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Offener Wettbewerb | 01/2024

Quartiersentwicklung MatthÀikirchhof Leipzig

2. Preis

Preisgeld: 18.000 EUR

FAM Architekten - Hartinger Koch Tran-Huu Part mbB

Stadtplanung / StÀdtebau

studio erde_office for anthropocene landscapes

Landschaftsarchitektur

ErlÀuterungstext

Grundidee des Entwurfs

Der Umgang mit dem Bestand wird mit der Auffassung eines nachhaltigen StĂ€dtebaus prĂ€zise geprĂŒft. Die Umnutzung und Weiterentwicklung von erhaltenswertem Bestand stehen dabei an oberster Stelle.

Neben untergeordneten KleinstgebÀuden erzÀhlt der Winkelbau von einer vergangenen Epoche der Stadt und hat stÀdtebaulich-geschichtlich ebenso seine Berechtigung wie Strukturen aus vergangenen Jahrhunderten. Zudem speichert der Bau in seiner enormen Masse soviel Energie, dass wir in der heutigen Zeit die Pflicht haben, das bestehende Potenzial auszuschöpfen.

FĂŒr das neue MatthĂ€ikirchhof-Areal schlagen wir folgende Schritte vor:

1 Der Winkelbau soll saniert und um eine sich selbsttragende und umlaufende Nutzschicht ergÀnzt werden. Im neuen Gewand wird dieser Stadtbaustein im Quartier reaktiviert.

2 Der solitĂ€re Archivneubau gliedert den Garten in zwei Bereiche – den Museumsgarten und das Forum der BĂ€ume. Als neuer Ankerpunkt zoniert dieser den MatthĂ€ihof.

3 Im Norden bildet sich eine kleinteilige Blockrandstruktur und formt die alte Töpfergasse und die Große Fleischergasse in ihren historischen Kanten neu.

Zusammen mit qualitativ begrĂŒnten und differenzierten AußenrĂ€umen entsteht somit eine eklektische Komposition, die den Anforderungen aus vergangener geschichtlicher und zukĂŒnftig nachhaltiger Verantwortung gerecht wird.

Nutzungsanordnung

Das Gesamtkonzept gliedert das Quartier klar und leicht ablesbar. Entsprechend der Grundidee und der FreirĂ€ume sind die Nutzungen angeordnet. In der Blockrandstruktur ĂŒber dem Kunst- und Kultursockel befindet sich innerstĂ€dtisches Wohnen. In den straßenstĂ€ndigen HĂ€usern zum öffentlichen Raum lassen sich klassische Wohnformen realisieren. Entlang der Werkstattgasse sollen darĂŒber hinaus neue Formen des Zusammenlebens erarbeitet und erprobt werden.

Nördlich und sĂŒdlich der Werkstattgasse befinden sich die sonstigen Nutzungen, vor allem das Netz an Werkschaffenden. Eine Kantine oder vereinzelt ein weiteres kulinarisches Angebot ist denkbar. Bildungsorte und Begegnungspunkte bespielen das Erdgeschoss, zwischen der Werkstattgasse und der Agora.

Das Erdgeschoss des offenen Hauses wird ebenerdig zu den angrenzenden öffentlichen RĂ€umen geöffnet. Luftige und großzĂŒgige RĂ€ume invertieren die jetzige abwehrende Haltung des Winkelbaus. Einfache großformatige Nutzungsbausteine gliedern das offene Erdgeschoss in „warme und kalte“ Zonen. Ein Plenum fĂŒr alle, eine Orangerie oder die Mensa sind Anziehungspunkte fĂŒr die Leipziger Bewohnerschaft und bilden ein innen- und außenrĂ€umliches Foyer fĂŒr die darĂŒber liegenden öffentlichen Nutzungen im Offenen Haus. Die sekundĂ€re Konstruktion bietet eine neue Ebene an Verbindungen. Außen liegende Treppen fördern Transparenz und Offenheit. Dachterrassen sind fĂŒr alle zugĂ€nglich.

Das Ensemble des Forums im QuartierssĂŒden öffnet sich differenziert der Stadt. ErgĂ€nzend zur runden Ecke und dem Saalbau befinden sich das neue Archiv und weitere BĂŒroflĂ€chen im SolitĂ€r.

Umgang mit dem Bestand und Nachhaltigkeit

In großen Teilen wird der Winkelbau erhalten, saniert und ergĂ€nzt. Um eine DurchlĂ€ssigkeit zu gewĂ€hrleisten, muss das Erdgeschoss mehrheitlich sowohl vertikal als auch horizontal geöffnet und eingeschossige Anlagen zurĂŒck gebaut werden.

Ein Grundprinzip besteht darin, das Areal zu durchgrĂŒnen und zu entsiegeln. GĂ€rten speichern Wasser und schaffen KĂŒhle. Urbane Orte ergĂ€nzen das innerstĂ€dtische Quartier.
Bis auf ausgewĂ€hlte DachterrassenflĂ€chen sind alle DachflĂ€chen als GrĂŒn- und EnergiedĂ€cher ausgebildet.

FreirÀume

Die neuen FreirĂ€ume des neuen MatthĂ€ikirchhofes entfalten sich als kuratierte Abfolge von privaten, halbprivaten, öffentlichen und stĂ€dtischen RĂ€umen. Diese multifunktionalen RĂ€ume fungieren als eine Art choreografierte Symphonie, die die Bewegungen der Nutzerinnen orchestriert und die Hauptachsen innerhalb des Quartiers betont. DarĂŒber hinaus integrieren sie sich in das Geflecht des stĂ€dtischen Freiraum- und GrĂŒn-Systems.

Folgende Prinzipien lenken das Projekt:
Freiraum als Prozess: Der diverse GebĂ€ude- und Freiraumbestand bildet den Ausgangspunkt fĂŒr eine strategische Herangehensweise in der Freiraumentwicklung durch prozessuale Eingriffe. Ein betreibergestĂŒtzter Entwicklungsprozess wird eingeleitet, um die Vielfalt der FreirĂ€ume schrittweise zu gestalten, Verbindungen zu den umliegenden StadtrĂ€umen zu schaffen und bestehende Situationen aufzuwerten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der konsequenten Entsiegelung des vorhandenen Bestands. Ein zirkulĂ€res Materialmanagement wird implementiert, welches sĂ€mtliches anfallendes Abbruchmaterial vor Ort sammelt und in den Kreislauf reintegriert.

Freiraumtypologien: Der Gestaltungsansatz entwickelt spezifische FreirĂ€ume fĂŒr die verschiedenen Raumstrukturen. Basierend auf dem vorhandenen Bestand und den neuen Nutzungsanforderungen entstehen hybride Freiraumstrukturen, die nicht nur multifunktional nutzbar sind, sondern auch durch diverse Akteurinnen und Akteure vielseitig aneignungsbar werden.

Regen-Wasser: Anfallende Regenwasser wird nicht nur konsequent vor Ort gesammelt, gehalten und lokal versickert, sondern dient auch als kreativer Impuls fĂŒr die atmosphĂ€rische Gestaltung der verschiedenen RĂ€ume. Durch die Betonung verschiedener WasserzustĂ€nde entsteht eine lebendige, natĂŒrliche Dynamik, die die FreirĂ€ume sinnlich belebt.

Ökologie und Vegetationsmotive: Das Projekt schlĂ€gt nicht nur eine breite Palette von Pflanzen vor, sondern erforscht auch experimentell Stadtvegetation. Dabei wird auf spontane und sukzessive Entwicklungen ebenso geachtet wie auf klimasensitive Anpassungen. Die Integration von KlimabĂ€umen und die Schaffung von intimen und dichten Nischen dienen nicht nur der atmosphĂ€risch-rĂ€umlichen Vielfalt, sondern auch der Bildung von Habitatstrukturen fĂŒr eine Vielzahl nicht-menschlicher Bewohner der Stadt. Insgesamt entsteht so eine ökologisch vielfĂ€ltige und nachhaltige Landschaft im urbanen Raum, die das Bewusstsein fĂŒr die natĂŒrlichen KreislĂ€ufe stĂ€rkt und die BiodiversitĂ€t fördert.

Freiraumtypologien:

Forum der BĂ€ume – der Prozess-Garten
Im Zentrum des Quartiers erstreckt sich der Hofraum zwischen Winkelbau und neuem ArchivgebĂ€ude. Die wie durch ein Raster aufgeteilte FlĂ€che wird zur Plattform fĂŒr ökologische Experimente und die Entwicklung einer dynamischen Sukzessionslandschaft. Die bestehende Asphaltdecke wird prozessual durch initiale Eingriffe entsiegelt, und Mosaike fĂŒr BiodiversitĂ€t und RĂ€ume fĂŒr GĂ€rtnern und Co-Produktion geschaffen. Der Prozessgarten fungiert dabei als Raum fĂŒr Austausch und Interpretation, in dem ökologische Nachhaltigkeit auf innovative Weise umgesetzt wird. Durch stĂ€ndige VerĂ€nderungen und AnpassungsfĂ€higkeit wird der Bereich zum Dialogzentrum zwischen alten und neuen Strukturen. Der Prozessgarten ist ein lebendiges Experimentierfeld, das die Balance zwischen Mensch und Stadtnatur erforscht.

BĂŒhne der Demokratie – Schnittstelle Fleischergasse
Das Quartier öffnet sich porös in den Stadtraum der Leipziger Altstadt und aktiviert an dieser wichtigen Schnittstelle das Erdgeschoss als lebendigen öffentlichen Raum. Die freigelegten TrĂ€ger des Winkelbaus bilden eine stĂ€dtische BĂŒhne fĂŒr kĂŒnstlerische Interventionen, die Licht und Klang nutzen. Diese „BĂŒhnenecke“ wird zur Leinwand fĂŒr KreativitĂ€t und lockt Besucher in die FreirĂ€ume des Quartiers. Im Übergang zum Hof entwickelt sich eine verspielte grĂŒnen Topografie unter der bestehenden Struktur, die als BewegungsflĂ€che, Spielplatz und Erholungsbereich fungiert. Die Einbeziehung einer kleinen Bar belebt den Raum und macht ihn zu einem zentralen Anziehungspunkt fĂŒr Menschen.

Museumsgarten
Auf der gegenĂŒberliegenden Seite des Archivs entfaltet sich ein privater Garten in einem ganz eigenen Rhythmus. Unter Verwendung kleiner topografischer Inseln, die aus dem Schutt der Öffnungen und Einschnitte des BestandsgebĂ€udes geschaffen wurden, formt der Garten intime Bereiche durch sanfte Wege und kĂŒhlende Vegetation sowie Wasserelemente.

Die ObstbĂ€ume, die diese Inseln zieren, werfen nicht nur kĂŒhlenden Schatten auf die Nutzer, sondern rufen auch eine Vielzahl von Vögeln und Insekten herbei, die den Raum mit einer polyphonen Symphonie von KlĂ€ngen erfĂŒllen. Diese ökologische Wechselwirkung verbessert nicht nur die sensorische Erfahrung, sondern bietet auch eine Lebensraum fĂŒr diese nicht-menschlichen Akteure und trĂ€gt zur BiodiversitĂ€t der stĂ€dtischen Landschaft bei.

Auenhof
Verborgen innerhalb der Grenzen des nördlichen GebÀudekomplexes entwickelt sich ein wilder Garten als Verweis auf die geologische und landschaftliche Vergangenheit des Quartiers und von Leipzig als Auenwald. Der Hof fungiert als Fenster zur geologischen Vergangenheit des Raumes und schafft gleichzeitig einen intimeren Raum im Wohnhof.
Ein leicht erhöhter Steg verbindet die verschiedenen Bereiche rund um einen wilden tiefer gelegten Senkhof. Der versunkene Garten ermöglicht es dem Betrachter, die Vegetation aus einer anderen Perspektive zu betrachten und gleichzeitig wird hier anfallendes Regenwasser von allen Dach- und OberflÀchen gesammelt und lokal versickert.

Werkgasse
Die Werkgasse erweitert das Altstadt-Passagen-System durch Baumpakete aus KlimabĂ€umen. Vor den GebĂ€uden dienen frei bespielbare Zonen als Interaktionsbereiche und FreiluftwerkstĂ€tten fĂŒr Ateliers und Betriebe im Sockelgeschoss. HĂ€ngende Vegetation schafft nicht nur ein luftiges Dach, sondern bereichert auch das Ambiente der Gasse, die somit zu einem lebendigen Zentrum fĂŒr Begegnungen und kreatives Handwerk wird.

Park-Band: Park-Balkon und Werk-Balkon
Der Park-Balkon folgt elegant der Hauptachse des Parks und verbindet geschickt die offenen RĂ€ume mit dem historischen Promenadenring durch die Setzung von zwei kompakten Baumhainen. Der Balkon bieten Panoramablicke auf die Stadt und wird durch informelle Sitzgelegenheiten zu einem zentralen Treffpunkt und BĂŒhne im stĂ€dtischen Kontext.

Der Werk-Balkon dagegen ist dynamisch und vielseitig, stĂ€ndig im Wandel, um den AktivitĂ€ten der benachbarten Ateliers gerecht zu werden. Er fungiert als BĂŒhne fĂŒr unterschiedliche Zwecke und verbindet den Richard Wagner Platz mit dem GelĂ€nde, fördert damit die Interaktion von Anwohnern, Handwerkern und Besucherinnen.

Freiraum in der Vertikalen: Dachlandschaften
Die verschiedenen DĂ€cher der Bestands- und Neubauten werden sowohl extensiv, als auch partiell intensiv als Dachlandschaften gestaltet. Sie fungieren damit als aktives WasserrĂŒckhaltungs- und Leitungssystem, das Regenwasser einfĂ€ngt, speichert und gezielt in die umliegenden GĂ€rten verteilt. Speziell das Dach des Winkelbaus entwickelt sich neuen multifunktional nutzbaren FreirĂ€umen in der Stadt und das Dach des Archiv-GebĂ€udes wird zu einem Habitat und Ort der BiodiversitĂ€t.

Mitarbeit: Mira Keipke

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Akzeptanz, Anerkennung der QualitĂ€ten und die PrĂŒfung des Umgangs mit den bestehenden baulichen Strukturen aus vergangenen Epochen, ist das Grundprinzip der stĂ€dtebaulichen Entscheidungen der Arbeit. So zeigt die Arbeit exemplarisch den Umgang mit dem historischen Bestand.

So wird der Winkelbau nahezu weitgehend erhalten und weiterverwendet. Nur ein Schenkel zum MatthĂ€ikirchhof wird gekĂŒrzt und damit die ZugĂ€nglichkeit der InnenflĂ€chen auf geeignete Weise ermöglicht. Zudem wird die bestehende GebĂ€udestruktur mit einem neu gestalteten Fassadenkleid versehen, was den GebĂ€uden einen modernen und offenen Ausdruck vermitteln soll. Die Idee, zwar die GebĂ€udestrukturen mit ihrer Erinnerung und der „Grauen Energie“ zu erhalten, gleichzeitig ihnen aber auch einen neuen, demokratischen Ausdruck zu verleihen, wird im Preisgericht kontrovers diskutiert. Zudem werden alle Nebenbauten entfernt und das Erdgeschoss sowohl vertikal, wie auch horizontal geöffnet, um die vielfĂ€ltigen öffentlichen Nutzungen fĂŒr die BĂŒrgerschaft entlang der entstehenden PlĂ€tze offen und transparent anzuordnen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die inklusive und barrierefreie Nutzung des gesamten GelĂ€ndes.

Der solitĂ€re Archivbau mit dem Forum platziert sich richtig im Zentrum zwischen Winkelbau und Runder Ecke und wird so zum zentralen Ort, der die Sichtbarkeit gemĂ€ĂŸ dem öffentlichen Auftrag dauerhaft gewĂ€hrleistet.

Proportion und Kubatur sind sowohl stĂ€dtebaulich, aber auch funktional sehr gut geeignet, die Nutzung aufzunehmen. Vom Bestand geschĂŒtzt entsteht die neue Nutzung und bildet kleinteilige Innenhöfe, die sich zum Aufenthalt, aber auch zur Versammlung gut eignen.

Als Übergang zum als Blockrand ausgebildeten Wohnungsbau entsteht eine Werkstattgasse, die den WĂŒnschen aus der BĂŒrgerbeteiligung entsprechend sonstige und handwerkliche Nutzungen ermöglicht und sich gut als Puffer zwischen dem Wohnen und der Öffentlichkeit eignet. Die Geschossigkeit der nördlichen Wohnbebauung und deren zu geringen AbstandsflĂ€chen bzw. der daraus resultierenden Verschattung sowie die Eckausbildung der zu tiefen Wohnungsgrundrisse bedĂŒrften einer Korrektur.

Die Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung des Areals werden mit dem vorgeschlagenen Entwurf sehr gut erfĂŒllt.