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Nichtoffener Wettbewerb | 03/2024

FreiflÀchengestaltung Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig

3. Preis

Preisgeld: 25.000 EUR

DÄRR LANDSCHAFTSARCHITEKTEN

Landschaftsarchitektur

ErlÀuterungstext

FreiflĂ€chengestaltung „Wilhelm-Leuschner-Platz“

menschen kommen zusammen bunt, spielend, lachend, fordernd; gestalten gemeinsam stadt, raum und klima unter ihrem grĂŒnen dach.

Der Wilhelm-Leuschner-Platz, der seit Jahrzehnten auf eine rĂ€umliche Fassung und eine angemessene Gestaltung wartet, soll wieder Teil des lebendigen Leipziger Stadtzentrums werden - mit Einzelhandel, innenstadtnahem Wohnen, BĂŒroflĂ€chen und Platz fĂŒr wissenschaftliche Institutionen.
Damit auch der Freiraum diesem Anspruch gerecht wird, ist ein zukunftsweisendes, nachhaltiges, klimaresilientes und ökologisches Konzept erforderlich, welches auf die BedĂŒrfnisse der NutzerInnengruppen reagiert und einen Ort der Begegnung, des Treffen, des Aufenthaltes, der Identifikation, der Teilhabe, und der MultifunktionalitĂ€t und Aneignung schafft.
Die Leitidee besteht darin eine zukunftsweisende Klimakomfortinsel fĂŒr das Quartier mit herausragender, ökologischer und gestalterischer QualitĂ€t zu schaffen. Im Kontext des aktuellen Zeitgeistes und mit Blick auf die Bunte Leipziger Stadtgesellschaft entstand die Idee sich ĂŒber Themen, wie die friedliche Revolution, das Zusammenkommen von Menschen unterschiedlicher NationalitĂ€t und LebensentwĂŒrfe mit einem gemeinsamen Ziel zum Vorbild zu nehmen und symbolisch in Baumstrukturen zu adaptieren.
Unterschiedliche Baumarten und Sorten begleiten die Bewegungslinien aller Himmelsrichtungen hin zum Wilhelm-Leuschner-Platz. Sie vereinen sich zu einer grĂŒnen Mitte, zu einer Stadtnatur mit biologischer Vielfalt die sich gegen die Folgen des Klimawandels, wie die Bildung von WĂ€rmeinseln stellt, kontrolliert mit Starkregenereignisse umgehen kann und eine gesunde WohlfĂŒhloase fĂŒr Mensch und Tier bildet.
Um diese starke DurchgrĂŒnung des Wilhelm-Leuschner-Platzes zu einem sozialrĂ€umlich nutzbaren Freiraum mit sozio-kultureller Vielfalt zu entwickeln, werden die BĂ€ume ĂŒber den gesamten Planungsraum gezogen, unabhĂ€ngig der darunterliegenden Vegetation bzw. Befestigung. Die BĂ€ume werden zu einem Baumdach aufgespannt. Von den RĂ€ndern bis zum Zentrum werden die BĂ€ume von außen nach innen steigend bis auf 6m aufgeastet und bilden so eine Baumhalle, welche befestigte FlĂ€chen und VegetationsflĂ€chen gleichermaßen ĂŒberspannt.
An die östliche GebĂ€udestruktur legt sich eine multifunktional nutzbare PlatzflĂ€che mit Wassernebel, Sitzstrukturen und einer, dem Naturkundemuseum vorgelagerten, Spielinsel. Dieser Raum erfĂŒllt die Anforderungen an die vielfĂ€ltige Gesellschaft und deren NutzungsansprĂŒche und bietet Platz fĂŒr jeden Menschen unabhĂ€ngig von Alter, Gender, soziokulturellem Hintergrund und individuellen AnsprĂŒchen an einen öffentlichen Freiraum. Gleichzeitig spannt sich das zukĂŒnftige Freiheits- und Einheitsdenkmal in einer angemessenen, flexiblen FlĂ€che ĂŒber alle Zonen (Typologien) der Platzgestaltung.
Die Hauptbewegungsrichtung Nord-SĂŒd wird durch eine raumbestimmende Fuge in einer Breite von zwei Metern mit westlich angelagerten Sitzstufen inszeniert. Diese Achse legt sich spannungsvoll ĂŒber die Platzmitte und transformiert die östliche PlatzflĂ€che zu einem westlich gelegenen, zusammenhĂ€ngenden GrĂŒnraum, bestehend aus RasenflĂ€chen, BlĂŒhwiesen, Gehölz- und Heckenstrukturen, die nicht nur der ökologischen Vernetzung mit benachbarten GrĂŒnstrukturen dient, sondern auch BĂŒrgerinnen und BĂŒrger zum Sitzen, Spielen und Beobachten einlĂ€dt. Die GrĂŒnstrukturen fallen von West nach Ost und eröffnen die Möglichkeit, das anfallende OberflĂ€chenwasser der PlatzflĂ€che zu sammeln und zu versickern. Zisternen fassen einen Teil des Regenwassers, welches fĂŒr die BewĂ€sserung genutzt wird. Diese Kombination von GrĂŒnflĂ€chen und RetentionsflĂ€chen, die Überlagerung von BiodiversitĂ€t und Regenwassermanagement zieht eine Multicodierung der FlĂ€chen zu Gunsten des Gesamtraumes nach sich. Drei Stege queren die geneigte Ebene in Ost-West-Richtung und ermöglichen so dezente Einblicke in einen ungestörten GrĂŒnraum.
Nördlich der Stadtbibliothek erstreckt sich eine MIV-Freihaltezone, welche lediglich von der Straßenbahn gequert wird. Dieser Platz mĂŒndet in einer multifunktionalen Skateranlage, welche sowohl der Bewegung dient, aber auch als VeranstaltungsflĂ€che/BĂŒhne genutzt werden kann.
Die sĂŒdlichen und nördlichen RĂ€nder der zusammenhĂ€ngenden GrĂŒnflĂ€che nehmen eine Vielzahl von FahrradstellplĂ€tzen auf. Diese dienen der VerknĂŒpfung von aktiver MobilitĂ€t mittels Rads und Roller mit Bus, S-Bahn und Tram. Der Wilhelm-Leuschner-Platz wird, so zu einem attraktiven und sicheren HUB fĂŒr alternative, bewegungsförderliche MobilitĂ€tsformen.

Detail und MaterialitÀt
Die Gestaltung wird maßgeblich durch den konsequenten Einsatz von hellen Natursteinen geprĂ€gt, um ein Kontinuum zur Innenstadt herzustellen. Um den Übergang zwischen GrĂŒnraum und PlatzflĂ€che gestalterisch zu verzahnen, werden zahlreiche Platten mit Rasenfugen durchzogen. Wichtige Fußwegeverbindungen sind davon ausgenommen, um eine barrierefreie Durchquerung zu gewĂ€hrleisten. Baumscheiben in den PlatzflĂ€chen werden so offenporig wie möglich gehalten und in Rasenfugen oder wassergebundener Decke in AbhĂ€ngigkeit vom Nutzungsgrad der FlĂ€che ausgebildet.

Vegetation und Ökologie
Der Wilhelm-Leuschner-Platz bringt neben Menschen auch zahlreiche ökologische und stadtklimatische Gesichtspunkte zusammen. Mit RĂŒcksicht auf die Schirmarten angeordnete BĂ€umen, Hecken, BlĂŒhstreifen und Sandlinsen lassen eine Vielzahl unterschiedlicher LebensrĂ€ume entstehen. Diese fĂŒhren zu einer Erhöhung der BiodiversitĂ€t. Positiv hierauf wirken zudem nutzungsberuhigte Bereiche, geschaffen durch die Kombination von BlĂŒhstreifen und Hecken.
UnterstĂŒtzt wird dieser Effekt durch eine differenzierte und anhand der NutzungsintensitĂ€t ausgerichtete Beleuchtung (beleuchtet/unbeleuchtet). Diese Vorgehensweise kommt nicht nur der Insektenfauna zugute, auch FledermĂ€use können bei kĂŒnstlichen Lichtquellen, ausgerichtet in Richtung Boden, ungestört ihre TransferflĂŒge durchfĂŒhren.
Neben der hohen Anzahl an LebensrĂ€umen fördert ein abgestimmtes Pflegekonzept die BiodiversitĂ€t auf der FlĂ€che. So erfolgt die Mahd der BlĂŒh- und RasenflĂ€chen Im Einklang mit Flora (BlĂŒhzeitpunkt) und Fauna (Lebenszyklen).
Neben der Schaffung vielfĂ€ltiger LebensrĂ€ume und dem wertvollen Beitrag zum Biotopverbund der Stadt Leipzig, tragen BĂ€ume, Hecken, BlĂŒhstreifen und RasenflĂ€chen zur KĂŒhlung der OberflĂ€chentemperatur auf der FlĂ€che bei. Die KĂŒhlung wird zum einen durch das Beschatten und zum anderen durch eine erhöhte Evapotranspiration auf der FlĂ€che erreicht.
Die Auswahl der BĂ€ume und StrĂ€ucher orientiert sich an der Liste der KlimabĂ€ume, welche lĂ€nger andauernde Trockenperioden, Starkregenereignisse und StĂŒrme trotzen und somit zukunftweisend fĂŒr den Stadtraum sind. Es mischen sich vorrangig heimische Arten mit besonders klimaresilienten Arten. So wird neben der Klimaresilienz eine möglichst hohe Artenvielfalt erreichen.

Regenwassermanagement
Sich gestalterisch in das Materialkonzept einfĂŒgende LinienentwĂ€sserungen prĂ€gen das Bild der PlatzflĂ€che. Sie fĂŒhren das anfallende Niederschlagswasser gezielt zu einem sich im Gestaltungsband befindlichen Sammler, der das Regenwasser gleichmĂ€ĂŸig an die angeschlossenen GrĂŒnflĂ€chen abgibt, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource „Wasser“ zu gewĂ€hrleisten. Gleichzeitig bilden die tieferliegenden GrĂŒnflĂ€chen Retentionsvolumen fĂŒr mögliche Starkregenereignisse. Dieser nachhaltige Entwurfsansatz spiegelt das Bestreben wider, eine erhöhte Resilienz gegenĂŒber den anstehenden klimatischen VerĂ€nderungen zu schaffen. Erreicht wird dies unter anderem durch die Minimierung von Versiegelung, einem hohen DurchgrĂŒnungsgrad und die Verwendung von hellen BelagsflĂ€chen.

Spielen und Feiern
Der multifunktionale Stadtplatz kann nicht nur als VeranstaltungsflĂ€che und Marktplatz genutzt werden, NebeldĂŒsen dienen als sommerliches Spielelement, ohne formell die Raumnutzung einzuschrĂ€nken. Ein dem Naturkundemuseum vorgelagertes Spielfossil lĂ€dt zum Klettern, Balancieren und Toben ein; eine SkaterflĂ€che macht die rollenden Fortbewegungen attraktiver.

Quartiersplatz
Die EingĂ€nge der Neubaustrukturen werden zu Treffpunkten und Empfangszonen. Sitzstrukturen und BĂ€ume nehmen NutzerInnen in Empfang. Die BrĂŒderstraße wird zur verkehrsberuhigten, grĂŒnen Achse fĂŒr Anwohner-, Liefer- und Busverkehr. Der Quartiersplatz zwischen Markthalle, Wohnen und Instituten wird zum „grĂŒnen“ Treffpunkt. Ein grĂŒner Senkgarten dient nicht nur der Retention, sondern löst sich bewusst vom umgebenden Bewegungsraum und wird zum kommunikativen, vielfĂ€ltig nutzbaren und wandlungsfĂ€higen Sozialraum fĂŒr unterschiedlichste Alltagssituationen.

Fazit
Zusammenfassend entsteht auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz ein grĂŒnes Dach, welches eine vielfĂ€ltige Stadtnatur und einen integrativen Freiraum fĂŒr eine diverse Gesellschaft beherbergt, welche neben der ökologischen auch die soziale LeistungsfĂ€higkeit des Freiraums wahrnimmt, stĂ€rkt und fördert. Ein lebendiger Freiraum, der ein großes Spektrum an Nutzungen in entspannter und grĂŒner AtmosphĂ€re intelligent ermöglicht.


Beurteilung durch das Preisgericht

Im Spannungsfeld der aktuellen Herausforderungen an StadtrĂ€ume zwischen Klima, BiodiversitĂ€t und Nutzungsanforderungen findet das Projekt eine ebenso ĂŒberraschende wie radikale Antwort.

Als ĂŒbergeordnetes rĂ€umliches GerĂŒst etabliert sich ein zentrales Feld aus ‚BĂ€umen und Menschen‘. Dieses nimmt bewusst keine RĂŒcksicht auf historische und zukĂŒnftige rĂ€umliche Belange, im Gegenteil wird eine neue Geschichte erzĂ€hlt. Die Kriterien dieses Feldes sind fĂŒr BĂ€ume und Menschen die Gleichen: es geht um Vielfalt und DiversitĂ€t. Diese Symbolik erscheint den Verfasser Innen zentral. Die BĂ€ume werden gegen Innen bis auf 6 m hochgeastet, was auf Augenhöhe eine rĂ€umliche KontinuitĂ€t gewĂ€hrleistet.

Die ĂŒbergeordnete rĂ€umliche Gleichbehandlung fĂŒhrt auf der Belagsebene nicht zu einem undifferenzierten Allerlei, sondern ermutigt die VerfasserInnen, fĂŒr Tier und Mensch krĂ€ftige in sich funktionierende Biotope anzubieten. In Analogie zu den BelĂ€gen in der Innenstadt etabliert sich Im Ostteil des Raumes eine hell beleuchtete multifunktional nutzbare durchgehende BelagsflĂ€che aus hellem Naturstein von betrĂ€chtlicher GrĂ¶ĂŸe. Der Platz nimmt alles Bewegungsströme auf, jedoch erscheint insbesondere die Ost- West Fahrradverbindung etwas schwach, die sowohl die Bewegungsströme in Nord SĂŒd als auch den BedĂŒrfnissen der Vorfelder der Neubauten Rechnung trĂ€gt. Der Spielplatz versteht sich als Intarsie in dieser FlĂ€che und schafft ĂŒber eine ‚Spielfossil’ einen witzigen Bezug zum Naturkundemuseum; ebenso versteht sich Dachwelle des Naturmuseums als integraler Teil des Platzes. Zu Recht wird auf den im Vergleich der Projekte hohen Versiegelungsgrad der FlĂ€che hingewiesen, was auch durch ein Wasserspiel mit NebeldĂŒsen nicht völlig kompensiert wird. Nichts desto trotz vertreten die VerfasserInnen dadurch eine mutige Haltung, die der urbanen Kraft des Ortes gerecht zu werden versucht.

DemgegenĂŒber entsteht auf der lauten Westseite eine leicht abgesenkte GrĂŒnflĂ€che im Dunklen mit Primat Natur. Diverse OberflĂ€che mit entsprechender Kraut- und Strauchschicht schaffen robuste Biotope, deren Chancen an diesem urbanen Ort intakt erscheinen. Hier stellen sich jedoch Fragen zur sozialen Kontrolle des Raumes. Zur Mitte hin transformiert sich die Krautschicht zur RasenflĂ€che, und lĂ€sst hier etwas mehr menschliche Einflussnahme zu. Ob der Rasen trotz Retentions- Leistung ganzjĂ€hrlich gut nutzbar ist, wird hinterfragt.

In der Platzmitte vermittelt ein gestuftes Belagsband zwischen Hart- und GrĂŒnflĂ€chen, dessen formale Ausgestaltung sich auch wieder eine eigenstĂ€ndige Haltung erlaubt. Die Geste der Stufen schafft willkommene AufenthaltsqualitĂ€t, erschwert jedoch den barrierefreien Zugang zu den RasenflĂ€chen. Der sĂŒdliche Auftakt des Bandes erschwert zudem den direkten Zugang zu Stadtbibliothek sowie den Einlenker in die Markthallenstraße.

Der Mobility- Huub befindet sich an Kreuzung Petersteinweg und Promenade etwas zu fern von den Zielorten, zudem beschrĂ€nkt sich sein Angebot nur auf FahrradstĂ€nder. Der Skateplatz sucht die NĂ€he zur Bibliothek und (gewollt oder nicht) zur westlich der Straße liegenden Polizei; ev. auch hier ein versteckter Hinweis auf möglichst hohe DiversitĂ€t.

Auffallend ist die formale RigiditĂ€t des EntwĂ€sserungssystems mit dazugehörigen Stegen ĂŒber die GrĂŒnflache in konsequenter Ost- West Richtung. Das anfallende Platzwasser wird so hangparallel gefasst und speist die GrĂŒnflĂ€chen. Diese prĂ€sente Geste wird zum recht dominanten Entwurfsmerkmal, was einerseits das aktuelle Thema des Wassermanagements gut adressiert, andererseits auch eine hohe Baulichkeit durch Stege, Rinnen, und Sitzstufen bedingt, was zusammen mit den grossen BelagsflĂ€chen kontrovers diskutiert wird. Auf jeden Fall ist es der selbstbewusst Versuche, Ökologie eine formale QualitĂ€t zu verschaffen.

Der Raum fĂŒr die kĂŒnstlerische Intervention erscheint robust und resilient gegenĂŒber möglichen VerĂ€nderungen und erstreckt sich ĂŒber die Platz- als auch ĂŒber einen Teil der GrĂŒnflĂ€che und zwingt so auch zur Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Themen, die der Entwurf setzt. Einen interessanten Seitenast eröffnet die Nordwestliche Positionierung ĂŒber die NĂ€he zum Forum Recht, home of the Grundgesetz.

Insgesamt weist der Entwurf einen Weg, selbstbewusste Landschaftsarchitektur von hoher atmosphĂ€rischer Kraft zu schaffen, und gleichzeitig unterschiedlichsten gesellschaftlichen Interessen gerecht zu werden. In der Jury ĂŒberwiegt jedoch die EinschĂ€tzung, dass die grosse versiegelte PlatzflĂ€che dem im Programm formulierten BedĂŒrfnis nach GrĂŒn zu wenig entgegenkommt.