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Parallele Mehrfachbeauftragung | 10/2023

Nachverdichtung in Holzbau am Beispiel des Neuen Stöckach in Stuttgart

Ansicht Stöckachstraße

Ansicht Stöckachstraße

1. Preis

haascookzemmrich STUDIO2050

Architektur

knp. bauphysik GmbH

Bauphysik

RUBNER Holding AG

sonstige Fachplanung

Transsolar Energietechnik GmbH

Energieplanung

C4 engineers GmbH

Tragwerksplanung

VIZE architectural rendering

Visualisierung

Erläuterungstext

LEITIDEE
Eine regional bestimmte Bauweise, die nutzt was es schon gibt und von der Natur nur leiht was sie noch braucht. Darauf bedacht alles wieder zurückzugeben, aber robust genug und schön um dauerhaft zu bleiben. - Der neue Stöckach`

Der Neue Stöckach wird beispielgebend für die Um- und Nachnutzung von Bestandsgebäuden werden. Der sorgfältige und bedachte Umgang mit unseren vorhandenen Ressourcen ist der Schlüssel zu einer Baukultur, welche mittels klug gefügter Bauwerke und regional ausdifferenzierter Materialien und Bauweisen zum Leitbild wird.
Unser Konzept basiert auf 3 Kriterien:
• Maximaler Bestandserhalt und Nutzung von Sekundärbaustoffen
• Innovationen die einfach reproduzierbar sind
• Dauerhaftigkeit durch passive Massnahmen und eine minimierte Haustechnik

BESTANDSERHALT
Die Tragkonstruktion des Bestands wird weitestgehend erhalten und lediglich im Erdgeschoss werden einzelne Decken zur Belichtung des Untergeschosses entfernt. Damit wird das Untergeschoss Teil der Nachverdichtungsstrategie und zusammen mit dem Erdgeschoss entsteht hier Raum für eine Bauteilbörse.
Eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft muss daran arbeiten, alle verfügbaren und recycelfähigen Sekundärrohstoffe der Verwendung im Bauen zuzuführen, um Primärrohstoffe zu ersetzen. In unmittelbarer Nachbarschaft des Neuen Stöckach werden einige Gebäude rückgebaut, so dass geradezu idealtypische Bedingungen bestehen, um Rohstoffe zu sichern, Materialpässe zu erstellen und Bauelemente wiederzuverwenden.
Unsere Umsetzungsstrategie sieht vor, zunächst alle verfügbaren Sekundärrohstoffe der Nachbarschaft auf deren Wiederverwertungspotential zu prüfen und nur im Zweifel durch Primärmaterialien zu ersetzen. Durch die Taxonomie ist eine Dynamik entstanden, die eine rasche Neujustierung von Abfall- und Produktrecht im Kreislaufwirtschaftsgesetz erwarten lässt, wodurch das Wiederverwenden vereinfacht wird.
Lediglich die Schrägdachkonstruktion wird rückgebaut, um ein vollwertiges Wohngeschoß zu ermöglichen. Die Decke über dem darunterliegenden vierten Obergeschoß kann im Bestand erhalten bleiben. Eine geringfügige Lasterhöhung (ca. 10%) ist erfahrungsgemäß durch die bauzeitliche Bestandskonstruktion aufnehmbar, so dass voraussichtlich keine nennenswerten Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich sein werden. Dies ist in der späteren Planung durch eine Bestandserkundung zu überprüfen.

INNOVATION
Um den Innovationswettbewerb neuer Bauweisen für Klimaneutralität und Ressourcenschonung nicht in einzelnen Leuchtturmprojekten versanden zu lassen muss sichergestellt werden, dass eine Innovation schnell von Allen angewendet werden kann. Innovative Lösungen, die in urheberrechtlich geschützte Systeme überführt sind und dann nur von einzelnen Firmen angeboten werden, bleiben zumeist in der Nische und bringen keinen nennenswerten Effekt in der Breite.
Unser Vorschlag einer Holz-Lehm-Decke orientiert sich daher an historischen Bauweisen von Holz-Stein-Decken (Meister’sche Decke, Bilgner Decke …). Die Innovation liegt nicht in der komplexen und neuartigen Bauweise, sondern der Kombination von bekannten Bauelementen in einem neuen Kontext. Eben keine „rocket science“. Vielmehr sollte jeder der über 4.500 Zimmermannsbetriebe in Baden-Württemberg (s. Karte) in der Lage und interessiert daran sein die Holzkonstruktion auch umzusetzen. Im Sinne des Klimawandels muss es das Ziel sein, dass alle Gebäude die in Holz sinnvoll umsetzbar sind auch Holzbauten werden. Dies wird aber nur gelingen wenn wir die lokal vorhandenen handwerkliche Ressourcen sinnvoll nutzen.

DAUERHAFTIGKEIT
Die Errichtung und Unterhaltung von Bauwerken sollte auf eine dauerhafte Nutzung ausgelegt sein. Klimaanpassungen, Kreislaufdenken und die Entwicklung des Bestandes mit dem Fokus auf dem Umbau müssen über das Bauwerk hinaus auf das Quartier, die Kommune und letztendlich auf ganz Deutschland übertragbar sein. Grundlage für durchdachte Gesamtkonzepte mit einem nachhaltigen Ressourcen- und Flächenmanagement ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Kontext. Der weit gehende Bestandserhalt des Gebäudes 10 sowie der Einsatz nachwachsender Rohstoffe bei den Baumaterialien und Dämmstoffen unterstützt diese Zielsetzung.

Beurteilung durch das Preisgericht

Leitidee/Umgang mit dem Bestand
Das übergeordnete Gestaltungskonzept und der Umgang mit dem Bestandsgebäude kann durch eine sehr hohe Qualität und Bearbeitungstiefe überzeugen und zeichnet sich insbesondere durch seine Robustheit aus.

Der Entwurf gibt mit der Ablesbarkeit von alter, bauzeitlicher und neuer, transformierter Gestaltung der Fassade eine nachvollziehbare und kluge Antwort auf die Frage des Verhältnisses von innerer Funktion und äußerer Erscheinung. Das Gebäude öffnet sich im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss zur Stöckachstraße über seine sichtbar belassene Bestandsfassade, gewährt Einblicke in die gewerblichen Nutzungen dahinter und betont diese zugleich als öffentliches Gesicht nach außen. Ausschnitte in den Geschossdecken schaffen Querbezüge zwischen dem Erdgeschoss und dem Untergeschoss sowie dem 1. Obergeschoss und erhöhen die Nutzungsqualität. Auf diese Weise wird das Untergeschoss für qualitative Nutzungen geöffnet. Die damit korrespondierende Gestaltung der Stöckachstraße schafft eine sehr gute Erdgeschoss-Zone mit funktionalen Angeboten für Gewerbeflächen und setzt Akzente. Die Gestaltung der Stöckachstraße ist für die Qualität der Erdgeschoss-Zone ein essenzieller Bestandteil, der durch die Landeshauptstadt Stuttgart realisiert werden müsste. Der Entwurf zeigt damit in eindrucksvoller Weise die Potentiale einer holistischen Planung, die öffentliche und private Interessen und Pflichten bedenkt.

Die Wohngeschosse in den oberen Geschossen werden durch eine neue gefärbte, vorgehängte Holzfassade mit vertikaler Lattung bekleidet und setzen sich damit gestalterisch klar und nachvollziehbar von den darunterliegenden gewerblichen Nutzungen ab. Die Farbgebung der Holzfassade überzeugt in der Diskussion noch nicht vollends, sie ist im Kontext des städtebaulichen Umfelds zu qualifizieren.

Ein vorgehängtes Gerüst, welches die Freisitze für die Wohnungen trägt, nimmt subtilen Bezug auf die Rasterung der ursprünglichen Bestandsfassade. Eine Fassadenbegrünung auf dem vorgehängten Gerüst wird als grundsätzlich möglich erachtet.

Die Gliederung der Fassade und des Baukörpers setzt selbstbewusst den Bestand, seine Transformation und den Neubau in Beziehung und überzeugt die Jury.

Wohnungsbau
Mit der Wohnungsaufteilung und den Laubengangerschließungen werden hochwertige Grundrisse angeboten, die der erwartbaren kostenintensiven Umsetzung entsprechende Qualitäten entgegensetzen. Die durchgesteckten Wohnungen werden in ihrer Möglichkeit zu Belichtung und natürlichen Belüftung positiv gewürdigt, die Ausrichtung der Schlafzimmer zu den Laubengängen wäre im Falle einer weiteren Bearbeitung auf die damit entstehenden Einschränkungen für den Alltag des Wohnens zu überprüfen. Die Freisitze auf dem vorgehängten Gerüst haben durch Ihre Anordnung das Potential trotz urbaner Dichte eine Intimität für die Nutzer:innen zu ermöglichen.

Innovationskraft
Das Projekt hat die Kraft in seiner Skalierbarkeit für das gesamte Areal des Neuen Stöckach sowie als Handreichung für Kommunen bei weiteren Bestandsumbauten richtungsgebend voranzuschreiten, geht über die Verwendung von Holzbau hinaus und öffnet glaubwürdig Türen für Themen wie ReUse und Urban Mining.

Der Anspruch der gestellten Aufgabe an die Eröffnung eines Experimentierraums zur Erforschung von Lösungen mit Modell- und Vorbildfunktion wurde in einer Tiefe bearbeitet, welche in hohem Maße hervorstechen konnte. Insbesondere die Weiterentwicklung und Berücksichtigung der Hinweise aus dem Workshop zur Überprüfung möglicher Hindernisse aufgrund noch nicht etablierter Techniken wurde durch eine umfassende Back-Up-Strategie glaubwürdig begegnet und konnte die Jury überzeugen. Die Verfassenden können so bei hoher Innovationskraft auch eine Umsetzbarkeit bei fehlender Genehmigungsfähigkeit gewährleisten.

Die Untersuchung und der Vorschlag zur Erprobung einer Holz-Lehm-Decke unter Berücksichtigung der Möglichkeiten von lokalen Zimmereibetrieben ist positiv hervorzuheben, wobei den Verfassenden der weitere Forschungsbedarf dieser Methodik durchaus bewusst ist. Die Anwendung insbesondere in der Aufstockung und des Neubaus wird jedoch kritisch hinterfragt und erscheint im Wohnungsbau nicht zwingend notwendig.

In der Summe zeigt der Entwurf eine herausragende städtebauliche und architektonische Antwort auf die vielfältigen Fragen der Aufgabenstellung. Die Verfassenden haben die Aufgabe ernst genommen und mit einem hervorragenden Umgang mit den Rahmenbedingungen eine Planung mit Innovationskraft geschaffen, die gleichzeitig ästhetisch, funktional und realisierbar ist.
Lageplan mit Entwurfsgedanke

Lageplan mit Entwurfsgedanke

Grundriss EG

Grundriss EG

Axonometrie

Axonometrie

Ansicht Stöckachstraße

Ansicht Stöckachstraße