Bewässerung der Grünflächen und der Baumstandorte verwendet. Die Verdunstung, das Wasserspiel und die Verschattung über die Gehölze und die Pergolen führen zu positiven klimatischen Effekten. Helle Oberflächen verstärken den Albedoeffekt und verringern die Rückstrahlwärme. Es entsteht ein „cool spot“ in der Innenstadt, die Grüne Insel als ökologisches Kleinod und wissenschaftliche Spielelemente stärken die Naturerfahrung. Ziel ist eine autarke Energieversorgung der Leuchten und ggf. auch des Wasserspiels über integrierte Solarpaneele. Auf das Fledermausvorkommen wird durch Mastleuchten mit begrenztem Lichtkegel und ausreichendem Abstand für dunkle Korridore Rücksicht genommen. Das Lichtspektrum und die Farbetemperatur werden angepasst. Animal aided design kann in der weiteren Ausarbeitung in allen Aspekten berücksichtigt werden. Ladestationen für Fahrräder und Pkw können vorgesehen werden.

GEHÖLZE
Verschiedene klimaresiliente Gehölze mit unterschiedlichen Charakteren erzeugen in Gruppen gepflanzt eine Lebendigkeit auf der Platzfläche. Baumrigolen nehmen Regenwasser auf und versorgen die Gehölze. Die raumbildende Trauerweide auf der Südseite des Platzes wird integriert, vor dem Amtsgericht werden schmalkronige, Baumarten vorgesehen um die Fassade sichtbar zu halten.

ERSCHLIESSUNG
Die Grüne Insel bildet eine ruhige Mitte und wird von der Bewegung in allen Richtungen umflossen. Die Orientierung ist klar gegeben, Fußgänger und Fahrradfahren können den Platz in alle Richtungen benutzen. Die Vorfahrt zum Gebäude der Staatsanwalt wird berücksichtigt, die privaten Kfz-Stellplätze vor dem Waageplatz 8 bleiben erhalten. Fahrradstellplätze werden an den Platzzugängen angeordnet.

MATERIAL
Die zu erwartende Nutzung des Platzes erfordert robuste Materialien welche aus dem Farb- und Formenkanonen der umgebenden Innenstadt übernommen werden. Das umlaufende Band der Platzfläche wird in grau-hellgrau changierenden Natursteinplatten ausgeführt. Die Platzfläche um die Grüne Insel wird in wassergebundener Wegedecke hergestellt. Die Einfassungen werden in Stahlband ausgeführt. Die umlaufende Sitzmauern um die Grüne Insel wird aus Granitblöcken vorgesehen. Die Möblierung ist gestalterisch zurückhaltend und kann dem vorhandenen System der Innenstadt angepasst werden. Sitz- und Ruhemöglichkeiten für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung werden berücksichtigt. Baumstandorte in befestigten Flächen erhalten eine ausreichend große, offene Rostabdeckung.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit überzeugt mit ihrer klaren Leitidee einer grünen amorphen Insel im Platzmittelpunkt und einer Platzausdehnung bis zur Oberen-Masch-Straße. Ankommende Wegebezüge werden geschickt aufgenommen und um die geschwungene Mitte gelenkt. Dies bezieht sich auch auf die ankommenden und querenden Radverkehre. Der Materialwechsel auf dem Platz wird hingegen kontrovers diskutiert.

Der angebotene Anteil an befestigter und unbefestigter Fläche mit einer hohen Anzahl an geplanten Baumneupflanzungen ist stimmig und wird den geforderten Ansprüchen und Funktionen gerecht. Sitzangebote, insbesondere die topografisch herausgebildete Sitzkante, Spiel- und Bewegungsflächen sowie ein bodenbündiges Wasserspiel lassen eine hohe abwechslungsreiche Freiraumqualität für unterschiedliche Nutzende erwarten. Die Anordnung der Nutzungsangebote in der grünen Mitte auf Rasen sowie als einzelne Stationen rund um die Großform können jedoch nicht komplett überzeugen. Auch wird die gewählte Formensprache in Bezug auf den historischen Gebäudebestand aus denkmalpflegerischer Sicht kritisch gesehen.

Der besondere Ort „Balkon“ wird wohlwollend und positiv diskutiert. Das Wasserspiel in der Pferdeschwemme sowie die Sonnenschirme sind hier als ergänzende Möglichkeit einzuordnen.

Insgesamt ist der vorliegende Entwurf eine schlüssige und überzeugende Arbeit, die einen hohen Grad an Flexibilität für die Nutzung verspricht und dem Ort eine robuste neue Grundstruktur verleihen kann.
Lageplan

Lageplan

Detail

Detail

Piktos

Piktos

Piktos

Piktos