Nichtoffener Wettbewerb | 10/2023
Neubau Archivgebäude für die Arolsen Archives in Bad Arolsen
©Sevan Demircian
Visualisierung Aussen
Anerkennung
Preisgeld: 12.000 EUR
Architektur
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Mitarbeitende:
Sara Czerwinska, Eun Suk Noh, Kilian Teckemeier, Mertcan Bal
fischer energie + tga consult Ingenieurgesellschaft mbH
TGA-Fachplanung
Furche Geiger Zimmermann Tragwerksplaner GmbH
Tragwerksplanung
Bauphysik, Nachhaltigkeitskonzept
Brandschutzplanung
Erläuterungstext
Ausgangspunkt unserer Entwurfsüberlegungen war es, der Erinnerung an die Opfer und Verbrechen des Nationalsozialismus – diesem so bedeutsamen immateriellen Gedenken – einen manifesten zeitlosen Ort zu schaffen, der es vermag sich selbst im Bewusstsein und der Erinnerung der Menschen zu verankern. Eine Architektur, die dem Erinnern dient – und gleichzeitig ihrer klaren Funktion als Archiv gerecht wird.
Der Neubau des Archivgebäudes der Arolsen Archives fügt sich als abstrakter monolithischer Baukörper in den städtebaulichen Kontext ein und stellt eine Verbindung her zwischen der lockeren Siedlungsbebauung und dem prägnanten Grünraum des von großen Bäumen geprägten Parks. Durch gezielt gesetzte Rücksprünge reagiert der Baukörper auf den schützenswerten prächtigen Baumbestand des Parks und seine bauliche Umgebung. Es entsteht ein maßvoll gegliederter, skulpturaler Baukörper, der mit seiner Gebäudehülle auch auf die Nutzung im Inneren verweist.
In seiner Dimensionierung vermittelt der Baukörper zwischen der kleinmaßstäblichen Einfamilienhausbebauung im Westen und den großmaßstäblichen Volumen des Hauptgebäudes der Arolsen Archives und der Klinik im Osten des Parks. Dabei werden die Höhen der umgebenden Bebauung aufgegriffen. Das geforderte große Volumen wird durch die prägenden Einflüsse der direkten Umgebung geformt. Gezielte Rücksprünge gliedern den Neubau und verzahnen ihn mit seiner heterogenen Umgebung. Es entwickelt sich ein organischer Übergang zwischen Park und Gebäude. In Richtung Straße hingegen sorgt der Neubau für eine definierte Raumkante, die mit einem Rücksprung auf das gegenüberliegende Gebäude reagiert.
Insbesondere der zum Teil über 200 Jahre alte prachtvolle Baumbestand des Parks prägt die unverwechselbare Formensprache des Neubaus. Konkave Rundungen betten das Volumen in die Parklandschaft ein und lassen spannende Außenräume entstehen. Das Gebäude wird dabei zum Mittler zwischen Grünraum und Kulturraum. Im Sinne der Nachhaltigkeit bleiben alle großen Bestandsbäume auf dem Grundstück, mit Ausnahme der kranken Eiche ¬Nr. 13323, erhalten. Zu den vom Gebäude gerahmten Bäumen wird ein Abstand von 1,5m zur Baumkrone eingehalten; die Bestandskellergrenze des Abbruchs wird nicht überschritten.
ARCHITEKTUR
Der Neubau zeigt sich als abstraktes, monolithisches Volumen mit gezielt gesetzten Ausschnitten und Rücksprüngen. Die Fassade aus wiederverwerteten rötlichen Ziegeln, nimmt Bezug auf die Ziegelbauten der unmittelbaren Umgebung und das Hauptgebäude der Arolsen Archives. Bei näherm Hinsehen offenbart die scheinbar schlichte Ziegelfassade durch ihr vielschichtiges Relief eine weitere Dimension und Lesart des Gebäudes.
Der Ziegel macht den Prozess des Archivierens im Inneren des Gebäudes nach außen hin ablesbar. Gleichzeitig findet er eine Analogie für das Individuelle, das in seiner Wiederholung und Ordnung zu einem großen symbolhaften Ganzen führt. Die Fassade greift dabei das repetitive Motiv der kleinsten Archivierungseinheit auf – des Kartons, der die Namenskarten enthält – und transformiert sie. Stein geworden findet sich der archivierende Karton als Ziegel in der Fassade wieder. Diese kann so als Symbol gelesen werden für die über 50 Millionen Einzelschicksale, die das Archiv dokumentiert, und wird gleichzeitig zur schützenden Schale für das fragile Denkmal aus Papier im Inneren des Gebäudes.
Zurückspringende und ausgelassene Ziegel versinnbildlichen den Prozess des Archivierens und Ordnens, des Herausnehmens, Ergänzens und Konservierens. Die Fassade wird zum sprechenden Bild für die Nutzung im Inneren.
Die geschlossene Hülle löst sich durch die zunehmenden Rücksprünge nach unten allmählich auf und wird zum Erdgeschoss hin immer geordneter und durchlässiger. So gibt sich die Fassade dort geschlossen, wo das Archiv es braucht, und öffnet sich im Erdgeschoss zur Welt. Die Fassadenstruktur verläuft von der Prozesshaftigkeit des Archivierens in den Obergeschossen, hin zum Geordneten und Repräsentativen auf der öffentlichen Ebene des Fußgängerniveaus.
Der sich wandelnde Sonnenstand macht eine weitere Symbolhaftigkeit der Fassade erfahrbar.
Die unterschiedlichen Nutzungen des Gebäudes sind klar voneinander getrennt. Die Archivräume erstrecken sich über beide Obergeschosse und das Untergeschoss, die somit als reine Archivebenen dienen. Im Erdgeschoss verorten sich die öffentlichen Nutzungen und Büros sowie die Technikzentrale. Die Erschließung der Archivflächen erfolgt vertikal über Aufzug und Treppe. Die ebenerdigen Büros und öffentlichen Nutzungen gliedern sich horizontal in drei Bereiche: Besucherbereich, Nebenräume und Mitarbeiterbereich.
Der Weg vom Hauptgebäude nimmt in seiner Breite die Dimensionen von Foyer und Veranstaltungsraum vorweg und sorgt so für einen nahtlosen Übergang von außen nach innen. Der ebenso breite Gebäuderücksprung des Erdgeschosses zieht den Besucher ins Gebäude und schafft einen überdachten Eingangsbereich. Für den Besucher definiert der Veranstaltungsraum Ende und Höhepunkt der öffentlichen Wegeführung zwischen den beiden Gebäuden. Umgeben von verglasten Regalen der Archivräume des 1.OG, vermittelt der multifunktionale Raum die Illusion im Inneren des eigentlichen Archivs angekommen zu sein. Die Materialität der rohen Betonwände und metallischen Regale unterstreicht diesen Eindruck. Die funktional notwendige Schwelle zwischen Archiv und Öffentlichkeit soll bewusst durch diese Transparenz zu den Archivflächen im überhöhten Bereich des Raumes aufgelöst werden.
Die Wegeführung im Gebäude ist klar getrennt in Mitarbeiter- und Besucherbereiche. Die interne Erschließungsachse zieht sich als durchgehender breiter Flur von Norden nach Süden durch das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes und dient den Mitarbeitern des Archivs als funktionale Verbindungsstraße zur Andienung der Archivflächen. Ein separater Mitarbeitereingang befindet sich im Norden, die Anlieferung im Süden.
Funktional erfolgt die Trennung zwischen Mitarbeiter- und Besucherbereich im Erdgeschoss über eine Mittelspange entlang der Erschließungsachse, die jeweils Nebenräume wie Toiletten, Abstellräume etc. beherbergt. Dem Aufenthaltsraum/“Teeküche“ kommt in der Mittelspange besondere Bedeutung zu. Als Schaltraum ist er sowohl für die Mitarbeiter als auch in Zusammenhang mit dem Multifunktionsraum nutzbar. Eine großzügige Öffnung erweitert den Raum in Richtung Park und inszeniert so den Blick auf die vom Gebäude gerahmte, besonders schützenswerte Linde. Hier entsteht ein atmosphärischer Außenraum, der auch zum Verweilen einlädt. Die beiden Faltwände des Aufenthaltsraumes ermöglichen es nach Bedarf die Trennung zwischen Straßenraum und Park im Gebäude aufzulösen. Im Flurbereich sorgen schließbare Türen für eine Aufrechterhaltung der Sicherheitsbereiche.
Beurteilung durch das Preisgericht
©Sevan Demircian
Visualisierung Aussen
©Boye und Bode
Lageplan
©Max Dudler
©Max Dudler / Boye und Bode
Grundriss EG
©Max Dudler
Grundrisse 1.UG; 1.OG; 2.OG
©Max Dudler
©Max Dudler
Schnitt Längs
©Max Dudler
Schnitt Quer
©Max Dudler
Fassadenschnitt
©Max Dudler
Ansicht Nord
©Max Dudler
Ansicht West - Strasse
©Max Dudler
Ansicht Ost - Park
©Sevan Dermician
Visualisierung Innen - Veranstaltungsraum
©Boye und Bode
Freiraumplanung Eingang
©Boye und Bode
Freiraumplanung Freisitz